Die Europäische Kommission hat am 06.12.2021 die überarbeiteten Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Förderung von Risikofinanzierung („Risikokapitalleitlinien“) angenommen. Wie bisher die Risikoleitlinien 2014, soll auch durch die neuen Regelungen insbesondere für Start-ups und KMU der Zugang zu staatlichen Mitteln erleichtert werden. Dennoch gibt es einige interessante Neuerungen.
Ergebnis des Fitness-Tests
Im Jahr 2019 hat die Kommission begonnen, die beihilferechtlichen Vorschriften im Rahmen einer Eignungsprüfung zu untersuchen. Gestützt auf die Ergebnisse dieses beihilferechtlichen „Fitness Checks“ wurde das gesamte beihilferechtliche Regelwerk überarbeitet und aktualisiert, insbesondere auch unter Berücksichtigung der Vorgaben des „Green Deal“ und der „Digitalen Agenda“.
Die Kommission stellte im Rahmen dieser Überprüfung fest, dass die Risikokapitalleitlinien aus dem Jahr 2014 zwar grundsätzlich ihren Zweck erfüllen, aber zur Vereinfachung der Anwendung einige gezielte Anpassungen erforderlich geworden sind. Dies insbesondere für den Nachweis eines spezifischen Marktversagens aber auch hinsichtlich der Abgrenzung zur Freistellung auf Grundlage von Art. 21 AGVO. Die Leitlinien fokussieren sich dabei auf die Kriterien der Vereinbarkeit von Beihilfen mit dem Binnenmarkt, um Überschneidungen mit der Bekanntmachung zum Beihilfenbegriff zu vermeiden.
Struktur der Risikokapitalleitlinien
Die Struktur der Risikokapitalleitlinien wurde insgesamt gestrafft. Der Aufbau ist klar strukturiert:
- Einleitung
- Anwendungsbereich
- Begriffsbestimmungen
- Anmeldepflichtige Risikofinanzierungsbeihilfen
- Vereinbarkeitsprüfung
- Evaluierung
- Schlussbestimmungen
Begriffsdefinition und Anwendungsbereich
Die Definition der Risikofinanzierung wurde in der neuen Fassung ergänzt und erweitert: „Risikofinanzierung“ sind Beteiligungen oder beteiligungsähnliche Investitionen, Darlehen (einschließlich Leasing), Garantien oder eine Kombination daraus für beihilfefähige Unternehmen zum Zwecke neuer Investitionen, die jedoch nicht ausschließlich aus privaten Investitionen zu den marktüblichen Bedingungen bestehen und nicht außerhalb des Anwendungsbereichs der Risikofinanzierungsbeihilfen fallen dürften.
Zur Klarstellung der Begrifflichkeiten, die sowohl in den Leitlinien als auch in der AGVO verwendet werden, wurden nunmehr Definitionen vereinheitlicht, wie z.B. die Definition eines „innovativen Unternehmens“. Die Anwendung der Risikokapitalleitlinien wurde nunmehr auch auf Unternehmen mittlerer Kapitalisierung ausgeweitet, die an bestimmten EU-Initiativen teilgenommen haben oder in Rahmen dieser Initiativen Investitionen erhalten haben. U.a. sind das Unternehmen, die vom Europäischen Investitionsrat mit dem Exzellenzsiegel ausgezeichnet wurden und Unternehmen, die aus dem Fonds des Europäischen Innovationsrat eine Investition oder in Rahmen der Initiative zur Förderung des Unternehmertums im Weltraumsektor „CASSINI“ erhalten haben.
Angewandt werden die aktualisierten Leitlinien auf Risikofinanzierungsmaßnahmen, die eine Beihilfe enthalten, jedoch nicht sämtliche in Art. 21 AGVO erhaltene Voraussetzungen erfüllen und damit nicht freigestellt werden können. Umfasst sind Maßnahmen für kleine und innovative Unternehmen mittlerer Unternehmen mittlerer Kapitalisierung, Unternehmen, die nach ihrem ersten Verkauf keine 7 Jahre gewerblich tätig sind und Unternehmen, die eine Risikofinanzierung benötigen, die die Obergrenze von 15 Mio. Euro überschreitet. Anwendung finden die in den Leitlinien festgelegten Grundsätze lediglich auf Risikofinanzierungsregelungen, nicht auf Ad-hoc Beihilfen, es sei denn, die Maßnahmen sollen eine spezifische alternative Handelsplattform unterstützen. Große Unternehmen können nur in Ausnahmefällen mit staatlichem Risikokapital unterstützt werden.
Die Leitlinien finden keine Anwendung auf börsennotierte Unternehmen, Unternehmen in Schwierigkeiten mit Ausnahmen von KMU, die seit ihrer Eintragung ins Handelsregister noch keine 7 Jahre gewerblich tätig sind.
Genehmigungsvoraussetzungen der Risikokapitalleitlinien
Bislang hat die Kommission in einer Reihe von Rechtstexten, die wie die Risikokapitalleitlinien auf Grundlage von Art. 107 Abs. 3 AEUV basieren aber auch im Fall der unmittelbaren Anwendung von Art. 107 Abs. 3 c AEUV, für die Genehmigung einer Beihilfe folgende Prüfungsschritte vorgenommen:
- Beitrag zu einem Ziel von gemeinsamem Interesse
- Erforderlichkeit der Maßnahme
- Geeignetheit der Maßnahme
- Anreizeffekt
- Angemessenheit
- Vermeidung übermäßiger negativer Auswirkungen auf Wettbewerb und Handel
- Transparenz
Der EuGH hat in seinem Urteil in der Rs. C-594/18 „Hinkley Point“ festgestellt, dass es für die Genehmigung einer Beihilfe auf Grundlage von Art. 107 Abs. 3 c AEUV nicht erforderlich ist, dass mit einer Beihilfe ein Ziel von gemeinsamem Interesse verfolgt wird. Vor diesem Hintergrund ist nun der Prüfungsaufbau wie folgt neu strukturiert:
- Voraussetzung: Die Beihilfe dient der Förderung der Entwicklung eines Wirtschaftszweigs
- Voraussetzung: Vermeidung nachteiliger, dem gemeinsamen Interesse zuwiderlaufender Auswirkungen auf die Handelsbedingungen
Zunächst wird untersucht, ob mit der staatlichen Finanzierung die Entwicklung eines bestimmten Wirtschaftszweiges gefördert wird und ob die Beihilfe einen Anreizeffekt auf den Beihilfenempfänger hat, eine Tätigkeit aufzunehmen, die er aufgrund von Marktversagens nicht oder nicht in dem Umfang ausüben würde. Es wird davon ausgegangen, dass eine Risikofinanzierungsmaßnahme einen Anreizeffekt hat, wenn sie zur Mobilisierung von Investitionen von anderen Marktteilnehmern führt.
Grundsätzlich ist eine Beihilfe nur genehmigungsfähig, wenn sie eine wesentliche Entwicklung bewirkt, die der Markt aus eigener Kraft nicht herbeiführen könnte. Im Rahmen einer sog. „ex-ante-Prüfung“ hat daher der Mitgliedstaat für die Genehmigung von Risikobeihilfen in einem zweiten Prüfungsschritt zu belegen, dass die staatlichen Beihilfen erforderlich und geeignet sind und in einem angemessenen Verhältnis zum Marktversagen stehen. Die „ex-ante-Prüfung“ muss sich auf objektive und aktuelle Nachweise sowie auf verfügbare bewährte Verfahren und Methoden (Studien, Befragungen, Online-Umfragen oder geeignete quantitative Methoden) stützen, muss weniger als drei Jahre vor der Anmeldung der Risikofinanzierungsmaßnahme erfolgt sein und sollte von einem unabhängigen Sachverständigen vorgenommen werden. Die Mitgliedstaaten müssen nachweisen, dass ein spezifisches Marktversagen besteht, das über die rechtliche Vermutung hinausgeht, auf der die AGVO beruht. Bei Regelungen, die sich ausschließlich an Unternehmensneugründungen und KMU vor ihrem ersten kommerziellen Verkauf richten, stellt die Kommission für den Nachweis des Marktversagens geringere Anforderungen.
Besonders hervorzuheben ist, dass die neuen Leitlinien im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung differenzieren, warum eine Maßnahme nicht auf Grundlage der AGVO freigestellt werden kann:
Ist die AGVO nicht anwendbar, weil die Maßnahme auf Unternehmen abzielt, die nicht unter die AGVO fallen (z.B. Freistellung nur für KMU auf Grundlage von Art. 21 AGVO oder Überschreiten des Schwellenwerts) oder besteht keine Möglichkeit für die Freistellung auf Grundlage der AGVO, weil die Maßnahme aus anderen Gründen die Voraussetzung der AGVO nicht erfüllt sind (z.B. Maßnahmen mit geringerer privater Beteiligung in regional schwach entwickelten Gebieten).
Darüber hinaus prüft die Kommission im Rahmen der Genehmigungsfähigkeit, inwieweit die negativen Auswirkungen – beihilfebedingte Wettbewerbsverfälschungen und Beeinträchtigungen des Handels zwischen Mitgliedstaaten – begrenzt sind und sie die positiven Auswirkungen der Beihilfe nicht in einem Maße aufwiegen, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft. Im Rahmen dieser Prüfung werden negative und positive Faktoren gegeneinander abgewogen. Als positive Auswirkungen berücksichtigt die Kommission neben der Tatsache, dass durch die konkrete Maßnahme für Unternehmen der Zugang zu Finanzierungsmitteln verbessert wird u.a. auch die Zahl der mit der Maßnahme verbundenen potentiellen Arbeitsplätze, Patentanmeldungen und die Resilienz kritischer Lieferketten. Als negativ sind hingegen z.B. das Verdrängungsrisiko privater Investoren oder die Stärkung der Marktmacht von einzelnen Intermediären zu berücksichtigen.
Zur Wahrung der Transparenz müssen die Mitgliedstaaten Informationen in der Transparenzdatenbank der Kommission (TAM – transparency Award Module) oder auf nationalen oder regionalen Beihilfe-Website veröffentlichen. Inhalt der Veröffentlichungspflicht ist der Wortlaut der Beihilferegelung und der Durchführungsbestimmungen bzw. Link und die Angaben zu jeder Einzelbeihilfe von mehr als 100 000 EUR (Informationen gemäß Anhang der Leitlinien)
Geltungsbeginn der aktuellen Risikofinanzierungmaßnahmen ist der 01.01.2022, die Laufzeit ist unbegrenzt. Um den Vertrauensschutz für private Investoren sicherzustellen, bleiben Risikofinanzierungsregelungen zugunsten von KMU bis zum Ende der vorgesehenen Laufzeit gültig, wenn die Finanzierungsvereinbarung vor dem Tag der Veröffentlichung unterschrieben wurde. Im Übrigen sind die Beihilferegelungen innerhalb von sechs Monaten nach der Veröffentlichung im Amtsblatt anzupassen.
Fazit:
Die neuen Risikokapitalleitlinien setzen grundsätzlich an derselben Stelle an, wie auch zuvor die Leitlinien 2014: Ausgleich des Marktversagens aufgrund fehlender privater Investitionen insbesondere für Start-ups und KMU. Hilfreich dürften in der Praxis die klare Struktur und die Angleichung der Begrifflichkeiten im Verhältnis zur AGVO sein. Die Struktur der Prüfung der Genehmigungsfähigkeit von staatlichen Maßnahmen wird sich zukünftig in vergleichbarer Form vermutlich in allen neuen Rechtstexten finden, die auf Art. 107 Abs. 3 c AEUV zurückzuführen ist, ohne jedoch die Prüfung der Genehmigungsfähigkeit einer Beihilfe inhaltlich wesentlich zu verändern.
Auf wenig Begeisterung stößt sicherlich die Meldepflicht, die sich bereits auf Beihilfen ab 100.000 EUR bezieht und die sich auch an anderer Stelle im Beihilfenrecht finden wird und für die eine funktionierende technische Lösung gefunden werden muss.
Autorin: Anna Lazarova, Referendarin bei Müller-Wrede & Partner