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Tankrabatt zurückfordern „mit Klauen und Zähnen“?

Tankrabatt zurückfordern „mit Klauen und Zähnen“?

Der heiß diskutierte Tankrabatt soll nach einer Untersuchung des ifo Instituts beim Diesel vollständig an die Verbraucher weitergegeben worden sein, beim Benzin allerdings nur zu 85%. Bundeswirtschaftsminister Habeck warf den Mineralölkonzernen bereits vor, den Tankrabatt nur unzureichend an die Verbraucher weiterzugeben und kündigt ein neues Kartellrecht mit „Klauen und Zähnen“ an. Der Politik scheint wieder einmal nicht bewusst zu sein, dass es ein mit Klauen und Zähnen bewehrtes Kontrollinstrument bereits gibt. Es handelt sich um das EU-Beihilferecht, was in diesem Forum nicht verwundern mag.

Die Idee des Einsatzes des EU-Beihilfekontrollrechts zur Abschöpfung nicht vollständig weitergegebener Steuererleichterungen dürfte auf Ablehnung stoßen, da sich der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung mit dem Beihilferecht auseinandergesetzt hat und unter Berufung auf den Temporary Crisis Framework zu dem Ergebnis kam, dass die Absenkung der Energiesteuersätze bei Kraftstoffen keine Beihilfe sei.

Diese Analyse, die auf der fehlenden Selektivität der temporären Steuersenkung beruht, ist zutreffend, allerdings nur für die Unternehmen, die die Kraftstoffe verbrauchen. Die Frage der beihilferelevanten Begünstigung der Mineralölkonzerne und Großhändler auf Anbieterseite bedürfte dagegen einer eingehenderen Prüfung.

Der Gesetzgeber ging davon aus, dass die Energiesteuer als Verbrauchsteuer darauf angelegt ist, vollständig vom Steuerpflichtigen auf den Verbraucher abgewälzt zu werden. Eine temporäre Steuersenkung habe zur Folge, dass eine vollständige Weitergabe an die Verbraucher auch eine entsprechende Preissenkung und damit eine Entlastung für Bürger und Wirtschaft ermögliche. Eine Verpflichtung zur Weitergabe der Steuerentlastung wurde jedoch nicht beschlossen.

Beihilferechtliche Grundlage für das Energiesteuersenkungsgesetz und damit auch für die Senkung der Steuer auf Benzin und Dieselkraftstoff ist der hier im Blog bereits besprochene Temporary Crisis Framework. Dort führt die Kommission in Rn. 23 aus, dass Maßnahmen, die auf gewerbliche (und nicht gewerbliche) Energieverbraucher abzielen, keine staatlichen Beihilfen darstellen, sofern sie allgemeiner Art sind. Allgemeine Steuer- oder Abgabenermäßigungen oder ein ermäßigter Steuersatz können Maßnahmen sein, die das Tatbestandsmerkmal der Selektivität nicht erfüllen. Leider enthält der Krisenrahmen keine Erläuterung, wie der Gesetzgeber sicherstellen kann, dass die gewählte Maßnahme nicht selektiv wirkt.

Der Umstand, dass der Tankrabatt bei den gewerblichen Verbrauchern nicht selektiv wirkt, schließt nicht aus, dass die Mineralölkonzerne und Großhändler selektiv begünstigt werden. Die Steuer ist regelmäßig von demjenigen zu tragen, der das Benzin oder den Dieselkraftstoff zur Veräußerung oder zum Verbrauch aus dem Steuerlager entnimmt (unabhängig davon, dass die Steuer in der Regel beim Verkauf auf den Verbraucher abgewälzt wird). Die temporäre Entlastung kommt somit prima facie den Mineralölkonzernen und Großhändlern zugute. Deren Begünstigung entfällt nur, wenn sie nachweisen können, dass die Steuerentlastung vollständig an den Verbraucher weitergegeben wird und ihnen kein Vorteil verbleibt.

Die temporäre Steuerentlastung für die Anbieterseite kann auch als selektiv gewertet werden, weil die Steuersenkung eine Ausnahme vom steuerlichen Bezugssystem darstellt. Für eine intensivere Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Steuersenkung zwischen Wirtschaftsbeteiligten differenziert, die sich unter Berücksichtigung der systemimmanenten Ziele in einer vergleichbaren Sach- und Rechtslage befinden, ist hier allerdings nicht der Platz. Für eine erste Einschätzung mag es ausreichen, dass die Senkung der Steuersätze nicht alle Energieerzeugnisse und damit nicht alle Hersteller und Großhändler gleichermaßen betrifft. Die temporäre Senkung der Steuersätze kann auch nicht durch die Natur oder den allgemeinen Aufbau des (Bezugs-)Systems gerechtfertigt sein.

Eine Beihilfe zugunsten der Mineralölwirtschaft ist nach alledem nicht auszuschließen. Wenn die Einschätzungen des Gesetzgebers zu den Steuermindereinnahmen bei Benzin und die des Ifo-Instituts zutreffen, dass der Tankrabatt zu 15% bei der Mineralölwirtschaft verbleibt, erhält die Mineralölwirtschaft eine vom Gesetzgeber wohl unbeabsichtigte Beihilfe von ca. 85 Mio. EUR im Monat. Wenn die in der Presse geäußerte Kritik an der Methodik des ifo Instituts berechtigt sein sollte, wohlmöglich sogar eine deutlich höhere.

Diese Beihilfe könnte von Art. 44 AGVO gedeckt sein und damit ohne Zustimmung der Europäischen Kommission gewährt werden. Allerdings ist mir nicht bekannt, dass die Bundesregierung den Veröffentlichungs- und Informationspflichten nachgekommen wäre, die die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung voraussetzt.

Die Politik mag sich nun die Frage stellen, ob sie der Hilfestellung der Europäischen Kommission bedarf, um die nicht weitergegebenen Tankrabatte zurückzuerlangen. Die Kommission könnte ein förmliches Prüfverfahren eröffnen, das auf der Grundlage der Untersuchung des Ifo-Instituts oder weiterer Untersuchungen zu dem Ergebnis kommt, dass den Mineralölkonzernen ein Vorteil verblieben ist. In diesem Verfahren wären die Mineralölkonzerne zweifellos bestrebt, den Nachweis der vollständigen Weitergabe der Steuerentlastung zu führen.

Die Politik ist jedoch auf die Hilfestellung der Kommission nicht angewiesen, auch wenn es in Deutschland keine Behörde mit einer gesonderten Zuständigkeit für Beihilferückforderungen gibt. Der EuGH hat in der Rechtssache Eesti Pagar (Rs. C-349/17) klargestellt, dass die Verpflichtung zu unionsrechtskonformen Verhalten des Mitgliedstaates und seiner Einrichtungen auch die Verpflichtung eines Beihilfegebers umfasst, rechtswidrige Beihilfen ohne Aufforderung durch die Kommission zurückzufordern, sobald er Kenntnis von einer rechtswidrigen Beihilfe erlangt. Die für die Einziehung der Energiesteuer zuständigen Finanzämter müssten daher prüfen, ob die Steuerschuldner die Vorteile des Tankrabatts vollständig an die Verbraucher weitergereicht haben und etwaige Differenzbeträge nacherheben.

Keine Rechtfertigung einer Beihilfe bei Verstoß gegen besondere Vorschriften des Unionsrechts?

Keine Rechtfertigung einer Beihilfe bei Verstoß gegen besondere Vorschriften des Unionsrechts?

Das Verfahren nach Artikel 108 AEUV darf niemals zu einem Ergebnis führen, das zu den besonderen Vorschriften des Vertrages im Widerspruch steht.

Mit dieser Begründung erachtete die Europäische Kommission einen Ausgleich für die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Dienstleistungen für den Betrieb einer internationalen Seeverbindungsroute als mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe, weil die Begünstigte Adriatica (ein Unternehmen der Tirrenia-Gruppe) an einem nach Artikel 101 AEUV verbotenen Preisfestsetzungskartell beteiligt war.

Das Ergebnis der Kommission wurde nunmehr mit Urteil des EuG vom 18.05.2022 (T-601/20) bestätigt. Tirrenia hatte gegen den Kommissionsbeschluss (u.a.) auf der Grundlage geklagt, dass allein die Beteiligung an einem solchen Kartell nicht die Binnenmarktvereinbarkeit ausschließen könne. Die Beihilferegelung als solche habe nicht gegen besondere Vorschriften des Vertrages verstoßen.

Daneben enthält das Urteil u.a. grundlegende Aussagen zur Unterscheidung zwischen bestehenden und neuen Beihilfen und zum Sinn und Zweck der 10-jährigen Verjährungsfrist.

Hintergrund

Das Urteil reiht sich ein in einen seit 1999 schwelenden Konflikt zwischen der Tirrenia-Gruppe und der Europäischen Kommission wegen Ausgleichszahlungen des italienischen Staates für durch die Tirrenia-Gruppe durchgeführte Seeverkehrsdienste als öffentliche Dienstleistung.

Zuletzt hatte die Kommission mit Beschluss vom 02.03.2020 einen Großteil der Maßnahmen als bestehende Beihilfen oder mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfen bewertet (siehe hierzu Ein seltener Fall im Beihilfenrecht: ein Beschluss der Kommission auf Grundlage des DawI-Rahmens – BeihilfenBlog (beihilfen-blog.eu)). Lediglich Ausgleichsleistungen für die Route Brindisi–Korfu–Igoumenitsa–Patras erachtete die Kommission wegen des Verstoßes gegen Art. 101 AEUV als mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe.

Das Urteil des EuG

Tirrenia macht zur Begründung ihrer Klage drei Klagegründe geltend: Erstens, einen Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften in Bezug auf die Verjährungsfrist für die Rückforderung von Zinsen; Zweitens, die fehlerhafte Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen, die fehlerhafte Einstufung als neue Beihilfen, einen Verstoß gegen die Begründungspflicht und einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; Drittens, einen Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäßen Verwaltung.

Fehlerhaften Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen und Verstoß gegen Begründungspflicht

Wie bereits einleitend angeführt, ist Tirrenia der Ansicht, dass die Kommission zu Unrecht angenommen habe, dass allein das Vorliegen eines wettbewerbswidrigen Verhaltens (bspw. in Form eines kartellrechtlichen Verstoßes) bereits impliziere, dass es unmöglich sei, dass die Beihilfe mit dem Binnenmarkt vereinbar sei. Die Beihilfe als solche verstoße nämlich nicht gegen andere Bestimmungen des Vertrages, der Verstoß gegen Art. 101 AEUV liege in einem gesonderten Verhalten begründet.

Das EuG stimmt Tirrenia insofern zwar noch zu, dass eine Beihilferegelung, die nicht als solche und auch nicht aufgrund ihrer Modalitäten gegen andere Bestimmungen des Vertrages verstößt, nicht aus diesem Grund als mit dem Binnenmarkt unvereinbar angesehen werden kann. Die Kommission hatte ihre Begründung aber, anders als von Tirrenia unterstellt, nicht auf die bloße Existenz eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV gestützt. Vielmehr führte die Kommission als Begründung an, dass das mit einem Preisfestsetzungskartell verfolgte Ziel im Widerspruch zum Ziel einer Beihilfe für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen steht. Während die Bildung eines Preisfestsetzungskartells darauf abzielt, Preise für Verbraucher im Vergleich zum Marktpreis zu erhöhen und den Beteiligten höhere Vergütungen zu sichern, dient eine Beihilfe für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse dazu, Preise für Verbraucher erschwinglich zu halten und Nutzern die Dienstleistung zugänglich und regelmäßig zu gewährleisten. Das EuG bestätigte die Kommission, dass sie ohne offensichtlichen Beurteilungsfehler zu dem Schluss kommen konnte, dass die Beteiligung an einem Preisfestsetzungskartell deshalb die Unvereinbarkeit der Maßnahme mit dem Binnenmarkt impliziere.

Soweit Tirrenia auch rügte, dass die Kommission hinsichtlich dieses Prüfungspunktes gegen ihre Begründungspflicht verstoßen habe, weist das EuG auch diese Rüge ab. Die Begründung der Kommission war insofern sogar besonders ausführlich und die Rüge Tirrenias zielte eher auf die rechtliche Bewertung als auf eine fehlende Begründung.

Fehlerhafte Einstufung als neue Beihilfe und Verstoß gegen die Begründungspflicht

Des Weiteren wendete Tirrenia sich gegen die Feststellung der Kommission, dass es sich bei der Beihilferegelung um eine neue Beihilfe handelte. Vielmehr habe es sich um eine bestehende Beihilfe gehandelt.

Zum einen seien die Verbindungen zwischen Italien und Griechenland bereits in – den Betrieb verschiedener Routen regelnden – Gesetzesdekreten von 1936 vorgesehen gewesen, wovon notwendigerweise auch die hier gegenständliche Verbindung umfasst gewesen sei. Diese Argumentation lehnte das EuG mit der Begründung ab, dass es die italienischen Behörden im Verwaltungsverfahren versäumt hätten, das Datum der Einführung der konkreten Strecke zu übermitteln und aus einem Schreiben der italienischen Behörden vielmehr hervorgeht, dass die konkrete Strecke erst 1972 eingeführt wurde. Im Übrigen war die Bezugnahme auf die Strecke zwischen Italien und Griechenland so allgemein und unspezifisch, dass schon nicht geprüft und gewährleistet werden könne, dass der Betrag, der die konkrete Strecke betreffenden Beihilfe nicht über das hinausging, was zur Deckung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung erforderlich war.

Zum anderen seien nach Ansicht Tirrenias später am Mechanismus zur Berechnung des Ausgleichsbetrages vorgenommene Änderungen nicht wesentlich und die Aufhebung der Gesetzesdekrete von 1936 insofern rein formal. Hierzu stellt das EuG fest, dass die Rechtsgrundlage, auf der die Gewährung der Ausgleichszahlungen zuvor beruhte, unstreitig aufgehoben wurde. Der Rechtsakt sei somit im Zeitpunkt seiner Aufhebung erloschen und somit nicht mehr Teil der Rechtsordnung der Union gewesen. Die Ausgleichsregelung ist mit der Rechtsgrundlage verbunden, die ihre Rechtmäßigkeit begründet und verschwindet mit Aufhebung der Rechtsgrundlage ebenfalls aus der Rechtsordnung. Vielmehr wurde die Ausgleichsregelung dann durch eine neue Regelung, die streitige Beihilferegelung als, als neue Beihilfe iSd. Art. 1 lit. c der VO Nr. 659/1999 ersetzt.

Schließlich waren entgegen der von Tirrenia vertretenen weiteren Argumente auch die übrigen Änderungen der Regelung wesentlicher Art, als dass sie Kernelemente wie den Ausgleichsmechanismus zur Berechnung der Höhe des Ausgleichs, den Zeitraum, in dem der Ausgleich gezahlt werden konnte und die Haushaltsmittel, die zur Finanzierung bereitgestellt werden sollten, betrafen. Aus den gleichen Gründen war die Beihilferegelung ebenso wenig als eine bestehende Beihilfe zu bewerten, weil die Änderungen von der ursprünglichen Regelung abtrennbar gewesen wären. Die Änderungen betrafen wesentliche Elemente der Regelung.

Auch hier nahm die Kommission in ihrem Beschluss eine ausführliche Begründung vor, sodass das EuG hinsichtlich der Rüge eines Verstoßes gegen die Begründungspflicht auch hier feststellte, dass Tirrenia eher den Inhalt der Begründung in Frage stellt, als das Fehlen einer Begründung behaupten zu können.

Verstoß gegen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Schließlich rügte Tirrenia materiell noch einen Verstoß der Kommission gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil die Kommission zum einen eine Geldbuße wegen der Beteiligung am Kartell und zum anderen eine Rückforderung von Beihilfen wegen der Unvereinbarkeit der Regelung mit dem Binnenmarkt (infolge der Beteiligung an einem Kartell) verhängt habe. Hierdurch würde Tirrenia doppelt sanktioniert.

Hierzu stellte das EuG nur kurz dar, dass Tirrenia – anders als von ihr geltend gemacht – nicht zwei Mal bestraft wurde. Die Rückforderung einer Beihilfe wegen ihrer Unvereinbarkeit mit dem Binnenmarkt stellt keine Geldbuße dar, sondern dient der Beseitigung der Wettbewerbsverzerrung. Die Verurteilung wegen der Beteiligung an einem Kartell erfolgt hiervon unabhängig und wegen einer (gesonderten) Zuwiderhandlung.

Die Rückforderung der Beihilfe ist einzig Folge ihrer Rechtswidrigkeit und Unvereinbarkeit mit dem Binnenmarkt. Als solche kann die Rückforderung selbst keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begründen.

Anwendung der  der 10-jährigenVerjährungsfrist nach Art. 17 Abs. 1 VO 2015/1589 auf die Rückforderung von Zinsen

Mit Beschluss vom 16.03.2004 (Entscheidung 2005/163/EG) hat die Kommission erstmals die gegenständliche Maßnahme als mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe bewertet und die Rückforderung der Beihilfe einschließlich Zinsen angeordnet. Italien hat daraufhin die Beihilfen sowie einen Großteil der Zinsen von Tirrenia zurückgefordert. Der Beschluss wurde wegen eines Verstoßes gegen die Begründungspflicht mit Urteil des EuG vom 04.03.2009 aufgehoben.

Die Rückforderung  umfasste nach Feststellungen der Kommission nicht die aus einer verzögerten Rückzahlung durch Tirrenia entstandenen Zinsen für einen Zeitraum vom 01.01.2007 bis zum 26.03.2007. Soweit die Kommission hinsichtlich dieses Betrages jetzt mit dem hier gegenständlichen Beschluss die Rückforderung der ausstehenden Zinsen anordnet, wendet Tirrenia den Ablauf der 10-jährigen Verjährungsfrist des Art. 17 Abs. 1 der VO 2015/1589 ein. Es habe bezüglich der Zinsen keine Beanstandung der Kommission gegeben, die die Verjährung hätten unterbrechen können. Seit dem letzten die Verjährung unterbrechenden Ereignis – dem EuG-Urteil vom 04.03.2009 zum damaligen Kommissionsbeschluss – seien mehr als 10 Jahre vergangen.

Das EuG hält hierzu zunächst fest, dass das Hauptziel der Rückforderung einer rechtswidrig gewährten Beihilfe darin besteht, die durch den verschafften Wettbewerbsvorteil verursachte Wettbewerbsverzerrung zu beseitigen. Die Rückforderungspflicht ist erst erfüllt, wenn der Betrag der Beihilfe einschließlich Zinsen zurückgezahlt wurde, wie sich aus Art. 16 Abs. 1 und Abs. 2 der VO 2015/1589 ergibt. Nach Art. 16 Abs. 2 der VO 2015/1589 umfasst die aufgrund eines Rückforderungsbeschlusses zurückzufordernde Beihilfe Zinsen, die nach einem von der Kommission festgelegten angemessenen Satz berechnet werden und vom Zeitpunkt, ab dem die Beihilfe dem Empfänger zur Verfügung stand bis zu ihrer tatsächlichen Rückzahlung zu zahlen sind.

Verjährungsfristen haben demgegenüber die Funktion, Rechtssicherheit zu gewährleisten.

Durch das Urteil des EuG wurde mit dem Kommissionbeschluss zwar die Grundlage für die Rückforderung sowohl der Beihilfen als auch der Zinsen aufgehoben. Unmittelbar darauf nahm die Kommission jedoch das Verwaltungsverfahren wieder auf und stellte mit Abschluss des Verfahrens in dem hier gegenständlichen Beschluss fest, dass die gegenständliche Maßnahme eine rechtswidrige und mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe darstellte. Eine besondere Feststellung zu den Zinsen musste die Kommission hierbei nach Ansicht des Gerichts  nicht treffen, da sich die Ausdehnung auf die Zinsen unmittelbar und zwangsläufig aus Art. 16 der VO 2015/1589 ergibt. Insofern ist es unzutreffend, dass das letzte die Verjährung unterbrechende Ereignis das Urteil vom 04.03.2009 gewesen sein soll. Denn in dem wieder aufgenommenen Verfahren ergriff die Kommission zahlreiche, die Verjährungsfrist unterbrechende Maßnahmen, wie sie in Art. 17 Abs. 2 der VO 2015/1589 aufgeführt werden. So richtete sie u.a. am 18.10.2018 (vor Ablauf der auch nach Klägerinnenvortrag nicht vor 2009 beginnenden Verjährungsfrist) ein Schreiben an Italien, in dem Italien aufgefordert wurde, den genauen bislang zurück geforderten Betrag mitzuteilen.

Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der guten Verwaltung sowie gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes

Schließlich rügt Tirrenia einige Verstöße der Kommission auf der Grundlage der übermäßigen Länge des Verfahrens von 10 Jahren. So hätte die übermäßige Dauer ein berechtigtes Vertrauen in die Binnenmarktvereinbarkeit der Maßnahmen hervorgerufen und auch gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der guten Verwaltung verstoßen.

Auch insofern folgt das EuG der Argumentation aber nicht.

Dier Kommission ist im Falle einer nicht angemeldeten möglichen rechtswidrigen Beihilfe (so hier der Fall) nicht an die Fristen für angemeldete Beihilfen gebunden, wie sich auch aus Erwägungsgrund 22 der VO 2015/1589 ergibt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu bewerten.

Nicht nur benennt Tirrenia aber schon nicht konkret, aus welchen Umständen sich im Einzelfall ein Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und ordnungsgemäßen Verwaltung ergeben soll. Die Entscheidung enthält außerdem zahlreiche Erwägungsgründe zu einer Vielzahl von Maßnahmen, deren faktische und rechtliche Komplexität von den italienischen Behörden im Verfahren selbst hervorgehoben wurde. Ferner waren es vor allem die italienischen Behörden, die untätig geblieben sind und es unterlassen haben, der Kommission rechtzeitig die erforderlichen Informationen zu übermitteln.

Betreffend den Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes kommt hinzu, dass bei einer ohne vorherige Anmeldung durchgeführten Maßnahme der Empfänger zu diesem Zeitpunkt kein berechtigtes Vertrauen in ihre rechtmäßige Gewährung haben kann. Ein Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV ist für sich genommen bereits geeignet, ein berechtigtes Vertrauen des Empfängers auszuschließen. Soweit Tirrenia Rechtsprechung anführt, die sich auf Vertrauensschutz bei Durchführung eines Vorprüfungsverfahrens oder bei angemeldeten Verfahren bezieht, ist diese Rechtsprechung auf den Fall einer nicht angemeldeten gewährten Beihilfe nicht übertragbar. Die Kommission hat schließlich auch keine Vertrauensschutz begründende Zusicherung erteilt. Im Gegenteil war für Tirrenia erkennbar, dass die Kommission die Beihilfe immer noch als rechtswidrig betrachten würde, nachdem der erste Beschluss wegen eines Verstoßes gegen die Begründungspflicht aufgehoben wurde.

Autor: Christopher Hanke, Müller-Wrede & Partner

Keine Informationen, kein Beweis?

Keine Informationen, kein Beweis?

Wie hoch sind die Anforderungen an den von der Kommission zu führenden und vom Gericht zu bewertenden Nachweis, dass einem Unternehmen ein Vorteil zugeflossen ist, wenn die Kommission hinsichtlich des zu bewertenden Sachverhalts nur über begrenzte Informationen verfügt?

Nachdem der EuGH in der Rechtssache C-244/18 PLarko“ das erstinstanzliche Urteil mit der Begründung aufhob, das EuG habe den falschen Prüfungsmaßstab angelegt und es unterlassen, sich bei seiner Prüfung und Begründung in den Kontext zum Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahme zu versetzen, durfte das EuG nunmehr mit Urteil vom 4. Mai 2022 eine erneute Prüfung unter Berücksichtigung der vom EuGH aufgestellten Grundsätze zur Beweislast vornehmen.

Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie die Anforderungen an die Beweislast der Kommission zu bewerten sind und wie die Verantwortungssphären zwischen Mitgliedstaat und Kommission abzugrenzen sind, wenn der Mitgliedstaat im Verwaltungsverfahren unter Verstoß gegen seine Pflichten zur loyalen Zusammenarbeit der Kommission nicht die für ihre Prüfung des Art. 107 Abs. 1 AEUV erforderlichen Informationen übermittelt.

Bisheriger Verfahrensgang

Larko ist ein griechisches auf die Gewinnung und Verarbeitung von Lateriterz, den Abbau von Braunkohle und die Herstellung von Ferronickel und Nebenprodukten spezialisiertes Unternehmen. Nachdem im März 2012 die griechischen Behörden die Kommission über ein Privatisierungsprogramm für Larko informierten, leitete die Kommission im April 2012 eine vorläufige Prüfung der Privatisierung gemäß den Vorschriften über staatliche Beihilfen ein.

Mit Beschluss vom 6. März 2013 eröffnete die Kommission das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV. Mit Beschluss  vom 27. März 2014 stellte die Kommission fest, dass drei der geprüften Maßnahmen zugunsten Larkos mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfen im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellten, die unter Missachtung des Art. 108 Abs. 3 AEUV gewährt wurden und ordnete die Rückforderung der Beihilfen an. Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens waren die griechischen Behörden nach Ansicht der Kommission den Aufforderungen der Kommission, die erforderlichen Informationen zu übermitteln, unzureichend und lückenhaft nachgekommen.

Im Juni 2014 erhob Larko Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses u.a. mit der Begründung, dass die Kommission zu Unrecht festgestellt habe, dass es sich bei den Maßnahmen um mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfen handele. Mit Urteil vom 1. Februar 2018 wies das EuG die Klage ab. Larko wendete sich daraufhin mit einem Rechtsmittel vor dem EuGH gegen das Urteil.

Urteil des EuGH vom 26. März 2020

Hinsichtlich zwei Maßnahmen wies der EuGH das Rechtsmittel zurück. Hinsichtlich einer im Dezember 2008 gewährten Garantie für ein Darlehen in Höhe von 30 Mio. EUR, mit der 100 % des Darlehens bis zu drei Jahre abgedeckt wurden und deren Garantieprämie 1 % pro Jahr betrug, hob der EuGH das Urteil auf und verwies die Rechtssache zurück an das EuG.

Das EuG hatte insofern ursprünglich geurteilt, dass ein privater Kapitalgeber eine Garantie zu solchen Konditionen nicht gewährt hätte und die Kommission in der Annahme eines wirtschaftlichen Vorteils bestätigt. Hierbei hat es nach Ansicht des EuGH einen Rechtsfehler begangen.

Denn das Gericht stützte zum einen seine Begründung, dass Larko ein „Unternehmen in Schwierigkeiten“ iSd. Rn. 9 – 11 der Leitlinien für staatliche Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen (in der damals geltenden Fassung) war, auf Elemente, die nach dem Erlass der Maßnahme eingetreten waren. Zum anderen habe es bei seiner Prüfung, ob die griechischen Behörden im Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahme von den Schwierigkeiten Larkos Kenntnis hatten, festgestellt, dass kein Aktenstück „mit Sicherheit“ nachweise, dass die Behörden zu diesem Zeitpunkt eine solche Kenntnis hatten. Schließlich stellte es dann aber eine Vermutung an, wonach der griechische Staat zum Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahme von der schwierigen Lage Larkos hätte Kenntnis haben müssen.

Durch diese Begründung habe das Gericht es unterlassen, sich bei der Prüfung des Kriteriums des privaten Wirtschaftsteilnehmers in den Kontext zum Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahme zu versetzen. Das Gericht habe verkannt, dass die Kommission ihre positive Annahme, dass einem Unternehmen ein Vorteil zugeflossen ist, nicht einfach auf eine negative Vermutung stützen darf, wenn sie schlicht nicht über hinreichende Informationen für eine (möglicherweise gegenteilige) Schlussfolgerung verfügt.

Ist der Grundsatz des privaten Wirtschaftsteilnehmers (wie vorliegend) anwendbar (wofür der betroffene Mitgliedstaat beweisbelastet sei), obliege nämlich die Beweislast, ob die Voraussetzungen für die Anwendung des Grundsatzes des privaten Wirtschaftsteilnehmers vorliegen oder nicht, der Kommission.

Auch, wenn sie aufgrund der Verletzung eines Mitgliedsstaates von dessen Pflicht zur Zusammenarbeit die angeforderten Auskünfte nicht erhält, muss sie ihre Entscheidung auf „einigermaßen tragfähige und schlüssige Anhaltspunkte stützen, die eine hinreiche Grundlage für die Annahme bilden, dass einem Unternehmen ein Vorteil zugeflossen ist, der eine staatliche Beihilfe darstellt, und die somit geeignet sind, die Schlussfolgerungen, zu denen sie gelangt ist, zu untermauern“.

Urteil des EuG vom 4. Mai 2022

Somit hatte das EuG nach Rückverweisung der Rechtssache nunmehr zu prüfen, ob die Kommission in ihrem Beschluss in einer diesen Anforderungen genügenden Weise das Vorliegen eines wirtschaftlichen Vorteils hinsichtlich der Darlehensgarantie geprüft und begründet hat.

Die vom EuG zu beurteilende Begründung der Kommission findet sich im 73. Erwägungsgrund des Beschlusses und enthält im Wesentlichen zwei Teile:

Zum einen die Feststellung der Kommission, dass Larko 2008 ein „Unternehmen in Schwierigkeiten“ iSv. Nr. 3.2 lit. a der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien iVm. der Definition in den Rn. 9 – 11 der Leitlinien für staatliche Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen in der damals geltenden Fassung war. Zum anderen, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass unter Berücksichtigung der erheblichen finanziellen Schwierigkeiten und der hohen Verschuldung Larkos im Verhältnis zum Eigenkapital (iSv. Nr. 3.2 lit. d der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien) eine jährliche Garantieprämie von 1 % dem Ausfallrisiko des garantierten Darlehens angemessen sei.

Das EuG stellte zunächst fest, dass aus der Struktur des 73. Erwägungsgrundes zu entnehmen sei, dass die beiden Teile der Begründung als alternative Begründungen zu verstehen seien, die ausgehend von Nr. 3.2 lit. a und lit. d der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien jeweils zu dem Schluss führen sollen, dass die griechischen Behörden nicht nachgewiesen hätten, dass die Maßnahme marktkonform gewesen sei und daher einen Vorteil iSv. Art. 107 Abs. 1 AEUV beinhaltete. Sodann prüfte das EuG zunächst hinsichtlich des zweiten Teils der Begründung nach Maßgabe des EuGH, ob die Verwaltungsakten Angaben von einer gewissen Zuverlässigkeit und Kohärenz enthalten, die eine hinreichende Grundlage für den Schluss der Kommission bilden und dass dieser Punkt zwischen der Kommission und den griechischen Behörden nicht streitig war.

Hierbei gelangte das EuG zu dem Schluss, dass dem Vorbringen der Kommission zu folgen und die Klage auch insofern abzuweisen ist. Das Gericht stützt dieses Ergebnis auf eine fünf-schrittige Prüfung.

Prüfungsumfang

Mit den ersten beiden Prüfungsschritten umgrenzt das Gericht zunächst den erforderlichen Prüfungsumfang bzw. die Prüfungsgrundlage.

So dürfen die im zweiten Teil der Begründung angeführten „erheblichen finanziellen Schwierigkeiten von Larko“ nicht mit der im ersten Teil angeführten Eigenschaft Larkos als „Unternehmen in Schwierigkeiten“ verwechselt werden. Die Voraussetzungen der Nr. 3.2 der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien müssen kumulativ erfüllt sein. Der zweite Teil der Begründung bezieht sich auf Nr. 3.2 lit. d der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien, nach der für die Garantie ein marktübliches Entgelt zu zahlen ist. Hierbei ist u.a. die Ausfallwahrscheinlichkeit des Kredits maßgeblich, mithin auch, ob sich das Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten befindet. Nach der in dem Urteil sehr verklausuliert formulierten Ansicht des Gerichts genügt es, dass eine der Voraussetzungen der Nr. 3.2 der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien nicht vorliegt, damit das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe nicht gemäß der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien ausgeschlossen werden kann.

Des Weiteren habe der EuGH lediglich in dem o.g. Umfang die falsche Anwendung des Grundsatzes des privaten Wirtschaftsteilnehmers durch das Gericht beanstandet, nicht aber die Stichhaltigkeit des zweiten Teils der Begründung des 73. Erwägungsgrundes des Beschlusses der Kommission oder die Stichhaltigkeit der weiteren Beurteilung des Gerichts hierzu, obwohl Larko diese Punkte in ihrem Rechtsmittel ausdrücklich gerügt hatte. Das Gericht hat somit nunmehr das Vorliegen von Gesichtspunkten zu prüfen, die belegen können, dass die griechischen Behörden vor oder bei Gewährung der Maßnahme von den „Schwierigkeiten von Larko“ Kenntnis hatten oder hätten haben müssen.

Anhaltspunkte in den Verwaltungsakten

In den weiteren beiden Prüfungsschritten legt das Gericht dar, dass die Feststellungen der Kommission zusammen mit den aus den Verwaltungsakten hervorgehenden maßgeblichen Beweisen ausreichen, um zu belegen, dass Larko spätestens zum Zeitpunkt der Gewährung der Maßnahme in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten steckte und dies den griechischen Behörden bewusst war, was sie im Verwaltungsverfahren auch nicht bestritten haben.

So habe die Kommission im zweiten Teil der Begründung des 73. Erwägungsgrundes einen Zusammenhang zwischen den „erheblichen finanziellen Schwierigkeiten“ Larkos und der „hohen Verschuldung im Verhältnis zum Eigenkapital“, die sich auf das „Ausfallrisiko der garantierten Darlehen“ auswirken könne, hergestellt. Den Zusammenhang belege die Kommission im 56. Erwägungsgrund des Beschlusses anhand einer Tabelle zur Verschuldung und zum Eigenkapital Larkos in den Jahren 2007 und 2008.

Diese Einschätzung wird nach Auffassung des Gerichts auch durch folgende weitere Anhaltspunkte in der Akte belegt:

  • Die Kommission hat im Eröffnungsbeschluss ausdrücklich die Aufmerksamkeit der griechischen Behörden auf den potenziell nicht marktkonformen Charakter der Garantieprämie im Hinblick auf Nr. 3.2 der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien gelegt. Sie führte hierbei an, dass eine jährliche Prämie von 1 % im Hinblick auf die erheblichen finanziellen Schwierigkeiten und der hohen Verschuldung Larkos auf den ersten Blick dem Ausfallrisiko nicht angemessen sei.
  • Die Kommission hat die griechischen Behörden – auch im Eröffnungsbeschluss – ausdrücklich aufgefordert, ihr alle Informationen zur Beurteilung der Kriterien der Nr. 3.2 der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien zu übermitteln, auch um prüfen zu können, ob die Prämie von 1 % im Vergleich zu „entsprechenden marktüblichen“ Entgelten angemessen ist.
  • Die griechischen Behörden haben für ihre Behauptungen, dass Larko über eine gute Bonitätseinstufung verfügt habe und die Prämie von 1 % den Marktbedingungen entsprochen habe, keine Beweise vorgelegt. Vielmehr haben die griechischen Behörden an anderer Stelle die „abrupte Verschlechterung“ der finanziellen Lage Larkos im zweiten Halbjahr 2008 einräumen müssen.
  • Die Schlussfolgerung wird durch die konstanten Verluste Larkos in den Jahren 2007 und 2008 bestätigt, die die Kommission in Eröffnungsbeschluss und angefochtenem Beschluss zugrunde gelegt hat. Außerdem wies die Kommission im Eröffnungsbeschluss darauf hin, dass nach Nr. 3.2 lit. c der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien das Vorliegen einer Beihilfe nicht ausgeschlossen werden könne, wenn die Garantie mehr als 80 % des ausstehenden Kreditbetrags decke (die Maßnahme war aber dazu bestimmt, 100 % des Darlehens zu decken).
  • Aus den im angefochtenen Beschluss zusammengefassten Erklärungen der griechischen Behörden zum Eröffnungsbeschluss geht hervor, dass diese ab Mitte 2008 von der schlechten finanziellen Situation Larkos Kenntnis hatten.

Kein Entgegenstehen der Regeln über Verteilung der Beweislast

In einem letzten Prüfungsschritt hält das EuG fest, dass auch die Regeln über die Verteilung der Beweislast nicht geeignet sind, die Feststellungen zu entkräften. Nach Ansicht des Gerichts würden ansonsten die Beweislast unter Verkennung des Umfangs der Pflichten zur loyalen Zusammenarbeit des Mitgliedstaates aus Art. 4 Abs. 3 EUV ungerechtfertigterweise zulasten der Kommission umgekehrt.

Denn zwar habe die Kommission nach dem Urteil des EuGH, auch wenn sie es mit einem Mitgliedstaat zu tun habe, der unter Verletzung seiner Pflicht zur Zusammenarbeit die angeforderten Auskünfte nicht erteilt, ihre Entscheidungen auf einigermaßen tragfähige und schlüssige Anhaltspunkte zu stützen, die eine hinreichende Grundlage für ihre Annahme bilden und darf nicht einfach in Ermangelung anderer Anhaltspunkte ihre positive Feststellung auf eine negative Vermutung stützen. Auch könne die Kommission durch von ihr erlassene Verhaltensregeln – wie die Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien – keine Verpflichtungen zulasten der Mitgliedstaaten begründen.

Vorliegend hatte die Kommission aber über die o.g. hinreichend zuverlässigen und kohärenten Anhaltspunkte verfügt. Die griechischen Behörden wiederum haben nichts unternommen, um diese Anhaltspunkte zu widerlegen und die für die Erfüllung der Nr. 3.2 lit. d der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien maßgeblichen Anhaltspunkte vorzutragen. Weder die griechischen Behörden noch Larko haben die der Kommission zur Verfügung stehenden Indizien widerlegt, obwohl die Kommission die Behörden ausdrücklich hierzu aufgefordert hatte. Ein solches Ergebnis entspricht schließlich der Verteilung der Kenntnis- und Verantwortungssphären, die den Voraussetzungen von Nr. 3.2 der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien zugrunde liegen und die vor allem den Nachweis durch den Mitgliedstaat erleichtern sollen, dass eine öffentliche Einzelgarantie keine der Kommission mitzuteilende staatliche Beihilfe beinhaltet. Grade solche Informationen, die in die Kenntnis- und Verantwortungssphäre des Mitgliedstaates fallen, könnte der Mitgliedstaat gemäß seiner Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV vorlegen.

So hat die Kommission beim Erlass dieses Beschlusses über ausreichend zuverlässige und kohärente Anhaltspunkte für die Feststellung, dass die gewährte Garantieprämie nicht marktkonform war und einen Vorteil iSv. Art. 107 Abs. 1 AEUV dargestellt hat, verfügt. Das EuG hat die Klage deshalb insgesamt abgewiesen, ohne über den ersten Teil der Begründung der Kommission, dass es sich bei Larko um ein „Unternehmen in Schwierigkeiten“ gehandelt hat, entscheiden zu müssen.

Fazit

Die Prüfung des Kriteriums des privaten Wirtschaftsteilnehmers kann sich für die Kommission im Einzelfall vor dem Hintergrund der Verteilung der Beweislast als schwierig gestalten. Zunächst ist festzustellen, dass der betroffene Mitgliedstaat für die Anwendbarkeit des Kriteriums des privaten Wirtschaftsbeteiligten beweispflichtig ist. Für die Frage der Anwendung dieses Kriteriums trifft die Beweislast regelmäßig die Kommission. Nach dem Urteil des EuGH entbinden auch diesbezügliche Verstöße des Mitgliedstaates gegen die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit die Kommission nicht davon, ihre Entscheidung auf tragfähige und schlüssige Anhaltspunkte stützen.

Das daraufhin ergangene Urteil des EuG zeigt jedoch die Umsetzungsschwierigkeiten dieser Vorgaben in der Praxis:

Das EuG  prüft zunächst kleinschrittig und entsprechend den Vorgaben des EuGH die sich aus den Verwaltungsakten ergebenden Informationen auf verschiedenste mögliche Anhaltspunkte, die den Schluss der Kommission belegen könnten und kommt zu dem Schluss, dass die Kommission auf Grundlage dieser Indizien zu dem Ergebnis kommen konnte, dass sich bei Larko im Zeitpunkt der Gewährung der Maßnahme in erheblichen Schwierigkeiten befand. Dieses Ergebnis rechtfertig das EuG abschließend zurecht mit der Verteilung der Kenntnis- und Verantwortungssphären zwischen Mitgliedstaat und Kommission: handelt es sich wie in diesem Fall bei den Voraussetzungen von Nr. 3.2 der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien um Informationen, die in die Kenntnis- und Verantwortungssphäre des Mitgliedstaates fallen, könnte der Mitgliedstaat diese gemäß seiner Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV vorlegen. Tut der Mitgliedstaat dies jedoch nicht, muss es für die Beweispflicht der Kommission ausreichen, dass sie ihre Entscheidung auf „tragfähige und schlüssige Anhaltspunkte“ und damit auf Indizien stützt, die ihr zur Verfügung stehen. Eine darüber hinausgehende Möglichkeit für den Beweis der Anwendung des Kriteriums des privaten Kapitalgebers hat die Kommission mangels Informationen in einer solchen Situation nicht.

Autor: Christopher Hanke. Müller-Wrede & Partner

Alles klar nach Eesti Pagar? Begrenzung der Rückforderung rechtswidriger Beihilfen durch Anwendung der AGVO

Alles klar nach Eesti Pagar? Begrenzung der Rückforderung rechtswidriger Beihilfen durch Anwendung der AGVO

Mit dem Urteil in der Rechtssache „Eesti Pagar“ (C-349/17 vom 05.03.2019) hat der EuGH deutlich gemacht, dass die beihilfegewährenden Stellen – ebenso wie die nationalen Gerichte – die Verantwortung trifft, für die volle Wirksamkeit des beihilferechtlichen Durchführungsverbots (Art 108 Abs 3 Satz 3 AEUV) zu sorgen. Hieraus folgt u.a., dass Beihilfengeber grundsätzlich für die Rückforderung einer Beihilfe sorgen müssen, sofern sie feststellen, dass eine mutmaßlich als freigestellte Beihilfe gewährte Förderung den Freistellungsvoraussetzungen (z.B. der AGVO) doch nicht entspricht. In der Praxis stellte sich angesichts dieser Verpflichtungen die Frage, welche Spielräume den Behörden verbleiben, wenn z.B. bei der Bewilligung einer Zuwendung ein unpassender AGVO-Tatbestand gewählt wurde und dies erst nachträglich auffällt. Kurz vor Ostern hat der Gerichtshof insoweit wohl für ein wenig zusätzliche Klarheit und Flexibilität gesorgt: Im Rahmen des Urteils zum Vorabentscheidungsverfahren „Autonome Provinz Bozen“ vom 7. April 2022 (verb. Rechtssachen C-102/21 und C-103/21) hat der EuGH eher beiläufig die „Eesti Pagar“-Rechtsprechung ergänzt. Doch der Reihe nach:

Die Ausgangsrechtsstreite:

Die Ausgangsrechtsstreite des Vorabentscheidungsverfahrens sind schnell erzählt:

Am 25. Juli 2012 genehmigte die Europäische Kommission eine italienische Beihilferegelung, nach der Investitionsbeihilfen im Höhe von bis zu 80 % der Kosten des Baus von kleinen Wasserkraftwerken zur Energieversorgung zum Eigenverbrauch gewährt werden konnten. Empfänger der Beihilfen sollten Unternehmen sein, denen wegen ihrer geografischen Lage ein Anschluss an das Stromnetz nicht unter angemessenem Aufwand durchführbar ist. Die Laufzeit der Regelung wurde in der Genehmigung mit dem Zeitraum 2011-2016 angegeben. Im Jahr 2018 bewilligte und gewährte die Autonome Provinz Bozen auf der Grundlage der Regelung u.a. den Klägerinnen der Ausgangsrechtsstreite – beide jeweils Eigentümerinnen von Almen im Berggebiet der Autonomen Provinz Bozen – Beihilfen in Höhe der zulässigen Maximalförderung. Im Jahr 2020 informierte die zuständige Behörde die Zuwendungsempfängerinnen dann darüber, dass die Beihilferegelung, die Grundlage ihrer Förderung war, bereits am 31.12.2016 und mithin vor Bewilligung ihrer Förderung ausgelaufen sei. Ebenso teilte die Behörde mit, dass die Förderung deshalb mit der geltenden AGVO in Einklang stehen müsse und nach der einschlägigen Regelung des Art. 41 AGVO die Höhe auf 65 % der beihilfefähigen Kosten begrenzt sei. Folglich widerrief die zuständige Behörde teilweise ihre Bewilligungsentscheidung, reduzierte den bewilligten Betrag auf den nach der AGVO zulässigen Betrag und forderte den überzahlten Betrag zuzüglich Zinsen von den Empfängerinnen zurück. Hiergegen wendeten sich diese mit Klagen vor dem vorlegenden Verwaltungsgericht. Dieses setzte die Verfahren aus und legte dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor. Diese betrafen eigentlich die Frage, ob es sich bei der gewährten Förderung um missbräuchliche Beihilfen handele, welche Pflichten bei einer entsprechenden Einordnung für die mitgliedstaatlichen Behörden erwachsen würden und ob die Beihilfen mit dem Binnenmarkt vereinbar wären.

Feststellungen des EuGH

Auf die ersten Vorlagefragen hin stellte der EuGH fest, dass die Genehmigung der Beihilferegelung durch die Kommission auf den Zeitraum bis zum 31.12.2016 beschränkt war. Beihilfen, die nach diesem Zeitraum auf der Grundlage der Regelung gewährt wurden, seien somit nicht bestehende Beihilfen oder missbräuchlich i.S.v. Art. 1 lit. g der Verordnung 2015/1589, sondern stellten neue Beihilfen dar, die unter Verstoß gegen das Durchführungsverbot gewährt wurden. Es handelte sich damit um rechtswidrige Beihilfen. Vor diesem Hintergrund formulierte der EuGH die zweite Vorlagefrage dahingehend um, welche Verpflichtungen die mitgliedstaatlichen Behörden im Umgang mit rechtswidrigen Beihilfen treffen.

Dies gab dem Gerichtshof zunächst Gelegenheit, die zuletzt im Urteil „Eesti Pagar“ zusammengefassten Grundsätze zu wiederholen und zu bestätigen (siehe zum Urteil Eesti Pagar im Einzelnen auch: Eesti Pagar oder die Entzauberung der AGVO – BeihilfenBlog (beihilfen-blog.eu)). So betonte der Gerichtshof die unmittelbare Wirkung des Durchführungsverbots des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV und die Rolle, die daraus folgend den nationalen Gerichten und den mitgliedstaatlichen Verwaltungsbehörden zukomme. Diese müssten für die volle Wirksamkeit der Bestimmung Sorge tragen und mithin sämtliche Konsequenzen aus der Verletzung von Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV ziehen. Dies umfasse insbesondere auch die Anordnung von Maßnahmen, die geeignet sind, der Rechtswidrigkeit der Durchführung der Beihilfe abzuhelfen, damit der Empfänger vor einer Entscheidung der Kommission nicht weiterhin frei über die Beihilfe verfügen könne. Für die nationalen Verwaltungsbehörden folge hieraus, dass es ihnen obliege, eine rechtswidrige Beihilfe aus eigener Initiative zurückzufordern, wenn sie einen Verstoß gegen das Durchführungsverbot feststellen. Nach Zitierung dieser bekannten Grundsätze ergänzt der Gerichtshof in Randnummer 49 des Urteils dann aber – recht harmlos und unscheinbar – folgende Feststellung:

Hinzuzufügen ist, dass in einem solchen Fall [gemeint ist die Verpflichtung der Verwaltungsbehörden zur Rückforderung aus eigener Initiative] der betreffende Mitgliedstaat grundsätzlich nicht daran gehindert ist, die Rückzahlung auf den Teil der Beihilfe zu beschränken, der nicht in die in der Verordnung Nr. 651/2014 [d.h. der AGVO] festgelegten Kriterien erfüllt.“

Der Inhalt dieser Feststellung dürfte in der Praxis von erheblicher Relevanz sein: War nämlich bislang nicht wirklich klar, ob die Rückzahlung rechtswidriger Beihilfen durch die mitgliedstaatlichen Behörden ohne eine spätere Genehmigungsentscheidung der Kommission begrenzt werden kann (wie nach der CELF-Rechtsprechung des EuGH möglich) und somit grundsätzlich nur eine vollständige Rückforderung des Beihilfebetrages zur Gewährleistung der Wirksamkeit des Durchführungsverbots in Betracht gezogen werden kann, öffnet der EuGH nun den Weg zu einer Beschränkung der Rückforderung auf den Betrag der Beihilfe der nicht von der AGVO gedeckt ist. Demnach kann eine nationale Stelle die Gewährung einer Beihilfe (teilweise) retten, wenn und soweit die Maßnahme die Kriterien für eine Freistellung nach der AGVO erfüllt.

Bewertung

Der Teufel dieser Öffnung dürfte in der Praxis aber – wie so häufig – im Detail liegen: Dass die Tragweite der Feststellung des EuGH mit Vorsicht zu genießen ist, impliziert schon die vorsichtige Formulierung der Randnummer 49, wonach die Mitgliedsstaaten „grundsätzlich nicht daran gehindert […]“ sind, entsprechend zu verfahren. Zu berücksichtigen ist insoweit der Sachverhalt, der dem Vorabentscheidungsverfahren zugrunde lag und die Reichweite der Aussagen des EuGH: Der Gerichtshof hatte im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nicht zu untersuchen, ob die Voraussetzungen des von der Behörde insofern angeführten Art. 41 AGVO auch tatsächlich erfüllt waren. Dies hatte das vorlegende Gericht als unstreitig unterstellt. Ferner bleibt nach den knappen Ausführungen des EuGH unklar, ob für eine Reduzierung der Rückforderung die Voraussetzungen der Freistellung nach der AGVO im Zeitpunkt der Gewährung vorliegen müssen oder ob es genügt, dass die Freistellungsvoraussetzungen in dem Zeitpunkt abgebildet werden können, in dem die Rechtswidrigkeit der Beihilfe festgestellt wird. Für ersteres spricht, dass es in diesem Fall an einem Verstoß gegen das Durchführungsverbot im Umfang der freigestellten Beihilfe fehlen würde. Für die Frage des Zeitpunktes des Verstoßes gegen das Durchführungsverbot ist der Zeitpunkt der Gewährung der Beihilfe maßgeblich. D.h. der Zeitpunkt, in dem der Empfänger nach dem geltenden nationalen Recht einen Rechtsanspruch auf die Beihilfe erwirbt (siehe Urteile des Gerichtshofs vom 21.03.2013 in der Rs. C-129/12, Magdeburger Mühlenwerke und Urteil vom 25.01.2022 in der Rs. C-638/19, Gebr. Micula/European Food). Liegen in diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen der AGVO für eine Freistellung vor, fehlt es jedenfalls im freigestellten Umfang an einer rechtswidrigen Beihilfe. Bei entsprechendem Vorgehen, würde allerdings regelmäßig die Freistellungsvoraussetzung des Art. 9 AGVO Probleme bereiten. Demnach ist zu gewährleisten, dass die Kurzbeschreibungen nach Art. 11 AGVO und Anhang II sowie der Zugang zum Wortlaut der Beihilfemaßnahme veröffentlicht werden und bei Einzelbeihilfen über 500.000 EUR die Transparenz nach Art. 9 Abs. 1 lit. c) AGVO und Anhang III hergestellt wird. Die Schwierigkeit die Erfüllung von Art. 9 AGVO nachträglich für den Zeitpunkt der Gewährung der Beihilfe abzubilden, spräche insoweit eher dafür anzunehmen, dass eine Begrenzung der Rückforderung schon in Betracht kommt, wenn sämtliche Freistellungskriterien vorliegen und die Veröffentlichungspflichten des Art. 9 AGVO in dem Zeitpunkt erfüllt werden, in dem die rechtswidrige Beihilfe festgestellt wird. Es bleibt abzuwarten, ob die Rechtsprechung hier zeitnah weitere Konkretisierungen liefern wird.

Das Urteil vom 07.04.2022 scheint den mitgliedsstaatlichen Stellen somit zwar eine Möglichkeit zu eröffnen, die Rückforderung von Beihilfen, die unter Verstoß gegen das Durchführungsverbot gewährt wurden, mittels Anwendung der AGVO zu begrenzen. Dies kann sich grundsätzlich in verschiedenen Konstellationen als nützlich erweisen, wie z.B. in Fällen, in denen eine genehmigte Beihilferegelung nicht oder nicht mehr anwendbar ist, die auf Grundlage der Regelung erlassene Maßnahme aber die Freistellungsvoraussetzungen der AGVO erfüllt oder in Fällen, in denen ein anderer Freistellungstatbestand der AGVO erfüllt ist als derjenige, auf deren Voraussetzungen sich die beihilfengewährende Stelle zunächst gestützt hatte. Inwieweit diese Möglichkeit aber auch tatsächlich von praktischem Nutzen sein wird, wird abzuwarten sein, da sich noch mehrere Folgefragen stellen. Denkbar dürfte es aber sein, dass in Fällen, in denen sich ein zunächst herangezogener Freistellungstatbestand später nicht mehr als passend erweist, ein anderer Tatbestand der AGVO aber schon und die Voraussetzungen dieser Freistellung als erfüllt angesehen werden können, die Rückforderung auf den überschießenden Beihilfebetrag zu begrenzen (jedenfalls bei Einzelbeihilfen unterhalb des Betrages von 500.000 EUR). Aber auch hier wird der jeweilige Einzelfall stets auf die Umsetzbarkeit zu prüfen sein müssen.

Die Kommission billigt deutsche Beihilferegelung mit einem Volumen von bis zu 20 Mrd. EUR

Die Kommission billigt deutsche Beihilferegelung mit einem Volumen von bis zu 20 Mrd. EUR

Die Europäische Kommission hat am 19. April 2022 eine Beihilferegelung genehmigt, mit der Deutschland vor dem Hintergrund der Invasion der Ukraine durch Russland bis zu 20 Milliarden EUR für die Unterstützung von Unternehmen aller Wirtschaftszweige bereitstellen will. Die Regelung wurde auf der Grundlage des am 23. März 2022 von der Kommission erlassenen befristeten Krisenrahmens für staatliche Beihilfen genehmigt, in dem die Kommission mit Blick auf Artikel 107 Absatz 3 Buchstabe b des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) anerkennt, dass das Wirtschaftsleben der gesamten EU beträchtlich gestört ist.

Hintergrund

Die militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine hat für bestimmte Produkte zur Störung der Lieferkette für EU-Einführungen aus der Ukraine, sowie für EU-Ausfuhren in die Ukraine geführt. Besonders stark betroffen ist der Agrarsektor, die Lebensmittelindustrie, die Fischerei und die Aquakulturen. Auch der Energiemarkt ist durch den Anstieg der Strom- und Gaspreise in der EU in erheblicher Weise betroffen. Die Europäische Kommission hat daher am 23. März 2022 einen befristeten Krisenrahmen für staatliche Beihilfe angenommen (mehr dazu hier)

Dieser Krisenrahmen ermöglicht den Mitgliedstaaten den in den Beihilfevorschriften vorgesehenen Spielraum zu nutzen um die Wirtschaft infolge der Ukrainekrise zu stützen. Er ergänzt damit die bereits bestehenden Möglichkeiten der Mitgliedstaaten für Beihilferegelungen. Der Krisenrahmen sieht vor, dass Mitgliedstaaten folgende Arten von Beihilfen gewähren können:

  1. Liquiditätshilfen in Form von staatlichen Garantien und zinsvergünstigte Darlehen
  2. Beihilfen in jeglicher Form zur Entschädigung für die höheren Energiepreise

Die Mitgliedstaaten wurden allerdings aufgefordert, in nichtdiskriminierender Weise Anforderungen an den Umweltschutz oder die Versorgungssicherheit festzulegen, beispielweise durch Verpflichtung des Beihilfeempfängers zu Energieeffizienzinvestitionen.

Die deutsche Beihilferegelung

Die von Deutschland angemeldete Regelung ist nach Feststellung der Kommission geeignet, erforderlich und angemessen, um die beträchtliche Störung im Wirtschaftsleben zu beheben. Sie steht damit im Einklang mit Artikel 107 Absatz 3 Buchstabe b AEUV und den im Krisenrahmen festgelegten Voraussetzungen.

Durch die Beihilferegelung können alle Unternehmen jeder Größe und aus allen Wirtschaftszweigen mit Ausnahme der Finanzbranche Unterstützung erhalten, sofern sie von der derzeitigen geopolitischen Krise und den damit verbundenen Sanktionen betroffen sind. Die Beihilfe ist allerdings zeitlich beschränkt und darf nur bis zum 31. Dezember 2022 gewährt werden.

Höhe der Beihilferegelung

In der Primärproduktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse, der Fischerei und der Aquakultur liegt die Höhe der zu gewährenden Beihilfe bei maximal 35.000 EUR und in allen anderen Fällen bei 400.000 EUR je Unternehmen.

Die gewährten Beihilfen können mit Beihilfen im Rahmen der De-minimis-Verordnung, der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung und der Gruppenfreistellungsverordnung für die Landwirtschaft und für die Fischerei, des Vorübergehenden Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie oder anderer Beihilferegelungen kumuliert werden. Dies allerdings nur, sofern wiederum die Bestimmungen und Kumulierungsregeln dieser Verordnungen eingehalten werden.

Die Beihilfe kann in einer der folgenden Formen gewährt werden:

  1. Direkte Zuschüsse
  2. Steuer- oder Zahlungsvergünstigungen
  3. Rückzahlbare Vorschüsse
  4. Bürgschaften
  5. Darlehen
  6. Eigenkapital
  7. Hybridfinanzierung

Wie genau die Details zur Antragstellung und Umsetzung aussehen, muss das Bundeswirtschaftsministerium allerdings noch ausarbeiten. Zeit verbleibt nicht mehr viel, da die Beihilfen nur bis zum 31. Dezember 2022 gewährt werden dürfen. Sobald die Regelungen zur Antragstellung bekannt gegeben sind, werden wir Sie mit einem neuen Blogbeitrag hierzu informieren.

Autor: Hans-Joachim von Salmuth, Referendar bei Müller-Wrede & Partner

Multinationale Konzerne und Steuern – die nächste Episode

Multinationale Konzerne und Steuern – die nächste Episode

Die beihilferechtliche Bewertung eines Körperschaftssteuersystems, „tax rulings“, die Auslegung nationalen Rechts, Sinn und Zweck des förmlichen Prüfverfahrens nach Art. 108 Abs. 2 AEUV – das Vorgehen der Europäischen Kommission gegen Steuermaßnahmen zugunsten multinationaler Konzerne lieferten dem EuG gleich eine ganze Reihe von spannenden Rechtsfragen, mit denen es sich in seinem Urteil vom 06.04.2022 (T-508/19) auseinanderzusetzen hatte.

Das Ergebnis im Kern:

Die Nichtbesteuerung von Nutzungsentgelten („royalties“) im Einkommenssteuergesetz Gibraltars zwischen 2011 und 2013 stellt eine unter Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV gewährte mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe dar.

Soweit die Kommission in von Gibraltar ausgestellten Steuervorbescheiden eine zusätzliche Einzelbeihilfe feststellte, wird der Beschluss der Kommission aufgehoben. Die Kommission hat insofern den Beteiligten keine hinreichende Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und gegen Art. 108 Abs. 2 AEUV verstoßen.

Hintergrund

Seit 2013 führt die Europäische Kommission gezielt beihilferechtliche Prüfungen von durch Mitgliedstaaten gewährte Steuervorbescheide (sog. „tax rulings“) durch (siehe zur Praxis der tax rulings und ihrer Bewertung durch die Kommission Ruling (Tax) rulings… Die Kommission stellt die Beihilferechtswidrigkeit vorteilhafter Steuervorbescheide für Fiat und Starbucks fest – BeihilfenBlog).

Nach Ansicht der Kommission stellen Steuervorbescheide nach den EU-Beihilfevorschriften kein Problem dar, wenn sie lediglich bestätigen, dass steuerliche Vereinbarungen zwischen verschiedenen Unternehmen einer Unternehmensgruppe mit den einschlägigen Steuervorschriften im Einklang stehen und insofern Rechtsklarheit vermitteln. Bilden die Steuervorbescheide aber nicht die wirtschaftliche Realität ab und verschaffen so bestimmten Unternehmen einen selektiven Vorteil, können sie den Wettbewerb im Binnenmarkt verfälschen und gegen die EU-Beihilfevorschriften verstoßen.

Seit 2015 schloss die Kommission zahlreiche dieser Prüfungen mit dem Ergebnis ab, dass die Mitgliedsstaaten selektive Steuervorteile gewährt hatten, die folglich von den begünstigten Unternehmen zurückzufordern waren. Da sich die betroffenen Mitgliedsstaaten und Unternehmen gegen die entsprechenden Kommissionsbeschlüsse gerichtlich zur Wehr setzen, stehen Steuervorbescheide vermehrt auf dem gerichtlichen Prüfstand. Nachdem die Kommission bei ihrem Vorgehen gegen die Praxis der tax rulings zunächst einige Rückschlage zu verkraften hatte (siehe EuG zum Thema Tax-rulings: die Kommission liegt 1:2 im Rückstand – BeihilfenBlog), durfte sich die Kommission durch die jüngeren Entscheidungen der europäischen Gerichte in ihrem Vorgehen vermehrt bestätigt sehen (siehe Etappen-Sieg für die Kommission bei Prüfung von „tax rulings“ zugunsten von Nike und Converse: Klage gegen Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens abgewiesen – BeihilfenBlog) und EuGH: Belgische „tax rulings“ stellen eine Beihilferegelung dar – BeihilfenBlog).

Mit gemischten Gefühlen dürfte die Kommission nun die jüngste Entscheidung des EuG im Zusammenhang mit tax rulings vernehmen. Auf der einen Seite hat das EuG die Kommission darin bestätigt, dass die Körperschaftssteuerbefreiung für Nutzungsentgelte in Gibraltar in den Jahren 2011 bis 2013 bestimmten Unternehmen einen gegen EU-Beihilfevorschriften verstoßenden selektiven Vorteil gewährte. Auf der anderen Seite hob das Gericht jedoch  den Beschluss der Kommission – wenn auch aus formalen Gründen – auf, soweit die Kommission darüber hinaus einen selektiven Steuervorteil in fünf von Gibraltar ausgestellten Steuervorbescheiden sah.

Die Steuermaßnahmen Gibraltars

Gibraltar ist in Steuerangelegenheiten autonom und hat ein vom Vereinigten Königreich getrenntes Einkommenssteuerrecht.

Zum 01.01.2011 trat in Gibraltar das Einkommenssteuergesetz von 2010 (Income Tax Act 2010, im Folgenden „ITA 2010“) in Kraft. Dieses sah eine Besteuerung nach dem Territorialitätsgrundsatz vor: nur Einkommen, das in Gibraltar angefallen ist oder von dort stammt, ist steuerpflichtig. Welche Arten von Einkommen steuerpflichtig sind, ist hierbei ausführlich in den Tabellen A, B und C der Schedule 1 des ITA 2010 festgelegt. Die Besteuerung von (Passiv-)Zinsen für konzerninterne Darlehen und von Nutzungsentgelten (z.B. für die Nutzung von Rechten geistigen Eigentums) war in den Tabellen nicht vorgesehen. Im Jahr 2013 führte Gibraltar Änderungen am Einkommenssteuergesetz ein, durch die Einkünfte aus Zinsen ab dem 01.07.2013 und Nutzungsentgelte ab dem 01.01.2014 körperschaftssteuerpflichtig wurden.

Gleichzeitig erteilte Gibraltar in den Jahren 2011 und 2012 zahlreiche Steuervorbescheide an multinationale Unternehmen. Hiervon umfasst waren u.a. fünf Steuervorbescheide, die die steuerliche Behandlung bestimmter niederländischer Kommanditgesellschaften in Gibraltar betrafen. In diesen fünf Fällen waren die Gesellschafter nach den in Gibraltar und den Niederlanden geltenden Steuervorschriften in Gibraltar ansässig und hätten dort besteuert werden müssen. Die Steuervorbescheide bestätigten, dass die Unternehmen keine Steuern auf die von den Kommanditgesellschaften erzielten Zinsen und Nutzungsentgelte zu entrichten hatten. Auf Grundlage der Steuervorbescheide waren diese Einkünfte auch nach der Gesetzesänderung in 2013 noch von der Körperschaftssteuer befreit. Einer der fünf Steuervorbescheide erging zugunsten der MJN Holdings Limited, die Teil der Mead Johnson Nutrition Group war.

Das Verwaltungsverfahren und der Beschluss der Kommission

Am 16.10.2013 leitete die Kommission das förmliche Prüfverfahren ein, um zu prüfen, ob die Nichtbesteuerung von Einkünften aus Zinsen und Nutzungsentgelten einen gegen die EU-Beihilferegeln verstoßenden selektiven Vorteil für die hiervon betroffenen Unternehmen begründet.

Am 01. 10.2014 teilte die Kommission dem Vereinigten Königreich von ihrem Beschluss mit, das Verfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV auf die o.g. Steuervorbescheidspraxis auszuweiten.

Mit Beschluss vom 19.12.2018 (Beschluss EU 2019/700 der Kommission) stufte die Kommission zum einen die Nichtbesteuerung von Einkünften aus Passivzinsen und Nutzungsentgelten im ITA 2010 als eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilferegelung i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV ein. Zum anderen stufte sie die fünf bezeichneten Steuervorbescheide als mit dem Binnenmarkt unvereinbare Einzelbeihilfen ein. Die Beihilfen wurden demnach jeweils rechtswidrig unter Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV gewährt und die Kommission ordnete ihre Rückforderung an.

In ihrem Beschluss führt die Kommission aus, dass die Steuerbefreiung Unternehmen multinationaler Konzerne, die mit bestimmten Funktionen betraut sind (z.B. Gewährung interner Darlehen und Nutzung von Rechten fremden Eigentums), gegenüber anderen Unternehmen einen selektiven Vorteil verschafft. Die Steuerbefreiung sei darauf ausgerichtet gewesen, Gibraltar für multinationale Unternehmen attraktiver zu machen und führe tatsächlich dazu, dass solche Unternehmen, die multinationalen Konzernen angehören und aufgrund ihrer Funktion von den Steuerbefreiungen profitieren, weniger Körperschaftssteuer entrichten müssten als andere Unternehmen.

Selbiges gelte für die fünf Steuervorbescheide, soweit sie auch nach der Gesetzesänderung fortwirkten und die gegenständlichen Einkünfte zusätzlich auch noch nach der Gesetzesänderung von der Körperschaftssteuer ausnahmen.

Das Urteil des EuG

Am 15.07.2019 reichten Mead Johnson Nutrition (Asia Pacific), MJN Global Holdings BV, MJ BV und MJN US (die Unternehmensgruppe war sowohl von der gegenständlichen Steuerbefreiung betroffen als auch Empfänger einer der fünf Steuervorbescheide, zum gesellschaftsrechtlichen Hintergrund siehe Rn. 2-6 des Urteils) beim EuG Klage auf Nichtigkeit des Beschlusses der Kommission ein, soweit er

  • die Nichtberücksichtigung von Nutzungsentgelten im ITA 2010 als eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilferegelung erklärt,
  • den Steuervorbescheid als eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare Einzelbeihilfe erklärt
  • und die Rückforderung der auf Grundlage dieser Maßnahmen gewährten Beträge anordnet.

Mit seinem Urteil vom 06. April 2022 gab das EuG der Klage statt, soweit sie den Steuervorbescheid und die entsprechende Rückforderungsanordnung betraf. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.

1. Zur Nichtbesteuerung von Nutzungsentgelten nach dem ITA 2010

Die Kläger rügen zunächst einige Rechtsfehler der Kommission bei der Einstufung der Nichtbesteuerung von Nutzungsentgelten als mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe.

a) Kommission nicht zuständig

Die Kläger wenden zunächst eine Kompetenzüberschreitung der Kommission ein. Die Besteuerung von Unternehmen falle in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten. Indem die Kommission über ihre Zuständigkeit im Beihilfenrecht gegen nationale Steuerregelungen vorgeht, überschreite sie nicht nur die in Art. 5 EUV geregelten Befugnisse der Union, sondern missbrauche auch die ihr in Art. 17 Abs. 1 EUV zugewiesenen Aufgaben.

Die Kommission beruft sich auf Art. 116 AEUV, nach dem sie einschreiten darf, wenn Unterschiede in Vorschriften der Mitgliedsstaaten eine Binnenmarktverzerrung hervorrufen.

Das Gericht stellt unter Berufung auf Rechtsprechung des EuGH klar, dass den Klägern zwar zuzustimmen ist, dass Steuerregelungen in die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten fallen, sie diese Zuständigkeit aber trotzdem im Einklang mit EU-Recht ausüben müssen. Sie dürfen insbesondere keine Maßnahmen erlassen, die mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfen darstellen. Dementsprechend darf die Kommission eine Steuermaßnahme als Beihilfe einstufen, wenn die Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegen. Bei der für die Prüfung eines Vorteils und der Selektivität zu bestimmenden „normalen Besteuerung“ eines Unternehmens muss sie allerdings die Steuerautonomie der Mitgliedstaaten berücksichtigen und ist an das national geltende Steuersystem gebunden. Berücksichtigt die Kommission diese Grundsätze, handelt sie innerhalb ihrer Kompetenz, die Einhaltung des Art. 107 Abs. 1 AEUV zu gewährleisten und verstößt weder gegen Art. 5 EUV noch gegen Art. 17 Abs. 1 EUV.

b) Vorteil und Selektivität

Sodann rügen die Kläger, die Kommission begehe einen Rechtsfehler bei der Anwendung des Art. 107 Abs. 1 AEUV, indem sie annimmt, dass die Nichtbesteuerung von Nutzungsentgelten den von der Regelung erfassten Unternehmen einen selektiven Vorteil gewähre.

Das Gericht stellt insofern vorab klar, dass es bei der Prüfung eines selektiven Vorteils irrelevant ist, ob die Nichtbesteuerung darauf beruht, dass bestimmte Kategorien von Einkünften von einem Einkommenssteuergesetz schon gar nicht umfasst sind oder aber zwar grundsätzlich besteuert werden, jedoch formell von einer Ausnahmeregelung profitieren. Denn nach ständiger Rechtsprechung (siehe u.a. verb. Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, Rn. 87) unterscheidet Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht nach den Gründen und Zielen einer staatlichen Maßnahme, sondern beschreibt diese nach ihren Wirkungen und somit unabhängig von den verwendeten Techniken. Die Wirkung der Maßnahme bleibt aber die gleiche (= Nichtbesteuerung), egal ob die gesetzgeberische Ausgestaltung bestimmte Einkünfte als implizite Ausnahme gar nicht erst umfasst oder sie als explizite Ausnahme vorsieht. Die Kläger hatten nämlich gerügt, die Kommission habe einen Rechtsfehler begangen, indem sie bei der Prüfung des selektiven Vorteils von einer „impliziten Ausnahme“ ausging, obwohl die gegenständlichen Einkünfte vom Steuergesetz gar nicht erfasst waren und deshalb keine Ausnahme von diesem System darstellen können.

Sowohl die Beurteilung eines Vorteils i.S.d. Art. 107 Abs. 1 AEUV als auch die Beurteilung der Selektivität kann nur in Bezug auf eine sog. „normale“ Besteuerung festgestellt werden. So liegt ein Vorteil vor, wenn eine Maßnahme Belastungen vermindert, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat. Das „normale“ Steuersystem bildet gleichzeitig das Referenzsystem für die Prüfung, ob eine steuerliche Maßnahme insofern selektiv ist, dass sie bestimmte Unternehmen gegenüber den der „normalen“ Besteuerung unterliegenden Unternehmen steuerlich begünstigt.

Das Gericht bestätigt in seinem Urteil die Kommission, dass das in Gibraltar geltende „normale“ Steuersystem eine Besteuerung nach dem Territorialitätsgrundsatz vorsieht, wonach Einkommen, das in Gibraltar angefallen ist oder von dort stammt, steuerpflichtig ist. Das mit dem ITA 2010 eingeführte Steuersystem beruht demnach auf zwei Grundprinzipien: Dem Territorialitätsprinzip und dem Grundsatz, dass das gesamte bilanzierte Einkommen steuerpflichtig ist. Hierbei betont das Gericht abermals, dass die Anwendung einer gesetzgeberischen Technik nicht dazu führen kann, dass nationale Steuerregelungen nicht der Beihilfenkontrolle unterliegen. Ebenso wenig kann sie die Bestimmung des Referenzrahmens beeinflussen. Es spielt deshalb für die Beurteilung des Referenzrahmens keine Rolle, ob ein Gesetz, das grundsätzlich die Besteuerung des gesamten Einkommens vorsieht, die besteuerten Einkommenskategorien in einer Schedule positiv definiert und hierbei bestimmte Kategorien nicht aufführt oder ob es eine ausdrückliche Ausnahme für bestimmte Kategorien vorsieht bzw. negativ definiert, dass bestimmte Kategorien nicht umfasst sind. Der Effekt ist der gleiche.

In diesem Zusammenhang stellt das Gericht außerdem klar, dass die Frage der Auslegung nationalen Rechts durch die Kommission für die Zwecke der EU-Judikatur eine Frage der Tatsachenbeurteilung ist. Sie unterliegt somit den Regeln der Beweisaufnahme und der Beweislast. Es verwirft damit einige Argumente der Kläger, die diese so erstmals vor Gericht vorgetragen haben und verweist darauf, dass die Kommission ihre Auslegung des nationalen Rechts zulässigerweise größtenteils auf Angaben gestützt hat, die im Verwaltungsverfahren unmittelbar von den Behörden der betroffenen Mitgliedsstaaten übermittelt wurden. Der Kommission kann insofern nicht vorgeworfen werden, dass sie die Informationen als glaubwürdig und zutreffend erachtet und ihrer Prüfung zugrunde gelegt hat.

Weiter stellt das Gericht auf den Vorwurf der Kläger, die Kommission habe das Kriterium des Vorteils und das Kriterium der Selektivität durcheinander gebracht, klar, dass es sich hierbei zwar in der Tat um zwei unterschiedliche Kriterien handelt, sich diese bei der Prüfung von Steuermaßnahmen aber insofern überschneiden, dass für beide Kriterien bestimmt werden muss, welche Steuern ein Unternehmen in der Situation des Begünstigten normalerweise zu zahlen hätte.

Sodann bestätigt das Gericht die Kommission, dass die Nichtbesteuerung von Nutzungsentgelten der festgestellten „normalen“ Besteuerung in Gibraltar widerspricht, nach der das Territorialitätsprinzip gilt und das gesamte bilanzierte Einkommen steuerpflichtig ist. Sie stellt somit einen Vorteil für die betroffenen Unternehmen in Form einer Befreiung von Steuern, die ein Unternehmen in Gibraltar normalerweise zu zahlen hat, dar.

Um eine steuerliche Maßnahme als selektiv einzustufen, muss die Kommission nach Rechtsprechung des EuGH (siehe u.a. verb. Rs. C-20/15 P und C-21/15 P) in einem ersten Schritt die in dem Mitgliedstaat geltende allgemeine oder „normale“ Steuerregelung ermitteln und in einem zweiten Schritt darlegen, dass die in Rede stehende Maßnahme von diesem System insofern abweicht, als sie Unterscheidungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern einführt, die sich im Hinblick auf das mit dieser allgemeinen Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden. Dies ist der Kommission nach Ansicht des Gerichts gelungen. Sie hat zutreffend das ITA 2010 mit den oben beschriebenen Grundprinzipien als „normale“ Steuerregelung ermittelt. Ebenso zutreffend hat sie dargelegt, dass die Nichtbesteuerung von Nutzungsentgelten überhaupt nur 10 multinationalen Unternehmen zugutekommt, die in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Lage waren, wie alle anderen in Gibraltar ansässigen Unternehmen, die in Gibraltar Einkünfte generieren oder deren Einkünfte aus Gibraltar stammen. Ebenso zutreffend war die Beurteilung der Kommission, dass es sich hierbei nicht etwa um eine zufällige Folge der Steuerregelung handelte, sondern die Maßnahme darauf ausgerichtet war, multinationale Unternehmen anzuziehen und zu bevorzugen.

2. Zum Steuervorbescheid

Die Kläger wenden sich gegen die Einstufung des Steuervorbescheides als nicht mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfe vordergründig mit dem Argument, dass die Kommission gegen Art. 108 Abs. 2 AEUV und Art. 6 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 verstoßen habe. Sie habe in ihrem Beschluss vom 01.10.2014, das förmliche Prüfverfahren auf die Steuervorbescheidspraxis Gibraltars auszuweiten, nicht hinreichende Informationen über den erweiterten Inhalt des Prüfverfahrens übermittelt und die Beteiligten nicht in die Lage versetzt, hierzu Stellung nehmen zu können. Das Gericht gab der Rüge der Kläger statt.

Einleitend stellt das Gericht umfassend klar, dass sofern die Steuervorbescheide den Zeitraum betrafen, zu dem die Nichtbesteuerung nach dem ITA 2010 noch Anwendung fand, lediglich klarstellenden Charakter hatten und keine Beihilfemaßnahme zugunsten des jeweiligen Adressaten des Bescheides darstellten. Denn nach Rechtsprechung des EuGH stellen Einzelmaßnahmen, mit denen lediglich eine Beihilferegelung umgesetzt wird, bloße Maßnahmen zur Durchführung der allgemeinen Regelung dar (so u.a. in C-362/19 P, Rn. 74). Da die Steuerbefreiung als Beihilferegelung vor 2014 bereits unmittelbar auf Grundlage des ITA 2010 erfolgte, bestätigten die Steuervorbescheide bis zu diesem Zeitpunkt lediglich die Anwendung.

Sodann führt das Gericht aus, dass Art. 108 Abs. 2 AEUV und Art. 6 der VO 659/1999 erfordern, dass die Kommission die für das Verfahren relevanten Tatsachen und rechtlichen Erwägungen zusammenfasst und ihre vorläufige Bewertung einer Maßnahme als Beihilfe ebenso darlegt, wie die Gründe, aus denen sie Zweifel an der Binnenmarktvereinbarkeit der Maßnahme hat. Der Beschluss, ein förmliches Prüfverfahren einzuleiten oder zu erweitern muss Beteiligte des Verfahrens in die Lage versetzen, fundiert zur vorläufigen Auffassung der Kommission Stellung nehmen zu können. So muss die Kommission sicherstellen, dass ihr finaler Beschluss keinen Gegenstand hat, der im Eröffnungsbeschluss keinen Eingang gefunden hat. Hierbei handelt es sich um eine wesentliche Formvorschrift, deren Verletzung für sich genommen zur Aufhebung des Beschlusses führen kann (bzw. des Teils, der von der Verletzung betroffen ist).

In Anwendung dieser Grundsätze hob das Gericht den Beschluss der Kommission auf, soweit er den Steuervorbescheid betraf. Denn während die Kommission ihren finalen Beschluss insofern u.a. im Wesentlichen darauf stützte, dass die Steuervorbescheide den Klägern auch nach der Gesetzesänderung eine so gesetzlich nicht mehr vorgesehene Steuerbefreiung gewährten, hat sie dies in ihrem Beschluss, das förmliche Prüfverfahren zu erweitern, nicht klargestellt. Vielmehr ging aus dem Erweiterungsbeschluss in hinreichender Deutlichkeit lediglich hervor, dass die Kommission die Erteilung von Steuervorbescheiden auf der Grundlage untersuchte, dass sie die Steuervorbescheide als inhaltlich weitreichender als die gesetzliche Befreiung erachtete. Entsprechend konnten die Beteiligten zu den Erwägungen, auf die die Kommission ihren finalen Beschluss letztlich stützte, nicht Stellung nehmen. Nach Ansicht des Gerichtes hätte die Kommission in dem Zeitpunkt, in dem sie die zeitliche Anwendbarkeit der Steuervorbescheide als Anknüpfungspunkt für eine Einzelbeihilfe in Erwägung zog, einen erneuten Eröffnungsbeschluss oder einen erneuten Erweiterungsbeschluss erlassen müssen, um den Beteiligten die Möglichkeit zu geben, auch zu dieser Frage Stellung zu nehmen.

Fazit

Die Kommission dürfte sich durch das Urteil inhaltlich in ihrem Vorgehen, Steuermaßnahmen zugunsten multinationaler Konzerne einer strengen beihilferechtlichen Prüfung zu unterziehen, bestätigt sehen. Das Urteil verdeutlicht aber auch, dass hierbei nicht nur die Merkmale des Vorteils und der Selektivität sorgfältig zu prüfen sind, sondern auch zwischen den verschiedenen in Betracht kommenden Beihilfemaßnahmen und ihren Auswirkungen und Grundlagen in jeder Verfahrensphase aufmerksam differenziert werden muss. Die 2. Kammer des EuG äußert sich nämlich ausführlich zum Zusammenspiel aus Steuergesetz als Beihilfenregelung und Steuervorbescheid als mögliche Einzelbeihilfe. Hinsichtlich des Steuervorbescheides selbst wird der Kommission letztlich sogar zum Verhängnis, dass sie die Reichweite des Bescheides in verschiedenen Verfahrensphasen unterschiedlich beurteilte und ihr Ergebnis auf unterschiedliche Sach- und Rechtsfragen stützt.

Autor: Christopher Hanke, Müller-Wrede & Partner

Kommission genehmigt staatliche Beihilfen für den BER

Kommission genehmigt staatliche Beihilfen für den BER

Mit jüngst veröffentlichtem Beschluss vom 01.02.2022 hat die Kommission eine von Deutschland vorgesehene Rekapitalisierung der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH („FBB“) und damit eine Beihilfe zugunsten des BER bis zu 1,7 Milliarden EUR auf der Grundlage des Befristeten Rahmens genehmigt.

In ihrem Beschluss stellt die Kommission fest, dass die von Deutschland geplante Rekapitalisierungsmaßnahme mit Art. 107 Abs. 3 lit. b AEUV und den im Befristeten Rahmen (dort insbesondere in Kapitel 3.11) vorgeschriebenen Voraussetzungen im Einklang steht.

Der Befristete Rahmen legt fest, unter welchen Voraussetzungen die Kommission Beihilfen zur Unterstützung der Wirtschaft in der COVID-19-Pandemie nach Art. 107 Abs. 3 lit. b AEUV als mit dem Binnenmarkt vereinbar erachtet. Der zuletzt am 18.11.2021 geänderte Befristete Rahmen weist seit seiner zweiten Änderung vom 08.05.2021 in Abschnitt 3.11 Rekapitalisierungsmaßnahmen die beihilferechtlichen Kriterien aus, auf deren Grundlage Mitgliedsstaaten Unternehmen, die wegen des COVID-19-Ausbruchs in finanzielle Schwierigkeiten geraten waren, Unterstützung in Form von Eigenkapitalinstrumenten und/oder hybriden Kapitalinstrumenten bereitstellen können.

Erst mit der vierten Änderung wurde dann auch die Rekapitalisierung staatlicher Unternehmen in den Befristeten Rahmen aufgenommen. Diese Regelungen waren erforderlich geworden, um mehr Klarheit in den „Exit“ aus den Covid-Shares für Unternehmen zu bringen, die bereits vor der Rekapitalisierung in staatlicher Hand waren (siehe https://gebs.info/verlaengerung-des-temporary-framework-und-rekapitalisierung-staatlicher-unternehmen).

Die Rekapitalisierungsmaßnahme

An der FBB als Betreiberin des Flughafens Berlin Brandenburg („BER“) sind die Länder Berlin und Brandenburg zu jeweils 37 % beteiligt. Die Bundesrepublik Deutschland hält einen Anteil von 26 %.

Die Flugverkehrssektor ist einer der durch die COVID-19 Pandemie am stärksten betroffenen Märkte: aufgrund der Reisebeschränkungen des ersten Lockdowns, dem vor dem Hintergrund von Reisewarnungen reduzierten Passagieraufkommen im privaten und geschäftlichen Bereich verbunden mit der Absage von Großveranstaltungen wie z.B. Messen kam der Flugverkehr seit Februar 2020 nahezu zum Erliegen. Von den Verlusten waren nicht nur die Fluggesellschaften, sondern auch Flughäfen wie der BER betroffen, denen aufgrund der gesunkenen Passagierzahlen außerdem auch die Einnahmen aus dem Non-Aviation Bereich wegbrachen.

Der FBB waren darüber hinaus erhebliche Kosten aufgrund der trotz sinkender Passagierzahlen sogar zeitweise ausgeweiteten Betriebspflicht des ehemaligen Flughafens Tegel entstanden. Um Urlaubern im Ausland die Heimreise zu ermöglichen, hatte Berlin für einige Zeit am Flughafen Tegel das Nachtflugverbot bei internationalen Flügen aufgehoben. Damit wurde gewährleistet, dass Heimkehrende in verspäteten Maschinen direkt in der Hauptstadt ohne weitere Zwischenstopps und damit ohne erhöhte Ansteckungsgefahren landen konnten. 

Der sich durch diese Faktoren verschlechternden wirtschaftlichen Lage der FBB konnte auch durch die im August 2020 gewährten Zuschüsse in Höhe von 98,8 Mio. EUR und zinsvergünstigte Darlehen in Höhe von 531 Mio. EUR auf der Grundlage der Bundesrahmenregelung Beihilfen für Flugplätze nicht hinreichend entgegen gewirkt werden.

Am 05.07.2021 meldet Deutschland deshalb im Rahmen einer Pränotifizierung weitere Beihilfen der Gesellschafter zugunsten der FBB bei der Kommission an. Diese beschlossen am 10.12.2021 – vorbehaltlich der Genehmigung durch die Kommission – eine Rekapitalisierung der FBB iHv. Bis zu 1,7 Mrd. EUR zuzuführen. Ein Teil der Maßnahme soll hierbei zur Rückzahlung der bereits gewährten zinsvergünstigten Darlehen verwendet werden. Am 28.12.2021 notifizierte Deutschland diese Rekapitalisierungsmaßnahme bei der Kommission.

Der Beschluss der Kommission

In ihrem Beschluss prüft die Kommission die Vereinbarkeit der Maßnahme mit dem Binnenmarkt nach Art. 107 Abs. 3 lit. b AEUV anhand der Voraussetzungen in Abschnitt 3.11 des Befristeten Rahmens.

Zunächst kam sie hierbei zu dem Ergebnis, dass die vier Voraussetzungen, die Rn. 49 des Befristeten Rahmens an COVID-19-Rekapitalisierungsmaßnahmen stellt, erfüllt sind:

So stellt die Kommission in ihrem Beschluss zunächst fest, dass die FBB ohne die geplante Rekapitalisierung ernsthafte Schwierigkeiten im Sinne der Rn. 49(a) des Befristeten Rahmens hätte, ihre Geschäftstätigkeit aufrecht zu erhalten, da ihre Liquiditätslage und ihre finanzielle Struktur es ihr nicht ermöglichen, die notwendigen finanziellen Mittel am Kapitalmarkt zu erlangen.

Aufgrund der herausragenden Rolle des BER nicht nur für die Anbindung der Wirtschaftsregion Berlin-Brandenburg an den nationalen und internationalen Flugverkehr, sondern auch für die deutsche Wirtschaft insgesamt liegt das staatliche Eingreifen im gemeinsamen Interesse im Sinne der Rn. 49(b) des Befristeten Rahmens. Der Betrieb des Flughafens in Berlin-Brandenburg sichert darüber hinaus zum einen bei der FBB selbst 2.500 Arbeitsplätze und ca. 20.000 Arbeitsplätze am BER. Mittelbar hängen in der Region ca. 40.000 Arbeitsplätze vom Flughafen ab.

Auch die dritte Voraussetzung der Rn. 49 des Befristeten Rahmens in Rn. 49(c) ist erfüllt. So ist die FBB aufgrund ihres Verschuldungsgrades nicht in der Lage, sich Finanzmittel am Kapitalmarkt zu beschaffen. Auch die unter der Bundesrahmenregelung Beihilfen für Flugplätze zur Verfügung stehenden Instrumentereichen nicht aus, um den Liquiditätsbedarf der FBB  zu decken.

Schließlich war die FBB, wie in Rn. 49(d) des Befristeten Rahmens gefordert, auch kein Unternehmen, das sich am 31.12.2019 bereits in Schwierigkeiten im Sinne des Art. 2 Nr. 18 der AGVO befand.

Zur Gewährleistung der in den Rn. 54 ff. des Befristeten Rahmens ausgewiesenen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit der Rekapitalisierungsmaßnahme, ist die Maßnahme darüber hinaus mit einigen Auflagen verbunden:

So darf die Kapitalzuführung nicht über das zur Gewährleistung der Rentabilität der FBB erforderliche Maß hinaus gehen und insbesondere nur die vor der COVID-19-Pandemie bestehende Kapitalstruktur wiederherstellen (vgl. Rn. 54 des Befristeten Rahmens).

Kann der Umfang der Maßnahme nicht innerhalb von 12 Monaten nach Gewährung auf unter 25 % des Eigenkapitals zurückgeführt werden, ist Deutschland verpflichtet, zu diesem Zeitpunkt eine glaubwürdige Ausstiegsstrategie zu erarbeiten  (vgl. Rn. 79 des Befristeten Rahmens). Zusätzlich hat Deutschland der Kommission innerhalb von sieben Jahren nach der Rekapitalisierung einen Umstrukturierungsplan für die FBB vorzulegen, sollte der Umfang der Maßnahme bis dahin nicht auf unter 15 % des Eigenkapitals der FBB zurückgeführt worden sein (vgl. Rn. 85 des Befristeten Rahmens).

Solange nicht mindestens 75 % der Rekapitalisierung abgelöst wurden, unterliegt die FBB Beschränkungen hinsichtlich der Vergütung der Geschäftsleitung und darf keine Boni zahlen (vgl. Rn. 78 des Befristeten Rahmens). Sie darf keine über 10 % hinausgehende Beteiligung an Wettbewerbern oder anderen Unternehmen im selben Geschäftsfeld erwerben (vgl. Rn. 74 des Befristeten Rahmens).

Um einen wirksamen Wettbewerb zu wahren und insofern die Anforderungen der Rn. 72 des Befristeten Rahmens zu erfüllen, darf die FBB Luftverkehrsgesellschaften keine Rabatte gewähren und ihre Kapazität nicht erweitern, bis die Beihilfe vollständig abgelöst ist.

Schließlich verpflichtet sich die FBB dazu, die in Abschnitt 4 des Befristeten Rahmens geregelten Transparenz- und Berichterstattungspflichten einzuhalten.

 

Autor: Christopher Hanke, Müller-Wrede & Partner

Befristeter Krisenrahmen für Beihilfen infolge des Ukraine-Kriegs

Befristeter Krisenrahmen für Beihilfen infolge des Ukraine-Kriegs

Der Krieg in der Ukraine verbunden mit gegen Russland und Belarus erlassenen Sanktionen zeigen die ersten Auswirkungen in den Supermarktregalen und an den Tankstellen.

Gestörte Lieferketten für Produkte wie Getreide, Pflanzenöl und Düngemittel treffen jedoch nicht nur den Verbraucher, sondern auch Unternehmen in allen Mitgliedstaaten. Auch der Export von Produkten nach Russland und in die Ukraine ist kriegsbedingt ins Stocken geraten. Wie bereits in der Finanz- und Coronakrise reagiert die EU-Kommission nun kurzfristig auf die angespannte Wirtschaftslage durch den Erlass eines neuen Temporary Framework und schafft damit eine beihilferechtliche Grundlage für den Ausgleich der wirtschaftlichen Folgen durch staatliche Mittel. Zur Konsultation des befristeten Krisenrahmens

Ein Ausgleich der durch die aktuellen Ereignisse entstandener Schäden ist darüber hinaus auch auf Grundlage von Art. 107 Abs. 2 b AEUV genehmigungsfähig.

Liquiditätsbeihilfen:

Liquiditätsbeihilfen können in Form von Garantien und Darlehen zur Verfügung gestellt werden.

Die Kredite müssen zu einem Zinssatz gewährt werden, der mindestens dem risikolosen Basiszinssatz zuzüglich festgelegter Kreditrisikozuschläge für KMU bzw. Nicht-KMU entspricht.

Für beide Förderarten gibt es Höchstgrenzen hinsichtlich der maximalen Darlehenshöhe, die sich am betrieblichen Bedarf eines Unternehmens unter Berücksichtigung des Umsatzes (15% des jährlichen Gesamtumsatzes der letzten drei Jahre), der Energiekosten (50% der Kosten in den 12 Monaten vor Einreichung des Beihilfeantrags) oder des spezifischen Liquiditätsbedarfs (KMU: für die nächsten 12 Monate, große Unternehmen: für die nächsten 6 Monate) orientieren. Die Darlehen können sich sowohl auf Investitions- als auch auf Betriebskapitalbedarf beziehen. Die Gewährung als Einzelbeihilfe oder auf Grundlage von Regelungen ist alternativ möglich.

Beihilfen zum Ausgleich hoher Energiepreise:

Die Mitgliedstaaten können insbesondere energieintensiven Unternehmen Mehrkosten aufgrund außergewöhnlicher Gas- und Strompreiserhöhungen zum Teil ausgleichen. Die Definition von energieintensiven Nutzern erfolgt unter Bezugnahme auf Artikel 17 Absatz 1 Buchstabe a der Energiesteuerrichtlinie, d. h. Unternehmen, für die der Kauf von Energieprodukten mindestens 3 % ihrer Produktion ausmacht.

Diese Unterstützung kann in jeder Form gewährt werden, einschließlich direkter Zuschüsse. Die Gesamtbeihilfe pro Begünstigten darf 30 % der förderfähigen Kosten bis zu einem Höchstbetrag von 2 Mio. EUR nicht übersteigen. Wenn das Unternehmen Betriebsverluste erleidet, können weitere Beihilfen erforderlich sein, um die Fortführung einer wirtschaftlichen Tätigkeit sicherzustellen. Zu diesem Zweck können die Mitgliedstaaten Beihilfen gewähren, die über diese Obergrenzen hinausgehen, bis zu 25 Mio. EUR für energieintensive Verbraucher und bis zu 50 Mio. EUR für Unternehmen, die in bestimmten im Anhang aufgezählten energieintensiven Bereichen (z.B. Herstellung von Aluminium und anderen Metallen, Glasfasern und Zellstoff, Dünger oder Wasserstoff sowie Herstellung von bestimmten Grundchemikalien) tätig sind.

Im Zuge der Nachhaltung werden die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der im Temporary Framework aufgelisteten Maßnahmen aufgefordert, bei der Gewährung von Beihilfen für den Ausgleich von Mehrkosten aufgrund außergewöhnlich hoher Gas- und Strompreise auf nicht diskriminierende Weise Anforderungen in Bezug auf den Umweltschutz oder die Versorgungssicherheit festzulegen. Die Hilfe sollte daher Unternehmen bei der Bewältigung der derzeitigen Krise helfen und gleichzeitig den Grundstein für eine nachhaltige Erholung legen. Eine diesbezügliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten besteht jedoch nicht.

Dieser Temporary Framework wird zunächst bis zum 31. Dezember diesen Jahres gelten – Verlängerungen und Anpassungen nicht ausgeschlossen.

 

Beachtung von Formvorschriften bei der Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens durch die EU-Kommission – Fazit der Milchgüteprüfung

Beachtung von Formvorschriften bei der Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens durch die EU-Kommission – Fazit der Milchgüteprüfung

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mit Urteil vom 10. März 2022 das erstinstanzliche Urteil des Gerichts im Zusammenhang mit der Finanzierung der Milchgüteprüfung im Freistaat Bayern bestätigt und dabei Vorgaben für die wesentlichen Formvorschriften für die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens festgelegt.

Inhaltlich ging es in dem seit 2013 andauernden Verfahren um die Frage, ob die Prüfungen der Milchgüte, die in Deutschland durch unabhängige Prüfer erfolgt, im Freistaat Bayern durch eine staatliche Beihilfe iSd. Art. 107 Abs. 1 AEUV finanziert wird. Diese Milchgüteprüfungen werden dabei zum einen aus einer bei den Milchabnehmern erhobenen Umlage und zum anderen aus Mitteln des Landeshaushalts des Freistaats Bayern finanziert. Im Jahr 2015 war die Kommission in ihrem Beschluss zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Finanzierung eine staatliche Beihilfe beinhaltet und erließ eine Rückforderungsanordnung gegen die Bundesrepublik Deutschland über insgesamt rund 40 Mio. EUR (Staatliche Beihilfe SA.35484 (2013/C) (ex SA.35484 (2012/NN)).

Im Rahmen der vom Freistaat und drei Verbänden der bayerischen Milchwirtschaft gegen den Kommissionbeschluss eingereichten Nichtigkeitsklagen (Rs. T-722/15 und T-724/15) kam zunächst das EuG zu dem Schluss, dass die Kommission bei der Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens wesentliche Verfahrensrechte des Freistaates und der Milchwirtschaft verletzt hatte. Insbesondere hatte die Kommission die Finanzierungsquelle und Rechtsgrundlage der Maßnahme nicht ausreichend dargelegt und hob den Beschluss der Kommission auf.

Diesem Ansatz ist in nun auch der EuGH in dem aktuellen Urteil gefolgt (Rs. C-167/19 P und C-171/19 P). Der Gerichtshof bestätigt damit, dass die Kommission bei der Eröffnung eines förmlichen Prüfverfahrens gem. Art. 6 Abs. 1 VO 659/99 verpflichtet ist, die Sach- und Rechtsfragen, die für die beihilferechtliche Prüfung wesentlich sind, zusammenzufassen. Die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens gibt allen Beteiligten – damit u.a. auch dem Beihilfengeber und dem Beihilfenempfänger – die Möglichkeit, eine Stellungnahme in dem Verfahren abzugeben und damit Einfluss auf den weiteren Verlauf des Verfahrens zu nehmen. Eine nur lückenhafte Darstellung der wesentlichen Sach- und Rechtsfragen schränkt diese Möglichkeit jedoch erheblich ein und ist nicht geeignet, die praktische Wirksamkeit des Art. 108 Abs. 2 AEUV zu gewährleisten. Entgegen dem Vorbringen der Kommission wird diesem wesentlichen Formerfordernis nicht bereits durch die bloße Eröffnung eines förmlichen Prüfverfahrens genüge getan. Vielmehr ist davon auch die inhaltliche Verpflichtung der Kommission umfasst, die Beteiligten durch die Veröffentlichung der wesentlichen Sach- und Rechtsfragen in die Lage zu versetzten, eine sachgerechte Stellungnahme in dem Verfahren abzugeben.

Zu der  Darstellung der für ein Verfahren wesentlichen Sach- und Rechtsfragen gehört auch die Finanzierungsart der fraglichen Maßnahme. Diese ist neben der Rechtsgrundlage einer Maßnahme insbesondere für die Frage, ob die Maßnahme aus staatlichen Mitteln gewährt wurde und damit als staatliche Beihilfe iSv. Art. 107 Abs. 1 AEUV anzusehen ist, als wesentlich anzusehen. Im angefochtenen Beschluss hatte die Kommission die Rückforderung auch auf staatliche Mittel bzw. Finanzierungsarten erstreckt, die in dem Eröffnungsbeschluss nicht erwähnt waren. Hierin sah nun auch der EuGH eine wesentliche Verletzung von Art. 108 Abs. 2 AEUV und Art. 6 Abs. 1 VO 659/1999 und bestätigte damit das erstinstanzliche Urteil, mit dem der Rückforderungsbeschluss der Kommission für nichtig erklärt worden war und wies das Rechtsmittel der Kommission vollumfänglich zurück.

Kommission übermittelt Vorschlag eines „Befristeten Krisenrahmens zur Stützung der Wirtschaft angesichts der russischen Invasion der Ukraine“ zur Konsultation

Kommission übermittelt Vorschlag eines „Befristeten Krisenrahmens zur Stützung der Wirtschaft angesichts der russischen Invasion der Ukraine“ zur Konsultation

Längst machen sich die Auswirkungen der russischen Invasion der Ukraine auch im Wirtschaftsleben der Mitgliedstaaten der Europäischen Union deutlich bemerkbar und führen zu Diskussionen in Politik und Gesellschaft, wie stark betroffene Sektoren und Unternehmen unterstützt werden können.

Dies hat nun auch die Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission auf den Plan gerufen. So erklärte die für Wettbewerb zuständige Exekutiv-Vizepräsidentin der Kommission Margrethe Vestager in einer Erklärung der Kommission vom 10.03.2022:

Putins Krieg gegen die Ukraine wird sich jetzt und in den kommenden Monaten auch auf die Wirtschaft der EU auswirken. Wir sind daher bereit, die Flexibilität unseres Instrumentariums für staatliche Beihilfen voll auszuschöpfen, damit die Mitgliedstaaten stark betroffene Unternehmen und Sektoren unterstützen können. Gemeinsam mit den Mitgliedstaaten prüfen wir derzeit Optionen für erforderliche und verhältnismäßige Unterstützung. Gleichzeitig müssen faire Wettbewerbsbedingungen im europäischen Binnenmarkt gewahrt bleiben.

Stellt die Kommission – wie auch schon zu Beginn der Corona-Krise – zwar klar, dass das EU-Beihilfenrecht auch in der wirtschaftlichen Bewältigung dieser Krise weiterhin zu beachten ist, hat sie den Mitgliedsstaaten am 10.03.2022 einen Lösungsansatz für eine Unterstützung betroffener Unternehmen im Einklang mit dem Beihilfenrecht zur Konsultation übermittelt.

Als geeignetes Werkzeug zur flexiblen und effektiven Abfederung der wirtschaftlichen Auswirkungen von Krisen scheint die Kommission immer mehr die Verabschiedung eines Befristeten Rahmens auserkoren zu haben. Denn wie schon als Reaktion auf die Auswirkungen der Finanzkrise 2008/2009 (damals „Vorübergehender Beihilferahmen“) und jüngst als Reaktion auf die Auswirkung der Corona-Krise schlägt die Kommission auch diesmal einen Befristeten Rahmen als erste Reaktion auf die Krise vor, konkret den Befristeten Krisenrahmen zur Stützung der Wirtschaft angesichts der russischen Invasion der Ukraine.

Ebenfalls vergleichbar mit dem Vorübergehenden Rahmen von 2009 und dem Befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19 stützt sich auch der jetzige Entwurf der Kommission auf Art. 107 Abs. 3 lit. b AEUV. Demnach können Beihilfen zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden.

Die Kommission bittet die Mitgliedsstaaten in der Konsultation insbesondere um Stellungnahme, welche Maßnahmen zur Bewältigung der aktuellen Krise als notwendig erachtet werden. Hierbei stellt die Kommission in ihrer Erklärung klar, dass Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV eine bereits bestehende Möglichkeit bietet, Schäden abzumildern, die unmittelbar durch den militärischen Angriff Russlands auf die Ukraine verursacht wurden, einschließlich direkter Auswirkungen von Wirtschaftssanktionen oder anderer restriktiver Maßnahmen als Reaktion auf die Invasion. Demnach könnten solche Schäden als Schäden durch sonstige außergewöhnliche Ereignisse im Sinne des Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV angesehen werden. Die im Befristeten Rahmen vorzusehenden Maßnahmen sollen diese Möglichkeit ergänzen.

Der den Mitgliedstaaten zur Konsultation übermittelte Vorschlag enthält zum einen die Möglichkeit der Gewährung von vorübergehenden Liquiditätshilfen (z.B. in der Form von Garantien und zinsvergünstigten Darlehen) für alle von der Krise betroffenen Unternehmen. Zum anderen sieht er die Möglichkeit vor, insbesondere für energieintensive Unternehmen Beihilfen in jeder Form für Mehrkosten aufgrund außergewöhnlich hoher Gas- und Strompreise zu gewähren.

Die Maßnahmen sollen auch Unternehmen in Schwierigkeiten offenstehen, wenn sie aufgrund der derzeitigen Umstände einen akuten Liquiditätsbedarf aufweisen können. Vom Anwendungsbereich ausgeschlossen wären wiederum mit Sanktionen belegte und von Russland kontrollierte Unternehmen.

Die Konsultation umfasst schließlich noch verschiedene allgemeine und spezifische Fragen, wie z.B. solche zu Beihilfeintensitäten und -obergrenzen, zur Aufnahme spezifischer Maßnahmen für bestimmte Sektoren oder zur Definition bestimmter Begrifflichkeiten (wie „energieintensive Verbraucher“).

Nach den Rückmeldungen der Mitgliedsstaaten möchte die Kommission das Feedback schnell analysieren und den Befristeten Rahmen verabschieden. Sie erklärt, auch in der Zwischenzeit bereits im Zusammenhang mit der derzeitigen Krise angemeldete Unterstützungsmaßnahmen vorrangig zu bearbeiten.

Autor: Christopher Hanke, Müller-Wrede & Partner

Aktuelle Entwicklungen im Beihilferecht: öffentliche Konsultation in den Bereichen Landwirtschaft, Fischerei und Eisenbahnverkehr

Aktuelle Entwicklungen im Beihilferecht: öffentliche Konsultation in den Bereichen Landwirtschaft, Fischerei und Eisenbahnverkehr

In gleich drei Bereichen hat die Europäische Kommission kürzlich Vorschläge für die Überarbeitung von Beihilfevorschriften veröffentlicht und eine öffentliche Konsultation gestartet.

Bis zum 13. März können Mitgliedstaaten und andere Interessenträger zu den Vorschlägen der Kommission in den Bereichen Land- und Forstwirtschaft und Fischerei Stellung nehmen. Bis zum 16. März ist eine Stellungnahme zur geplanten Neufassung der Eisenbahnleitlinien möglich.

Die vorgeschlagenen Änderungen

Im Rahmen des „Fitness Checks“ der Beihilfevorschriften ist die Europäische Kommission sowohl für die beihilferechtlichen Vorschriften im Bereich der Land- und Forstwirtschaft als auch für die Eisenbahnleitlinien zu dem Schluss gekommen, dass die Vorschriften ihren Zweck im Großen und Ganzen erfüllen. Nichtsdestotrotz sind gezielte Anpassungen an rechtliche und technische Entwicklungen und an die sich vor allem aus dem europäischen Grünen Deal ergebenden derzeitigen strategischen Ziele und Prioritäten der EU notwendig. Eine entsprechende Evaluierung für den Fischereisektor läuft derzeit noch.

Vor diesem Hintergrund erfolgen die nun vorgeschlagenen Überarbeitungen durch die Kommission.

Überarbeitung der Vorschriften für staatliche Beihilfen im Agrar- und Forstsektor

Die Überarbeitungen in diesem Bereich betreffen zum einen die Rahmenregelung für staatliche Beihilfen im Agrar- und Forstsektor und in ländlichen Gebieten von 2014 („Agrarrahmen“). Die Anpassungen sehen hierbei zunächst vor, dass Maßnahmen im Rahmen der reformierten gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) grundsätzlich mit den EU-Beihilfevorschriften im Einklang stehen sollen. Außerdem bietet der überarbeitete Rahmen mehr Anreize für umwelt- und klimafreundliche Waldbewirtschaftungsmaßnahmen (u.a. durch eine Anhebung der Beihilfehöchstintensität) und führt neue Beihilfekategorien ein, wie z.B. Beihilfen zur Verhütung, Bekämpfung und Tilgung des Befalls durch invasive gebietsfremde Arten und neu auftretende Krankheiten.

Zum anderen wird die Gruppenfreistellungsverordnung für die Landwirtschaft überarbeitet. Der Vorschlag sieht hierbei vor, die Beihilfeintensitäten an die in den GAP-Strategieplänen vorgesehenen Intensitäten anzupassen. Des Weiteren ist eine Freistellung weiterer Gruppen von Beihilfemaßnahmen vorgesehen, wie z.B. Beihilfen zum Ausgleich von durch geschützte Tierarten verursachte Schäden oder Beihilfen zum Ausgleich von bei landwirtschaftlichen Flächen in Natura-200-Gebieten entstehenden Mehrkosten.

Überarbeitung der Vorschriften für staatliche Beihilfen im Fischereisektor

Im Bereich der Fischerei erhalten die Leitlinien für die Prüfung staatlicher Beihilfen im Fischerei- und Aquakultursektor neue Beihilfekategorien, wie z.B. Beihilfen zum Ausgleich von durch geschützte Tierarten verursachte Schäden (soweit nicht als Gruppe freigestellt, s.u.) und – analog zum Agrarrahmen – Beihilfen zur Verhütung, Bekämpfung und Tilgung des Befalls durch invasive gebietsfremde Arten und neu auftretende Krankheiten. Darüber hinaus werden die Leitlinien zum Zwecke der Leser- und Anwenderfreundlichkeit präzisiert und gestrafft.

Die vorgeschlagenen Änderungen der Gruppenfreistellungsverordnung für die Fischerei umfassen neue Kategorien von Beihilfemaßnahmen, die von der Anmelde- und Genehmigungspflicht freigestellt werden, wie u.a. auch hier Beihilfen zum Ausgleich von durch geschützte Tierarten verursachte Schäden oder Beihilfen zum Ausgleich von Schäden infolge bestimmter Witterungsverhältnisse.

Schließlich werden die kumulierten Höchstbeträge in der De-minimis-Verordnung für die Fischerei aktualisiert, die je Mitgliedstaat auf der Grundlage aktueller sektoraler Daten gewährt werden können. So beträgt die vorgesehene nationale Obergrenze für  Deutschland 77.196.702 EUR über einen Zeitraum von drei Jahren.

Neufassung der Eisenbahnleitlinien

Die neugefassten Eisenbahnleitlinien beinhalten zunächst einen erweiterten Anwendungsbereich, in erster Linie, um Betreiber im Bereich des intermodalen Verkehrs mit einzubeziehen.

Des Weiteren enthalten sie Vorschriften zum Abbau von Hindernissen für den Markteintritt oder die Expansion neuer Marktteilnehmer, Vorschriften zur Modernisierung des Bestands und Vorschriften zur Vermeidung von Querfinanzierungen zwischen kommerziellen und gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unterliegenden Tätigkeiten vertikal integrierter Eisenbahnunternehmen.

Darüber hinaus werden die Beihilfevorschriften im Eisenbahnsektor einer Prüfung des Bedarfs an Vorschriften für öffentliche Verkehrsdienste in allen bisher nicht berücksichtigten Bereichen des Schienenverkehrs und einer Prüfung des Bedarfs an angepassten Rettungs- und Umstrukturierungsvorschriften für Eisenbahnunternehmen unterzogen.

Der weitere Ablauf

Die vorgeschlagenen Änderungen der Vorschriften für die Landwirtschaft und die Fischerei werden auf zwei Treffen zwischen Vertreterinnen und Vertretern der Kommission und der Mitgliedsstaaten erörtert, zunächst gegen Ende des Konsultationszeitraums und nochmals nach Überarbeitung der Entwürfe auf Grundlage der Konsultation. Gleichermaßen werden die Entwürfe auf einer multilateralen Sitzung mit den Mitgliedsstaaten gegen Ende des Konsultationszeitraums erörtert. Die Annahme der überarbeiteten Vorschriften ist dann für Ende 2022 geplant.

Die Annahme der neuen Eisenbahnleitlinien ist für das vierte Quartal 2023 geplant.

Autor: Christopher Hanke, Müller-Wrede & Partner

Prüfungskompetenz und Prüfungsmaßstab der Kommission im Anwendungsbereich der AGVO

Prüfungskompetenz und Prüfungsmaßstab der Kommission im Anwendungsbereich der AGVO

Bereits in seinem Urteil vom 9. September 2020 hat sich das EuG in der Rechtssache Kerkosand mit der Prüfungskompetenz und dem Prüfungsmaßstab der Kommission im Anwendungsbereich der AGVO beschäftigt.

Das Verfahren bei der EU-Kommission

Die slowakische Innovations- und Energieagentur gewährte dem Unternehmen NAJPI in 2013 auf Grundlage der Staatlichen Beihilferegelung zur Einführung innovativer und fortgeschrittener Technologien im Industrie- und Dienstleistungsbereich eine Beihilfe. Beihilfen auf Grundlage dieser Förderrichtlinie galten – bei Einhaltung der entsprechenden Voraussetzungen – als nach der VO (EG) 800/2008 freigestellt.

Kerkosand als Wettbewerber des Beihilfenempfängers legte gegen diese Beihilfe Beschwerde bei der Kommission ein, mit dem Argument, die Voraussetzungen der Freistellungsverordnung lägen nicht vor. Insbesondere handele es sich bei NAJPI nicht um eine KMU.

Im Juli 2017 erließ die Kommission den Beschluss C(2017) 5050 (SA. 38121) über die Investitionsbeihilfe zugunsten von NAJPI und kam zu dem Ergebnis, dass die Beihilfe sowohl die Voraussetzungen der Verordnung Nr. 800/2008 als auch die Voraussetzungen der Verordnung (EU) Nr. 651/2014 erfüllt und es sich bei NAJPI um ein KMU handelt. Die Beihilfe sei somit von der Anmeldepflicht befreit gewesen und müsse als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden.

Das Urteil des EuG

Gegen diese Entscheidung erhob Kerkosand Nichtigkeitsklage vor dem Europäischen Gericht erster Instanz (EuG). Das Urteil vom 9. September 2020 in der Rs. T-745/17 hat insbesondere zu folgenden Punkten über das eigentliche Verfahren hinausgehende Bedeutung:

Prüfungskompetenz der Kommission im Anwendungsbereich der AGVO

Das EuG stellt unter Bezugnahme auf die Urteile Rs. C‑654/17 Bayerische Motoren Werke und Rs. C‑349/17 Eesti Pagar, klar, dass die Kommission mit dem Erlass einer Freistellungsverordnung ihre Prüfungsbefugnisse im Bereich staatlicher Beihilfen nicht an die Mitgliedstaaten delegiert hat. Die Überwachungsbefugnis der Kommission – insbesondere hinsichtlich der Einhaltung der grundsätzlich bestehenden Notifizierungspflicht und des Durchführungsverbots – bleiben weiterhin bestehen. Damit ist die Kommission auch zur Kontrolle von Beschwerden verpflichtet, deren Gegenstand die Missachtung von Bestimmungen einer Freistellungsverordnung ist. Ein Mitgliedstaat ist nur von seiner Anmeldepflicht befreit, wenn eine Beihilfemaßnahme die Voraussetzungen der Freistellungsverordnung erfüllt.  Bei Verstoß gegen die Freistellungsverordnung muss die Kommission die gewährte Beihilfe entweder von Amts wegen oder im Rahmen der Beschwerde eines Betroffenen anhand der Art. 107 und 108 AEUV prüfen.

Daraus ergibt sich, dass die Kommission auch mit dem Erlass der AGVO den nationalen Stellen keine Befugnis zur endgültigen Entscheidung in Bezug auf den Umfang der Freistellung von der Anmeldepflicht übertragen hat, da sich diese Stellen vergewissern müssen, dass ihre Entscheidungen im Einklang mit der Verordnung stehen. Sollte nach Auffassung eines Mitgliedstaats die Voraussetzungen AGVO erfüllt sein, gilt damit allenfalls „eine Vermutung der Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt“. Diese kann allerdings sowohl durch ein nationales Gericht oder eine nationale Behörde als auch von der Kommission überprüft werden. Die ausschließliche Zuständigkeit für die Beurteilung der Zulässigkeit einer auf Grundlage der AGVO gewährten Beihilfe und damit die Prüfung, ob diese mit dem Binnenmarkt nach Art. 107 Abs. 3 AEUV vereinbar ist, verbleibt bei der Kommission. 

Prüfungsmaßstab für die Vereinbarung von Beihilfen – Verhältnis von AGVO und Leitlinien

Das EuG führt aus, dass es sich bei der Überprüfung der Kommission, ob ein Mitgliedstaat die Voraussetzungen der AGVO richtig angewendet hat, um eine „reine Rechtmäßigkeitskontrolle“ handelt. Freistellungstatbestände enthalten gegenüber den Mitgliedstaaten und Normunterworfenen abschließende Regelungen. Diese sind rechtlich bindend und nach Art. 288 Abs. 2 AEUV in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar. Daher steht der Kommission im Rahmen dieser Rechtmäßigkeitskontrolle kein Ermessen zu. Jede andere Auslegung würde nach Ansicht des EuG zur Rechtsunsicherheit bei der Anwendung der AGVO führen. Nationale Behörden, die bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Freistellungstatbestandes davon ausgehen dürfen, die Maßnahme ohne Notifizierung durchführen zu können, müssten anderenfalls damit rechnen, dass die Kommission bei Aufgreifen einer solchen Beihilfe ex officio oder aufgrund einer Wettbewerbsbeschwerde ex post im Rahmen einer Ermessensentscheidung zu einem anderen Ergebnis kommen kann. Gestützt wird dieser Ansatz durch den siebten Erwägungsgrund der AGVO, der besagt, dass nur staatliche Beihilfen, die nicht von ihr erfasst werden, weiter der in Art. 108 Abs. 3 AEUV vorgesehenen Anmeldepflicht unterliegen.

Ermessen steht der Kommission daher ausschließlich im Rahmen der Vereinbarkeitsprüfung nach Art. 107 Abs. 3 AEUV zu. Diese muss die Kommission durchführen, wenn sie im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle festgestellt hat, dass die Voraussetzungen der AGVO nicht erfüllt sind. Im Rahmen der Prüfung der Genehmigung auf Grundlage von Art. 107 Abs. 3 AEUV hat die Kommission darüber hinaus auch sekundärrechtliche Vorschriften wie im konkreten Fall die Regionalleitlinien bei der Ausübung ihres Ermessens zu berücksichtigen. Diese seitens der Kommission selbstauferlegte Verhaltensregeln spielen jedoch im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle – also der Untersuchung, ob die Voraussetzungen der Freistellung erfüllt sind – keine Rolle. Neben den bereits oben ausgeführten Argumenten insbesondere deshalb, da diese sekundärrechtlichen Vorschriften höherrangigen Rechts einschließlich der Freistellungsverordnung nicht abbedingen können. Daher sind also Vorgaben aus Leitlinien nur im Rahmen der Vereinbarkeitsprüfung zu berücksichtigen, soweit die Vorschriften eines Freistellungstatbestandes nicht explizit auf eine entsprechende Regelung verweisen.

Prüfung des KMU-Status

Weiter hatte das EuG die Überprüfungspflichten der Kommission hinsichtlich des KMU-Status eines Beihilfeempfängers zu untersuchen.

Kerkosand behauptete, die Kommission habe sich zu Unrecht auf die Prüfung des KMU-Status durch den Mitgliedstaat verlassen. Sie hätte vielmehr selbst untersuchen müssen, ob die KMU-Kriterien nach Anhang I der AGVO (weniger als 250 Mitarbeiter, Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. Euro oder eine Jahresbilanzsumme von höchstens 43 Mio. Euro) vorlagen. Entsprechende Hinweise, die gegen das Vorliegen des KMU-Status von NAJPI sprachen, hatte die Klägerin bereits im Verwaltungsverfahren vorgetragen, diese hatte die Kommission aber nicht berücksichtigt.

Berechnungszeitpunkt für die Feststellung des KMU-Status und insbesondere die Prüfung, welche Gesellschaften als verbundene Unternehmen bzw. Partnerunternehmen bei der Bestimmung der Mitarbeiterzahlen zu berücksichtigen sind, ist der letzte genehmigte Jahresabschluss. Stellt ein Unternehmen dabei fest, dass es an diesem Stichtag die Schwellenwerte für die Mitarbeiterzahl oder die Bilanzsumme und/oder die Umsatzschwelle überschreitet, verliert es seinen KMU-Status erst dann, wenn es in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren zu einer Überschreitung kommt.

Vor dem Hintergrund eines Gesellschafterwechsels im laufenden Jahr war aus Sicht des Gerichts dem Beschluss der Kommission nicht zu entnehmen, auf welchen Jahresabschluss sie bei der Bestimmung der KMU-Kriterien abgestellt hat. Das EuG kam zu dem Ergebnis, dass die Kommission die für diese Frage relevanten Umstände unzureichend ermittelt und geprüft habe und unterstrich, dass sich die Kommission nicht ohne weiteres auf die durch die Mitgliedstaaten übermittelten Informationen verlassen durfte. Das Gericht stellt außerdem klar, dass die Kommission zum einen verpflichtet ist, den konkreten Jahresabschluss zu bestimmen, auf dessen Grundlage der KMU-Status untersucht wird. Zum anderen reicht es in einer solchen Konstellation nicht aus, nur die Daten der Gesellschaft, die in dem laufenden Kalenderjahr die Kontrolle über den Beihilfenempfänger übernommen hat, zu untersuchen. Vielmehr müssen auch die Daten der bisherigen Gesellschafter berücksichtigt werden, um die KMU-Status zu bestimmen. Aufgabe der Kommission ist es dabei, die Daten der Unternehmen zu herauszuarbeiten, auf deren Grundlage der KMU-Status eines Unternehmens zu bestimmen ist und dabei zu präzisieren, welche Gesellschafter und Gesellschaften zu berücksichtigen sind.

 

Autorin: Anna Lazarova, Referendarin bei Müller-Wrede & Partner

Aus UEBLL wird KUEBLL

Aus UEBLL wird KUEBLL

Am 21. Dezember 2021 hat die Kommission die neuen Leitlinien für staatliche Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen (kurz: KUEBLL, in der Folge „neue Leitlinien“) gebilligt. Die neuen Leitlinien gelten seit Januar 2022 und ersetzen die Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen (kurz: UEBLL, in der Folge „alte Leitlinien“). In den Leitlinien sind die Voraussetzungen festgelegt, unter denen staatliche Beihilfen in den Bereichen Klima, Umweltschutz und Energie als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden können.  Darüber hinaus werden die Kriterien dargelegt, die die Kommission bei der Prüfung von Fördermaßnahmen der Mitgliedstaaten in diesen Bereichen zugrunde legt.

Die neuen Leitlinien sollen der zunehmenden Bedeutung des Klimaschutzes Rechnung tragen und wurden hierzu mit den im europäischen Grünen Deal festgelegten Zielvorgaben der EU und anderen Änderungen von Vorschriften in den Bereichen Energie und Umwelt in Einklang gebracht.

1.         Der Inhalt der neuen Leitlinien im Einzelnen

Die Leitlinien untergliedern sich inhaltlich im Wesentlichen in ein Kapitel zum Anwendungsbereich und den Begriffsbestimmungen (Kapitel 2), ein Kapitel mit den im Anwendungsbereich der Leitlinien allgemeingültigen Kriterien zur Prüfung der Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt nach Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV (Kapitel 3) und ein Kapitel mit speziellen Vereinbarkeitskriterien zu den verschiedenen, in diesem Abschnitt näher bestimmten Beihilfegruppen (Kapitel 4).

1.1 Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

Kapitel 2.1 bestimmt den Anwendungsbereich der Leitlinien für Beihilfen, die gewährt werden, um wirtschaftliche Tätigkeiten in einer Weise zu fördern, die den Umweltschutz verbessert. Zum anderen umfassen sie die folgenden in Abschnitt 2.2 aufgelisteten Beihilfen zur Förderung wirtschaftlicher Tätigkeiten im Energiesektor:

a) Beihilfen zur Verringerung und zum Abbau von Treibhausgasemissionen, u.a. durch die Förderung von erneuerbaren Energien und Energieeffizienz,

b) Beihilfen zur Verbesserung der Gesamtenergieeffizienz und der Umweltbilanz von Gebäuden

c) Beihilfen für den Erwerb oder das Leasing von sauberen Fahrzeugen (für den Luft-, Straßen-, Schienen-, Binnenschiffs- und Seeverkehr) und von sauberen mobilen Service-Geräten sowie für die Nachrüstung von Fahrzeugen und mobilen Service-Geräten,

d) Beihilfen für den Aufbau der Lade- und Tankinfrastruktur für saubere Fahrzeuge,

e) Beihilfen für Ressourceneffizienz und zur Unterstützung des Übergangs zu einer Kreislaufwirtschaft,

f) Beihilfen zur Vermeidung oder Verringerung von nicht durch Treibhausgase bedingter Umweltverschmutzung,

g) Beihilfen für die Sanierung von Umweltschäden, die Rehabilitierung natürlicher Lebensräume und Ökosysteme, den Schutz bzw. die Wiederherstellung der Biodiversität und die Umsetzung naturbasierter Lösungen für die Anpassung an den Klimawandel und den Klimaschutz,

h) Beihilfen in Form einer Ermäßigung von Steuern oder steuerähnlichen Abgaben,

i) Beihilfen zur Gewährleistung der Stromversorgungssicherheit,

j) Beihilfen für Energieinfrastruktur,

k) Beihilfen für Fernwärme und Fernkälte,

l) Beihilfen in Form einer Ermäßigung der Stromverbrauchsabgaben für energieintensive Unternehmen,

m) Beihilfen für die Stilllegung von Kohle-, Torf- oder Ölschieferkraftwerken und die Beendigung des Abbaus von Kohle, Torf oder Ölschiefer,

n) Beihilfen für Studien oder Beratungsleistungen zu Klima-, Umweltschutz- und Energiefragen.

Rn. 13 grenzt den Anwendungsbereich insofern ein, dass die Leitlinien für Beihilfen für die Entwicklung und Herstellung umweltfreundlicher Produkte, Maschinen, Anlagen, Geräte und Beförderungsmittel, die mit einem geringeren Einsatz natürlicher Ressourcen betrieben werden sollen, sowie Maßnahmen in Produktionsbetrieben oder anderen Produktionseinheiten zur Verbesserung der Sicherheit oder der Hygiene keine Anwendung finden. Ebenso wenig finden die Leitlinien Anwendung auf Beihilfen im Anwendungsbereich des FuEuI-Rahmens, Beihilfen im Anwendungsbereich des Agrarrahmens und der Leitlinien für Fischerei und Aquakultur und Beihilfen für Kernenergie. Rn. 14 stellt klar, dass keine Beihilfen für Unternehmen in Schwierigkeiten gewährt werden dürfen.

Kapitel 2 schließt mit einer Auflistung der für die Zwecke der Leitlinien geltenden Begriffsbestimmungen (Kapitel 2.4, Rn. 19).

1.2 Allgemeine Kriterien zur Prüfung der Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt nach Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV

Eine der wohl augenscheinlichsten Änderungen findet sich in Kapitel 3 und geht auf das EuGH-Urteil Hinkley Point (C-594/18 P) zurück. In seinem Urteil hatte der EuGH ausgeführt, dass eine staatliche Beihilfe nach Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden kann, wenn sie drei Voraussetzungen erfüllt: Zum einen muss sie – als positive Voraussetzung – zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete bestimmt sein. Zum anderen darf sie – als negative Voraussetzung – die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft. Schließlich müssen die positiven Auswirkungen der Beihilfe die negativen Auswirkungen auf Wettbewerb und Handel überwiegen. NICHT erforderlich ist demnach aber, dass mit der Beihilfe ein Ziel von gemeinsamem Interesse verfolgt wird oder ein Marktversagen nachgewiesen werden muss. Letzteres hatte die Kommission nach dem in den alten Leitlinien vorgesehenen Prüfschema noch vorausgesetzt (siehe Rn. 27 der alten Leitlinien).

Diese vom EuGH hervorgehobenen Grundsätze hat die Kommission in Kapitel 3 der neuen Leitlinien als neues Prüfschema zur Prüfung der Binnenmarktvereinbarkeit nach Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV übernommen. So regelt Kapitel 3.1 (Rn. 23 ff.) die positive Voraussetzung, dass die Beihilfe die Entwicklung eines Wirtschaftszweiges fördern muss. Kapitel 3.2 (Rn. 34 ff.) regelt die negative Voraussetzung, nach der eine Beihilfemaßnahme die Handelsbeziehungen nicht in einer Weise verändern darf, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft. Und Kapitel 3.3 enthält schließlich Regelungen zur Abwägung der positiven Effekte der Beihilfe gegen die negativen Effekte auf die Handelsbeziehungen (Rn. 71 ff.).

1.2.1 Positive Voraussetzung: Förderung der Entwicklung eines Wirtschaftszweigs (Rn. 23 ff.)

Die in Kapitel 3.1 geregelte positive Voraussetzung des Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV enthält im Kern drei Unterpunkte:

So muss der notifizierende Mitgliedsstaat konkretisieren, welche Entwicklung von welchen Wirtschaftszweig gefördert werden soll (Rn. 23). Beihilfen können hierbei die Entwicklung eines Wirtschaftszweiges fördern, wenn dadurch die Nachhaltigkeit des betroffenen Wirtschaftszweigs erhöht wird. Sie können aber auch gewährleisten, dass die geförderte Tätigkeit fortgesetzt werden kann, ohne unverhältnismäßige Umweltschäden zu verursachen. Oder sie können der Förderung der Entwicklung der „grünen Wirtschaft“ dienen.  Schließlich ist es im Übrigen maßgeblich, ob und wie die Beihilfe zu den Zielen der Klima-, Umweltschutz- und Energiepolitik der Union beiträgt (Rn. 25).

Der außerdem erforderliche Anreizeffekt der Beihilfe kann insbesondere angenommen werden, wenn der Beihilfenempfänger seine Aktivitäten ändert, eine zusätzliche oder eine umweltfreundlichere Wirtschaftsaktivität aufnimmt, die er ohne die Beihilfe so nicht aufgenommen hätte (Rn. 26). Der Anreizeffekt wird in der Regel zu verneinen sein, wenn die jeweilige Aktivität bereits vor Antragstellung begonnen hat (Rn. 29).

Schließlich darf durch die geförderte Tätigkeit, durch die Beihilfemaßnahme selbst oder durch die mit ihr verbundenen Bedingungen nicht gegen Bestimmungen des Unionsrechts verstoßen werden (Rn. 33).

1.2.2 Negative Voraussetzung: Keine Veränderung der Handelsbeziehungen in einer Weise, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft

Die in Kapitel 3.2 geregelte negative Voraussetzung des Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV gliedert sich in Prüfungen der Erforderlichkeit, der Geeignetheit und der Angemessenheit der jeweiligen Beihilfe und eine anschließende Prüfung der Vermeidung übermäßiger negativer Auswirkungen auf Wettbewerb und Handel.

In Kapitel 3.2 werden zunächst Anforderungen an die Erforderlichkeit der jeweiligen Beihilfemaßnahme gestellt: Die Beihilfemaßnahme muss demnach dazu dienen, ein verbleibendes Marktversagen zu beheben. In Rn. 34 (a) bis (d) wird aufgeführt, welche Formen von Marktversagen im Zusammenhang mit Umweltschutz und Energie hauptsächlich auftreten (z.B. kein angemessener Preis für Umweltverschmutzung). Bei der Prüfung der Erforderlichkeit sind bereits ergriffene Strategien oder Maßnahmen, die auf die Behebung des gleichen Marktversagens zielen, zu berücksichtigen (wie z.B. das EU-Emissionshandelssystem oder CO2-Steuern, Rn. 35 f.).

Im Rahmen der dann folgenden Angemessenheitsprüfung muss die beabsichtigte Beihilfemaßnahme zum einen im Vergleich zu anderen politischen Instrumenten als geeignet anzusehen sein. So stünden den Mitgliedsstaaten grundsätzlich z.B. auch marktbasierte Instrumente oder Regulierungsinstrumente zur Verfügung (Rn. 40). Außerdem sollte die beabsichtigte Maßnahme nicht im Widerspruch zu solchen Mechanismen stehen, die bereits spezifisch die zu einem Marktversagen führenden (externen) Effekte adressieren (wie der Emissionshandel oder das Verursacherprinzip/„polluter pays principle“, Rn. 41 f.).

Zum anderen muss der jeweilige Mitgliedsstaat darlegen, warum die gewählte Form der Beihilfe gegenüber anderen Beihilfeformen die geeignetere ist und er nicht solche Instrumente wählt, die die Handelsbeziehungen potenziell weniger beeinträchtigen, wie beispielsweise rückzahlbare Vorschüsse, Steuergutschriften oder Kredite (Rn. 43-46).

Schließlich regeln die Rn. 47 ff., dass eine Beihilfe die allgemeine Voraussetzung der Angemessenheit, erfüllt, soweit sie nicht über das zur Verwirklichung des jeweiligen Klima-, Umweltschutz- oder Energieziels erforderliche Minimum hinausgeht.

Rn. 48 regelt hierbei den Grundsatz, dass die Beihilfe in der Regel hierzu den Nettokosten zu entsprechen hat, die im Vergleich zur kontrafaktischen Fallkonstellation ohne Beihilfe zusätzlich anfallen, um das Ziel zu verwirklichen. Rn. 49 f. führt aus, dass die Beihilfe als angemessen erachtet wird, wenn ihre Höhe durch eine den dort angeführten Anforderungen entsprechende Ausschreibung ermittelt wird. Die Rn. 51 ff. enthalten Ausführungen zur Darlegung des kontrafaktischen Szenarios durch die Mitgliedsstaaten und gibt die Berechnungsmethode zur Berechnung der Finanzierungslücke vor. Rn. 55 regelt, dass Mitgliedsstaaten in Ausnahmefällen – wenn diese nicht berechnet werden kann – anstelle der üblichen ex ante-Kalkulation Kompensationsmodelle errechnet werden können, die eine Mischung aus ex ante und ex post- oder reine ex post-Mechanismen vorsehen, wie z.B. Claw-Back-Klauseln oder Überwachungsmechanismen. Rn. 56 f. gibt schließlich vor, inwiefern Kumulierungen mit anderen Beihilfen möglich sind, während die Rn. 58 ff. Transparenzvorschriften enthalten.

Die Rn. 63 ff. schließen Kapitel 3.2 mit Ausführungen dazu, wann eine Beihilfe zu übermäßigen Auswirkungen auf Wettbewerb und Handel führt, selbst wenn sie erforderlich, geeignet, angemessen und transparent ist.

1.2.3 Abwägung der positiven Auswirkungen der Beihilfe gegen die negativen Auswirkungen auf Wettbewerb und Handel

Kapitel 3.3 enthält als finalen Prüfungsschritt die Abwägung der positiven Auswirkungen der Beihilfe gegen die negativen Auswirkungen auf Wettbewerb und Handel. Auf der einen Seite sind demnach der positive Beitrag der Maßnahme zu entsprechenden unionsrechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen (hier insbesondere die Ziele des Europäischen Klimagesetzes und des Klima- und energiepolitischen Rahmens bis 2030, vgl. Rn. 71). Auf der anderen Seite stehen die negativen Auswirkungen auf die Wettbewerbs- und Handelsbedingungen, wobei insbesondere bei Maßnahmen zugunsten von fossilen Brennstoffen die negativen Auswirkungen überwiegen dürften, vgl. Rn. 74.

1.3 Spezifische Vereinbarkeitskriterien

Kapitel 4 enthält die spezifischen Vereinbarkeitskriterien für die in den insgesamt dreizehn verschiedenen Abschnitten des Kapitels behandelten Beihilfemaßnahmen. Hierbei handelt es sich um Beihilfen zur Verringerung und zum Abbau von Treibhausgasemissionen, u.a. durch die Förderung von erneuerbaren Energien und von Energieeffizienz (Kapitel 4.1), Beihilfen zur Verbesserung der Gesamtenergieeffizienz und der Umweltbilanz von Gebäuden (Kapitel 4.2), Beihilfen für saubere Mobilität (Kapitel 4.3), Beihilfen für Ressourceneffizienz und zur Unterstützung des Übergangs zu einer Kreislaufwirtschaft (Kapitel 4.4), Beihilfen zur Vermeidung oder Verringerung von nicht durch Treibhausgase bedingter Umweltverschmutzung (Kapitel 4.5), Beihilfen für die Sanierung von Umweltschäden, die Rehabilitierung natürlicher Lebensräume und Ökosysteme, den Schutz bzw. die Wiederherstellung der Biodiversität und die Umsetzung naturbasierter Lösungen für die Anpassung an den Klimawandel und den Klimaschutz (Kapitel 4.6), Beihilfen in Form einer Ermäßigung von Steuern oder steuerähnlichen Abgaben (Kapitel 4.7), Beihilfen zur Gewährleistung der Stromversorgungssicherheit (Kapitel 4.8), Beihilfen für Energieinfrastruktur (Kapitel 4.9), Beihilfen für Fernwärme und Fernkälte (Kapitel 4.10), Beihilfen in Form einer Ermäßigung der Stromabgaben für energieintensive Unternehmen (Kapitel 4.11), Beihilfen für die Stilllegung von Kohle-, Torf- oder Ölschieferkraftwerken und die Beendigung des Abbaus von Kohle, Torf oder Ölschiefer (Kapitel 4.12), Beihilfen für Studien oder Beratungsleistungen zu Klima-, Umweltschutz- und Energiefragen (Kapitel 4.13).

2.        Neuerungen

Im Übrigen sehen die neuen Leitlinien im Wesentlichen folgende Änderungen und Anpassungen vor:

Ausweitung der Kategorien von Investitionen und Technologien, die die Mitgliedsstaaten fördern können

Förderfähig sind nunmehr alle Technologien, die den europäischen Grünen Deal voranbringen. Ferner sind die Erläuterungen zu Beihilfen zur Verringerung oder Vermeidung von Treibhausgasemissionen in einem einzigen Abschnitt zusammengeführt und es wurden neue Beihilfeinstrumente (wie z.B. CO2-Differenzverträge, vgl. Rn. 121) eingeführt, um Mitgliedstaaten bei der erforderlichen Ökologisierung der Industrie zu unterstützen. Außerdem sind nun Beihilfebeträge von bis zu 100 % der Finanzierungslücke möglich.

Erläuterungen zu Beihilfen für zahlreiche für den Grünen Deal relevante Bereiche (z.B. nicht durch Treibhausgas bedingte Umweltverschmutzung)

Die neuen Leitlinien enthalten Abschnitte mit Erläuterungen zu Bereichen wie Lärmbelästigung, Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft, Biodiversität und Sanierung von Umweltschäden und vor allem eigene Abschnitte für Schlüsselbereiche wie die Energieeffizienz von Gebäuden oder saubere Mobilität.

Anpassung der Vorschriften über Ermäßigungen bestimmter Stromverbrauchsabgaben für energieintensive Unternehmen

Die angepassten Vorschriften sollen vor allem verhindern, dass Tätigkeiten in bestimmten Wirtschaftszweigen aufgrund solcher Abgaben an Standorte mit gar keinen oder weniger anspruchsvollen Umweltschutzvorschriften verlagert werden. So sind nun Ermäßigungen bei allen Abgaben möglich, die zur Finanzierung von Dekarbonisierungsmaßnahmen oder sozialen Maßnahmen dienen. Zusätzlich wurden die Vorschriften so angepasst, dass sie schrittweise Dekarbonisierung energieintensiver Unternehmen besser unterstützen (u.a. durch Kopplung der Abgabenermäßigungen an eine Verpflichtung zur Verringerung des CO2-Fußabdrucks).

Schutzvorkehrungen zur Sicherstellung des wirksamen Einsatzes der Beihilfen, dort wo sie für eine Verbesserung des Klima- und Umweltschutzes erforderlich sind

Die Beihilfen sollen auf das zur Erreichung der Umweltziele erforderliche Maß beschränkt bleiben. Zu diesem Zweck werden die Mitgliedstaaten nun in verschiedenen Abschnitten dazu verpflichtet, bei großen Beihilfemaßnahmen, die Interessenträger zu den wichtigsten Merkmalen der Maßnahme zu konsultieren (so z.B. für Beihilfen in Höhe von über 150 Mio. EUR in Kapitel 4.1 oder Beihilfen in Höhe von über 100 Mio. EUR in Kapitel 4.8).

Erhöhung der Flexibilität und Straffung von Vorschriften

Insbesondere ist im Gegensatz zu den alten Leitlinien eine Einzelanmeldung grüner Großprojekte, die auf Grundlage von bereits genehmigten Beihilferegelungen durchgeführt werden, nicht mehr notwendig.

Autor: Christopher Hanke, Müller-Wrede & Partner

Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Förderung von Risikofinanzierungen – altes Kleid in neuem Gewande

Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Förderung von Risikofinanzierungen – altes Kleid in neuem Gewande

Die Europäische Kommission hat am 06.12.2021 die überarbeiteten Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Förderung von Risikofinanzierung („Risikokapitalleitlinien“) angenommen. Wie bisher die Risikoleitlinien 2014, soll auch durch die neuen Regelungen insbesondere für Start-ups und KMU der Zugang zu staatlichen Mitteln erleichtert werden. Dennoch gibt es einige interessante Neuerungen.

Ergebnis des Fitness-Tests

Im Jahr 2019 hat die Kommission begonnen, die beihilferechtlichen Vorschriften im Rahmen einer Eignungsprüfung zu untersuchen. Gestützt auf die Ergebnisse dieses beihilferechtlichen „Fitness Checks“ wurde das gesamte beihilferechtliche Regelwerk überarbeitet und aktualisiert, insbesondere auch unter Berücksichtigung der Vorgaben des „Green Deal“ und der „Digitalen Agenda“.

Die Kommission stellte im Rahmen dieser Überprüfung fest, dass die Risikokapitalleitlinien aus dem Jahr 2014 zwar grundsätzlich ihren Zweck erfüllen, aber zur Vereinfachung der Anwendung einige gezielte Anpassungen erforderlich geworden sind. Dies insbesondere für den Nachweis eines spezifischen Marktversagens aber auch hinsichtlich der Abgrenzung zur Freistellung auf Grundlage von Art. 21 AGVO. Die Leitlinien fokussieren sich dabei auf die Kriterien der Vereinbarkeit von Beihilfen mit dem Binnenmarkt, um Überschneidungen mit der Bekanntmachung zum Beihilfenbegriff zu vermeiden.

Struktur der Risikokapitalleitlinien

Die Struktur der Risikokapitalleitlinien wurde insgesamt gestrafft. Der Aufbau ist klar strukturiert:

  • Einleitung
  • Anwendungsbereich
  • Begriffsbestimmungen
  • Anmeldepflichtige Risikofinanzierungsbeihilfen
  • Vereinbarkeitsprüfung
  • Evaluierung
  • Schlussbestimmungen

Begriffsdefinition und Anwendungsbereich

Die Definition der Risikofinanzierung wurde in der neuen Fassung ergänzt und erweitert: „Risikofinanzierung“ sind Beteiligungen oder beteiligungsähnliche Investitionen, Darlehen (einschließlich Leasing), Garantien oder eine Kombination daraus für beihilfefähige Unternehmen zum Zwecke neuer Investitionen, die jedoch nicht ausschließlich aus privaten Investitionen zu den marktüblichen Bedingungen bestehen und nicht außerhalb des Anwendungsbereichs der Risikofinanzierungsbeihilfen fallen dürften.

Zur Klarstellung der Begrifflichkeiten, die sowohl in den Leitlinien als auch in der AGVO verwendet werden, wurden nunmehr Definitionen vereinheitlicht, wie z.B. die Definition eines „innovativen Unternehmens“. Die Anwendung der Risikokapitalleitlinien wurde nunmehr auch auf Unternehmen mittlerer Kapitalisierung ausgeweitet, die an bestimmten EU-Initiativen teilgenommen haben oder in Rahmen dieser Initiativen Investitionen erhalten haben. U.a. sind das Unternehmen, die vom Europäischen Investitionsrat mit dem Exzellenzsiegel ausgezeichnet wurden und Unternehmen, die aus dem Fonds des Europäischen Innovationsrat eine Investition oder in Rahmen der Initiative zur Förderung des Unternehmertums im Weltraumsektor „CASSINI“ erhalten haben.

Angewandt werden die aktualisierten Leitlinien auf Risikofinanzierungsmaßnahmen, die eine Beihilfe enthalten, jedoch nicht sämtliche in Art. 21 AGVO erhaltene Voraussetzungen erfüllen und damit nicht freigestellt werden können. Umfasst sind Maßnahmen für kleine und innovative Unternehmen mittlerer Unternehmen mittlerer Kapitalisierung, Unternehmen, die nach ihrem ersten Verkauf keine 7 Jahre gewerblich tätig sind und Unternehmen, die eine Risikofinanzierung benötigen, die die Obergrenze von 15 Mio. Euro überschreitet. Anwendung finden die in den Leitlinien festgelegten Grundsätze lediglich auf Risikofinanzierungsregelungen, nicht auf Ad-hoc Beihilfen, es sei denn, die Maßnahmen sollen eine spezifische alternative Handelsplattform unterstützen. Große Unternehmen können nur in Ausnahmefällen mit staatlichem Risikokapital unterstützt werden.

Die Leitlinien finden keine Anwendung auf börsennotierte Unternehmen, Unternehmen in Schwierigkeiten mit Ausnahmen von KMU, die seit ihrer Eintragung ins Handelsregister noch keine 7 Jahre gewerblich tätig sind.

Genehmigungsvoraussetzungen der Risikokapitalleitlinien

Bislang hat die Kommission in einer Reihe von Rechtstexten, die wie die Risikokapitalleitlinien auf Grundlage von Art. 107 Abs. 3 AEUV basieren aber auch im Fall der unmittelbaren Anwendung von Art. 107 Abs. 3 c AEUV, für die Genehmigung einer Beihilfe folgende Prüfungsschritte vorgenommen:

  • Beitrag zu einem Ziel von gemeinsamem Interesse
  • Erforderlichkeit der Maßnahme
  • Geeignetheit der Maßnahme
  • Anreizeffekt
  • Angemessenheit
  • Vermeidung übermäßiger negativer Auswirkungen auf Wettbewerb und Handel
  • Transparenz

Der EuGH hat in seinem Urteil in der Rs. C-594/18 „Hinkley Point“ festgestellt, dass es für die Genehmigung einer Beihilfe auf Grundlage von Art. 107 Abs. 3 c AEUV nicht erforderlich ist, dass mit einer Beihilfe ein Ziel von gemeinsamem Interesse verfolgt wird. Vor diesem Hintergrund ist nun der Prüfungsaufbau wie folgt neu strukturiert:

  • Voraussetzung: Die Beihilfe dient der Förderung der Entwicklung eines Wirtschaftszweigs
  • Voraussetzung: Vermeidung nachteiliger, dem gemeinsamen Interesse zuwiderlaufender Auswirkungen auf die Handelsbedingungen

Zunächst wird untersucht, ob mit der staatlichen Finanzierung die Entwicklung eines bestimmten Wirtschaftszweiges gefördert wird und ob die Beihilfe einen Anreizeffekt auf den Beihilfenempfänger hat, eine Tätigkeit aufzunehmen, die er aufgrund von Marktversagens nicht oder nicht in dem Umfang ausüben würde. Es wird davon ausgegangen, dass eine Risikofinanzierungsmaßnahme einen Anreizeffekt hat, wenn sie zur Mobilisierung von Investitionen von anderen Marktteilnehmern führt.

Grundsätzlich ist eine Beihilfe nur genehmigungsfähig, wenn sie eine wesentliche Entwicklung bewirkt, die der Markt aus eigener Kraft nicht herbeiführen könnte. Im Rahmen einer sog. „ex-ante-Prüfung“ hat daher der Mitgliedstaat für die Genehmigung von Risikobeihilfen in einem zweiten Prüfungsschritt zu belegen, dass die staatlichen Beihilfen erforderlich und geeignet sind und in einem angemessenen Verhältnis zum Marktversagen stehen. Die „ex-ante-Prüfung“ muss sich auf objektive und aktuelle Nachweise sowie auf verfügbare bewährte Verfahren und Methoden (Studien, Befragungen, Online-Umfragen oder geeignete quantitative Methoden) stützen, muss weniger als drei Jahre vor der Anmeldung der Risikofinanzierungsmaßnahme erfolgt sein und sollte von einem unabhängigen Sachverständigen vorgenommen werden. Die Mitgliedstaaten müssen nachweisen, dass ein spezifisches Marktversagen besteht, das über die rechtliche Vermutung hinausgeht, auf der die AGVO beruht. Bei Regelungen, die sich ausschließlich an Unternehmensneugründungen und KMU vor ihrem ersten kommerziellen Verkauf richten, stellt die Kommission für den Nachweis des Marktversagens geringere Anforderungen.

Besonders hervorzuheben ist, dass die neuen Leitlinien im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung differenzieren, warum eine Maßnahme nicht auf Grundlage der AGVO freigestellt werden kann:

Ist die AGVO nicht anwendbar, weil die Maßnahme auf Unternehmen abzielt, die nicht unter die AGVO fallen (z.B. Freistellung nur für KMU auf Grundlage von Art. 21 AGVO oder Überschreiten des Schwellenwerts) oder besteht keine Möglichkeit für die Freistellung auf Grundlage der AGVO, weil die Maßnahme aus anderen Gründen die Voraussetzung der AGVO nicht erfüllt sind (z.B. Maßnahmen mit geringerer privater Beteiligung in regional schwach entwickelten Gebieten).

Darüber hinaus prüft die Kommission im Rahmen der Genehmigungsfähigkeit, inwieweit die negativen Auswirkungen – beihilfebedingte Wettbewerbsverfälschungen und Beeinträchtigungen des Handels zwischen Mitgliedstaaten – begrenzt sind und sie die positiven Auswirkungen der Beihilfe nicht in einem Maße aufwiegen, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft. Im Rahmen dieser Prüfung werden negative und positive Faktoren gegeneinander abgewogen. Als positive Auswirkungen berücksichtigt die Kommission neben der Tatsache, dass durch die konkrete Maßnahme für Unternehmen der Zugang zu Finanzierungsmitteln verbessert wird u.a. auch die Zahl der mit der Maßnahme verbundenen potentiellen Arbeitsplätze, Patentanmeldungen und die Resilienz kritischer Lieferketten. Als negativ sind hingegen z.B. das Verdrängungsrisiko privater Investoren oder die Stärkung der Marktmacht von einzelnen Intermediären zu berücksichtigen.

Zur Wahrung der Transparenz müssen die Mitgliedstaaten Informationen in der Transparenzdatenbank der Kommission (TAM – transparency Award Module) oder auf nationalen oder regionalen Beihilfe-Website veröffentlichen. Inhalt der Veröffentlichungspflicht ist der Wortlaut der Beihilferegelung und der Durchführungsbestimmungen bzw. Link und die Angaben zu jeder Einzelbeihilfe von mehr als 100 000 EUR (Informationen gemäß Anhang der Leitlinien)

Geltungsbeginn der aktuellen Risikofinanzierungmaßnahmen ist der 01.01.2022, die Laufzeit ist unbegrenzt. Um den Vertrauensschutz für private Investoren sicherzustellen, bleiben Risikofinanzierungsregelungen zugunsten von KMU bis zum Ende der vorgesehenen Laufzeit gültig, wenn die Finanzierungsvereinbarung vor dem Tag der Veröffentlichung unterschrieben wurde. Im Übrigen sind die Beihilferegelungen innerhalb von sechs Monaten nach der Veröffentlichung im Amtsblatt anzupassen.

Fazit:

Die neuen Risikokapitalleitlinien setzen grundsätzlich an derselben Stelle an, wie auch zuvor die Leitlinien 2014: Ausgleich des Marktversagens aufgrund fehlender privater Investitionen insbesondere für Start-ups und KMU. Hilfreich dürften in der Praxis die klare Struktur und die Angleichung der Begrifflichkeiten im Verhältnis zur AGVO sein. Die Struktur der Prüfung der Genehmigungsfähigkeit von staatlichen Maßnahmen wird sich zukünftig in vergleichbarer Form vermutlich in allen neuen Rechtstexten finden, die auf Art. 107 Abs. 3 c AEUV zurückzuführen ist, ohne jedoch die Prüfung der Genehmigungsfähigkeit einer Beihilfe inhaltlich wesentlich zu verändern.

Auf wenig Begeisterung stößt sicherlich die Meldepflicht, die sich bereits auf Beihilfen ab 100.000 EUR bezieht und die sich auch an anderer Stelle im Beihilfenrecht finden wird und für die eine funktionierende technische Lösung gefunden werden muss.

 

Autorin: Anna Lazarova, Referendarin bei Müller-Wrede & Partner

Kommission nimmt überarbeitete IPCEI-Mitteilung an

Kommission nimmt überarbeitete IPCEI-Mitteilung an

Am 25.11.2021 hat die Europäische Kommission eine überarbeitete Mitteilung über die Beihilfevorschriften für wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse („IPCEI-Mitteilung“) angenommen. Die Kommission wendet die in der Mitteilung dargelegten Grundsätze ab dem 01.01.2022 an.

Die Überarbeitung der Mitteilung basiert dabei zum einen auf den Erfahrungen der Kommission aus der Anwendung der IPCEI-Mitteilung von 2014 und zum anderen auf der in 2019 durchgeführte Evaluierung in Verbindung mit einer umfassenden Konsultation interessierter Kreise. Hierbei beteiligten sich eine Vielzahl von Interessensträgern, wie Mitgliedsstaaten, Wirtschaftsverbänden, Unternehmen und NGOs. Darüber hinaus finden auch die aktuellen EU-Prioritäten – Digitalisierung und Green-Deal – Berücksichtigung in der aktualisierten Mitteilung.

Anforderungen an ein IPCEI

Nach Art. 107 Abs. 3 lit. b AEUV können Beihilfen zur Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden. In ihrer IPCEI-Mitteilung führt die Kommission die Kriterien an, die die Kommission bei der Würdigung staatlicher Beihilfen zur Förderung von IPCEI (Important Project of Common European Interest) zugrunde legt (zu den Voraussetzungen der Mitteilung von 2014 und ihrer Anwendung siehe insbesondere Startschuss für IPCEI zur Förderung des Aufbaus einer Wasserstoff-Wertschöpfungskette).

Die Kommission kann die Beihilfen auf Grundlage der IPCEI-Mitteilung genehmigen, wenn ein Vorhaben folgende Voraussetzungen erfüllt:

  1. einen wichtigen Beitrag zu den Zielen der EU leistet,
  2. nachweislich ein erhebliches Marktversagen behebt,
  3. von mindestens vier Mitgliedstaaten durchgeführt wird (Ausnahmen möglich),
  4. transparent und inklusiv ausgestaltet ist und allen Mitgliedsstaaten eine echte Gelegenheit bietet, sich an einem entstehenden Vorhaben zu beteiligen,
  5. über die teilnehmenden Mitgliedstaaten und Unternehmen hinaus konkrete positive Spillover-Effekte erzeugt, die der Wirtschaft und Gesellschaft der EU zugutekommen,
  6. eine umfangreiche Kofinanzierung durch die Unternehmen umfasst, die die staatlichen Beihilfen erhalten werden und
  7. keine negativen Umweltauswirkungen aufgrund der Nichtbeachtung des Grundsatzes der Vermeidung erheblicher Beeinträchtigungen hat, die wahrscheinlich nicht durch ausreichende positive Auswirkungen aufgewogen würden.

Die IPCEI-Mitteilung ergänzt hierbei andere Vorschriften über staatliche Beihilfen für innovative Vorhaben, wie sie die AGVO oder der Unionsrahmen für Forschung, Entwicklung und Innovation enthalten.

Änderungen in der überarbeiteten Mitteilung

Die überarbeitete IPCEI-Mitteilung behält zunächst die bereits zuvor enthaltene Struktur bei und bestätigt, dass durch das jeweilige IPCEI erhebliche Spillover-Effekte in der gesamten EU erzeugt werden sollen.

Nichtsdestotrotz enthält die neue Mitteilung einige maßgebliche Änderungen:

Beitrag zu den Zielen oder Strategien der Union

Die – auch bereits in der Mitteilung von 2014 enthaltene – Vorgabe des wichtigen Beitrags zu den Zielen und Strategien der Union wurde an die aktuellen EU-Prioritäten angepasst. So führt die entsprechende Vorschrift in Kapitel 3.2 der Mitteilung nunmehr den europäischen Grünen Deal, die Digitalstrategie, die digitale Dekade, die europäische Datenstrategien, die neue Industriestrategie für Europa und deren Aktualisierung, „Next Generation EU“, die europäische Gesundheitsunion, den neuen Europäischen Forschungsraum für Forschung und Innovation, den neuen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschat und das Ziel der Union, bis 2050 klimaneutral zu werden als Beispiele für Ziele und Strategien, zu denen ein konkreter, klarer und erkennbarer wichtiger Beitrag geleistet werden muss, auf.

Stärkung des europäischen und offenen Charakters von IPCEI

Die neue Mitteilung sieht nunmehr vor, dass in der Regel mindestens vier Mitgliedsstaaten an dem Vorhaben beteiligt sein müssen, sofern nicht die Art des Vorhabens eine geringere Zahl rechtfertigt (Rn. 16). Eine Fußnote (Fn. 17) führt Beispiele aus, in denen eine geringere Anzahl von Mitgliedsstaaten gerechtfertigt sein kann. Die IPCEI-Mitteilung von 2014 sah lediglich vor, dass in der Regel mehr als ein Mitgliedstaat beteiligt sein muss.

Neu ist auch die Vorschrift in Rn. 17, dass allen Mitgliedsstaaten eine echte Gelegenheit geboten werden muss, sich an einem neu entstehenden Vorhaben zu beteiligen und dass die das Vorhaben anmeldenden Mitgliedstaaten nachzuweisen haben, dass alle Mitgliedstaaten über das Vorhaben informiert wurden und ausreichend Gelegenheit zur Teilnahme hatten.

Erleichterung der Teilnahme für kleine und mittlere Unternehmen (KMU)

An verschiedenen Stellen stärkt die überarbeitete Mitteilung die Möglichkeit der Teilnahme von KMU an einem IPCEI. Im Einleitungskapitel betont Rn. 5, dass die Teilnahme durch KMU und Start-ups von besonderer Bedeutung ist.

Während der Beihilfeempfänger normalerweise einen erheblichen Kofinanzierungsbeitrag zu dem Vorhaben zu leisten hat, führt Fn. 19 aus, dass die Kommission bei der Beurteilung des Umfangs der Kofinanzierung die Besonderheiten bestimmter Wirtschaftszweige und von KMU berücksichtigt. In Ausnahmefällen kann die Beihilfe in diesem Zusammenhang gar ohne eine erhebliche Kofinanzierung als gerechtfertigt erachtet werden.

Als allgemeinen positiven Indikator für ein gemeinsames europäisches Interesse führt die Kommission in der überarbeiteten Mitteilung die Zusammenarbeit zwischen Großunternehmen und KMU, einschließlich Start-ups, an (Rn. 21 lit. d)).

Ausweislich der Fn. 30 muss der für ein IPCEI ggf. als zusätzliche Vorkehrung zur Gewährleistung der Angemessenheit der Beihilfe vorzusehende Rückforderungsmechanismus für KMU-Vorhaben nur unter außergewöhnlichen Umständen eingeführt werden.

Grundsatz der Vermeidung erheblicher Beeinträchtigungen

Ebenfalls neu ist die in Rn. 20 vorgesehene Anforderung des Nachweises, dass das Vorhaben den Grundsatz der Vermeidung erheblicher Beeinträchtigungen i.S.d. Art. 17 VO (EU) 2020/852 oder vergleichbare Methoden beachtet. Demnach wird die Kommission die Beachtung dieses Grundsatzes als wesentlichen Bestandteil ihrer Abwägung der positiven Auswirkungen der Beihilfe gegenüber potentiell negativen Auswirkungen auf Handel und Wettbewerb einbeziehen.

Sonstige Neuerungen

Rn. 35 enthält eine neue präzisierende Vorschrift zur Kumulierung von Beihilfen zur Förderung von IPCEI und Unionsmitteln oder anderen staatlichen Beihilfen.

Rn. 36 sieht vor, dass die Kommission den das Vorhaben anmeldendem Mitgliedsstaat auffordern kann, einen Rückforderungsmechanismus einzuführen, um sicherzustellen, dass die staatliche Beihilfe angemessen und auf das erforderliche Maß beschränkt bleibt. Die vorgesehene Ausgestaltung dieses Rückforderungsmechanismusses wird in der Randnummer weiter präzisiert.

Autor: Christopher Hanke, Müller-Wrede & Partner

Änderung des Temporary Framework

Änderung des Temporary Framework

Am 18. November 2021 hat die Kommission die 6. Änderung des Befristeten Rahmens für staatliche Beihilfen beschlossen. Der ursprünglich am 19. März 2020 erlassene Befristete Rahmen wurde bereits am 3. April, 8. Mai, 29. Juni und am 13. Oktober 2020 sowie am 28. Januar 2021 geändert.

Die aktuelle Änderung sieht nun vor allem folgenden Anpassungen vor:

  • Verlängerung der Anwendung für alle Beihilfemaßnahmen des Befristeten Rahmens bis zum 30. Juni 2022
  • Einführung zweier neuer Instrumente für Investitionsförderung und befristeten Solvenzhilfen
  • Anpassung Beihilfehöchstbeträge für bestimmte Beihilfearten im Verhältnis zur verlängerten Laufzeit

Verlängerung der Geltungsdauer

Der Befristete Rahmen, der eigentlich am 31. Dezember 2021 auslaufen sollte, wird bis zum 30. Juni 2022 verlängert. Durch die Verlängerung soll ein schrittweiser und koordinierter Ausstieg aus den Krisenmaßnahmen gefördert werden, indem es den Mitgliedstaaten ermöglicht wird, ihre Förderregelungen zu verlängern und sicherzustellen, dass den noch oder erneut von der Krise betroffenen Unternehmen nicht auf einmal die notwendige Unterstützung entzogen wird.

Neue Maßnahmen

Um die Beihilfen in dem „Temporary Framework“ an die weitergehenden Ziele der EU-Kommission im Rahmen des Green-Deals und der Digitalstrategie zu koppeln, hat die Kommission zwei neue Instrumente eingeführt. Diese sollen Anreize für private Investitionen schaffen (unter Abschnitt 3.13) und Solvenzmaßnahmen (unter Abschnitt 3.14) eine schnellere, umweltfreundliche und digitale Erholung der Wirtschaft ermöglichen.

Instrument zur Investitionsförderung

Die Mitgliedstaaten können Anreize für Investitionen von Unternehmen (wie Darlehen, Garantien oder rückzahlbare Vorschüsse) schaffen. Ziel ist es, damit die durch die Krise verursachte Investitionslücke zu schließen. Dieses Instrument steht den Mitgliedstaaten bis zum 31. Dezember 2022 zur Verfügung. Beihilfen können dabei nur auf Grundlage einer Beihilferegelung gewährt werden. Der Höchstbetrag einer Einzelbeihilfe darf je Unternehmen grundsätzlich – außer in vom Mitgliedstaat hinreichend zu begründenden Fällen – 1 % der für die betreffende Regelung zur Verfügung stehenden Gesamtmittel nicht übersteigen. Die Gesamtbeihilfe ist jedoch begrenzt, wobei der Höchstbetrag vom verwendeten Beihilfeinstrument abhängt. Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten die Beihilfen auf Investitionen beschränken, die bestimmte Bereiche unterstützen, die für die wirtschaftliche Erholung von besonderer Bedeutung sind.

Instrument für befristete Solvenzhilfen

Die Mitgliedstaaten können privaten Intermediären Garantien gewähren und dadurch Anreize für Investitionen in kleine und mittlere Unternehmen (KMU) einschließlich Start-Ups und kleiner Unternehmen schaffen. Das Instrument steht den Mitgliedstaaten bis zum 31. Dezember 2023 zur Verfügung.

Die Förderung muss als Anreiz für private Investitionen in Eigenkapital, nachrangige Verbindlichkeiten oder Quasi-Eigenkapital, einschließlich stiller Beteiligungen oder partizipativer Darlehen bereitgestellt werden. Sie kann nur auf der Grundlage einer Regelung in Form öffentlicher Garantien oder ähnlicher Maßnahmen für zweckgebundene Investmentfonds als Anreiz für Investitionen gewährt werden. Der Gesamtbetrag darf € 10 Mio. pro Unternehmen nicht überschreiten.

Weitere Änderungen

Unter anderem hat die Kommission die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, rückzahlbare Instrumente, die auf der Grundlage des Befristeten Rahmens gewährt wurden, in andere Beihilfeformen wie direkte Zuschüsse umzuwandeln, um ein Jahr bis zum 30. Juni 2023 verlängert. Die Beihilfehöchstbeträge für bestimmte Beihilfearten wurden angepasst. So hat die Kommission die Obergrenzen für Kleinbeihilfen von € 1.8 Mio. auf € 2.3 Mio. bzw. auf € 345.000 im Fischerei-/Aquakultursektor (bislang € 270.000) und auf € 290.000 im Agrarsektor (bislang € 225.000) angehoben (Abschnitt 3.1). Ferner wurde die Erhöhung der Obergrenzen für Fixkosten von € 10 Mio. auf € 12 Mio. beschlossen (Abschnitt 3.12).

Unter anderem hat die Kommission die Anwendung der Bestimmungen zur außerordentlichen Flexibilität im Zusammenhang mit den Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien der Kommission näher erläutert. Insbesondere stellt die Kommission klar, dass es je nach Einzelfall gerechtfertigt sein kann, dass Eigenbeiträge weniger als 50 % der Umstrukturierungskosten ausmachen, solange die Beiträge erheblich sind und zusätzliche, zu Marktbedingungen neu bereitgestellte Finanzmittel umfassen. Darüber hinaus stellt der Temporary Framework bei der Prüfung des Status eines Unternehmens als Unternehmen in Schwierigkeiten auch weiterhin auf den 31. Dezember 2019 ab.

Schließlich hat die Kommission im Zusammenhang mit der kurzfristigen Exportkreditversicherung die Geltungsdauer der Anpassung des Verzeichnisses der Länder mit nicht marktfähigen Risiken um weitere drei Monate bis zum 31. März 2022 verlängert.

 

Autorin: Anna Lazarova, Referendarin bei Müller-Wrede & Partner

 

 

EuGH zur Kontrolle durch öffentliche Stellen im Sinne der KMU-Definition

EuGH zur Kontrolle durch öffentliche Stellen im Sinne der KMU-Definition

Ist ein Unternehmen bereits nicht als KMU einzustufen, weil es unter der Kontrolle eines verbundenen Unternehmens steht, welches wiederum indirekt von öffentlichen Stellen kontrolliert wird?

Diese komplex daherkommende und sinngemäß so vom VG Berlin in einem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtete Frage gab dem EuGH Anlass, sich in einem Urteil vom 24.09.2020 (C-516/19 – NMI Technologietransfer) umfassend und teils lehrbuchartig mit dem KMU-Begriff auseinanderzusetzen. Im Blickpunkt stand hierbei neben den Merkmalen des Begriffs und seinen Ausnahmen vor allem die Auslegung der Begriffe der „öffentlichen Stelle“ und der „Kontrolle“.

Sachverhalt und Ausgangsverfahren

Am 26.07.2016 beantragte die NMI TT GmbH (im Folgenden „NMI TT“) eine Zuwendung aus einem Programm für die Finanzierung von Forschungs- und Entwicklungsprojekten. Antragsberechtigt sind nach den Vorschriften der das Programm regelnden Leitlinie KMU mit Geschäftsbetrieb in Deutschland.

90 % des Stammkapitals und 88,8 % der Stimmrechte der NMI TT werden vom NMI-Institut, einer rechtsfähigen gemeinnützigen Stiftung bürgerlichen Rechts, gehalten. Zu den Aufgaben der NMI TT gehört vor allem die finanziell gewinnbringende Umsetzung von Forschungsergebnissen, die am NMI-Institut gewonnen werden. Das Stiftungskapital des NMI-Instituts wird wiederum von privaten Gesellschaftern und zu einem Anteil von ca. 6 % von der Stadt Reutlingen gehalten. Sein Kuratorium besteht u.a. aus jeweils ehrenamtlich tätigen zwei Vertretern von Ministerien eines Bundeslandes, dem Oberbürgermeister der Stadt Reutlingen, dem Rektor und drei Professoren einer Universität sowie dem Präsidenten einer Hochschule Reutlingens und dem Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Reutlingens. Das Kuratorium verfügt über erhebliche Beratungs- und Entscheidungsbefugnisse über die inhaltliche Planung, die Finanzplanung, die Bestellung, Abberufung und Entlastung des Vorstands und der Satzungsänderung und -auflösung. Sämtliche Mitglieder des Kuratoriums sind Mitglieder der Geschäftsleitung bei NMI TT.

Mit Bescheid vom 28.02.2017 lehnte die Projektträgergesellschaft den Antrag ab. Als Begründung führte sie an, NMI TT sei kein KMU im Sinne des Anhangs I der AGVO (Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung – Verordnung Nr. 651/2014 AGVO, im Folgenden „Anhang I“). Es sei von einer indirekten Kontrolle durch öffentliche Stellen im Sinne des Art. 3 Abs. 4 des Anhangs I auszugehen. Denn bei NMI TT und dem NMI-Institut handele es sich um verbundene Unternehmen nach Art. 3 Abs. 3a) des Anhangs I und das Kuratorium des NMI-Instituts bestünde mehrheitlich aus staatlichen Stellen.

Nachdem ein Widerspruchs NMI TTs gegen den Bescheid zurückgewiesen wurde, reicht NMI TT Klage beim VG Berlin mit der Begründung ein, dass die Projektträgergesellschaft die Einflussmöglichkeiten öffentlicher Stellen auf das NMI-Institut falsch beurteilen würde. Die Stiftung richte sich allein am Stifterwillen aus. Das Kuratorium sei ein beratendes Fachgremium, das die Entscheidungen des NMI-Instituts oder von NMI TT nicht beeinflussen könne.

Das VG Berlin setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH eine Reihe von Fragen zur Vorabentscheidung vor, die der EuGH zu der eingangs formulierten Frage zusammenfasste.

Die Ausführungen des EuGH zur KMU-Definition

Der EuGH macht in seinem Urteil zunächst allgemeine Ausführungen zu den Kriterien einer Einstufung eines Unternehmens als KMU, bevor er eine ausführliche Auslegung der Begriffe der „öffentlichen Stelle“ und der „Kontrolle“ vornimmt. Im Rahmen dieser Auslegung trifft der EuGH einige grundlegende Aussagen zur KMU-Definition und zu ihren Ausnahmevorschriften.

Allgemeines

Zunächst wird im Urteil angeführt, dass ein Unternehmen als KMU im Sinne der AGVO eingestuft werden kann, wenn es drei Kriterien erfüllt: Die beiden in Art. 2 des Anhangs I geregelten Kriterien, der Zahl der Beschäftigten und des Jahresumsatzes / der Jahresbilanzsumme und das in Art. 3 geregelte Unabhängigkeitskriterium.

Zum Unabhängigkeitskriterium stellt er EuGH dann heraus, dass dieses dazu dient, sicherzustellen, dass die für KMU vorgesehenen Maßnahmen auch tatsächlich die Unternehmen erreichen, die aufgrund ihrer Größe Nachteilen ausgesetzt sind. Die Maßnahmen sollen aber grade nicht solchen Unternehmen zugutekommen, die als Teil eines größeren Konzerns Zugang zu Mitteln haben, die eigenständigen KMUs nicht zur Verfügung stehen.

In der Folge stellt der EuGH die verschiedenen Regelungen des Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 des Anhangs I vor, nach denen ein Unternehmen als „Partnerunternehmen“ oder „verbundenes Unternehmen“ das Unabhängigkeitskriterium nicht erfüllt, um dann zum für die hier behandelte Entscheidung zentralen Art. 3 Abs. 4 des Anhangs I überzuleiten. Dieser Art. 3 Abs. 4 stellt eine allgemeine Regel zum Ausschluss von der Qualifizierung eines Unternehmens als KMU auf, wenn

mindestens 25 % seines Kapitals oder seiner Stimmrechte – gegebenenfalls indirekt – von einer oder mehreren öffentlichen Stellen einzeln oder gemeinsam gehalten werden, es sei denn, bei diesen öffentlichen Stellen handelt es sich um in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Buchst. a bis d dieses Anhangs genannte Investoren, die nicht im Sinne von Art. 3 Abs. 3 dieses Anhangs mit diesem Unternehmen verbunden sind.

Im Ausgangsrechtsstreit war unstreitig – und konnte auch vom EuGH zugrunde gelegt werden -, dass es sich bei NMI TT und dem NMI-Institut um verbundene Unternehmen i.S.v. Art. 3 Abs. 3 handelt, da das NMI-Institut die Mehrheit der Stimmrechte bei NMI TT hält. Deshalb konnte der EuGH die Einschränkung des zweiten Halbsatzes außer Acht lassen und einzig und allein prüfen, ob NMI TT im Sinne des Art. 3 Abs. 4 (indirekt) von öffentlichen Stellen kontrolliert wurde.

Zum Begriff „öffentliche Stelle“

Hierbei hatte der EuGH zunächst zu klären, ob Einrichtungen wie Universitäten, Hochschulen oder Industrie- und Handelskammern vom Begriff der „öffentlichen Stelle“ des Art. 3 Abs. 4 des Anhangs I umfasst sind.

Hierbei stellte er zunächst klar, dass Art. 3 Abs. 4 des Anhangs I für seine Auslegung nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist. Begriffe unionsrechtlicher Bestimmungen, die für ihre Auslegung nicht ausdrücklich auf nationales Recht verweisen, sind in der gesamten Union unabhängig von den in den Mitgliedstaaten verwendeten Begriffen als autonomer Begriff des Unionsrechts vom EuGH einheitlich für alle Mitgliedsstaaten auszulegen.

Die Auslegung nimmt der EuGH anhand des Wortlautes, des Kontextes der Vorschrift und des Ziels der Regelung, zu der die Vorschrift gehört, vor.

Als Auslegungsergebnis definiert er den Begriff in einem sehr weit reichenden Verständnis als „alle Einrichtungen oder Behörden der öffentlichen Hand, einschließlich der Gebietskörperschaften und der besonders zur Erfüllung von Bedürfnissen des Allgemeininteresses geschaffenen Stellen, die eine Rechtspersönlichkeit besitzen und überwiegend durch den Staat, durch Gebietskörperschaften oder andere öffentliche Stellen finanziert bzw. direkt oder indirekt von ihnen kontrolliert werden.“

Dieses Auslegungsergebnis beruht auf folgenden Erwägungen:

Innerhalb der Wortlautauslegung versteht der EuGH den Begriff seinem üblichen Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch als sämtliche Einrichtungen, die der öffentlichen Hand zuzuordnen sind, umfassend.

Im Rahmen des Kontextes der Vorschrift bezieht sich der EuGH auf den 13. Erwägungsgrund der KMU-Empfehlung der Kommission vom 06.05.2003 (auf der der Begriff „KMU“ i.S.d. Anhangs I beruht), nach dem der vorgesehene Ausschluss im Interesse der Rechtssicherheit alle verschiedenen staatlichen Stellen eines Mitgliedsstaates umfasst, um willkürliche Unterscheidungen zu vermeiden. Ferner zieht der EuGH die Richtlinie 2006/111 der Kommission heran, in der der Begriff der „öffentlichen Hand“ dahingehend definiert wird, dass er auch regionale, lokale und alle anderen Gebietskörperschaften umfasst.

Das mit Art. 3 Abs. 4 des Anhangs I verfolgte Ziel der Sicherstellung des Unabhängigkeitskriteriums soll wiederum gewährleisten, dass die für die KMU-Förderung bestimmten Mittel nur solchen Unternehmen zugutekommen, die diese Mittel benötigen, um die mit ihrer Größe verbundenen Hindernisse überwinden zu können. Zur öffentlichen Hand gehörende Einrichtungen gleich welcher Art oder Organisation hingegen können aufgrund verschiedener – auch wirtschaftlicher und finanzieller – Mittel einem Unternehmen auch so ermöglichen, diese Hindernisse zu überwinden.

Schließlich stellt der EuGH – auf Vortrag von NMI TT, dass nach S. 19 des „Benutzerleitfadens zur Definition von KMU“ der Kommission Universitäten nicht als „öffentliche Stellen“ angesehen werden können – ausdrücklich klar, dass der Leitfaden für die Kommission keine rechtliche Wirkung hat und für die Kommission nicht bindend ist – und erst recht nicht für den EuGH.

Die Empfehlung von 2003 […] ist die einzig verbindliche Grundlage bei der Bestimmung der Voraussetzung für die Erfüllung der KMU-Kriterien“.

Es ist nunmehr Sache des VG Berlin zu prüfen, ob die genannten Einrichtungen öffentliche Stellen im Sinne dieser Auslegung sind. Hierbei kommt es nach einer weiteren Klarstellung des EuGH ausdrücklich nicht darauf an, dass die auf Vorschlag dieser Einrichtungen berufenen Personen ehrenamtlich für das Unternehmen tätig sind. Entscheidend ist einzig, ob sie in ihrer Eigenschaft als Mitglieder von öffentlichen Stellen berufen werden.

Zum Begriff „Kontrolle“

Schließlich hatte der EuGH zu beurteilen, wann eine solche öffentliche Stelle die „Kontrolle“ über ein Unternehmen im Sinne des Art. 3 Abs. 4 des Anhangs I ausübt. Auch die Auslegung dieses Begriffs hat anhand des Wortlautes, des Kontextes der Vorschrift und des Ziels der Regelung, zu der die Vorschrift gehört, zu erfolgen.

Hierbei stand die Frage im Mittelpunkt, ob lediglich verlangt werden muss, dass öffentliche Stellen mindestens 25 % des Kapitals oder der Stimmrechte des betreffenden Unternehmens halten oder ob darüber hinaus die öffentlichen Stellen die tatsächliche Ausübung der Stimmrechte ihrer Vertreter beeinflussen können müssen bzw. die Vertreter den Interessen der öffentlichen Stellen Rechnung tragen müssen. Dies vor dem Hintergrund, dass im streitigen Fall das überwiegend von Vertretern von nach deutschem Recht staatlichen Stellen besetzte Kuratorium nach dem Vortrag von NMI TT lediglich als beratendes Fachgremium ohne echte Einflussmöglichkeiten zu betrachten sei.

Das Auslegungsergebnis führt den EuGH zu einer sehr formalen Betrachtungsweise des Begriffs der „Kontrolle“ durch öffentliche Stellen:

Eine solche „Kontrolle“ liegt bereits dann vor, „wenn öffentliche Stellen gemeinsam, sei es auch indirekt, gemäß der Satzung des Unternehmens, das die direkte Kontrolle über das betreffende Unternehmen ausübt, mindestens 25 % des Kapitals oder der Stimmrechte des betreffenden Unternehmens halten, ohne dass darüber hinaus zu prüfen wäre, ob diese Stellen in der Lage sind, zu beeinflussen und zu koordinieren, wie ihre Stimmrechte tatsächlich durch ihre Vertreter ausgeübt werden, oder ob diese Vertreter den Interessen der genannten Stellen tatsächlich Rechnung tragen.“

Es kommt also einzig und allein darauf an, ob öffentliche Stellen 25 % des Kapitals oder der Stimmrechte des Unternehmens halten. Dieses Ergebnis beruht auf folgenden Erwägungen des EuGH:

Der Wortlaut des Art. 3 Abs. 4 des Anhangs I knüpft im Einklang mit dem 13. Erwägungsgrund der Empfehlung von 2003 einzig an diese Höhe an, ohne das tatsächliche Verhalten der Stellen oder ihrer Vertreter zu umfassen.

Betrachtet man den Kontext, in dem Art. 3 Abs. 4 des Anhangs I steht, hält der EuGH zunächst fest, dass Art. 3 ausdrücklich verschiedene Regelungen vorsieht, nach denen bei der Beurteilung der Unabhängigkeit eines Unternehmens auf die tatsächliche Einflussnahme abzustellen ist. So stellt Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 des Anhangs I eine Vermutung auf, dass in den dort aufgeführten Fällen kein beherrschender Einfluss ausgeübt wird, obwohl es sich nach formaler Betrachtung um ein verbundenes Unternehmen handelt. Umgekehrt sieht Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 4 des Anhangs I Fälle vor, in denen eine wirtschaftliche Einheit anzunehmen ist, obwohl die formalen Anforderungen hieran nicht erfüllt sind.

Da die Definition des KMU-Begriffs wegen ihrer weitreichenden Vorteile für die umfassten Unternehmen eng auszulegen ist und Art. 3 des Anhangs I die aufgeführten Ausnahmen von einer formalen Betrachtungsweise vorsieht, stützt auch die Kontextauslegung nach den Ausführungen des EuGH das Ergebnis, dass es bei Art. 3 Abs. 4 des Anhangs I – der eine solche Ausnahme grade nicht vorsieht – auf eine rein formale Betrachtungsweise ankommt.

Schließlich führt der EuGH als Ziel des Art. 3 Abs. 4 des Anhangs I zum einen die Gewährleistung des Unabhängigkeitskriteriums an. Bestehen zwischen Unternehmen strukturelle Verflechtungen bei Beteiligungen und Stimmrechten, bedeutet dies – unabhängig vom tatsächlichen Verhalten – bereits die Möglichkeit einer geschäftlichen Einflussnahme. Zum anderen sehen der 30. Erwägungsgrund der AGVO und der 13. Erwägungsgrund der Empfehlung von 2003 als Ziel der Vorschrift vor, Transparenz und Verfahrenssicherheit zu erhöhen. Eine rein formale Betrachtungsweise ohne Prüfung des konkreten Verhaltens der beteiligten Stellen oder ihrer Vertreter vereinfacht den zuständigen Behörden nach den Schlussfolgerungen des EuGH auch die Anwendung der in Art. 3 Abs. 4 des Anhangs I vorgesehene Ausschlussregel.

Für den konkreten Fall bedeutet dies, dass das VG Berlin nun zu prüfen hat, ob denjenigen Vertretern des Kuratoriums des NMI-Instituts, die als Vertreter öffentlicher Stellen anzusehen sind, über die Satzung des NMI-Instituts indirekt mehr als 25 % der Stimmrechte bei NMI TT verliehen werden.

Fazit

Eine lehrbuchartige Entscheidung des EuGH, die nicht nur nach umfassenden Ausführungen zum Auslegungsmaßstab klare Definitionen der Begriffe der „öffentlichen Stelle“ und der „Kontrolle“ hervorbringt und sich ausführlich zu Sinn und Zweck des Unabhängigkeitskriteriums äußert, sondern auch allgemeine im Rahmen der KMU-Definition zu beachtende Maßstäbe setzt und bestätigt:

Der Begriff des KMU nach Anhang I ist eng auslegen und der „Benutzerleitfaden zur Definition von KMU“ ist für die Kommission im Gegensatz zur Empfehlung von 2003 nicht verbindlich.

 

Autor: Christopher Hanke, Müller-Wrede & Partner

 

 

 

 


 
Konsultation des AGVO-Entwurfs

Konsultation des AGVO-Entwurfs

Am 6. Oktober 2021 hat die Europäische Kommission eine öffentliche Konsultation zu den vorgeschlagenen Änderungen der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) gestartet. Bis zum 8. Dezember haben nun Mitgliedstaaten, Behörden, Unternehmen und andere Interessenträger die Möglichkeit ihre Stellungnahmen abzugeben.

Der aktuelle Vorschlag folgt auf die jüngste Änderung der AGVO, die die Kommission im Juli 2021 (zu Einzelheiten siehe Neue Freistellungstatbestände in der AGVO) angenommen hat, um die einschlägigen Beihilfevorschriften an die Finanzierungsvorschriften des neuen Finanzrahmens anzupassen. Die Kommission schlägt nun eine Reihe weiterer Anpassungen der AGVO insbesondere vor dem Hintergrund des ökologischen und digitalen Wandels und zur Überwindung der Folgen der Corona-Pandemie vor. Ziel der Änderungen ist es außerdem, im Zuge der laufenden Überarbeitung der Leitlinien für Klima-, Energie- und Umweltschutzbeihilfen, der Risikofinanzierungsleitlinien und des Unionsrahmens für Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsbeihilfen sowie den vorgenommenen Änderungen in den Regionalbeihilfeleitlinien Rechnung zu tragen. Dabei geht es um die Anpassung von Begrifflichkeiten und die Gewährleistung der Kohärenz zwischen den auf dieselben Ziele ausgerichteten Regelwerken.

Zusammenfassend werden folgende Änderungen und Ergänzungen der AGVO vorgeschlagen:

Regionalbeihilfen

Nach der Annahme der ab 2022 geltenden Leitlinien für Regionalbeihilfen wird der sektorale Anwendungsbereich für Regionalbeihilfen angepasst z.B. durch Ausschluss von Braunkohle, Einbeziehung von Kunstfasern und Schiffbau und der Präzisierung der Definition des Verkehrs- und des Energiesektors. Außerdem wird die bisher nur in Gebieten mit sehr geringer Bevölkerungsdichte bestehende Möglichkeit der Gewährung von Betriebsbeihilfen zur Verhinderung und Verringerung der Abwanderung auf Gebiete mit geringer Bevölkerungsdichte ausgeweitet. Zudem erfolgt eine Anpassung der Anmeldeschwellen für Regionalbeihilfen unter Berücksichtigung aller unterschiedlichen Beihilfeintensitäten.

Risikofinanzierungsbeihilfen

Die Kommission schlägt vor, die Vorschriften für Risikofinanzierungsbeihilfen klarer und gestraffter zu fassen und auch „grüner“ auszugestalten. So plant die Kommission z.B. einen „Ökobonus“ für Investitionen zur Verbesserung der Umweltleistung. Dabei muss die Investition nur 30% anstatt 50% des durchschnittlichen Jahresumsatzes des KMU betragen, damit das betroffene KMU Risikofinanzierungsbeihilfen erhalten kann.

Darüber hinaus wird vorgeschlagen, den Anwendungsbereich von Beihilfen für Unternehmensgründungen auf Beihilfen in Form der Übertragung von Rechten an geistigem Eigentum von einer Forschungseinrichtung auf kleine und innovative Unternehmen auszuweiten, die ein neues Produkt oder Dienstleistung auf den Markt bringen.

Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsbeihilfen („FEI-Beihilfen“)

Die Voraussetzungen für die Gewährung von Beihilfen für Forschung, Entwicklung und Innovation ohne vorherige Anmeldung und Genehmigung sollen ebenfalls vereinfacht werden. Dazu gehört z.B. die Anwendung eines vereinfachten Kostenansatzes für die Berechnung der indirekten Kosten von FuE-Vorhaben. Geplant ist die Einführung einer neuen Begriffsbestimmung und von Vereinbarkeitskriterien für die Förderung von Erprobungs- und Versuchsinfrastrukturen (auch als Technologieinfrastrukturen bezeichnet).

Schließlich schlägt die Kommission vor, dass digitale Innovationszentren einschließlich der über das Programm „Digitales Europa“ finanzierten digitalen Innovationszentren als Innovationscluster im Sinne der AGVO eingestuft werden.

Umwelt- und Energiebeihilfen

Die Mitgliedstaaten sollen weitere Möglichkeiten zur Unterstützung verschiedener Arten von „grünen“ Projekten erhalten. Die vorgeschlagenen Änderungen konkretisieren Produkte und Projekte, die bis zu einem bestimmten Betrag von der Anmeldepflicht ausgenommen sind, wie zum Beispiel:

  • die Verringerung von CO2-Emissionen im Einklang mit den Zielen des Grünen Deals
  • die Rehabilitierung von natürlichen Lebensräumen und Ökosystemen
  • den Schutz bzw. die Wiederherstellung der Biodiversität
  • Einkauf von sauberen oder emissionsfreien Fahrzeugen
  • Lade- und Betankungsinfrastruktur

Zudem soll mit den Änderungen der zunehmenden Rolle der Speicherung bei der Integration erneuerbarer Energien in die Stromversorgung Rechnung getragen werden, indem die bestehenden Ausnahmen für Investitions- und Betriebsbeihilfen für erneuerbare Energien auf Speicherprojekte ausgeweitet werden, die direkt mit neuen oder bestehenden Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie verbunden sind.

Auch Investitionen in Wasserstoffprojekte und Wasserstoffinfrastrukturen der Kommission im Einklang mit den Zielen der Wasserstoffstrategie für ein klimaneutrales Europa sind in den Vorschlägen enthalten. Zur Förderung von grünem Wasserstoff werden Betriebsbeihilfen von der Anmeldepflicht befreit.

Die im Vorschlag der Kommission angesprochenen neuen grünen Projekte werden im Artikel 1 AGVO jeweils definiert, um deren Anwendungsbereich klarzustellen.

Zum Zwecke der Förderung des digitalen Wandelns ist ebenfalls Einführung eines „Ökobonus“ für Beihilfen zur Verbesserung der Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden z.B. durch Installation von Ausrüstung für die Digitalisierung des Gebäudes einschließlich strukturierter Verkabelung für Datennetze vorgesehen.

Neben der Konsultation wird der Vorschlagsentwurf auch in zwei Sitzungen zwischen Kommission und Mitgliedstaaten diskutiert. Die erste Sitzung findet gegen Ende des Konsultationszeitraums statt, die zweite nach der Überarbeitung des Entwurfs auf der Grundlage der eingegangenen Beiträge.

Die Annahme der überarbeiteten AGVO ist für das erste Halbjahr 2022 geplant.

 

Autorin: Anna Lazarova, Referendarin bei Müller-Wrede & Partner

EuGH: Belgische „tax rulings“ stellen eine Beihilferegelung dar

EuGH: Belgische „tax rulings“ stellen eine Beihilferegelung dar

Erneut musste sich der EuGH mit sog. „tax-rulings“ beschäftigen. Dieses Mal ging es um eine belgische Verwaltungspraxis zugunsten von multinationalen Konzernen und in diesem Zusammenhang um die Frage, ob diese Verwaltungspraxis eine Beihilferegelung darstellt.

Auf Grundlage dieser Verwaltungspraxis wurden Gewinne multinationaler Konzerne, die über den durchschnittlichen Gewinn eines eigenständigen Unternehmens in vergleichbarer Lage hinaus gingen, nicht als „Gewinnüberschuss“ besteuert (zu Einzelheiten siehe „Only in Belgium“).

Die vierte Kammer des Europäischen Gerichtshofs (im Folgenden „EuGH“) hat mit Urteil vom 16.09.2021 (Rechtssache C-337/19 P) entschieden, dass es sich dabei um eine Beihilferegelung handel und insofern den Beschluss (EU) 2016/199 der Kommission vom 11.01.2016 (siehe auch zum Beschluss der Kommission „Only in Belgium“) bestätigt.

Die sich gegen diese Feststellung richtenden Klagegründe wurden zurückgewiesen. Im Übrigen wurde die Sache an das Gericht (im Folgenden „EuG“) zurückverwiesen. Das EuG ging im Ausgangsrechtsstreit noch davon aus, dass es sich bei den streitigen sog. „tax rulings“ nicht um eine Beihilferegelung handele.

Die Entscheidung im Einzelnen:

Das EuG hat in seinem erstinstanzlichen Urteil nach Ansicht des EuGH die Voraussetzungen des Art. 1 Buchst. d der Verordnung 2015/1589 falsch ausgelegt und ist fehlerhaft zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei dem gegenständlichen belgischen „tax ruling“ nicht um eine Beihilferegelung handele. Nach den Ausführungen des EuGH setzt die Einstufung als „Beihilferegelung“ das Vorliegen drei kumulativer Voraussetzungen voraus:

Unternehmen können auf der Grundlage einer Regelung Einzelbeihilfen gewährt werden (1.), für die Gewährung der Beihilfen ist keine nähere Durchführungsmaßnahme erforderlich (2.), Unternehmen, denen Einzelbeihilfen gewährt werden können, müssen in allgemeiner und abstrakter Weise definiert werden (3.).

Das EuG hat in der Anwendung aller drei Voraussetzungen Rechtsfehler begangen.

So werden mit dem Begriff „Regelung“ im Allgemeinen zwar Rechtsakte bezeichnet, die die Rechtsgrundlage der Beihilferegelung bilden. Doch hat das EuG verkannt, dass hierunter auch eine ständige Verwaltungspraxis fallen kann, wenn diese Praxis ein „systematisches Konzept“ erkennen lässt und dass die Kommission zurecht vom Vorliegen eines solchen systematischen Konzepts ausgegangen ist. Die Kommission konnte ihre Annahme insofern auf repräsentative Stichproben aus einem Drittel der Steuerbescheide stützen.

Betreffend die zweite Voraussetzung nahm das EuG an, dass die zuständigen Behörden jeden Antrag im Einzelfall geprüft und hierbei ein Ermessen ausgeübt hätten, was insofern eine Durchführungsmaßnahme dargestellt hätte. Diese Schlussfolgerung ist ausgehend von der Annahme, dass keine eine „Regelung“ begründende ständige Verwaltungspraxis im Sinne eines systematischen Konzepts vorliegt, zwar folgerichtig. Das EuG verkennt insgesamt aber, dass die ständige Verwaltungspraxis der belgischen Behörden grade darin bestand, bei Vorliegen der Voraussetzungen einen entsprechenden Steuerbescheid zu erlassen, ohne dass hierbei ein Ermessen ausgeübt worden wäre oder eine andere Durchführungsmaßnahme erforderlich wäre.

Auch die fehlerhafte Beurteilung des EuG der dritten Voraussetzung ergibt sich zwangsläufig aus den Rechtsfehlern im Zusammenhang mit den ersten beiden Voraussetzungen. So müssten nach den Ausführungen des EuG in Ermangelung einer die Begünstigten festlegenden Regelung die Begünstigten erst durch nähere Durchführungsmaßnahmen definiert werden. Die Begünstigten wurden aber bereits durch die als Regelung zu verstehende Verwaltungspraxis hinreichend bestimmt.

Im Ergebnis nimmt der EuGH deshalb das Vorhandensein einer Beihilferegelung im Sinne des Art. 1 Buchst. d der Verordnung 2015/1589 an.

Da die Klage aber auch die Einstufung der Kommission des Systems der Befreiung von Gewinnüberschüssen als staatliche Beihilfemaßnahme im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV umfasste und der EuGH für die hier anzustellende Tatsachenwürdigungen im Rahmen der Prüfung eines Vorteils und der Selektivität nicht über die erforderlichen Tatsachen verfügte, verwies er die Sache insoweit an das EuG zurück. Selbiges betrifft die Rügen der Kläger zu Verstößen gegen die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und des Vertrauensschutzes und gegen eine fehlerhafte Anordnung der Rückforderung.

Autor: Christopher Hanke, Müller-Wrede & Partner

Intra-EU-BIT´s – immer noch auf dem unionsrechtlichen Prüfstand

Intra-EU-BIT´s – immer noch auf dem unionsrechtlichen Prüfstand

Bilaterale Investitionsschutzabkommen sind der Kommission bereits seit Jahren ein Dorn im Auge. Dies insbesondere deshalb, da die auf Grundlage eines Schiedsspruchs festgelegten Schadensersatzleistungen nach Auffassung der Kommission eine rechtswidrige staatliche Beihilfe zugunsten des Investors enthalten.

Was sind „Bilateral Investment Treaties“ oder kurz „BIT´s“?

In Form von völkerrechtlichen Verträgen fördern und schützen BITs grenzüberschreitende Investitionen. Bei den durch die Mitgliedstaaten abgeschlossenen BITs ist zwischen Abkommen mit Drittstaaten und bilateralen Abkommen zwischen Mitgliedstaaten (sog. Intra-EU-BITs) zu unterscheiden. Bei Letzteren handelt es sich überwiegend um Abkommen, die unmittelbar vor den EU-Erweiterungen von 2004, 2007 und 2013 zwischen Mitgliedstaaten und Beitrittskandidaten abgeschlossen wurden. Ziel dieser Vereinbarungen war es, zum damaligen Zeitpunkt privaten Anlegern bei ihren Investitionsentscheidungen mehr Rechtssicherheit zu gewähren. Neben Schutzklauseln gegen Inländerdiskriminierung und Entschädigungsregelungen bei Enteignung enthalten diese Abkommen auch Regelungen für Schiedsgerichtsverfahren. Im Rahmen dieser Verfahren haben Investoren die Möglichkeit, Schadensersatzansprüche gegenüber dem Gaststaat geltend zu machen. Mit Beitritt wurden diese Länder zu Mitgliedstaaten der EU und die bilateralen Investitionsschutzabkommen zu „Intra-EU-BIT’s“.

„Achmea“ und Unionsrechtswidrigkeit der BIT‘s

Mit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon am 1. Januar 2009 wurden die Kompetenzen zur Regelung von „ausländischen Direktinvestitionen“ auf die EU übertragen. Nach Art. 207 Abs. 1 AEUV fallen diese als Teil der „gemeinsamen Handelspolitik“ gem. Art. 3 Abs. 1 lit. e AEUV in die ausschließliche Zuständigkeit der EU. Aus Sicht der Kommission sind bilaterale Investitionsschutzabkommen daher zum einen nicht mehr erforderlich und zum anderen auch unionsrechtswidrig. Im Binnenmarkt müssten für alle grenzüberschreitenden Investitionen dieselben Regelungen gelten. Bilaterale Abkommen seien indes geeignet, Investoren aus bestimmten Mitgliedstaaten zu bevorzugen.

Der EuGH bestätigte den Verstoß der BIT’s gegen das Unionsrecht mit dem Urteil in der Rs. C-284/16 „Achmea“ vom 6. März 2018. Schiedsgerichte seien zwar im Rahmen von Schiedsstreitigkeiten mit der Anwendung und Auslegung von Unionsrecht befasst. Da es sich bei Schiedsgerichten jedoch nicht um Gerichte iSd. Art 267 AEUV handele, sind diese im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren nicht befugt, den EuGH anzurufen. Schiedssprüche unterlägen im Übrigen auch nur insoweit einer gerichtlichen Kontrolle, wie das nationale Recht des Mitgliedsstaats diese gestatte. Damit könnten die Schiedsgerichte außerhalb jeglicher Kontrolle nationaler und europäischer Gerichte agieren. Dies sei jedoch mit dem Grundprinzip der Autonomie des Unionsrechts und dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten nicht vereinbar und die Klausel daher unionsrechtswidrig.

„Gebrüder Micula“ und die Beihilferechtswidrigkeit der BITS‘s

Neben der allgemeinen Unionsrechtswidrigkeit sieht die Kommission in der Gewährung von staatlichen Schadensersatzleistungen auf Grundlage von Intra-EU BIT’s auch einen Verstoß gegen das EU-Beihilfenrecht. Um diese Frage und die Anwendung der Grundsätze des Urteils in der Rechtssache „Achmea“ geht es in der noch beim EuGH anhängigen Rs. C-638/19 Kommission/European Food u.a., bekannt ist die Rechtssache auch unter dem Namen „Gebrüder Micula“. Der Sachverhalt ist für diese Art von Investitionsabkommen üblich:

Noch vor ihrem Beitritt zur Union erließ Rumänien eine Verordnung, mit der Investoren Investitionsanreize gewährt wurden, wie z.B. durch Steuerermäßigungen in benachteiligten Regionen. Im Februar 2005 musste Rumänien die Verordnung jedoch aufheben, da im Rahmen der Beitrittsverhandlungen diese vom rumänischen Rat für Wettbewerb und von der Kommission als staatliche Beihilfe bewertet wurde. Bereits 2003 hatte Rumänien jedoch mit Schweden ein Investitionsschutzabkommen vereinbart. Über ein schwedisches Unternehmen errichteten die Gebrüder Micula eine Fabrik für die Herstellung von Mineralwasser und Säfte in einer strukturschwachen Gegend in Rumänien und profitierten dabei zunächst von den Steuererleichterungen. Nach Außerkrafttreten dieser Regelung machten die Gebrüder Micula auf Grundlage der in dem Investitionsschutzabkommen enthaltenen Schiedsklausel Schadensersatz geltend. Das angerufene Schiedsgericht verurteilte Rumänien im Rahmen dieses Verfahrens zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 250 Mio. US-Dollar. Diese Zahlungen stufte die EU-Kommission jedoch mit Beschluss vom 30. März 2015 (SA.38517 (2014/C) (ex 2014/NN) als staatliche Beihilfe ein und untersagte Rumänien die Auszahlung per Aussetzungsanordnung nach Art. 11 Abs. 1 VO 659/1999. Auch die Versuche, den Schiedsspruch in anderen Mitgliedstaaten zu vollstrecken, scheiterten, da sich die Gerichte der jeweiligen Mitgliedstaaten unter Bezug auf den Beschluss der Kommission weigerten, den Vollstreckungsanträgen stattzugeben. Gegen den Beschluss haben die Gebrüder Micula am 30. November 2015 Klage vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) (Rs. T-624/15, T-694/15, T-704/15) erhoben.

Im Jahr 2019 hob das EuG nun den Beschluss der Kommission auf. Als Begründung führte das Gericht an, dass die Kommission für die beihilferechtliche Beurteilung der Schadensersatzleistung nicht zuständig sei. Es fehle ihr die Befugnis, Unionsrecht rückwirkend auf Sachverhalte anzuwenden, die vor dem Beitritt der Mittgliedstaates zur EU stattgefunden haben. Darüber hinaus lägen im Übrigen aber auch die Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht vor, da es an einer Begünstigung fehle.

Anträge des Generalanwalts Szpunar

Gegen das Urteil des EuG erhob die Europäische Kommission Nichtigkeitsklage vor dem (EuGH) und beantragte, das Urteil aufzuheben. Am 1.07.2021 hat nun Generalanwalt Szpunar seine Schlussanträge vorgelegt.

Für den Ausgang dieses Verfahrens sind insbesondere drei Punkte von entscheidender Bedeutung: Zum einen geht es um die Frage, ob die Grundsätze aus dem Urteil in der Rechtssache „Achmea“ auch auf dieses Verfahren übertragen werden können, zum anderen darum, ob das EU-Beihilfenrecht auf die Schadensersatzleistungen Anwendung findet und ob der Beihilfetatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt ist.

Im Hinblick auf die Anwendung der „Achmea-Grundsätze“ führte Generalanwalt Szpunar aus, dass diese ab dem Zeitpunkt des Beitritts Rumäniens Anwendung fänden. Da das Schiedsgerichtsverfahren bereits vor dem Beitritt eingeleitet und auch nach dem Beitritt fortgeführt wurde, seien die Grundsätze aus diesem Verfahren auch hier in zeitlicher Hinsicht anwendbar. Dennoch verneint er die Anwendung dieser Rechtsgrundsätze in sachlicher Hinsicht mit folgenden Argumenten:

Anders als im Verfahren „Achmea“ läge kein Verstoß gegen den Grundsatz der Autonomie des Unionsrechts vor. Als Begründung führt Generalanwalt Szpunar aus, dass ein Schiedsverfahren auf Grundlage eines zwischen zwei Mitgliedstaaten geschlossenen Investitionsschutzabkommens, das vor dem Beitritt des am Schiedsverfahren beteiligten Staates zur Union eingeleitet wurde, dem Gerichtssystem der Union keinen Rechtsstreit entziehe, der die Auslegung oder Anwendung des Unionsrechts betreffen könne. Zu diesem Zeitpunkt war das Unionsrecht in Rumänien noch gar nicht anwendbar. Damit hätte kein rumänisches Gericht vor dem Beitritt dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorlegen können, weil es zu diesem Zeitpunkt noch kein Gericht eines Mitgliedstaats im Sinne von Art. 267 AEUV war. Gleiches gelte im Übrigen auch für die Fortführung des Schiedsverfahrens nach Beitritt Rumänien, da nach allgemeiner Spruchpraxis des EuGH, dieser nicht zuständig sei, sich zur Auslegung des Unionsrechts im Rahmen eines Rechtsstreits zu äußern, der einen vor dem Beitritt abgeschlossenen Sachverhalt betrifft.

Was den Verstoß gegen den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens anbelangt, geht der Generalanwalt davon aus, dass die in den BITs erhaltenen Streitbeilegungsklauseln als ein Korrektiv für das Fehlen gegenseitigen Vertrauens und Schutz der Investoren angesehen werden könne. Die Investitionsschutzvereinbarung zielte gerade darauf ab, Investoren aus den Mitgliedstaaten in Rumänien aufgrund fehlenden Vertrauens in die Beachtung ihrer Rechte durch den Abschluss einer Investitionsschutzvereinbarung ein eigenes Verfahren außerhalb des Gerichtssystems zur Geltendmachung eventueller Ansprüche zu gewährleisten. Das Schiedsverfahren sei daher geeignet, den Schutz der Rechte der Investoren in gleicher Weise sicherzustellen wie der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens. Einen Verstoß gegen den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens schloss der Generalanwalt daher aus.

Im Weiteren hatte sich der Generalanwalt im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Urteils mit der Frage der grundsätzlichen Zuständigkeit der Kommission für die beihilferechtliche Überprüfung der Schadensersatzleistungen zu befassen.

Für die Anwendung des EU-Beihilfenrechts ist dabei entscheidend, zu welchem Zeitpunkt die Schadensersatzleistung gewährt wurde. Der Generalanwalt führt diesbezüglich aus, dass als Zeitpunkt der Gewährung einer Beihilfe der Zeitpunkt anzusehen sei, zu dem der Beihilfeempfänger nach dem geltenden nationalen Recht einen Rechtsanspruch auf die Beihilfe erwirbt. Die Verpflichtung Rumäniens, die Entschädigung zu leisten und der damit verbundene Anspruch auf Entschädigung seien jedoch erst mit der Entscheidung des Rechtsstreits – also nach dem Erlass des Schiedsspruchs und damit nach dem Beitritt Rumäniens zur Union – entstanden. Entgegen der Auffassung des EuG stellt der Generalanwalt damit die Anwendbarkeit des Unionsrechts auf die Maßnahmen und die grundsätzliche Zuständigkeit der Kommission auch für die beihilferechtliche Prüfung fest.

Generalanwalt Szpunar schließt das Vorliegen einer beihilferelevanten Begünstigung nicht aus, stellt aber fest, dass das EuG sich nicht ausreichend mit der diesbezüglichen Begründung der Kommission auseinandergesetzt habe. Das EuG hatte das Vorliegen eines Vorteils u.a. unter Berufung auf das Urteil in dem Verfahren „Asteris“ (verb, Rs 106 bis 120/87) verneint. Der Generalanwalt versteht die Argumentation des Gerichts so, dass die in Rede stehende Entschädigung nicht als Wiederherstellung einer rechtswidrigen Beihilfe angesehen werden könne, weil das Unionsrecht vor dem Beitritt noch nicht anwendbar gewesen sei und daher das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe im Sinne von Art. 107 AEUV nicht habe festgestellt werden können.

Die Kommission hatte in ihrem Beschluss in der Umsetzung des Schiedsspruchs einen ansonsten nicht auf dem Markt verfügbaren Vorteil gesehen, da das Unternehmen unter normalen Marktbedingungen die mit seiner wirtschaftlichen Tätigkeit verbunden Kosten und Risiken hätte selbst tragen müssen. Dieser Ansatz stünde auch im Einklang mit dem im Rahmen der „Asteris“-Rechtsprechung aufgestellten Grundsatz, wonach staatliche Beihilfen in ihrem rechtlichen Charakter grundlegend von Zahlungen zu unterscheiden sind, zu denen nationale Behörden zum Ersatz eines Schadens verurteilt werden. Die Anwendung der „Asteris“-Rechtsprechung auf die beihilferechtliche Bewertung von Schiedssprüchen lehnte die Kommission jedoch mangels Vergleichbarkeit des Sachverhalts ab. Eine Beihilfe bestehe schon deshalb, weil es sich bei Entschädigungsvorschriften auf Grundlage eines BITs nicht um allgemeingültige Entschädigungsvorschriften handele. Da hier der Entschädigungsanspruch auf Grundlage eines BITs entstanden sei, welchen die Kommission mit dem Beitritt des Mitgliedstaats zur Union aufgrund des Verstoßes gegen das Unionsrecht als unwirksam erachte, läge keine allgemeine Entschädigungsvorschrift vor. Vor diesem Hintergrund sei die Asteris-Rechtsprechung hier nicht anwendbar. Die Kommission hat sich ferner darauf berufen, dass bereits der Wettbewerbsrat der EGO auf der Grundlage der Vereinbarung von 1995 die Maßnahmen als Beihilfen eingestuft habe.

Mit dieser Argumentation und der Frage der Anwendbarkeit des „Asteris-Urteils“ wird sich das EuG nun noch einmal auseinandersetzen müssen, wenn es nach dem Generalanwalt geht.

Ausblick- Urteil des EuGH und die Zukunft der Intra-EU-BITs

Wer dachte, dass mit dem Urteil in der Rechtssache „Achmea“ alle unionsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit Intra-EU BIT’s geklärt seien, lag offensichtlich falsch. Auch über 15 Jahre nach dem Beitritt Rumäniens zur EU sind noch Fragen offen, wie das oben geschilderte Verfahren zeigt. Folgt der EuGH den Anträgen des Generalanwalts ist ein Abschluss des Verfahrens auch nicht absehbar. Das EuG hätte sich erneut mit den Argumenten der Kommission zu befassen. Gegen ein zweites Urteil wäre erneut der Weg für Klagen eröffnet.  

Wie auch immer diese Rechtssache ausgeht, das Urteil dürfte Auswirkungen auch über das Verfahren hinaus haben. Allein beim Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) sind derzeit noch rund 60 Intra-EU-Klagen anhängig. Einige dieser Klagen wurden sogar noch im Jahr 2020 erhoben (z.B. JCDecaux SA v. Czech Republic (ICSID Case No. ARB/20/33) vom 16.09.2020), obwohl eine Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten im Jahr 2020 zugestimmt hat, ihre Intra-EU-BITs rückwirkend zu kündigen. Das Urteil des EuGH kann daher mit Spannung erwartet werden.

 

Autorin: Anna Lazarova, Referendarin bei Müller-Wrede & Partner