Autor: Christoph von Donat

De-minimis: kleine Änderungen, aber oho!

De-minimis: kleine Änderungen, aber oho!

In der neuen De-minimis-Verordnung VO 2023/2831 wurden ohne großes Aufheben die Kumulierungsregeln vereinfacht. De-minimis-Beihilfen nach der VO 2023/2831 und DawI-de-minimis-Beihilfen nach der VO 2023/2832 können unabhängig voneinander gewährt werden: Ein Unternehmen, das Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DawI) erbringt, kann DawI-de-minimis-Beihilfen bis zu 750.000 EUR und (allgemeine) De-minimis-Beihilfen bis zu 300.000 EUR in einem 3-Jahreszeitraum erhalten. Eine sinnvolle Kumulierungsregel für die Ausgleichszahlungen an den öffentlichen Personenverkehr (ÖPV) oder andere DawI-Erbringer wurde dagegen nicht gefunden.

Es mag in der Praxis wenig Beachtung gefunden haben, aber bis zum 31.12.2023 mussten bei der Gewährung von De-minimis-Beihilfen nach der VO 1407/2013 auch die sog. DawI-de-minimis-Beihilfen nach der VO 360/2012 der beiden vorangegangen und des laufenden Jahres abgefragt werden. De-minimis-Beihilfen durften mit DawI-de-minimis-Beihilfen nur bis zur Höhe von 500.000 EUR kumuliert werden (Art. 5 Abs. 1 S. 1 VO 1407/2013, Art. 2 Abs. 7 VO 360/2012). Anders ausgedrückt: Ein Unternehmen mit einer gemeinschaftlichen Verpflichtung durfte über den bisherigen DawI-de-minimis-Schwellenwert hinaus keine (allgemeine) De-minimis-Beihilfe erhalten. Seit dem 01.01.2024 gibt es diese Beschränkung nicht mehr; die (allgemeine) De-minimis-Verordnung 2023/2831 und die DawI-de-minimis-Verordnung 2023/2832 erlauben gegenseitig die Kumulierung.

Eine kleine Abweichung im Wortlaut wirft jedoch eine Frage auf: Während Art. 5 Abs. 1 VO 2023/2832 eine Kumulierung mit nach anderen De-minimis-Verordnungen gewährten Beihilfen erlaubt, erlaubt Art. 5 Abs. 1 VO 2023/2831 nur eine Kumulierung mit nach der VO 2023/2832 gewährten Beihilfen. Ist somit wegen des fehlenden Verweises eine Kumulierung einer (allgemeinen) De-minimis-Beihilfe mit DawI-de-minimis-Beihilfen nicht zulässig, die in den Jahren 2022 und 2023 nach der VO 360/2012 gewährt wurden? Oder nur bis zum „alten“ Schwellenwert für DawI-de-minimis-Beihilfen von 500.000 EUR? Kann also ein Unternehmen, das im Jahr 2023 eine Dawi-de-minimis-Beihilfe von 500.000 EUR bekommen hat, in 2024 eine (allgemeine) De-minimis-Beihilfe erhalten?

Der Wortlaut beider Verordnungen gibt keine Antworten. Es kann aber auf folgende Überlegung zurückgegriffen werden: Nach Art. 3 Abs. 1 VO 2023/2831 sind Beihilfemaßnahmen, die die Voraussetzungen dieser Verordnung erfüllen, keine „echten“ Beihilfen und daher nicht notifizierungspflichtig. Diese Verordnung enthält die Kumulierungsregel aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 VO 1407/2013 nicht mehr, die eine Kumulierung mit DawI-de-minimis-Beihilfen nur bis 500.000 EUR erlaubte. Die Kumulierung ist jetzt uneingeschränkt möglich, solange die Regeln der Verordnung eingehalten werden. Eine (allgemeine) De-minimis-Beihilfe kann alle Voraussetzungen der VO 2023/2831 erfüllen, selbst wenn das Unternehmen vor dem 01.01.2024 DawI-de-minimis-Beihilfen erhalten hat. Damit bleiben bei der Gewährung einer (allgemeinen) De-minimis-Beihilfe nicht nur aktuelle, sondern auch die vor dem 01.01.2024 gewährten Dawi-de-minimis-Beihilfen unberücksichtigt. Nur bei der Gewährung einer DawI-De-minimis Beihilfe auf Grundlage der VO 2023/2832 sind die in den vergangenen zwei Jahren gewährten DawI-De-minimis Beihilfen abzufragen.

Unverändert bleibt die Situation bei Ausgleichsleistungen für das Erbringen von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DawI). Ein Unternehmen, das eine Ausgleichsleistung für die DawI erhält, darf nicht zusätzlich eine DawI-de-minimis-Beihilfe erhalten, selbst wenn die Ausgleichsleistung nach den Altmark-Kriterien ermittelt wurde und somit beihilfefrei ist (Art. 5 Abs. 2 VO 2013/2382). In der allgemeinen De-minimis-Verordnung 2013/2381 gibt es keine entsprechende Regelung. Eine solche Regelung wäre auch schwer zu begründen. Warum dürfte jedes Unternehmen eine (allgemeine) De-minimis-Beihilfe erhalten, nur die Unternehmen nicht, die im Interesse der Allgemeinheit Leistungen erbringen, ohne eine Beihilfe zu erhalten? Aber selbst wenn die allgemeine De-minimis-Verordnung 2013/2381 keine Beschränkung hinsichtlich DawI-Erbringer enthält, muss die De-minimis-Beihilfe wohl bei der Überkompensationskontrolle (3. Altmark-Kriterium) berücksichtigt und die Ausgleichsleistung entsprechend gekürzt werden, zumindest wenn die De-minimis-Beihilfe für dieselbe DawI gewährt wird.

Beharrlichkeit zahlt sich aus … für die Europäische Kommission

Beharrlichkeit zahlt sich aus … für die Europäische Kommission

Der EuGH hat die Rechtssache C-466/21 zum Flughafen Frankfurt/Hahn genutzt, um in seinem Urteil vom 14.09.2023 die Klagebefugnis gegen Beschlüsse der Kommission in Beihilfesachen schematisch darzustellen (und einzuschränken). 

Die Befugnis, eine Nichtigkeitslage gegen Beschlüsse der Kommission zu erheben, die feststellen, dass eine Maßnahme eines Mitgliedstaates keine Beihilfe iSv. Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt oder aber eine mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfe ist, ist seit Jahren Gegenstand einer Art Dialog zwischen Kommission und den Unionsgerichten. Die Kommission bestreitet in stetiger Regelmäßigkeit die Klagebefugnis natürlicher oder juristischer Personen, die z.B. als Wettbewerber mit der Nichtigkeitsklage erreichen wollen, dass die staatliche Maßnahme nicht durchgeführt oder eingestellt wird.

Die Rechtsprechung differenziert dabei zwischen Beschlüssen, die nach Durchführung eines förmlichen Prüfverfahrens (Phase 2) und denen, die bereits nach vorläufiger Prüfung (Phase 1) von der Kommission gefasst werden.

Eine Klagebefugnis gegen Phase-2-Beschlüsse besteht nur, wenn dem Kläger der Nachweis gelingt, dass der Beschluss seine Wettbewerbssituation spürbar beeinträchtigt. Es reicht nicht, dass der Beschluss geeignet ist, die auf dem betreffenden Markt bestehenden Wettbewerbsverhältnisse zu beeinflussen, und der Kläger in einer irgendwie gearteten Wettbewerbsbeziehung zu dem durch den Beschluss Begünstigten steht (EuGH v. 10.10.2017 – Rs. C-640/16 P – Greenpeace Energy). Das für den Nachweis in der Praxis erforderliche Marktgutachten muss innerhalb der Klagefrist erstellt werden. Hilfreich ist für den Kläger in diesem Zusammenhang, dass die Klagefrist – trotz der gegenteiligen Position der Kommission – (bislang) erst mit der Veröffentlichung des Beschlusses im Amtsblatt beginnt, der Beschluss aber regelmäßig lange vorher bekannt ist. Aber vielleicht wird sich die Beharrlichkeit der Kommission auch in diesem Punkt auszahlen.

Die Kollision dieser praktisch nicht (oder nur in besonderen Wettbewerbssituationen) erfüllbaren Anforderungen für eine Klage gegen Phase-2-Beschlüsse mit dem Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes (Art. 47 GRC) ist dem EuGH bewusst. Er löst sie wenig elegant mit dem Verweis auf die Verpflichtung der mitgliedstaatlichen Gerichte, effektiven Rechtsschutz zu gewähren und dabei Fragen zur Auslegung des Unionsrechts wiederum dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Prozessökonomie scheint kein Aspekt zu sein, den der EuGH dem effektiven Rechtsschutz zuordnet.

Die Anforderungen an die Klagebefugnis bei einem Phase-1-Beschluss waren (zum Ärger der Kommission, aber auch des Beihilfengebers und des Beihilfenempfängers) deutlich geringer. Ein Beschluss der Kommission, der feststellt, dass eine Maßnahme keine Beihilfe ist oder als Beihilfe mit dem Binnenmarkt vereinbar ist, enthält zwangsläufig zumindest konkludent die Entscheidung, das förmliche Prüfverfahren (Phase 2) nicht zu eröffnen. Da die Kommission nur in der Phase 2 verpflichtet ist, anderen als dem Mitgliedstaat die Möglichkeit der Stellungnahme einzuräumen, liegt die Verletzung von Verfahrensrechten vielfach auf der Hand.

Das eingangs angesprochene Urteil des EuGH vom 14.09.2023 verdeutlicht und verschärft die Voraussetzungen für die Klagebefugnis gegen Phase-1-Beschlüsse. Eine Klage ist zulässig, wenn der Kläger zum einen nachgewiesen hat, ein „Beteiligter“ im Sinne von Art. 1 lit. h VO 2015/1589 zu sein, und zum anderen eine Verletzung seiner Verfahrensrechte geltend gemacht hat.

Um als Beteiligter angesehen zu werden, muss der Kläger bereits in der Klageschrift „in rechtlich hinreichender Weise [darlegen], dass sich die Beihilfe auf seine Situation konkret auswirken kann.“ Die konkreten Auswirkungen können zum einen durch ein direktes Wettbewerbsverhältnis begründet sein oder zum anderen durch die Beeinträchtigung anderer Interessen bei Durchführung der staatlichen Maßnahme. Der geforderte Nachweis konkreter Auswirkungen ist die Stellschraube für strengere Anforderungen an die Klagebefugnis bei Phase-1-Beschlüssen.

Auch muss die Klageschrift ausdrücklich die Verletzungen der Verfahrensrechte benennen. Es reicht nicht (mehr) aus, dass sich die Verletzung inzident aus der Klageschrift ergibt (anders noch EuGH v. 24.05.2011 – C‑83/09 P – Kronoply und Kronotex). Außerdem sind (wie bisher) die einzelnen Gründe auszuführen, die die Kommission nach Ansicht des Klägers verpflichtet hätten, das förmliche Prüfverfahren zu eröffnen.

 

Tankrabatt zurückfordern „mit Klauen und Zähnen“?

Tankrabatt zurückfordern „mit Klauen und Zähnen“?

Der heiß diskutierte Tankrabatt soll nach einer Untersuchung des ifo Instituts beim Diesel vollständig an die Verbraucher weitergegeben worden sein, beim Benzin allerdings nur zu 85%. Bundeswirtschaftsminister Habeck warf den Mineralölkonzernen bereits vor, den Tankrabatt nur unzureichend an die Verbraucher weiterzugeben und kündigt ein neues Kartellrecht mit „Klauen und Zähnen“ an. Der Politik scheint wieder einmal nicht bewusst zu sein, dass es ein mit Klauen und Zähnen bewehrtes Kontrollinstrument bereits gibt. Es handelt sich um das EU-Beihilferecht, was in diesem Forum nicht verwundern mag.

Die Idee des Einsatzes des EU-Beihilfekontrollrechts zur Abschöpfung nicht vollständig weitergegebener Steuererleichterungen dürfte auf Ablehnung stoßen, da sich der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung mit dem Beihilferecht auseinandergesetzt hat und unter Berufung auf den Temporary Crisis Framework zu dem Ergebnis kam, dass die Absenkung der Energiesteuersätze bei Kraftstoffen keine Beihilfe sei.

Diese Analyse, die auf der fehlenden Selektivität der temporären Steuersenkung beruht, ist zutreffend, allerdings nur für die Unternehmen, die die Kraftstoffe verbrauchen. Die Frage der beihilferelevanten Begünstigung der Mineralölkonzerne und Großhändler auf Anbieterseite bedürfte dagegen einer eingehenderen Prüfung.

Der Gesetzgeber ging davon aus, dass die Energiesteuer als Verbrauchsteuer darauf angelegt ist, vollständig vom Steuerpflichtigen auf den Verbraucher abgewälzt zu werden. Eine temporäre Steuersenkung habe zur Folge, dass eine vollständige Weitergabe an die Verbraucher auch eine entsprechende Preissenkung und damit eine Entlastung für Bürger und Wirtschaft ermögliche. Eine Verpflichtung zur Weitergabe der Steuerentlastung wurde jedoch nicht beschlossen.

Beihilferechtliche Grundlage für das Energiesteuersenkungsgesetz und damit auch für die Senkung der Steuer auf Benzin und Dieselkraftstoff ist der hier im Blog bereits besprochene Temporary Crisis Framework. Dort führt die Kommission in Rn. 23 aus, dass Maßnahmen, die auf gewerbliche (und nicht gewerbliche) Energieverbraucher abzielen, keine staatlichen Beihilfen darstellen, sofern sie allgemeiner Art sind. Allgemeine Steuer- oder Abgabenermäßigungen oder ein ermäßigter Steuersatz können Maßnahmen sein, die das Tatbestandsmerkmal der Selektivität nicht erfüllen. Leider enthält der Krisenrahmen keine Erläuterung, wie der Gesetzgeber sicherstellen kann, dass die gewählte Maßnahme nicht selektiv wirkt.

Der Umstand, dass der Tankrabatt bei den gewerblichen Verbrauchern nicht selektiv wirkt, schließt nicht aus, dass die Mineralölkonzerne und Großhändler selektiv begünstigt werden. Die Steuer ist regelmäßig von demjenigen zu tragen, der das Benzin oder den Dieselkraftstoff zur Veräußerung oder zum Verbrauch aus dem Steuerlager entnimmt (unabhängig davon, dass die Steuer in der Regel beim Verkauf auf den Verbraucher abgewälzt wird). Die temporäre Entlastung kommt somit prima facie den Mineralölkonzernen und Großhändlern zugute. Deren Begünstigung entfällt nur, wenn sie nachweisen können, dass die Steuerentlastung vollständig an den Verbraucher weitergegeben wird und ihnen kein Vorteil verbleibt.

Die temporäre Steuerentlastung für die Anbieterseite kann auch als selektiv gewertet werden, weil die Steuersenkung eine Ausnahme vom steuerlichen Bezugssystem darstellt. Für eine intensivere Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Steuersenkung zwischen Wirtschaftsbeteiligten differenziert, die sich unter Berücksichtigung der systemimmanenten Ziele in einer vergleichbaren Sach- und Rechtslage befinden, ist hier allerdings nicht der Platz. Für eine erste Einschätzung mag es ausreichen, dass die Senkung der Steuersätze nicht alle Energieerzeugnisse und damit nicht alle Hersteller und Großhändler gleichermaßen betrifft. Die temporäre Senkung der Steuersätze kann auch nicht durch die Natur oder den allgemeinen Aufbau des (Bezugs-)Systems gerechtfertigt sein.

Eine Beihilfe zugunsten der Mineralölwirtschaft ist nach alledem nicht auszuschließen. Wenn die Einschätzungen des Gesetzgebers zu den Steuermindereinnahmen bei Benzin und die des Ifo-Instituts zutreffen, dass der Tankrabatt zu 15% bei der Mineralölwirtschaft verbleibt, erhält die Mineralölwirtschaft eine vom Gesetzgeber wohl unbeabsichtigte Beihilfe von ca. 85 Mio. EUR im Monat. Wenn die in der Presse geäußerte Kritik an der Methodik des ifo Instituts berechtigt sein sollte, wohlmöglich sogar eine deutlich höhere.

Diese Beihilfe könnte von Art. 44 AGVO gedeckt sein und damit ohne Zustimmung der Europäischen Kommission gewährt werden. Allerdings ist mir nicht bekannt, dass die Bundesregierung den Veröffentlichungs- und Informationspflichten nachgekommen wäre, die die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung voraussetzt.

Die Politik mag sich nun die Frage stellen, ob sie der Hilfestellung der Europäischen Kommission bedarf, um die nicht weitergegebenen Tankrabatte zurückzuerlangen. Die Kommission könnte ein förmliches Prüfverfahren eröffnen, das auf der Grundlage der Untersuchung des Ifo-Instituts oder weiterer Untersuchungen zu dem Ergebnis kommt, dass den Mineralölkonzernen ein Vorteil verblieben ist. In diesem Verfahren wären die Mineralölkonzerne zweifellos bestrebt, den Nachweis der vollständigen Weitergabe der Steuerentlastung zu führen.

Die Politik ist jedoch auf die Hilfestellung der Kommission nicht angewiesen, auch wenn es in Deutschland keine Behörde mit einer gesonderten Zuständigkeit für Beihilferückforderungen gibt. Der EuGH hat in der Rechtssache Eesti Pagar (Rs. C-349/17) klargestellt, dass die Verpflichtung zu unionsrechtskonformen Verhalten des Mitgliedstaates und seiner Einrichtungen auch die Verpflichtung eines Beihilfegebers umfasst, rechtswidrige Beihilfen ohne Aufforderung durch die Kommission zurückzufordern, sobald er Kenntnis von einer rechtswidrigen Beihilfe erlangt. Die für die Einziehung der Energiesteuer zuständigen Finanzämter müssten daher prüfen, ob die Steuerschuldner die Vorteile des Tankrabatts vollständig an die Verbraucher weitergereicht haben und etwaige Differenzbeträge nacherheben.