Bilaterale Investitionsschutzabkommen sind der Kommission bereits seit Jahren ein Dorn im Auge. Dies insbesondere deshalb, da die auf Grundlage eines Schiedsspruchs festgelegten Schadensersatzleistungen nach Auffassung der Kommission eine rechtswidrige staatliche Beihilfe zugunsten des Investors enthalten.
Was sind „Bilateral Investment Treaties“ oder kurz „BIT´s“?
In Form von völkerrechtlichen Verträgen fördern und schützen BITs grenzüberschreitende Investitionen. Bei den durch die Mitgliedstaaten abgeschlossenen BITs ist zwischen Abkommen mit Drittstaaten und bilateralen Abkommen zwischen Mitgliedstaaten (sog. Intra-EU-BITs) zu unterscheiden. Bei Letzteren handelt es sich überwiegend um Abkommen, die unmittelbar vor den EU-Erweiterungen von 2004, 2007 und 2013 zwischen Mitgliedstaaten und Beitrittskandidaten abgeschlossen wurden. Ziel dieser Vereinbarungen war es, zum damaligen Zeitpunkt privaten Anlegern bei ihren Investitionsentscheidungen mehr Rechtssicherheit zu gewähren. Neben Schutzklauseln gegen Inländerdiskriminierung und Entschädigungsregelungen bei Enteignung enthalten diese Abkommen auch Regelungen für Schiedsgerichtsverfahren. Im Rahmen dieser Verfahren haben Investoren die Möglichkeit, Schadensersatzansprüche gegenüber dem Gaststaat geltend zu machen. Mit Beitritt wurden diese Länder zu Mitgliedstaaten der EU und die bilateralen Investitionsschutzabkommen zu „Intra-EU-BIT’s“.
„Achmea“ und Unionsrechtswidrigkeit der BIT‘s
Mit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon am 1. Januar 2009 wurden die Kompetenzen zur Regelung von „ausländischen Direktinvestitionen“ auf die EU übertragen. Nach Art. 207 Abs. 1 AEUV fallen diese als Teil der „gemeinsamen Handelspolitik“ gem. Art. 3 Abs. 1 lit. e AEUV in die ausschließliche Zuständigkeit der EU. Aus Sicht der Kommission sind bilaterale Investitionsschutzabkommen daher zum einen nicht mehr erforderlich und zum anderen auch unionsrechtswidrig. Im Binnenmarkt müssten für alle grenzüberschreitenden Investitionen dieselben Regelungen gelten. Bilaterale Abkommen seien indes geeignet, Investoren aus bestimmten Mitgliedstaaten zu bevorzugen.
Der EuGH bestätigte den Verstoß der BIT’s gegen das Unionsrecht mit dem Urteil in der Rs. C-284/16 „Achmea“ vom 6. März 2018. Schiedsgerichte seien zwar im Rahmen von Schiedsstreitigkeiten mit der Anwendung und Auslegung von Unionsrecht befasst. Da es sich bei Schiedsgerichten jedoch nicht um Gerichte iSd. Art 267 AEUV handele, sind diese im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren nicht befugt, den EuGH anzurufen. Schiedssprüche unterlägen im Übrigen auch nur insoweit einer gerichtlichen Kontrolle, wie das nationale Recht des Mitgliedsstaats diese gestatte. Damit könnten die Schiedsgerichte außerhalb jeglicher Kontrolle nationaler und europäischer Gerichte agieren. Dies sei jedoch mit dem Grundprinzip der Autonomie des Unionsrechts und dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten nicht vereinbar und die Klausel daher unionsrechtswidrig.
„Gebrüder Micula“ und die Beihilferechtswidrigkeit der BITS‘s
Neben der allgemeinen Unionsrechtswidrigkeit sieht die Kommission in der Gewährung von staatlichen Schadensersatzleistungen auf Grundlage von Intra-EU BIT’s auch einen Verstoß gegen das EU-Beihilfenrecht. Um diese Frage und die Anwendung der Grundsätze des Urteils in der Rechtssache „Achmea“ geht es in der noch beim EuGH anhängigen Rs. C-638/19 Kommission/European Food u.a., bekannt ist die Rechtssache auch unter dem Namen „Gebrüder Micula“. Der Sachverhalt ist für diese Art von Investitionsabkommen üblich:
Noch vor ihrem Beitritt zur Union erließ Rumänien eine Verordnung, mit der Investoren Investitionsanreize gewährt wurden, wie z.B. durch Steuerermäßigungen in benachteiligten Regionen. Im Februar 2005 musste Rumänien die Verordnung jedoch aufheben, da im Rahmen der Beitrittsverhandlungen diese vom rumänischen Rat für Wettbewerb und von der Kommission als staatliche Beihilfe bewertet wurde. Bereits 2003 hatte Rumänien jedoch mit Schweden ein Investitionsschutzabkommen vereinbart. Über ein schwedisches Unternehmen errichteten die Gebrüder Micula eine Fabrik für die Herstellung von Mineralwasser und Säfte in einer strukturschwachen Gegend in Rumänien und profitierten dabei zunächst von den Steuererleichterungen. Nach Außerkrafttreten dieser Regelung machten die Gebrüder Micula auf Grundlage der in dem Investitionsschutzabkommen enthaltenen Schiedsklausel Schadensersatz geltend. Das angerufene Schiedsgericht verurteilte Rumänien im Rahmen dieses Verfahrens zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 250 Mio. US-Dollar. Diese Zahlungen stufte die EU-Kommission jedoch mit Beschluss vom 30. März 2015 (SA.38517 (2014/C) (ex 2014/NN) als staatliche Beihilfe ein und untersagte Rumänien die Auszahlung per Aussetzungsanordnung nach Art. 11 Abs. 1 VO 659/1999. Auch die Versuche, den Schiedsspruch in anderen Mitgliedstaaten zu vollstrecken, scheiterten, da sich die Gerichte der jeweiligen Mitgliedstaaten unter Bezug auf den Beschluss der Kommission weigerten, den Vollstreckungsanträgen stattzugeben. Gegen den Beschluss haben die Gebrüder Micula am 30. November 2015 Klage vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) (Rs. T-624/15, T-694/15, T-704/15) erhoben.
Im Jahr 2019 hob das EuG nun den Beschluss der Kommission auf. Als Begründung führte das Gericht an, dass die Kommission für die beihilferechtliche Beurteilung der Schadensersatzleistung nicht zuständig sei. Es fehle ihr die Befugnis, Unionsrecht rückwirkend auf Sachverhalte anzuwenden, die vor dem Beitritt der Mittgliedstaates zur EU stattgefunden haben. Darüber hinaus lägen im Übrigen aber auch die Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht vor, da es an einer Begünstigung fehle.
Anträge des Generalanwalts Szpunar
Gegen das Urteil des EuG erhob die Europäische Kommission Nichtigkeitsklage vor dem (EuGH) und beantragte, das Urteil aufzuheben. Am 1.07.2021 hat nun Generalanwalt Szpunar seine Schlussanträge vorgelegt.
Für den Ausgang dieses Verfahrens sind insbesondere drei Punkte von entscheidender Bedeutung: Zum einen geht es um die Frage, ob die Grundsätze aus dem Urteil in der Rechtssache „Achmea“ auch auf dieses Verfahren übertragen werden können, zum anderen darum, ob das EU-Beihilfenrecht auf die Schadensersatzleistungen Anwendung findet und ob der Beihilfetatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt ist.
Im Hinblick auf die Anwendung der „Achmea-Grundsätze“ führte Generalanwalt Szpunar aus, dass diese ab dem Zeitpunkt des Beitritts Rumäniens Anwendung fänden. Da das Schiedsgerichtsverfahren bereits vor dem Beitritt eingeleitet und auch nach dem Beitritt fortgeführt wurde, seien die Grundsätze aus diesem Verfahren auch hier in zeitlicher Hinsicht anwendbar. Dennoch verneint er die Anwendung dieser Rechtsgrundsätze in sachlicher Hinsicht mit folgenden Argumenten:
Anders als im Verfahren „Achmea“ läge kein Verstoß gegen den Grundsatz der Autonomie des Unionsrechts vor. Als Begründung führt Generalanwalt Szpunar aus, dass ein Schiedsverfahren auf Grundlage eines zwischen zwei Mitgliedstaaten geschlossenen Investitionsschutzabkommens, das vor dem Beitritt des am Schiedsverfahren beteiligten Staates zur Union eingeleitet wurde, dem Gerichtssystem der Union keinen Rechtsstreit entziehe, der die Auslegung oder Anwendung des Unionsrechts betreffen könne. Zu diesem Zeitpunkt war das Unionsrecht in Rumänien noch gar nicht anwendbar. Damit hätte kein rumänisches Gericht vor dem Beitritt dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorlegen können, weil es zu diesem Zeitpunkt noch kein Gericht eines Mitgliedstaats im Sinne von Art. 267 AEUV war. Gleiches gelte im Übrigen auch für die Fortführung des Schiedsverfahrens nach Beitritt Rumänien, da nach allgemeiner Spruchpraxis des EuGH, dieser nicht zuständig sei, sich zur Auslegung des Unionsrechts im Rahmen eines Rechtsstreits zu äußern, der einen vor dem Beitritt abgeschlossenen Sachverhalt betrifft.
Was den Verstoß gegen den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens anbelangt, geht der Generalanwalt davon aus, dass die in den BITs erhaltenen Streitbeilegungsklauseln als ein Korrektiv für das Fehlen gegenseitigen Vertrauens und Schutz der Investoren angesehen werden könne. Die Investitionsschutzvereinbarung zielte gerade darauf ab, Investoren aus den Mitgliedstaaten in Rumänien aufgrund fehlenden Vertrauens in die Beachtung ihrer Rechte durch den Abschluss einer Investitionsschutzvereinbarung ein eigenes Verfahren außerhalb des Gerichtssystems zur Geltendmachung eventueller Ansprüche zu gewährleisten. Das Schiedsverfahren sei daher geeignet, den Schutz der Rechte der Investoren in gleicher Weise sicherzustellen wie der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens. Einen Verstoß gegen den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens schloss der Generalanwalt daher aus.
Im Weiteren hatte sich der Generalanwalt im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Urteils mit der Frage der grundsätzlichen Zuständigkeit der Kommission für die beihilferechtliche Überprüfung der Schadensersatzleistungen zu befassen.
Für die Anwendung des EU-Beihilfenrechts ist dabei entscheidend, zu welchem Zeitpunkt die Schadensersatzleistung gewährt wurde. Der Generalanwalt führt diesbezüglich aus, dass als Zeitpunkt der Gewährung einer Beihilfe der Zeitpunkt anzusehen sei, zu dem der Beihilfeempfänger nach dem geltenden nationalen Recht einen Rechtsanspruch auf die Beihilfe erwirbt. Die Verpflichtung Rumäniens, die Entschädigung zu leisten und der damit verbundene Anspruch auf Entschädigung seien jedoch erst mit der Entscheidung des Rechtsstreits – also nach dem Erlass des Schiedsspruchs und damit nach dem Beitritt Rumäniens zur Union – entstanden. Entgegen der Auffassung des EuG stellt der Generalanwalt damit die Anwendbarkeit des Unionsrechts auf die Maßnahmen und die grundsätzliche Zuständigkeit der Kommission auch für die beihilferechtliche Prüfung fest.
Generalanwalt Szpunar schließt das Vorliegen einer beihilferelevanten Begünstigung nicht aus, stellt aber fest, dass das EuG sich nicht ausreichend mit der diesbezüglichen Begründung der Kommission auseinandergesetzt habe. Das EuG hatte das Vorliegen eines Vorteils u.a. unter Berufung auf das Urteil in dem Verfahren „Asteris“ (verb, Rs 106 bis 120/87) verneint. Der Generalanwalt versteht die Argumentation des Gerichts so, dass die in Rede stehende Entschädigung nicht als Wiederherstellung einer rechtswidrigen Beihilfe angesehen werden könne, weil das Unionsrecht vor dem Beitritt noch nicht anwendbar gewesen sei und daher das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe im Sinne von Art. 107 AEUV nicht habe festgestellt werden können.
Die Kommission hatte in ihrem Beschluss in der Umsetzung des Schiedsspruchs einen ansonsten nicht auf dem Markt verfügbaren Vorteil gesehen, da das Unternehmen unter normalen Marktbedingungen die mit seiner wirtschaftlichen Tätigkeit verbunden Kosten und Risiken hätte selbst tragen müssen. Dieser Ansatz stünde auch im Einklang mit dem im Rahmen der „Asteris“-Rechtsprechung aufgestellten Grundsatz, wonach staatliche Beihilfen in ihrem rechtlichen Charakter grundlegend von Zahlungen zu unterscheiden sind, zu denen nationale Behörden zum Ersatz eines Schadens verurteilt werden. Die Anwendung der „Asteris“-Rechtsprechung auf die beihilferechtliche Bewertung von Schiedssprüchen lehnte die Kommission jedoch mangels Vergleichbarkeit des Sachverhalts ab. Eine Beihilfe bestehe schon deshalb, weil es sich bei Entschädigungsvorschriften auf Grundlage eines BITs nicht um allgemeingültige Entschädigungsvorschriften handele. Da hier der Entschädigungsanspruch auf Grundlage eines BITs entstanden sei, welchen die Kommission mit dem Beitritt des Mitgliedstaats zur Union aufgrund des Verstoßes gegen das Unionsrecht als unwirksam erachte, läge keine allgemeine Entschädigungsvorschrift vor. Vor diesem Hintergrund sei die Asteris-Rechtsprechung hier nicht anwendbar. Die Kommission hat sich ferner darauf berufen, dass bereits der Wettbewerbsrat der EGO auf der Grundlage der Vereinbarung von 1995 die Maßnahmen als Beihilfen eingestuft habe.
Mit dieser Argumentation und der Frage der Anwendbarkeit des „Asteris-Urteils“ wird sich das EuG nun noch einmal auseinandersetzen müssen, wenn es nach dem Generalanwalt geht.
Ausblick- Urteil des EuGH und die Zukunft der Intra-EU-BITs
Wer dachte, dass mit dem Urteil in der Rechtssache „Achmea“ alle unionsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit Intra-EU BIT’s geklärt seien, lag offensichtlich falsch. Auch über 15 Jahre nach dem Beitritt Rumäniens zur EU sind noch Fragen offen, wie das oben geschilderte Verfahren zeigt. Folgt der EuGH den Anträgen des Generalanwalts ist ein Abschluss des Verfahrens auch nicht absehbar. Das EuG hätte sich erneut mit den Argumenten der Kommission zu befassen. Gegen ein zweites Urteil wäre erneut der Weg für Klagen eröffnet.
Wie auch immer diese Rechtssache ausgeht, das Urteil dürfte Auswirkungen auch über das Verfahren hinaus haben. Allein beim Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) sind derzeit noch rund 60 Intra-EU-Klagen anhängig. Einige dieser Klagen wurden sogar noch im Jahr 2020 erhoben (z.B. JCDecaux SA v. Czech Republic (ICSID Case No. ARB/20/33) vom 16.09.2020), obwohl eine Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten im Jahr 2020 zugestimmt hat, ihre Intra-EU-BITs rückwirkend zu kündigen. Das Urteil des EuGH kann daher mit Spannung erwartet werden.
Autorin: Anna Lazarova, Referendarin bei Müller-Wrede & Partner