Schlagwort: Europäische Kommission

Verordnung zur Kontrolle drittstaatlicher Subventionen in Kraft getreten – was nun?

Verordnung zur Kontrolle drittstaatlicher Subventionen in Kraft getreten – was nun?

Nachdem der Rat und das Europäische Parlament im Sommer letzten Jahres eine politische Einigung über den Vorschlag der Kommission einer Verordnung über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen erzielt hatten (Drittstaatliche Subventionen: Rat und Europäisches Parlament erzielen politische Einigung über Kommissionsvorschlag – BeihilfenBlog (beihilfen-blog.eu)), ist die Verordnung am 23. Dezember 2022 im Amtsblatt der EU veröffentlicht worden und um 12. Januar 2023 in Kraft getreten.

Auch wenn die Vorschriften der Verordnung erst ab dem 12. Juli 2023 gelten und die Anmeldepflicht für anmeldepflichtige Zusammenschlüsse und öffentliche Vergabeverfahren sogar erst ab dem 12. Oktober 2023 gilt, müssen betroffene Unternehmen bereits jetzt Vorkehrungen treffen, um zu diesem Zeitpunkt für die Anwendung der Verordnung gerüstet zu sein.

Gewährung einer finanziellen Zuwendung

Anknüpfungspunkt für das Vorliegen einer drittstaatlichen Subvention ist nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung zunächst, ob einem Unternehmen eine „finanzielle Zuwendung“ gewährt wurde. Der Begriff der „finanziellen Zuwendung“ ist hierbei in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung ziemlich weit definiert und derzeit in den Diskussionen zu der Verordnung mit einigen Unklarheiten und Unsicherheiten behaftet.

Auch wenn die Anmeldepflichten erst ab dem 12. Oktober 2023 gelten, sind ab diesem Zeitpunkt gemäß Art. 19 Abs. 1 (für Zusammenschlüsse) bzw. gemäß Art. 27 Abs. 1 (für öffentliche Vergabeverfahren) alle finanziellen Zuwendungen zu berücksichtigen, die in den drei Jahren vor der Meldung gewährt wurden. (Potenziell) betroffene Unternehmen müssen sich also bewusst sein, dass finanzielle Zuwendung, die sie jetzt und in den letzten drei Jahren erhalten haben, ab dem 12. Juli 2023 (rückwirkend) der Kontrolle der Kommission unterliegen und ab dem 12. Oktober 2023 angemeldet werden müssen, wenn die jeweiligen Schwellenwerte für Zusammenschlüsse oder öffentliche Vergabeverfahren überschritten sind. Insbesondere in Anbetracht der derzeit mit dem Begriff der „finanziellen Zuwendung“ verbundenen Unsicherheiten sollten betroffene Unternehmen frühzeitig sicherstellen, dass sie die von Drittstaaten erhaltenen finanziellen Zuwendungen nachvollziehen können, um zu den jeweiligen Zeitpunkten in der Lage zu sein, ihren Anmeldepflichten nachzukommen.

Mehr Rechtssicherheit durch Entwurf einer Durchführungsverordnung?

Am 06. Februar 2023 hat die Kommission einen Entwurf einer Durchführungsverordnung veröffentlicht. Die Durchführungsverordnung hat vor allem zum Ziel, Rechtssicherheit hinsichtlich der Verfahrensrechte und -pflichten der Unternehmen zu schaffen. Bis zum 06. März 2023 können interessierte Parteien Stellungnahmen zu dem Entwurf abgeben, die von der Kommission bei der Ausarbeitung der endgültigen Fassung berücksichtigt werden.

Derzeit enthält der Entwurf insbesondere die Formulare, die zur Anmeldung nach Art. 21 (bei Zusammenschlüssen) und nach Art. 29 Abs. 1 (bei öffentlichen Vergabeverfahren) verwendet werden sollen. Somit ist für Unternehmen und öffentliche Auftraggeber nunmehr ersichtlich, welche Informationen sie in welcher Form übermitteln müssen, um ihren Anmeldepflichten nachzukommen.

Weiter präzisiert der Entwurf das Verfahren der Kommission bei der Einleitung und Durchführung einer eingehenden Prüfung und die den von der Prüfung unterliegenden Unternehmen in einem solchen Fall zukommenden Rechte und Pflichten. In diesem Zusammenhang regelt der Entwurf auch die Durchführung und die Reichweite des Rechts auf Akteneinsicht eines betroffenen Unternehmens.

Ebenso enthält der Entwurf Klarstellungen zur Berechnung der jeweiligen Fristen.

Einige Klarstellungen, die sich Unternehmen und weitere Stakeholder in der Durchführungsverordnung erhofft hatten, lässt der Entwurf bislang aber vermissen. Insbesondere enthält der Entwurf nicht die weithin erhofften Klarstellungen zum Konzept und zur Nachvollziehbarkeit der „finanziellen Zuwendungen“, so dass die Betroffenen weiter mit Unsicherheiten leben müssen.

Autor: Christopher Hanke, Müller-Wrede Rechtsanwälte

Europas Agenda zur Gestaltung des Wandels

Europas Agenda zur Gestaltung des Wandels

Ende letzten Jahres kündigte die Europäische Kommission eine europäische Reaktion auf die aktuelle wirtschaftliche Lage und den Inflation Reduction Act (IRA) der USA an. In diesem Zusammenhang wurde ihr vom Europäischen Rat aufgegeben, eine Analyse zur Mobilisierung aller einschlägigen nationalen- und EU-Instrumente vorzulegen sowie eine auf EU-Ebene angesiedelte Strategie zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und der Produktivität zu erarbeiten (siehe Reaktion auf den Inflation Reduction Act: Mehr Wettbewerbsgleichheit durch weniger Wettbewerbsgleichheit? – BeihilfenBlog (beihilfen-blog.eu)). Dieser Aufforderung kam die Kommission nun binnen kürzester Zeit nach.

Anfang Februar veröffentlichte die Kommission ihre Mitteilung „Ein Industrieplan zum Grünen Deal für das klimaneutrale Zeitalter“. Der Industrieplan soll als Teil des europäischen Grünen Deals den Weg zur Klimaneutralität weiter ebnen und dafür Sorge tragen, dass Europa auch nach dem Wandel im klimaneutralen Industriezeitalter weltweit eine Vorreiterrolle einnehmen kann. Insbesondere soll die Wettbewerbsfähigkeit Europas in Anbetracht von umfangreichen Investitionen in den ökologischen Wandel in anderen Staaten (IRA in den USA, aber auch vergleichbare Investitionspakete in Japan oder Indien) gesichert und gestärkt werden.

„Ein Industrieplan zum Grünen Deal für das klimaneutrale Zeitalter“

Der Industrieplan beinhaltet vier sich ergänzende Säulen:

Ein vorhersehbares, kohärentes und vereinfachtes Regelungsumfeld soll durch Maßnahmen wie verkürzte Genehmigungsverfahren, europäische Normen und Rechtsrahmen oder Anreize zum Einsatz von klimaneutraler Technologie dazu beitragen, dass sich alle Akteure gemeinsam auf dieselben Ziele konzentrieren und dass den Akteuren das Erreichen dieser gemeinsamen Ziele erleichtert wird.

Die Kompetenzen in der ganzen EU im grünen und digitalen Bereich sollen durch Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen ebenso wie durch Bildungsmaßnahmen (wie z.B. der europäischen Hochschulstrategie) und durch innereuropäische Kompetenzpartnerschaften ausgebaut werden.

Die globale Zusammenarbeit und die Stabilität des internationalen Handels im Bereich der klimaneutralen Technologien soll gefördert werden. Zu diesem Zweck wird die EU die WTO weiter unterstützen, ihr Netz von Freihandelsabkommen ausbauen und insbesondere weiterhin mit den USA an Lösungen für eine Aufrechterhaltung der transatlantischen Lieferketten arbeiten. Ebenso sollen neue Initiativen, wie ein „Klub für kritische Rohstoffe“ zur weltweiten Versorgung mit kritischen Rohstoffen entwickelt werden. Um einen offenen und fairen Wettbewerb zu sichern, beabsichtigt die EU die vollumfängliche Nutzung handelspolitischer Schutzinstrumente.

Als Reaktion auf die durch Subventionen in anderen Teilen der Welt entstehenden Wettbewerbsnachteile sieht der Plan der Kommission vor allem aber eine Ausweitung und Beschleunigung des Zugangs von Unternehmen im Bereich klimafreundlicher Technologien zu Finanzmitteln vor. Hierbei verfolgt der Vorschlag der Kommission ebenfalls verschiedene sich ergänzende Ansätze.

Schnellerer Zugang zu Finanzmitteln

Der Zugang zu Finanzmitteln soll durch vereinfachte und flexiblere Möglichkeiten der nationalen Finanzierung, durch eine verstärkte EU-Finanzierung und durch eine verstärkte Mobilisierung privater Investitionen verbessert werden.

Nationale Finanzierung

Den ersten Ansatz hat die Kommission bereits (als Entwurf zur Konsultation) in die Tat umgesetzt. Der ebenfalls Anfang Februar an die Mitgliedstaaten übersandte Konsultationsentwurf des „Temporary Crisis and Transition Framework“ (TCTF, zu Deutsch „Befristeter Krisen- und Übergangsrahmen“) sieht verschiedene zusätzliche Möglichkeiten vor, Investitionen für einen schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien zu fördern und die Dekarbonisierung der Industrie sowie die Herstellung der für den Übergang zur CO2-Neutralität erforderlichen Ausrüstung zu unterstützen.

Der TCTF-Entwurf erweitert die im bisherigen Temporary Crisis Framework (TCF, Befristeter Krisenrahmen) enthaltenen Möglichkeiten zur Gewährung von Beihilfen für den Ausbau erneuerbaren Energien auf alle Technologien im Bereich der erneuerbaren Energien. Für weniger ausgereifte Technologien wird die Verpflichtung zur Bestimmung des Beihilfebetrags auf Grundlage der Durchführung offener Ausschreibungen aufgehoben, sie ist nur noch für den Ausbau im Bereich von Solar-Photovoltaik, Onshore- und Offshore-Wind und Wasserkraft verbindlich. Die Fristen für den Abschluss von Projekten wurden verlängert.

Gleichermaßen erweitert der TCTF-Entwurf die Bestimmungen zur Gewährung von Dekarbonisierungsbeihilfen um flexiblere Beihilfeobergrenzen und um die Möglichkeit, Beihilfen für die Wasserstoffnutzung, Energieeffizienz und Elektrifizierung anhand von Standardprozentsätzen der Investitionskosten zu genehmigen.

Außerdem sieht der TCTF-Entwurf eine „Matching-Clause“ vor, nach der unter bestimmten Voraussetzungen Beihilfen in der Höhe gewährt werden dürfen, die der Höhe entspricht, die Wettbewerbern für ähnliche Vorhaben außerhalb der EU gewährt werden.

Des Weiteren plant die Kommission im Zusammenhang mit der Überarbeitung der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) die Anmeldeschwellen für Beihilfen in Schlüsselsektoren wie Wasserstoff, CO2-Abschneidung und -Speicherung oder emissionsfreie Fahrzeuge anzuheben.

Schließlich soll die Genehmigung von IPCEI-bezogenen Projekten gestrafft und vereinfacht werden.

EU-Finanzierung

Innerhalb der EU-Mitgliedstaaten – und offenkundig auch innerhalb der Kommission, wie die Rede Margrethe Vestagers zu den vorgeschlagenen Änderungen abermals verdeutlicht – besteht die Sorge, dass die Vereinfachung der Beihilfengewährung in den genannten Schlüsselbereichen in Verbindung mit den unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten der verschiedenen Mitgliedstaaten zu einer Fragmentierung des Binnenmarkts führt. Um eine solche Fragmentierung zu verhindern und den Finanzierungsbedarf für den Ausbau der Industrie in diesen Bereichen EU-weit zu schließen, strebt die Kommission als weiteren Ansatz eine erhöhte Bereitstellung von EU-Mitteln an.

Hierzu sollen auf Grundlage des REPowerEU-Plans Finanzhilfen und Darlehen aus der Aufbau- und Resilienzfazilität ebenso wie Zuschüsse aus der Reserve für die Anpassung an den Brexit bereitgestellt werden. Die Europäische Investitionsbank möchte die Verwirklichung der Ziele des REPowerEU-Plans darüber hinaus mit zusätzlichen Darlehen und Eigenkapital unterstützen.

Auf Grundlage des Programms InvestEU sollen mithilfe der Europäischen Investitionsbank, des Europäischen Investitionsfonds, der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und weiteren Durchführungspartnern vor allem über Garantievereinbarungen öffentliche und private Investitionen im Bereich der Klimaneutralität unterstützt werden.

Schließlich verweist der Industrieplan auf den EU-Innovationsfonds.

Die Kommission führt jedoch aus, dass die genannten Instrumente (nur) eine Überbrückungslösung bilden, um eine gezielte Unterstützung dort zu leisten, wo sie am dringendsten benötigt wird. Bis zum Sommer 2023 will die Kommission deshalb eine strukturelle langfristiger ausgerichtete Lösung für den Investitionsbedarf in Form eines „Europäischen Souveränitätsfonds“ vorschlagen, der seine Grundlage in den Erfahrungen mit IPCEI-Projekten haben soll. Bei der Ausgestaltung beabsichtigt sie, die Mitgliedstaaten eng mit einzubinden.

Anmerkungen

Wie von der Kommission angekündigt und vom Europäischen Rat gefordert, enthält der „Industrieplan zum Grünen Deal für das klimaneutrale Zeitalter“ einen Überblick über die bestehenden der EU und ihren Mitgliedstaaten zur Verfügung stehenden Instrumente zur Wahrung und Förderung der Wettbewerbsfähigkeit Europas im Übergang zum klimaneutralen Industriezeitalter. Auch die Ankündigung einer Vereinfachung der Beihilferegeln im Bereich der klimafreundlichen Technologien setzte die Kommission in ihrem Konsultationsentwurf des TCTF binnen kürzester Zeit um. Mit weiteren Vereinfachungen ist im Zusammenhang mit der ebenfalls zeitnah zu erwartenden Überarbeitung der AGVO ist u.a. durch Anhebung der Schwellenwerte zu rechnen.

Wenig konkret bleibt derzeit noch die Ankündigung eines „Europäischen Souveränitätsfonds“. Dass ein solches Instrument zur stärkeren gemeinsamen Finanzierung auf EU-Ebene und zur Strukturierung der ganzheitlichen Förderung von Schlüsselbereichen weiterhin angestrebt und insbesondere für den Zusammenhalt der Union für dringend notwendig erachtet wird, verdeutlicht die Kommission jedoch abermals ausdrücklich.

Autor: Christopher Hanke, Müller-Wrede Rechtsanwälte

Reaktion auf den Inflation Reduction Act: Mehr Wettbewerbsgleichheit durch weniger Wettbewerbsgleichheit?

Reaktion auf den Inflation Reduction Act: Mehr Wettbewerbsgleichheit durch weniger Wettbewerbsgleichheit?

Ein selbstbewusstes und aggressiv auf den Weltmärkten auftretendes China, die Herausforderungen des Klimawandels vor dem Hintergrund ambitionierter Klimaziele, die Folgen der COVID-19-Pandemie, sowie des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine…. Die europäische Industrie hat gegenwärtig eine Vielzahl von verschiedenen Herausforderungen zu bewältigen, die insbesondere auch die Wertschöpfungs- und Lieferketten vieler Industriesektoren belasten. Und nun auch noch das: Der Inflation Reduction Act (IRA), der von den Vereinigten Staaten im August 2022 angenommen wurde und zu Beginn des neuen Jahres in Kraft treten soll, droht die Märkte abzuschotten und damit kritische Lieferketten zu unterbrechen. Entsprechend lautstark und forsch fallen die Forderungen nach europäischen Gegenmaßnahmen aus, bei deren Umsetzung die Rolle des EU-Beihilfenrechts fraglich zu sein scheint.

Der Inflation Reduction Act und seine befürchteten Auswirkungen

Der IRA beinhaltet im Kern ein massives Klimaschutzprogramm, das vor allem Steuergutschriften (sog. „Tax Credits“) für eine Vielzahl von Klimaschutzmaßnahmen vorsieht. So sind „Investment Tax Credits“ für Investitionen in erneuerbare Energieerzeugungskapazitäten ebenso vorgesehen wie „Production Tax Credits“ für die Produktion von erneuerbarem Strom, emissionsarmem Wasserstoff und kritische Komponenten sowie Rohstoffe, z.B. für Solar- und Wind- oder Batteriekomponenten. Darüber hinaus werden u.a. Tax Credits für emissionsfreie Fahrzeuge und Ladestationen, „Fuel Tax Credits“ für saubere Kraftstoffe und „Carbon Capture Tax Credits“ für Negativemissions-Technologien gewährt. Schließlich beinhaltet der IRA ein spezielles Programm für Industrieprojekte, eine Methan-Preis-Regulierung und eine Aufstockung der Kreditermächtigungen für Energieinfrastrukturen.

Gleichzeitig sind kumulative „Tax Credit Bonus-Systeme“ von bis zu 10 % vorgesehen, wenn inländische Herstellungsanforderungen erfüllt oder Projekte in Brachflächen, fossil geprägten Gegenden oder einkommensschwachen Gegenden innerhalb der Vereinigten Staaten umgesetzt werden.

Der IRA soll die Vormachtstellung der Vereinigten Staaten als größter Energiehersteller langfristig sicherstellen. Zusammen mit dem Infrastructure Investment and Jobs Act und dem Chips & Science Act werden die Vereinigten Staaten ca. 2 Billionen US-Dollar in wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, Innovation und Industrieproduktivität investieren, wobei alle Programme enorme Anreize und teils Verpflichtungen beinhalten, Produktionen in die Vereinigte Staaten zu verlagern und ihre Produkte aus den Vereinigten Staaten zu beziehen.

Insbesondere Letzteres wird vor allem von der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten mit Sorge und Kritik beobachtet. So führt Kommissionspräsidentin von der Leyen in gleich zwei ausführlichen Reden zu diesem Thema (am Europakolleg in Brügge, 04.12.2022 & auf der Plenartagung des Europäischen Parlaments zur Vorbereitung der Tagung des Europäischen Rates, 14.12.2022) aus, dass der IRA aus mehreren Gründen zu unlauterem Wettbewerb auf den Märkten führe: Die dem Gesetz zugrunde liegende „Buy American“-Logik, die Steuererleichterungen und die Produktionssubventionen könnten entweder bereits unmittelbar oder jedenfalls vorhersehbar europäische Unternehmen benachteiligen. Dadurch, dass darüber hinaus Anreize geschaffen werden, nicht nur in den Vereinigten Staaten zu produzieren, sondern auch kritische Komponenten und Rohstoffe in eigene landesinterne Lieferketen zu ziehen, bestehe die Gefahr, dass transatlantische und damit europäische Lieferketten darunter leiden. Insgesamt schaffe der IRA ein attraktives Investitionsumfeld für saubere Technologien in den USA. Während durch den IRA nach ersten Analysen (u.a. der Rhodium Group) z.B. der Preis für einen Kilogramm erneuerbaren Wasserstoff in den Vereinigten Staaten bis 2030 auf unter einen US-Dollar gedrückt werden kann, schätzen aktuelle Studien die Kosten in Deutschland im Jahr 2030 auf über vier Euro.

Die Reaktion der Europäischen Union

Besonders engagiert präsentiert derzeit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mögliche strukturelle Ansätze, wie die europäische Wirtschaft trotz dieser neuesten Herausforderung wettbewerbsfähig bleiben und gleichzeitig beim grünen Wandel Vorreiter bleiben kann.

Bereits in ihrer Rede zur Lage der Union 2022 am 14.09.2022 kündigte sie einen sog. „Europäischen Souveränitätsfond“ an und erklärte, künftig europäische Mittel für finanzielle Beteiligungen an wichtigen Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse („IPCEI“, siehe Kommission nimmt überarbeitete IPCEI-Mitteilung an – BeihilfenBlog) bereitstellen zu wollen.

Diesen Ansatz griff sie in den bereits genannten Reden vor dem Europakolleg und auf der Plenartagung des Europäischen Parlaments als einen von vier Hauptaktionsbereichen von „einer Art europäischem Gesetz zur Verringerung der Inflationsrate“ als Reaktion auf die möglichen Benachteiligungen europäischer Unternehmen durch den IRA auf:

Erstens beabsichtigt die Kommission im Januar 2023 einen neuen Beihilferahmen zu verabschieden, auf dessen Grundlage Beihilfeverfahren für Investitionsbeihilfen und Steuergutschriften für die gesamte Wertschöpfungskette strategischer grüner Sektoren vereinfacht und beschleunigt durchgeführt werden können. In diesem Zusammenhang haben Mitgliedstaaten zukünftig u.a. die Möglichkeit, bei der Bereitstellung von Beihilfen für bestimmte Produkte im Bereich der sauberen Produktionstechnologien nicht nur die europäischen, sondern auch die globalen Bedingungen zu berücksichtigen, indem Mitgliedstaaten bei bestimmten Neuinvestitionen mit Subventionen von Drittländern gleichziehen können. Ist eine solche „Matching-clause“ dem Beihilfenrecht nicht fremd und z.B. bereits in Rn. 98 des FuEuI-Rahmens enthalten, fristet sie bislang insbesondere aufgrund des regelmäßig fehlenden Nachweises eines tatsächlichen Vergleichsszenarios ein beihilfenrechtliches Schattendasein. Die Anpassungen im Beihilfenrecht sollen nach der Vorstellung von der Leyens Anreize für Unternehmen schaffen, weiterhin in der Europäischen Union zu bleiben, zu investieren oder sich anzusiedeln.

Als zweiten Ansatz schlägt von der Leyen eine ergänzende europäische Finanzierung vor. Da nicht alle Mitgliedstaaten über die gleichen Kapazitäten für groß angelegte Investitionen in strategische Sektoren verfügen und nicht „gleich tief in die Taschen“ greifen können, erfordere ein grüner Wandel in ganz Europa eine ergänzende europäische Finanzierung. Konkret sehen die Vorschläge vor, kurzfristig den REPowerEU-Plan zu stärken. Für den Sommer 2023 ist die Vorlage eines detaillierten Vorschlags für den bereits o.g. Souveränitätsfonds geplant. Dieser soll auf Grundlage einer Aufstockung des EU-Haushalts mehr Mittel für eine gemeinsame europäische Klimapolitik mit einer gemeinsamen europäischen Finanzierung bereitstellen, um v.a. Investitionen in Forschungs-, Innovations- und Strategieprojekte in den Bereichen Wasserstoff, Halbleiter, Quanteninformatik, KI oder Biotechnologien zu ermöglichen. Zum gleichen Zweck ist – wie bereits oben ausgeführt – geplant europäische Mittel auch für IPCEIs in diesen Bereichen bereitzustellen. Zusätzlich soll dabei auch eine stärkere Koordinierung der Politik erfolgen.

Als dritten Punkt wolle man eng mit der Regierung der Vereinigten Staaten über die aus europäischer Sicht problematischen Punkte des IRA sprechen, um insbesondere abzustimmen, wie die jeweiligen Anreizprogramme gegenseitig verstärkt werden könnten ohne dabei auf Kosten des anderen zu gehen.

Um sich gemeinsam von der Abhängigkeit Chinas im Hinblick auf Produktion und Verarbeitung kritischer Rohstoffe zu lösen, zielt von der Leyen darauf ab, gemeinsam mit den Vereinigten Staaten als eine Art „Rohstoffclub“ eine von China unabhängig Wertschöpfung zu schaffen, um dadurch Chinas Monopol zu überwinden.

Diesen „Vier-Punkte-Plan“ bestärkte von der Leyen schließlich auch vor dem Europäischen Rat in dessen Tagung am 15.12.2022 und betonte dabei in ihren einleitenden Bemerkungen auf der anschließenden Pressekonferenz die Notwendigkeit, die Beihilfevorschriften einfacher, effektiver und planbarer zu gestalten und dabei verstärkt europäische Mittel zu investieren.

Dass die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten die Sorgen und Ansätze von der Leyens im Grundsatz teilen, verdeutlichen die Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates vom 15.12.2022. So wird der Kommission aufgegeben, bis Ende Januar 2023 eine Analyse zur Mobilisierung aller einschlägigen nationalen und EU-Instrumente vorzulegen und Vorschläge zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen – z.B. durch gestraffte Verwaltungsverfahren – zu unterbreiten. Ebenso wird die Kommission gebeten, bis Anfang 2023 eine auf EU-Ebene angesiedelte Strategie zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und der Produktivität zu erarbeiten.

Europa gemeinsam gegen die Vereinigten Staaten?

Teilen die Mitgliedstaaten zwar die Sorge über die Folgen der IRA für die europäische Wirtschaft und herrscht insoweit Einigkeit darüber, in diesem Zusammenhang eine europäische Strategie zu entwickeln, zeichnet sich jedoch bereits ab, dass die Mitgliedstaaten unterschiedliche Vorstellungen von deren Ausgestaltung und Umsetzung haben.

Vor allem im Zusammenhang mit der Lockerung von Subventionsregeln und der Aufstockung des EU-Haushalts bzw. Aufnahme neuer EU-Schulden verhärten sich die Fronten zwischen den klassischen Lagern. Während vor allem Finanzminister Christian Lindner öffentlich die deutsche Position vertritt und mehr Flexibilität bei der Anwendung des Beihilfenrechts begrüßt, um auf den IRA mit eigenen Subventionen reagieren zu können, lehnt er laxere EU-Haushaltsregeln oder die Aufnahme neuer EU-Schulden strikt ab. Hierbei erhält Deutschland u.a. Unterstützung von Finnland und den Niederlanden. Demgegenüber stehen die Mitgliedstaaten, die auch schon zuletzt die „tiefen Taschen“ von Ländern wie Deutschland kritisierten (die aus eigener Kraft ihrer Industrie mit mehr Subventionen durch die Krisen helfen konnten) und damit eine Schieflage des europäischen Marktes befürchteten. Angeführt  von Frankreich und Italien wird deshalb der Ruf nach dem Einsatz von „EU-Töpfen“ und gemeinsamer Finanzierung lauter. Anklang in diesem Lager fand daher insbesondere der vorgeschlagene EU-Souveränitätsfonds.

Auch im Hinblick auf das Risiko der Inkaufnahme eines Handelskrieges mit den Vereinigten Staaten fällt der Ton unterschiedlich scharf aus. Während Frankreichs Regierungschef Emmanuel Macron schon zuletzt bei einem Besuch in Washington den IRA ausgesprochen scharf kritisierte und sich dafür aussprach, notfalls ebenfalls unter Missachtung von Handelsregeln, mit einem europäischen Unterstützungsprogramm zu reagieren, wirkt Bundeskanzler Olaf Scholz zurückhaltender und setzt vor allem auf den Dialog mit den Vereinigten Staaten. Unterstützt wird er auch hierbei von Finanzminister Christian Lindner, der betonte, dass insbesondere Deutschland kein Interesse an einem Handelskrieg mit den USA haben könne. Zu groß ist die Sorge in Deutschland, dass ein solches Vorgehen zu Vergeltungsmaßnahmen führen könne, zumal die USA der wichtigste Handelspartner für den deutschen Export ist.

Eine weitere Alternative brachte der Chef des Handelsausschusses im EU-Parlament, Bernd Lange, ins Spiel, in dem er auf die rechtlichen Möglichkeiten hinwies, die Vereinigten Staaten bei der WTO zu verklagen. Das Vorgehen der Vereinigten Staaten sei eindeutig nicht kompatibel mit den WTO-Vorschriften.

Ausblick

Nun ist also zunächst die Kommission gefordert, bis Ende Januar 2023 konkrete Vorschläge aus dem Hut zu zaubern, um die beihilferechtliche Grundlage für die bislang noch unklare Umsetzung der politischen Ziele zu schaffen.

Bei einer Analyse der bereits vorhandenen beihilferechtlichen Tools wie z.B. AGVO, De-minimis-Verordnungen und DawI-Freistellungsbeschluss dürfte sich sicherlich auch die Fragen stellen, inwieweit zeitaufwändige Genehmigungsverfahren z.B. auf Grundlage der Leitlinien für staatliche Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen (KUEBLL) effizienter gestaltet werden könnten, um Klimainvestitionen zeitnah umzusetzen.

Wie angekündigt wird die Kommission daneben auch hier auf die Ausgestaltung eines neuen Beihilferahmens setzen. Damit hat sie bereits während der Corona Krise mit dem Temporary Framework und im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine mit dem Temporary Crisis Framework gute Erfahrungen gemacht, um Erleichterungen für Beihilfen in bestimmten Bereichen zu schaffen. Dabei dürfte es insbesondere um Maßnahmen zur Unterstützung der gesamten Wertschöpfungskette strategisch grüner Sektoren gehen, sowie um die konkrete Ausgestaltung einer „Matching-clause“.  

Mit einer darüber hinausgehenden Lockerung der beihilferechtlichen Regelungen dürften die obersten Wettbewerbshüter jedoch vermutlich eher zögerlich umgehen. Ganz grundsätzlich stellt sich die Frage, ob eine Lockerung des europäischen Beihilfenrecht und die damit einhergehende Gefahr eines unfairen Wettbewerbs im Binnenmarkt wirklich der richtige Ansatz ist, um einen fairen Wettbewerb im Welthandel herzustellen oder ob ein solches Vorgehen nicht eher dazu beitragen würde, die Union weiter zu spalten. Ziel der Vorschriften des EU-Beihilfenrechts ist es schließlich, den Binnenmarkt zu schützen und einen Subventionswettlauf innerhalb der Union zu verhindern. Staatliche Beihilfen sind daher gemäß Art. 107 AEUV grundsätzlich verboten und dürfen nur gewährt werden, wenn sie mit dem Binnenmarkt vereinbar sind. Mit dem Binnenmarkt nicht vereinbar sind jedoch stets Beihilfen, deren Gewährung davon abhängig ist, dass der Beihilfenempfänger seinen Sitz in dem betreffenden Mitgliedstaat hat oder der Beihilfenempfänger einheimische Waren verwendet. Damit ist ein mit dem IRA vergleichbares protektionistischen Verhalten der Mitgliedstaaten aus beihilferechtlicher Sicht nicht zulässig.

Mag das Beihilfenrecht an manchen Stellen schwerfällig sein, hat es jedoch in der Vergangenheit wesentlich dazu beigetragen, den Wettbewerb im Binnenmarkt auch in Krisenzeiten zu schützen und sollte daher jetzt nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Vielmehr sollte auf die Regelungen der WTO für Subventionen im Rahmen des Agreement on Subsidies and Countervailing Measures (SCMA) verwiesen werden. Das SCMA verbietet in gleicher Form Subventionen, deren Gewährung an die Bedingung geknüpft ist, dass anstelle von eingeführten Waren einheimische verwendet werden. Die Einreichung einer Klage ist dabei nicht als ein unfreundlicher Akt zu bewerten, sondern vielmehr erforderlich, um Bestätigung zu erhalten, dass die amerikanischen Rechtsvorschriften nicht WTO-konform sind.

Zu hoffen bleibt, dass die Verhandlungen zwischen der US-Regierung und der Kommission in der extra dafür eingesetzten transatlantischen Task Force zielführend sind. Beide Seiten scheinen sich dabei zumindest grundsätzlich darüber einig zu sein, dass eine enge Koordinierung wichtig ist, um nachhaltige und widerstandsfähige Lieferketten über den Atlantik hinweg zu unterstützen, auch um eine saubere Energiewirtschaft aufzubauen. Profitieren dürfte von einem Handelskrieg zwischen Europa und den Vereinigten Staaten allenfalls China und das – da dürften sich beide Seiten des Atlantiks auch einig sein – kann nicht das Ziel sein.

Dieser Beitrag wurde gemeinsam verfasst von Christopher Hanke und Gabriele Quardt, Müller-Wrede und Partner.

Auf in den digitalen Wandel

Auf in den digitalen Wandel

Am 12. Dezember 2022 hat die Europäische Kommission eine überarbeitete Mitteilung über staatliche Beihilfen zur Förderung von Breitbandnetzen (im Folgenden „Breitbandleitlinien“) angenommen. Die Leitlinien werden am Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt, voraussichtlich im Januar 2023, in Kraft treten.

Die Überarbeitung der Breitbandleitlinien soll den digitalen Wandel innerhalb der Europäischen Union unterstützen, indem die Änderungen technologischen, aufsichtsrechtlichen und marktbezogenen Entwicklungen Rechnung tragen. Insbesondere sollen sie zu den strategischen Zielen der EU beitragen, bis zum Ende des Jahrzehnts eine Gigabit-Anbindung und eine Versorgung mit 5G-Netzen für alle Menschen in Europa zu gewährleisten. Sie spiegeln insofern die politischen Prioritäten der EU im digitalen Bereich (v.a. Mitteilung über die Gigabit-Gesellschaft, Mitteilung über die Gestaltung der digitalen Zukunft Europas, Mitteilung über den digitalen Kompass und kürzlich vom Europäischen Parlament und dem Rat angenommener Vorschlag für das Politikprogramm für die digitale Dekade) wider.

Zu diesem Zweck enthalten sie die Regeln, nach denen die Kommission angemeldete Beihilfen zur Unterstützung des Ausbaus und der Nutzung von Breitbandnetzen in der EU prüfen wird. Sie ergänzen die bereits im Jahr 2021 von der Kommission vorgenommene Änderung der AGVO, die ebenfalls Maßnahmen zur Förderung des Netzausbaus erleichtern soll und Bestimmungen über Festnetze, Mobilfunknetze und die Nutzung von Breitbanddiensten enthält (v.a. Abschnitt 10 der AGVO „Beihilfen für Breitbandinfrastrukturen“).

Aufbau der Breitbandleitlinien

Der Aufbau der Breitbandleitlinien entspricht in der Grundkonzeption dem Aufbau der neuen Leitlinien für staatliche Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen („KUEBLL“, siehe Aus UEBLL wird KUEBLL – BeihilfenBlog).

Nach der Einleitung in Abschnitt 1 enthalten die Breitbandleitlinien in Abschnitt 2 Vorschriften zum Anwendungsbereich, zu den maßgeblichen Begriffsbestimmungen und zu den von den Regelungen der Leitlinien umfassten Arten von Breitbandnetzen. Demnach geben die Leitlinien Orientierungshilfen für die Binnenmarktvereinbarkeit staatlicher Beihilfen für den Ausbau und die Nutzung von Festnetz-Breitbandnetzen, Mobilfunk-Breitbandnetzen und Mobilfunkdiensten. Die Leitlinien unterscheiden hierbei zwischen den in Abschnitt 2.3 näher erläuterten festen ultraschnellen Zugangsnetzen, Mobilfunk-Zugangsnetzen und Backhaul-Netzen.

Abschnitt 3 enthält Ausführungen zu sektorspezifischen Besonderheiten, die bei der Erbringung von Breitbanddiensten als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse („DAWI“) bei der Prüfung des DAWI-Pakets zu berücksichtigen sind.

In Abschnitt 4 legt die Kommission allgemein dar, dass sie im Rahmen ihrer Prüfung der Vereinbarkeit von Beihilfen mit dem Binnenmarkt nach Art. 107 Abs. 3 lit. c AEUV prüfen wird, ob die Beihilfe der Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige dient und abwägen wird, ob die positiven Auswirkungen der geplanten Beihilfe den möglichen negativen Auswirkungen in Form von Wettbewerbsverzerrungen und Beeinträchtigungen des Handels auf den Binnenmarkt überwiegen. Kapitel 5 enthält dann spezifische Vorgaben für die Prüfung dieser beiden Schritte in Bezug auf Beihilfen für den Ausbau von Breitbandnetzen, Kapitel 6 enthält spezifische Vorschriften für die Vereinbarkeitsprüfung in Bezug auf Anreizmaßnahmen.

Abschnitt 7 enthält schließlich Transparenzvorschriften, insbesondere Angaben zu den in der Beihilfentransparenzdatenbank einzutragenden Informationen. Abschnitt 8 sieht vor, dass bei großvolumigen Beihilferegelungen (Mittelausstattung oder verbuchte Ausgaben von über 150 Mio. EUR in einem Jahr oder 750 Mio. EUR während der Gesamtlaufzeit) oder wenn wesentliche marktbezogene, technologische oder aufsichtsrechtliche Veränderungen vorgesehen sind, die Kommission einen ex-post-Evaluierungsplan fordern kann.

Die wesentlichen Änderungen

Die Breitbandlinien haben inhaltlich vor allem folgende Überarbeitungen erfahren:

Die Schwellenwerte für öffentlich geförderte Festnetze werden an die neuesten technologischen und marktbezogenen Entwicklungen angepasst. So regeln die Rn. 53 ff., dass ein Marktversagen vorliegt und Mitgliedstaaten in Gebieten investieren dürfen, wenn dort Endnutzern keine Verbindung mit einer Download-Geschwindigkeit von mindestens 1 Gbit/s und einer Upload-Geschwindigkeit von mindestens 150 Mbit/s geboten wird. Die staatliche Investition muss die verfügbare Downloadgeschwindigkeit mindestens verdreifachen und in wettbewerbsbestimmten Gebieten eine Download-Geschwindigkeit von mindestens 1 Gbit/s und eine Upload-Geschwindigkeit von mindestens 150 Mbit/s ermöglichen.

Mobilfunknetze dürfen nach den Rn. 60 ff. wiederum staatlich unterstützt werden, wenn private Betreiber entsprechende Investitionen ansonsten nicht tätigen würden. Auch dann sind staatliche Investitionen nach Rn. 51 nur erforderlich, wenn entsprechende Investitionen nicht durch administrative oder regulatorische Maßnahmen, wie eine mit der Nutzung bestimmter Funkfrequenzen verbundene Abdeckungsverpflichtung, gewährleistet werden können.

Die überarbeiteten Leitlinien enthalten in Abschnitt 6 einen eigenen Abschnitt mit neu eingeführten Maßnahmen, die Anreize zur Nutzung von Breitbanddiensten schaffen sollen. Die dort geregelten Maßnahmen sollen Hindernisse für die digitale Konnektivität beseitigen und den Zugang zu Breitbanddiensten erleichtern, um die digitale Inklusion und die Resilienz der Gesellschaft zu verbessern. Zu diesem Zweck schreiben die Leitlinien vor, unter welchen Voraussetzungen Sozialgutscheine für Verbraucher (Abschnitt 6.1) und Konnektivitätsgutscheine für Endnutzer in Person von Verbrauchern oder KMU (Abschnitt 6.2) eingesetzt werden dürfen.

Die Überarbeitungen enthalten Klarstellungen und zusätzliche Orientierungshilfen zu Schlüsselbegriffen und -grundsätzen im Zusammenhang mit der Förderung von Breitbandnetzen, wie zur Kartierung (Abschnitt 5.2.2.4.1), zu öffentlichen Konsultationen zu geplanten Maßnahmen (Abschnitt 5.2.2.4.2), zu den Anforderungen an wettbewerbliche Auswahlverfahren (Abschnitt 5.2.4.1), zum Zugang auf Vorleistungsebene (Abschnitt 5.2.4.4) und den Preisen für diesen Zugang (5.2.4.4.4) und zu Rückforderungsmechanismen (Abschnitt 5.2.4.4.5).

Bei der Abwägung der positiven Auswirkungen der Beihilfe gegen ihre negativen Auswirkungen auf Wettbewerb und Handel wird nun vor allem der Beitrag und die Auswirkungen der Maßnahme im Hinblick auf die EU-Ziele des digitalen und grünen Wandels berücksichtigt.

Autor: Christopher Hanke, Müller-Wrede & Partner

Kommission : FC Valencia – Spanier gewinnen in der Rückrunde

Kommission : FC Valencia – Spanier gewinnen in der Rückrunde

Auch wenn die spanische Fußballmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Katar gegen Marokko ausgeschieden ist, hat der spanische Fußball in der Rückrunde in Luxemburg zumindest einen beihilferechtlichen Sieg gegen die EU-Kommission eingefahren.

Zum Spielverlauf im Einzelnen:

Bürgschaften zugunsten spanischer Fußballvereine

Das Instituto Valenciano de Finanzas (das Finanzinstitut der Regierung der Autonomen Gemeinschaft in Valencia – IVF) gewährte in den Jahren 2009 und 2010 verschiedene Bürgschaften zugunsten von Vereinigungen, die mit drei regionalen Fußballclubs – dem FC Valencia, dem FC Hércules und dem FC Elche – in Verbindung standen.

Konkret betrachtet wird in diesem Beitrag, die durch das IVF zugunsten der Fundacion Valencia im November 2009 gewährte Bürgschaft für ein Bankdarlehen iHv. 75 Mio. EUR für den Erwerb von 70,6 % der Aktien des FC Valencia. Diese Bürgschaft wurde ein Jahr später um 6 Mio. EUR aufgestockt, verbunden mit der Erhöhung des Darlehens um diesen Betrag. Bis zum 26. August 2010 sollte das Darlehen in gesamter Höhe sowie Zinsen und Verzugszinsen zurückgezahlt und die Bürgschaft zurückgegeben werden.

Beschluss der Kommission

Mit Beschluss vom 4. Juli 2016 ist die Kommission (siehe hierzu Rote Karte für den spanischen Fußball vom 7. Juli 2016 – BeihilfenBlog) zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei den Bürgschaften der IVF um staatliche Beihilfen handelt. Der FC Valencia habe sich zum Zeitpunkt der Bürgschaftsgewährung in finanziellen Schwierigkeiten befunden. Der für eine Genehmigung dieser Art von Beihilfen erforderliche Umstrukturierungsplan konnte jedoch seitens der spanischen Behörden nicht vorgelegt werden. Daher ordnete die Kommission die Rückforderung der Beihilfen an.

Die Hinrunde vor dem Gericht der Europäischen Union

Der FC Valencia erhob gegen diesen Kommissionsbeschluss Nichtigkeitsklage beim EuG. Mit Urteil vom 12. März 2020 (Rs. T-732/16) erklärte das Gericht den Beschluss der Kommission für nichtig. Hintergrund ist, dass der Kommission bei der Frage, ob es sich bei der Bürgschaft um eine Beihilfe handelt oder nicht ein Beurteilungsfehler unterlaufen ist. Der Beurteilungsfehler bezieht sich auf die von der Kommission zu prüfende Frage, ob auf dem Markt keine äquivalente Garantieprämie angeboten werde. Nachdem die Kommission davon ausgegangen sei, dass es sich bei dem Fußballverein um ein Unternehmen in Schwierigkeiten handelt, sei sie fälschlicherweise davon ausgegangen, dass deshalb auf dem Markt keine entsprechende Referenzgarantieprämie angeboten werde. Die Kommission habe darüber hinaus auch keine Gesamtbetrachtung vorgenommen, ob dem FC Valencia von einem privaten Wirtschaftsteilnehmer eine Bürgschaft zu vergleichbaren Konditionen angeboten worden wäre.

Die Rückrunde vom Gerichtshof der Europäischen Union

Die Kommission hat gegen das Urteil des EuG Rechtsmittel eingelegt und beantragt, das Urteil des Gerichts aufzuheben. Die Kommission macht dabei einen einzigen Rechtsmittelgrund geltend, mit dem sie die fehlerhafte Auslegung des Begriffs „wirtschaftlicher Vorteil“ iSd. Art. 107 Abs. 1 AEUV rügt.

Der EuGH hat mit seinem Urteil vom 10. November 2022 in Rs. C-211/20 P das Rechtsmittel als unbegründet zurückgewiesen und damit der spanischen Mannschaft in der Rückrunde zum Sieg verholfen.

Der EuGH stützt dabei die Ansicht des EuG in der ersten Instanz im Hinblick auf den Beurteilungsfehler der Kommission im Zusammenhang mit der Ermittlung der marktgerechten Bürgschaftsprämie. Der EuGH führt aus, dass die Kommission bei der Anwendung des Grundsatzes des privaten Wirtschaftsteilnehmers eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung vorzunehmen habe, bei der sie grundsätzlich über ein weites Ermessen verfüge. Die Kommission hat jedoch im Zusammenhang mit der Frage, ob und unter welchen Umständen eine Bürgschaftsprämie marktgerecht ist ihr Ermessen durch den Erlass der Bürgschaftsmitteilung gebunden und müsse sich daran auch festhalten lassen. Daher müsse die Kommission bei der Beurteilung der Frage, ob eine Bürgschaftsprämie ein Beihilfenelement enthält auch die in der Bürgschaftsmitteilung angegebene Prüfungsreihenfolge berücksichtigen.

Zunächst sei daher zu prüfen, ob es eine entsprechende Garantieprämie als Vergleichsmaßstab auf dem Finanzmarkt gibt. Steht eine solche Prämie als Vergleichsmaßstab nicht zur Verfügung, sind die gesamten Finanzierungskosten für einen vergleichbaren nicht garantierten Kredit heranzuziehen. Erst wenn die Kommission beides geprüft und verneint hat, kann in einem nächsten Schritt – in Abstimmung mit dem Mitgliedstaat – auf Referenzwerte zurückgegriffen werden.

Hier habe die Kommission – so der EuGH – festgestellt, dass es sich bei dem FC Valencia um ein Unternehmen in Schwierigkeiten handelt. Daraus habe sie nicht nur geschlussfolgert, dass kein Finanzinstitut bereit gewesen wäre, dem Sportverein eine Bürgschaft zu gewähren, sondern auch dass es keinen vergleichbaren nicht garantierten Kredit am Markt geben könne. Die Kommission sei daher irrig und ungeprüft vom Vorliegen eines beihilferelevanten Vorteils ausgegangen und habe dabei ihre Entscheidung nur auf eine negative Vermutung gestützt. Insofern habe die Kommission die ihr obliegende Beweislast und Sorgfaltspflicht nicht erfüllt, die sie sich selbst im Zusammenhang mit der Prüfung der Beihilferelevanz einer Bürgschaftsprämie auferlegt habe. Ausreichend wäre gewesen, wenn sich die Kommission im Verwaltungsverfahren an die spanischen Behörden gewandt hätte, um maßgebliche Information für ihre Beurteilung zu erbitten.

Autorin: Johanne Rippel, Referendarin bei Müller-Wrede & Partner

Steuerautonomie der Mitgliedstaaten schützt nicht vor Anwendung des Beihilfenrechts, aber…

Steuerautonomie der Mitgliedstaaten schützt nicht vor Anwendung des Beihilfenrechts, aber…

Die beihilferechtliche Bewertung der Ausstellung von Steuervorbescheiden (sog. „tax rulings“) durch einzelne Mitgliedstaaten beschäftigt seit geraumer Zeit Kommission und Unionsgerichte (hier bereits in zahlreichen Beiträgen besprochen, zuletzt EuGH: Belgische „tax rulings“ stellen eine Beihilferegelung dar – BeihilfenBlog). Tax rulings enthalten verbindliche Auskünfte der Steuerbehörden über die Höhe der von dem betroffenen Unternehmen zukünftig zu zahlenden Steuern und werden oftmals von Konzernen genutzt, um Rechtssicherheit hinsichtlich der Besteuerung bestimmter Systeme (oftmals von bestimmten Verrechnungspreisen) zu erlangen.

Seit 2013 überprüft die Kommission die mitgliedstaatliche Praxis solcher tax rulings vermehrt auf ihre Vereinbarkeit mit dem Beihilfenrecht. Einer der ersten Beschlüsse, mit denen die Kommission tax rulings als mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe einstufte, war ein Beschluss zu einem tax ruling luxemburgischer Steuerbehörden zugunsten der Fiat Chrysler Finance Europe (FTT), einem Unternehmen der Fiat-Gruppe (siehe zum Beschluss im Einzelnen Ruling (Tax) rulings… Die Kommission stellt die Beihilferechtswidrigkeit vorteilhafter Steuervorbescheide für Fiat und Starbucks fest – BeihilfenBlog).

Nachdem das EuG den Kommissionsbeschluss noch bestätigt hatte (siehe EuG zum Thema Tax-rulings: die Kommission liegt 1:2 im Rückstand – BeihilfenBlog), fand die Saga nun mit Urteil der Großen Kammer des EuGH vom 08.11.2022 ihren Abschluss.

Mit seinem Urteil (verb. Rs. C‑885/19 P und C‑898/19 P) hat der EuGH die Urteile des EuG aufgehoben und den Kommissionsbeschluss für nichtig erklärt. Die Kommission habe bei der Prüfung des Vorliegens eines selektiven Vorteils durch die steuerliche Maßnahme zu Unrecht einen anderen Fremdvergleichsgrundsatz als den im luxemburgischen Recht festgelegten Grundsatz angewendet. In diesem Zusammenhang nahm der EuGH eine interessante und wichtige Klarstellung zum Zusammenspiel aus Steuerautonomie der Mitgliedstaaten einerseits und Anwendung des Beihilfenrechts andererseits bei der Prüfung eines selektiven Vorteils einer Steuermaßnahme vor.

Im Einzelnen:

Der zugrunde liegende Sachverhalt und der bisherige Verfahrensgang ergibt sich aus unseren bereits angeführten Beiträgen zum Kommissionsbeschluss und zu den EuG-Urteilen.

Im Rechtsmittelverfahren führten die Rechtsmittelführer (neben FTT auch Irland) folgende Rechtsmittelgründe an: Die von der Kommission vorgenommene Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes („arm’s length principle“) sei fehlerhaft und die Kommission habe einen Fehler bei der Anwendung des Art. 107 Abs. 1 AEUV begangen. Dem Gericht sei insofern bei der Prüfung der Selektivität ein Fehler unterlaufen. Weiter sei gegen die Grundsätze der Begründungspflicht und der Rechtssicherheit verstoßen worden. Schließlich rügten die Rechtsmittelführer einen Verstoß gegen die Art. 4 und 5 EUV sowie gegen Art. 114 AEUV, da die Vorschriften über staatliche Beihilfen im konkreten Fall zur Harmonisierung der Vorschriften der Mitgliedstaaten über die direkte Besteuerung genutzt worden seien.

Der EuGH prüfte zunächst die Rechtsmittelgründe, mit denen die Rechtsmittelführer im Kern einen Rechtsfehler des EuG bei der Prüfung eines „selektiven Vorteils“ rügen.

Hierbei weist der EuGH einleitend darauf hin, dass Maßnahmen der Mitgliedstaaten in Bereichen, die nicht unionsrechtlich harmonisiert sind, nicht von den Bestimmungen über die Kontrolle staatlicher Beihilfen ausgenommen sind. Auch wenn das Steuerrecht ein solcher Bereich ist, dürfen Mitgliedstaaten also keine steuerliche Maßnahme erlassen, die eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe darstellt.

Bei der Prüfung, ob steuerliche Maßnahmen eine staatliche Beihilfe iSd. Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellen, ist das entscheidende Merkmal, ob die Maßnahme einen selektiven Vorteil verschafft. Also ob sie geeignet ist, bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige gegenüber anderen Unternehmen oder Produktionszweigen zu begünstigen, die sich im Hinblick auf das mit dieser Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden und somit eine unterschiedliche Behandlung erfahren, die der Sache nach als diskriminierend eingestuft werden kann.

Die Einstufung einer steuerlichen Maßnahme als selektiv erfolgt in drei Schritten: In einem ersten Schritt muss die Kommission das Bezugssystem, d.h. die in einem Mitgliedstaat geltende „normale“ Steuerregelung ermitteln. Die Bestimmung des Bezugsrahmens muss sich hierbei aus einer objektiven Prüfung des Inhalts, des Zusammenhangs und der konkreten Wirkungen der nach dem nationalen Recht dieses Staates anwendbaren Vorschriften ergeben. In einem zweiten Schritt muss die Kommission dartun, dass die Maßnahme von diesem Bezugssystem insofern abweicht, als sie Unterscheidungen zwischen solchen Wirtschaftsteilnehmern einführt, die sich im Hinblick auf das mit dem Bezugssystem verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden. Drittens unterfallen solche a priori selektiven Maßnahmen nicht dem Beihilfebegriff, wenn die Unterscheidung gerechtfertigt ist, weil sie sich aus der Natur oder dem Aufbau des Systems ergibt, in das sich die Maßnahmen einfügen (st. Rspr., siehe v.a. World Duty Free Group und Spanien/Kommission, verb. Rs. C‑51/19 P und C‑64/19 P).

Hierbei betont der EuGH, dass die Regelungstechnik nicht entscheidend ist. Selbst eine nicht formal abweichende Maßnahme, die auf an sich allgemeinen Kriterien beruht, kann selektiv sein, wenn sie faktisch zu einer unterschiedlichen Behandlung von Unternehmen führt, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Steuerregelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren Situation befinden.

Aus der Steuerautonomie der Mitgliedstaaten zieht der EuGH aber eine Einschränkung für die Bestimmung des Bezugssystems, die nicht nur im hiesigen Fall entscheidend ist, sondern auch über diesen Fall hinaus von der Kommission zu beachten sein wird: So folgt aus der Steuerautonomie der Mitgliedstaaten, dass bei der Bestimmung des Bezugssystems nur das im jeweiligen Mitgliedstaat anwendbare nationale Recht zu berücksichtigen ist. Die so zutreffend vorzunehmende Bestimmung des Bezugssystems ist unerlässlich, nicht nur für die Beurteilung, ob ein Vorteil vorliegt, sondern auch für die Frage, ob ein solcher Vorteil selektiv ist.

Die Kommission hatte in Erwägungsgrund 228 ihres Beschlusses noch ausgeführt, dass der Fremdvergleichsgrundsatz notwendigerweise einen festen Bestandteil ihrer Prüfung einer den Unternehmen einer Gruppe gewährten steuerlichen Maßnahmen bilde, unabhängig davon, ob dieser Grundsatz im nationalen Recht verankert sei oder nicht (Näheres zum Fremdvergleichsgrundsatz bzw. „arm’s length principle“ unter Etappen-Sieg für die Kommission bei Prüfung von „tax rulings“ zugunsten von Nike und Converse: Klage gegen Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens abgewiesen – BeihilfenBlog; Etappen-Sieg für die Kommission bei Prüfung von „tax rulings“ zugunsten von Nike und Converse: Klage gegen Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens abgewiesen – BeihilfenBlog (beihilfen-blog.eu)).

Der Steuervorbescheid war auf Grundlage von Art. 164 Abs. 3 des luxemburgischen Einkommenssteuergesetzes und einem Rundschreiben zu diesem Artikel erlassen worden. Die Kommission hatte nach eigenem Vorbringen aber nicht geprüft, ob der fragliche Steuervorbescheid mit dem in diesen Vorschriften konkret definierten Fremdvergleichsgrundsatz in Einklang steht. Denn sie war der Ansicht, dass es ausreiche, aufzuzeigen, dass die Methode der luxemburgischen Steuerbehörden bei der Ausstellung des Steuervorbescheids allgemein von einer Methode abweiche, die zu einer verlässlichen Annäherung an ein marktbasiertes und damit fremdvergleichskonformes Ergebnis führe.

Das EuG hatte den Ansatz der Kommission, den Fremdvergleichsgrundsatzes unabhängig von seiner konkreten Verankerung im nationalen Recht anzuwenden, bestätigt.

Dem erteilte der EuGH nun in Anwendung der zuvor hergeleiteten Grundsätze eine ausdrückliche Absage. Indem die Kommission die Relevanz des Art. 164 Abs. 3 des Einkommenssteuergesetzes und des Rundschreibens verneint hat, hat sie einen anderen Fremdvergleichsgrundsatz angewandt als den im nationalen Recht festgelegten. Sie hat schlicht festgestellt, dass der Fremdvergleichsgrundsatz abstrakt im allgemeinen luxemburgischen Körperschaftssteuersystem als Zielsetzung zum Ausdruck kommt, ohne aber die Art und Weise zu berücksichtigen, in der dieser Grundsatz in Bezug auf integrierte Unternehmen eines Konzerns im nationalen Recht (in Art. 164 Abs. 3 des Einkommenssteuergesetzes bzw. dem Rundschreiben) konkret verankert ist. Zwar zielt das auf integrierte Unternehmen in Luxemburg anwendbare nationale Steuerrecht darauf ab, zu einer verlässlichen Annäherung an den Marktpreis zu gelangen, was als Ziel allgemein dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Nichtsdestotrotz müssen die konkreten Modalitäten der Anwendung dieses Grundsatzes nach dem nationalen Recht bei der Bestimmung des Bezugssystems berücksichtigt werden.

Indem das EuG den Ansatz der Kommission bestätigt hat, hat es nicht die o.g. Anforderungen der Rechtsprechung an die Bestimmung des Bezugssystems eingehalten, nach denen die Prüfung eines selektiven Vorteils auf Grundlage einer objektiven Prüfung des Inhalts, des Aufbaus und der konkreten Wirkungen der nach dem nationalen Recht dieses Staates anwendbaren Vorschriften vorzunehmen ist. Das Gericht hat somit Art. 107 Abs. 1 AEUV fehlerhaft angewandt.

Gleichermaßen hat das EuG hierdurch die Vorschriften zur Steuerautonomie der Mitgliedstaaten (Art. 114 Abs. 2 AEUV und Art. 115 AEUV) verkannt. Denn die Kommission ist nicht befugt, unter Außerachtlassung der nationalen Steuervorschriften eigenständig die „normale“ Besteuerung in einem Mitgliedstaat festzulegen. Die Steuerautonomie der Mitgliedstaaten lässt sich nur gewährleisten, wenn die Prüfung nach Art. 107 Abs. 1 AEUV ausschließlich auf Grundlage der vom Gesetzgeber des betreffenden Mitgliedstaats festgelegten Steuervorschriften beruht.

Aufgrund dieser Rechtsfehler hob der EuGH nicht nur die Urteile des EuG auf, sondern erklärte auch den Kommissionsbeschluss für nichtig.

Der Rechtsfehler des EuG beruhte darauf, eine rechtsfehlerhafte Prüfung der Kommission bestätigt zu haben. Gleichermaßen hatte deshalb bereits die Kommission in ihrem Beschluss gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV und die Vorschriften zur Steuerautonomie der Mitgliedstaaten verstoßen.

In diesem Zusammenhang betont der EuGH abermals, dass die Entscheidung trotzdem nicht ausschließt, dass auch solche Steuermaßnahmen der beihilferechtlichen Kontrolle unterliegen.

Anmerkungen

Auch wenn die Kommission in diesem konkreten Fall einen Rückschlag bei ihrem Vorgehen gegen Steuermaßnahmen zugunsten multinationaler Konzerne zu verkraften hat, bestätigt der EuGH abermals ausdrücklich, dass auch Maßnahmen auf Grundlage von Vorschriften in Bereichen, die nicht unionsrechtlich harmonisiert sind, der beihilferechtlichen Kontrolle unterliegen.

Hierbei nimmt der EuGH aber einige wichtige Klarstellungen und Abgrenzungen zu dem Zusammenspiel aus Steuerautonomie einerseits und Beihilfenrecht andererseits vor: Bei der Bestimmung des Bezugssystems darf die Kommission nur das im jeweiligen Mitgliedstaat anwendbare nationale Recht berücksichtigen. Die Bestimmung einer „normalen“ Besteuerung als Bezugssystem kann und darf nur auf Grundlage der konkreten Auswirkungen des nationalen Rechts erfolgen. Bestimmt die Kommission die „normale“ Besteuerung ungeachtet dessen, verstößt sie zum einen gegen den Grundsatz, dass das Vorliegen eines selektiven Vorteils nach einer objektiven Prüfung des Inhalts, des Aufbaus und der konkreten Wirkungen der nach dem nationalen Recht dieses Staates anwendbaren Vorschriften vorzunehmen ist. Zum anderen verstößt sie dann gegen die Art. 114 Abs. 2 und 115 AEUV, da die „normale“ Besteuerung in einem nicht unionsrechtlich harmonisierten Bereich nur von den Mitgliedstaaten selbst festgelegt werden kann.

Üben die Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeiten in einem solchen Bereich aus, haben sie bei der Ausgestaltung der Regelungen und Maßnahmen aber nichtsdestotrotz das Beihilfenrecht zu beachten.

Dass auch dieses Urteil die Kommission eher ermutigt als entmutigt, verdeutlicht eine Stellungnahme der EU-Kommissarin für Wettbewerb, Margrethe Vestager.

Sie betonte, dass das Urteil die Kommission in ihrem Ansatz, auch Maßnahmen in nicht unionsrechtlich harmonisierten Bereichen einer beihilferechtlichen Prüfung zu unterziehen, bestätige. Hierbei gebe das Urteil der Kommission wichtige Orientierungshilfen. Die Kommission werde weiterhin alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente nutzen, um Wettbewerbsverzerrungen durch rechtswidrige Besteuerung multinationaler Konzerne zu verhindern. Hierbei zeige das Vorgehen der Kommission auch ungeachtet einzelner beihilferechtlicher Entscheidungen bereits spürbare Wirkung. Viele Mitgliedstaaten hätten Gesetzgebung oder Rechtsprechung angepasst, um Schlupflöcher zu vermeiden oder zu schließen.

Autor: Christopher Hanke, Müller-Wrede & Partner

Ryanair liefert keinen Anlass zu Bedenken

Ryanair liefert keinen Anlass zu Bedenken

01.12.2022

Christopher Hanke

Der Flugverkehr war einer der Sektoren, die durch die im Zusammenhang mit der COVD-19-Pandemie erlassenen Restriktion und Reisebeschränkungen am unmittelbarsten und am stärksten betroffen waren. Die Folge waren erhebliche finanzielle Einbußen und Umsatzeinbrüche bei den Fluggesellschaften. Zahlreiche Mitgliedstaaten gewährten daraufhin in ihrem Land ansässigen Fluggesellschaften Beihilfen verschiedenster Art.

Paneuropäische Fluggesellschaften, insbesondere Ryanair, profitierten nicht von derartigen Maßnahmen, was Ryanair dazu veranlasste, gegen die jeweiligen Beihilfemaßnahmen oder ‑regelungen Klage bei den europäischen Gerichten einzureichen (siehe Keine Diskriminierung durch mit dem Binnenmarkt vereinbare BeihilfenRyanairs Kampf gegen Diskriminierung im Beihilfenrecht geht weiterBegründungspflicht der Kommission und „New Normal“ in der Spruchpraxis des EuG)

Ryanair rügte in den Verfahren verschiedene rechtliche Verstöße (u.a. Verstoß gegen Art. 107 Abs. 2 lit. b bzw. Abs. 3 lit. b AEUV, Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot und die Niederlassungsfreiheit) die Ryanair jeweils daraus ableitete, dass die Beihilfen nur einzelnen nationalen Fluggesellschaften, aber nicht ebenso von der Pandemie betroffenen paneuropäischen Fluggesellschaften zugutekämen. Bislang war das Vorgehen für Ryanair aber von überschaubarem Erfolg gekrönt.

Ähnliche Argumentation und gleicher (Miss-)Erfolg für Ryanair nun auch im jüngsten Verfahren, das die 10. Kammer des EuG (Urteil vom 09. November 2022, T-111/21) zu entscheiden hatte:

Ryanair hatte auf Aufhebung eines Kommissionsbeschlusses geklagt, mit dem ein von Kroatien zugunsten von Croatia Airlines gewährtes Darlehen iHv. 11,7 Mio. EUR ohne Durchführung eines förmlichen Prüfverfahrens genehmigt wurde. Die Kommission war der Ansicht, die Maßnahme falle zwar unter den Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV, sei aber nach Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar.

Der Klagevorwurf von Ryanair

Ist das Ansinnen Ryanairs das gleiche wie in den in diesem Blog bereits besprochenen Klageverfahren, hatte sich das EuG diesmal aber auch mit anderen Rechtsfragen zu beschäftigen. So wendete sich Ryanair gegen die Entscheidung der Kommission, die Maßnahme ohne Durchführung eines förmlichen Prüfverfahrens zu genehmigen und macht insofern ihre Verfahrensrechte als „Beteiligte“ iSd. Art. 108 Abs. 2 AEUV und iSd. Art. 1 lit. h VO 2015/1589 geltend. Hätte die Kommission das förmliche Prüfverfahren eröffnen müssen, wären diesen „Beteiligten“ ihre Verfahrensrechte in einem solchen Verfahren abgeschnitten. Die vom Gericht zu prüfenden Vorwürfe Ryanairs erfolgen deshalb vor dem Hintergrund der Frage, ob die Kommission das förmliche Prüfverfahren hätte eröffnen müssen.

Zusätzlich wendete sich Ryanair auch gegen die Begründetheit des Beschlusses, da sie von der Entscheidung unmittelbar in ihrer Wettbewerbsfähigkeit und ihrer Position auf dem betroffenen Markt betroffen gewesen sei. Ryanair sei nämlich der größte und einzige echte Wettbewerber auf dem Markt und befinde sich als einzige Fluggesellschaft insofern in einer vergleichbaren Situation wie Croatia Airlines. Dieses Vorbringen wies das EuG allerdings bereits als unzulässig zurück.

Unter Hinweis auf eine Entscheidung des EuGH in der Rs. Lufthansa, C-453/19 P, führte das EuG aus, dass sich Personen, die nicht Adressant einer Maßnahme sind, nach Art. 263 Abs. 4 AEUV nur gegen Handlungen richten können, die sie unmittelbar und individuell betreffen. Insbesondere reicht es hierzu nicht aus, dass sich ein:e gegen die Begründetheit eines Beschlusses wendende Kläger:in „Beteiligte“ iSd. Art. 108 Abs. 2 AEUV ist. Es genügt auch nicht, Wettbewerber der Begünstigten zu sein. Vielmehr muss die Klagepartei darlegen, dass ihre Position auf dem betroffenen Markt durch den Beschluss substanziell beeinträchtigt ist. Soweit Ryanair zur Begründung einer solchen Betroffenheit angeführt hat, der engste und relevanteste Wettbewerber von Croatia Airlines zu sein und der einzige echte Wettbewerber hinsichtlich der Marktposition von Croatia Airlines zu sein, hat das Gericht die Ausführungen Ryanairs aber widerlegen können. So geht aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen hervor, dass Ryanair lediglich den vierthöchsten Marktanteil der Fluggesellschaften in Kroatien hat. Croatia Airlines bedient außerdem 38 Ziele in 24 europäischen Ländern und nur auf zwei dieser Routen operiert auch Ryanair. Der Wettbewerb zwischen den Fluggesellschaften ist deshalb insgesamt limitiert. Schließlich sind Ryanairs Ausführungen soweit Ryanair zusätzlich angab, durch eine Erweiterung ihrer Flotte um größere und effizientere Maschinen zukünftig ihr Routenangebot in Kroatien erweitern zu können, nach Ansicht des EuG zu allgemein und hypothetisch.

Das Gericht hatte sich somit einzig mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Kommission das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV hätte eröffnen müssen.

Ryanair führt zur Begründung ihrer Klage aus, die Kommission habe im Hinblick auf im Kern zwei Punkte eine unzureichende Prüfung durchgeführt. Hierdurch seien die Voraussetzungen, unter denen die Kommission das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV hätte eröffnen muss, erfüllt.

Erstens habe die Kommission die Einhaltung der Grundsätze der Nichtdiskriminierung, der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit unzureichend geprüft. Zweitens habe sie Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV falsch angewendet und die Verhältnismäßigkeit der Beihilfe im Verhältnis zum durch die COVID-19-Pandemie entstandenen Schaden falsch bewertet.

Die Entscheidung des EuG

Das EuG hat die Klage Ryanairs vollumfänglich abgewiesen.

Prüfungsmaßstab für die Erforderlichkeit der Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens

Das EuG zeigt zunächst den durch die europäischen Gerichte in der jüngeren Vergangenheit verfestigten Maßstab für die Notwendigkeit der Durchführung eines förmlichen Prüfverfahrens nach Art. 108 Abs. 2 AEUV auf:

Nach Art. 4 Abs. 4 VO 2015/1589 muss die Kommission das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV eröffnen, wenn sie nach einer vorläufigen Prüfung der Maßnahme „Anlass zu Bedenken“ hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt hat. Nach Art. 4 Abs. 3 VO 2015/1589 erlässt die Kommission umgekehrt ohne Durchführung eines solchen Verfahrens einen Genehmigungsbeschluss, wenn die Maßnahme keinen „Anlass zu Bedenken“ hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt gibt. Maßgeblich für das Vorliegen dieses Merkmals ist, ob die Kommission bei ihrer Prüfung auf „ernsthafte Schwierigkeiten“ bei der Bewertung der Binnenmarktvereinbarkeit gestoßen ist. Hierzu sind die Umstände, unter denen die Maßnahme erlassen wurde und der Inhalt der Maßnahme zu prüfen. Die Prüfung hat objektiv unter Vergleich der Entscheidungsbegründung mit den der Kommission zum Zeitpunkt der Entscheidung „verfügbaren Informationen“ zu erfolgen. Da die Begriffe „Anlass zu Bedenken“ und „ernsthaften Schwierigkeiten“ objektive Begrifflichkeiten sind, ist ihre Anwendung gerichtlich vollumfänglich überprüfbar, die gerichtliche Kontrolle ist nicht auf Ermessensfehler beschränkt.

Die der Kommission „verfügbaren Informationen“ umfassen alle Informationen, die für die Prüfung der Kommission erforderlich sind und die sie auf ihre Anfrage hin im förmlichen Prüfverfahren hätte erlangen können. Geht ihre Pflicht also über die bloße Prüfung der ihr bereits vorliegenden Informationen hinaus, muss sie hierbei aber nicht aus eigener Initiative und ohne Anhaltspunkte alle Informationen im Zusammenhang mit der Maßnahme zusammensuchen, auch wenn diese Informationen öffentlich zugänglich sind. Es ist maßgeblich, ob die Kommission über die Informationen in einem hypothetischen förmlichen Prüfverfahren verfügt hätte oder sie in einem solchen Verfahren erlangt hätte.

Der Beweis für das Vorliegen von „ernsthaften Schwierigkeiten“ ist durch die Klägerin – ggf. mit einem Bündel übereinstimmender Indizien – zu führen (Prüfungsmaßstäbe und Herleitung sind ständige Rechtsprechung – EuG nimmt in seinem Urteil Bezug auf die Rechtssachen Bouygues and Bouygues Télécom, C‑431/07 PSmurfit Kappa Group, T‑304/08Frucona Košice, C‑300/16 PAchemos Grupė and Achema, C‑847/19 PTempus Energy and Tempus Energy Technology, C‑57/19 P).

In Anwendung dieser Maßstäbe prüfte das Gericht in der Folge, ob die Argumente Ryanairs geeignet sind, Indizien für das Vorliegen „ernsthafter Schwierigkeiten“ bei der Prüfung der Vereinbarkeit der Maßnahme mit dem Binnenmarkt aufzuzeigen. Können solche Indizien auch tatsächlicher Art sein, versucht Ryanair ausschließlich, Rechtsfehler der Kommission als Beleg für das Vorliegen „ernsthafter Schwierigkeiten“ der Kommission aufzuzeigen.

Indizien für eine fehlerhafte Anwendung von Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV und eine fehlerhafte Prüfung der Verhältnismäßigkeit

Als Indizien für das Vorliegen ernsthafter Schwierigkeiten führt Ryanair zunächst mehrere Argumente dafür an, dass die Kommission den Croatia Airlines durch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie entstandenen Schaden fehlerhaft bemessen habe.

So gehe aus dem Beschluss nicht hervor, dass Inlandsflüge (anders als grenzüberschreitende Flüge) von den durch die kroatische Regierung verhängten Reisebeschränkungen zwischen dem 19. März 2020 und dem 30. Juni 2020 betroffen gewesen seien. Entsprechend könne – anders als die Kommission annehme – nicht davon ausgegangen werden, dass die gesamte Differenz zwischen den Betriebseinnahmen im Zeitraum der Beschränkungen und dem Vergleichszeitraum kausal auf die Reisebeschränkungen zurückzuführen sei. Das EuG wies dieses Argument aber unter Verweis auf die von der Kommission im Beschluss angeführten Zahlen zum Rückgang der Aktivitäten (insgesamt 77 % weniger Flüge im Vergleichszeitraum und bis zu 99,4 % weniger Passagiere im Vergleichszeitraum) von Croatia Airlines zurück. Aus den Zahlen geht hervor, dass sich die Reisebeschränkungen tatsächlich nicht nur auf internationale Flüge, sondern auch Inlandsflüge ausgewirkt haben. Folglich durfte die Kommission den Einbruch der Betriebseinkünfte aus Inlandsflügen bei ihrer Berechnung des Schadens mit einbeziehen.

Weiter rügt Ryanair, die Kommission habe nicht zwischen solchen Schäden, die Croatia Airlines infolge der Reisebeschränkungen entstanden seien und solchen Verlusten, die Croatia Airlines aus bereits zuvor existierenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten entstanden seien, unterschieden. Das EuG führt hierzu aus, dass Croatia Airlines zwar tatsächlich bereits 2018 und 2019 Verluste entstanden sind. Hieraus ergibt sich aber nicht, dass die Methode der Kommission ungeeignet ist, um nur den Schaden zu berechnen und zu kompensieren, der Folge der Reisebeschränkungen war. Die Berechnung der Kommission beruht auf der Annahme, dass ohne die Reisebeschränkungen die Betriebseinnahmen und auch die Betriebskosten (und ggf. Verluste) von Croatia Airlines identisch mit denen im Vergleichszeitraum im Jahr 2019 gewesen wären. Die Ausführungen Ryanairs sind insofern bereits nicht geeignet, diese Methode in Frage zu stellen. Zusätzlich hat sich das Einkommen von Croatia Airlines im Jahr 2019 gegenüber dem Jahr 2018 und im Jahr 2018 gegenüber dem Jahr 2017 erhöht. Es sei also nicht von einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage von Croatia Airlines gegenüber dem Vergleichszeitraum auszugehen gewesen. Vielmehr hätte sich diese positive finanzielle Entwicklung wohl fortgesetzt, wären nicht die COVID-19-Pandemie und die in diesem Zusammenhang erlassenen Reisebeschränkungen eingetreten. Auch die Tatsache, dass es sich bei Croatia Airlines um ein Unternehmen in Schwierigkeiten iSd. Abschnitts 2.2 der Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien gehandelt haben soll, begründet für sich betrachtet noch keine Überkompensation. Solche Unternehmen sind nicht von der Anwendung des Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV ausgenommen.

Soweit Ryanair noch anführt, dass Croatia Airlines im Dezember 2020 weitere Beihilfen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie erhalten hat, sind Tatsachen, die zeitlich nach der Beschlussentscheidung eingetreten sind, nicht berücksichtigungsfähig und können die Rechtmäßigkeit des Beschlusses nicht beeinträchtigen.

Weiter erteilt das EuG auch dem vermutlichen Hauptanliegen Ryanairs in diesem Klagegrund eine Absage:

Ryanair führt aus, dass Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV Beihilfen zulasse, die „Schäden, die durch […] sonstige außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind“, beseitigen. Die so entstandenen Schäden könnten nur beseitigt werden, wenn von der Maßnahme alle Schäden umfasst seien und nicht nur die Schäden eines einzelnen Betroffenen. Die Kommission hätte also die durch die COVID-19-Pandemie entstandenen Schäden aller in Kroatien operierenden Fluggesellschaften bewerten müssen. Diesem Ansinnen nahm das EuG aber unter Hinweis auf die wirklichen Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV den Wind aus den Segeln. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt voraus, dass die Kommission das Vorliegen besonderer außergewöhnlicher Ereignisse feststellt, dass eine kausale Verbindung zwischen dem Schaden und dem außergewöhnlichen Ereignis besteht und dass eine Überkompensation ausgeschlossen ist. Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV setzt aber nicht voraus, dass Mitgliedstaaten den gesamten durch das außergewöhnliche Ereignis entstandenen Schaden ausgleichen oder Beihilfen an alle betroffenen Geschädigten ausreichen (so bereits in Austrian Airlines; COVID 19, T-677/20, nicht rechtskräftig).

Schließlich war Ryanair der Ansicht, die Kommission hätte bei der Bewertung eines Vorteils zugunsten Croatia Airlines den Wettbewerbsvorteil, den Croatia Airlines durch die Maßnahme erlangt hat, berücksichtigen müssen. Auch insofern sei die Höhe des Vorteils unterbewertet worden. Das EuG führt insofern aus, dass hinsichtlich der Beurteilung der Vereinbarkeit einer Maßnahme mit dem Binnenmarkt nicht der Vorteil zu berücksichtigen ist, den die Begünstigte aus einem über diesen Vorteil hinausgehenden Nutzen aus der Begünstigung zieht.

Folglich konnte Ryanair insgesamt keine Indizien dafür anführen, dass die Kommission ernsthafte Schwierigkeiten bei der Anwendung des Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV hatte, die sie dazu hätten veranlassen müssen, das förmliche Prüfverfahren zu eröffnen.

Indizien für einen Verstoß gegen die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit

Des Weiteren begründet Ryanair das Vorliegen ernsthafter Schwierigkeiten der Kommission mit Vortrag zu vermeintlichen Verstößen gegen die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit.

Zunächst führt Ryanair an, die Begünstigung von einzig Croatia Airlines durch die Maßnahme (und nicht weiterer in Kroatien tätiger Fluggesellschaften, die auch Schäden infolge der COVID-19-Pandemie erlitten haben) begründe eine Ungleichbehandlung zwischen Unternehmen in einer vergleichbaren Situation. Diese Ungleichbehandlung sei auch in Anbetracht des Ziels der Maßnahme nicht verhältnismäßig, da ein Anbieter 100 % erhalte, obwohl sein Anteil am kroatischen Markt ca. 15 % betrage. Eine nichtdiskriminierende Maßnahme müsste alle in Kroatien tätigen Anbieter berücksichtigen. Die Maßnahme begründe einen „naked economic nationalism“.

Das EuG leitet ein, dass die Merkmale unterschiedlicher Sachverhalte und deren Vergleichbarkeit in Anbetracht des Ziels und Zwecks der Maßnahme zu bestimmen und zu beurteilen sind. Weiter hat der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als zentraler Grundsatz des EU-Rechts zur Folge, dass Maßnahmen der Kommission nicht über das hinausgehen dürfen, was zur Erreichung der Ziele erforderlich und angemessen ist. Das Ziel der gegenständlichen Maßnahme ist einzig die Kompensation von Schäden, die Croatia Airlines infolge der Reisebeschränkungen erlitten hat. Zwar haben alle in Kroatien tätigen Fluggesellschaften Schäden infolge der COVID-19-Pandemie und der in diesem Zusammenhang in Kroatien verhängten Reisebeschränkungen erlitten. Es gibt aber in den beihilferechtlichen Regelungen kein Erfordernis für Mitgliedstaaten, (alle oder überhaupt irgendwelche) Schäden durch außergewöhnliche Ereignisse zu erstatten. Des Weiteren führt das EuG aus, dass eine Beihilfemaßnahme schon ihrer Definition und Natur nach nur einem einzelnen Begünstigten zugutekommt. Der Vorwurf Ryanairs stellt insofern die Binnenmarktvereinbarkeit einer jeden Einzelbeihilfe infrage (siehe hierzu auch Ryanairs Kampf gegen Diskriminierung im Beihilfenrecht geht weiter – BeihilfenBlog). Jedenfalls ist eine Ungleichbehandlung durch Ziel und Zweck der Maßnahme gerechtfertigt: Sind die Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV erfüllt, rechtfertigt seine Anwendung etwaige sich hieraus ergebende Ungleichbehandlungen.

Auch zu den von Ryanair behaupteten Verstößen gegen die Niederlassungsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit liefert das EuG Altbekanntes: Ryanair hat schon nicht geltend gemacht, dass der exklusive Charakter einer Beihilfemaßnahme sie davon abhält, sich in Kroatien niederzulassen oder Dienstleistungen von oder nach Kroatien anzubieten.

Folglich gelang es Ryanair auch insofern nicht, Indizien für das Vorliegen ernsthafter Schwierigkeiten der Kommission bei ihrer Prüfung darzulegen.

Ryanair vermochte es nicht, einen „Anlass zu Bedenken“ iSd. Art. 4 VO 2015/1589 aufzeigen, weshalb die Kommission das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV nicht hätte eröffnen müssen. Entsprechend kann Ryanair keine Verletzung der ihr sonst in einem solchen Verfahren zustehenden Verfahrensrechte geltend machen.

Fazit

Das EuG hatte sich größtenteils mit altbekannten Vorwürfen Ryanairs im Zusammenhang mit COVID-19-Beihilfen zugunsten bestimmter Fluggesellschaften auseinanderzusetzen, die in neuem Gewand daherkamen.

Da die europäischen Gerichte aber weiterhin Ryanairs rechtlichen Argumenten nicht folgen, waren diese Argumente auch nicht geeignet, um zu begründen, dass die Kommission bei ihrer Prüfung „Anlass zu Bedenken“ an der Binnenmarktvereinbarkeit der Maßnahme hätte haben müssen und folglich das förmliche Prüfverfahren hätte eröffnen müssen.

Zahlreiche Urteile zu Ryanairs Klagen sind aber noch nicht rechtskräftig, sodass bislang über die von Ryanair aufgeworfenen Rechtsfragen noch nicht abschließend entschieden worden ist. Jedenfalls die 10. Kammer des EuG bestätigt aber die Rechtsprechung aus den Parallelfällen und hält an der rechtlichen Argumentation fest.

Autor: Christopher Hanke, Müller-Wrede & Partner

Kommission nimmt zweite Änderung des Befristeten Krisenrahmens an

Kommission nimmt zweite Änderung des Befristeten Krisenrahmens an

Bereits am 28. Oktober hat die Kommission nach Konsultation der Mitgliedstaaten die zweite Änderung des Befristeten Krisenrahmens für staatliche Beihilfen angenommen. Gleichzeitig hat sie eine Verlängerung aller im Befristeten Krisenrahmen vorgesehenen Maßnahmen bis zum 31. Dezember 2023 beschlossen (siehe zum Inhalt des Befristeten Krisenrahmens auch Befristeter Krisenrahmen für Beihilfen infolge des Ukraine Kriegs – BeihilfenBlog (beihilfen-blog.eu)).

Gleichermaßen hat sie die Möglichkeit, auf der Grundlage des Befristeten COVID-Rahmens Investitionsbeihilfen zur Förderung eines nachhaltigen Wiederaufbaus zu gewähren, ebenfalls bis zum 31. Dezember 2023 verlängert.

Die Änderungen beruhen auf der Rückmeldung der Mitgliedstaaten im Rahmen einer Umfrage und der Konsultation und erfolgen vor dem Hintergrund der jüngsten Verordnung über Notfallmaßnahmen als Reaktion auf hohe Energiepreise und dem Vorschlag der Kommission für eine neue Verordnung über Notfallmaßnahmen.

Die Änderungen sehen im Kern folgende Anpassungen des Befristeten Krisenrahmens vor:

Die Höchstbeträge für begrenzte Beihilfen in den Rn. 55 und 56 werden auf bis zu 250.000 EUR für in der Landwirtschaft tätige Unternehmen bzw. 300.000 EUR für im Fischerei- und Aquakultursektor tätige Unternehmen und auf bis zu 2 Mio. EUR für Unternehmen anderer Wirtschaftszweige angehoben. Die Beihilfe darf dabei in Form von rückzahlbaren Vorschüssen, Garantien oder Darlehen sowie als Eigenkapital gewährt werden. Voraussetzung ist, dass die Maßnahmen auf Grundlage einer Beihilferegelung durchgeführt werden.

In Ausnahmefällen und unter strengen Voraussetzungen können Mitgliedstaaten nun auch Garantien ausreichen, die den eigentlich in Rn. 61 geregelten Deckungssatz von 90 % des Darlehens übersteigen, wenn sie als Finanzsicherheit für zentrale Gegenparteien oder Clearingmitglieder gestellt werden. Hierdurch soll die Flexibilität der Liquiditätshilfen für Energieversorgungsunternehmen erhöht werden.

Unter bestimmten, näher in den Rn. 65 und 66 geregelten Voraussetzungen können Mitgliedstaaten von steigenden Energiekosten betroffene Unternehmen unterstützen. Die Anpassungen des Befristeten Krisenrahmens geben Mitgliedstaaten auch insofern weitere Möglichkeiten und mehr Flexibilität. So darf die Höhe der Unterstützung künftig auf Grundlage des früheren oder des aktuellen Verbrauchs berechnet werden. Insgesamt muss aber der Marktanreiz zur Senkung des Energieverbrauchs aufrechterhalten werden und die Fortsetzung der Wirtschaftstätigkeit gewährleistet sein. Ebenso sehen die Anpassungen in Rn. 67 weitergehende (über die in Rn. 66 geregelte Höhe hinaus) Unterstützungsmöglichkeiten vor, sofern sie die dort aufgeführten Vorkehrungen zur Vermeidung von Überkompensation treffen.

Für Unternehmen, bei denen die Gesamtbeihilfe 50 Mio. EUR übersteigt, muss nach Rn. 77 des Befristeten Krisenrahmens eine Verpflichtung zur Verringerung des CO2-Fußabdrucks ihres Energieverbrauches und zur Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen vorgesehen werden.

Im Einklang mit der Verordnung (EU) Nr. 2022/1854 sehen die Rn. 74 ff. neue Maßnahmen zur Förderung der Senkung der Stromnachfrage vor.

Schließlich wurden die Kriterien für die Prüfung von Rekapitalisierungsmaßnahmen in Rn. 31 und 32 präzisiert. Demnach muss eine solche Solvenzhilfe erforderlich, geeignet und angemessen sein. Rn. 32 lit. e stellt klar, dass geeignete Maßnahmen, die mit den Grundsätzen der Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien von 2014 im Einklang stehen, erforderlich sein werden. Die Maßnahme muss eine angemessene Vergütung für den Staat vorsehen (Rn. 32 lit. c) und geeignete Vorkehrungen zur Gewährleistung der Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs vorsehen, einschließlich eines Verbots von Dividenden- und Bonuszahlungen sowie Übernahmen (Rn. 32 lit. e). Außerdem müssen die Mitgliedstaaten für jeden Beihilfeempfänger eine Bewertung seiner langfristigen Rentabilität vornehmen und, soweit von der Kommission für angemessen erachtet, innerhalb eines bestimmten Zeitraums einen Umstrukturierungsplan im Einklang mit den Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien zur Genehmigung bei der Kommission anmelden (Rn. 32 lit. f).

Exekutiv-Vizepräsidentin der Kommission Margrethe Vestager adressierte die Änderungen in einer Rede vom 28. Oktober 2022, in der sie betonte, dass die Änderungen im Einklang mit der Logik und dem Zweck des Befristeten Krisenrahmens erfolgen: Sie gewähren den Mitgliedstaaten mehr Flexibilität bei der Ausarbeitung ihrer Fördermaßnahmen, gleichzeitig stellen sie aber sicher, dass Anreize für einen umweltfreundlichen Übergang geschaffen werden und die Beihilfen zielgerichtet und verhältnismäßig bleiben.

 

Autor: Christopher Hanke, Müller-Wrede & Partner

Lehrstunde des EuG zur Marktüblichkeit: das arithmetische Mittel reicht nicht aus

Lehrstunde des EuG zur Marktüblichkeit: das arithmetische Mittel reicht nicht aus

In einem Urteil vom 13. Juli 2022 (T-150/20) musste sich die dritte Kammer des EuG mit der beihilferechtlichen Beurteilung von Pachtverträgen über landwirtschaftliche Flächen im staatlichen Eigentum auseinandersetzen.

In diesem Zusammenhang traf das EuG einige grundlegende Aussagen zur Beurteilung der Marktüblichkeit von den für eine solche Pacht zu entrichtenden Pachtzahlungen. Die Ausführungen des EuG dürften vor allem für kommunale Verpächter bzw. kommunale Eigentümer von Flächen von großem Interesse sein.

Der dem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt

Im Jahr 2000 schloss die Republik Estland mit der Klägerin, der Tartu Agro AS, im Anschluss an ein nicht-offenes Ausschreibungsverfahren einen Pachtvertrag über landwirtschaftliche Flächen auf dem Gebiet der Gemeinde Tähtvere. Die Flächen befinden sich im Eigentum der Republik Estland. Der Pachtvertrag wurde über 25 Jahre geschlossen und sah eine Änderungsklausel vor, auf deren Grundlage die Pacht zum 01. Januar 2005, zum 01. Januar 2007 und letztmals zum 01. Januar 2009 erhöht wurde. Der Pachtvertrag sah außerdem zusätzliche Verpflichtungen der Klägerin vor, Investitionen in Entwässerungssysteme und in die Erhaltung des Bodens und der Verbesserung der Bodenqualität zu tätigen.

Der Kommissionsbeschluss

Im Jahr 2014 ging bei der Kommission eine Beschwerde ein, dass die Verpachtung an die Klägerin eine rechtswidrige staatliche Beihilfe beinhalte. Die Kommission leitete die Beschwerde an die estnischen Behörden weiter und bat um weitere Informationen.

Mit Beschluss vom 27. Februar 2017 eröffnete die Kommission das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV. Sie könne nicht ausschließen, dass die Verpachtung der Klägerin einen Vorteil in Form einer unter dem Marktpreis liegenden Pacht gewähre. Auch die übrigen Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 1 AEUV schienen nach Ansicht der Kommission erfüllt zu sein.

Nachdem die estnischen Behörden ebenso wie der Beschwerdeführer und die Klägerin mehrere Stellungnahmen und Informationen einreichten, erließ die Kommission am 24. Januar 2020 einen Beschluss, in dem sie feststellte, dass die Verpachtung der staatseigenen Flächen über den gesamten Zeitraum ab dem Jahr 2000 alle Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfülle und eine staatliche Beihilfe darstelle.

Zur Begründung führte die Kommission an, dass die von der Klägerin gezahlte Pacht im gesamten Zeitraum unter dem Marktpreis gelegen habe. Der Klägerin sei ein wirtschaftlicher Vorteil in der Differenz zwischen der gezahlten Pacht und einer marktüblichen Pacht gewährt worden.

Die Kommission stützte sich hierbei auf ein Sachverständigengutachten (Bericht Uus Ma), das von den estnischen Behörden vorgelegt wurde. Der Bericht führte Preisspannen für die Pacht vergleichbarer Flächen in vergleichbarer Lage auf. Hierbei betrug der Höchstbetrag der Preisspanne teils mehr als das Doppelte des Mindestbetrages. Die Kommission bildete das arithmetische Mittel der in dem Bericht aufgeführten Preisspannen und stellte fest, dass die von der Klägerin gezahlte Pacht unter diesem Wert lag. Weiter stützte sich die Kommission auf Daten des estnischen statistischen Amtes, die den Merkmalen der jeweiligen Regionen und Grundstücken nicht Rechnung trugen, sondern verpachtete Flächen in ganz Estland betrafen.

Im Übrigen war die Kommission der Ansicht, dass verschiedene von der Klägerin im Pachtzeitraum getätigte Investitionen zur Verbesserung und Erhaltung des Bodens nicht bei der Bestimmung der marktüblichen Pacht berücksichtigt werden können. Bei derartigen Investitionen handele es sich um Betriebskosten, die im Interesse des Landwirts anfallen. Nur Investitionen, die den estnischen Staat von bestimmten ihm obliegenden Instandhaltungskosten (hier Investitionen in das Entwässerungssystem) befreit haben, hat die Kommission in diesem Zusammenhang berücksichtigt. Da die konkret von der Klägerin getätigten Investitionen aber über die gesetzlichen Anforderungen hinaus gingen und auch der Klägerin zugutekamen, berücksichtigte die Kommission nur die Hälfte dieser Kosten.

Insgesamt merkte die Kommission an, dass die Beurteilung des Vorteils eine komplexe wirtschaftliche Bewertung darstelle, bei der sie einen Ermessensspielraum hinsichtlich der Bewertungsmethode habe.

Das Urteil des EuG

Das EuG hob den Beschluss der Kommission auf. In seinem Urteil trifft es hierbei grundlegende Aussagen zur Marktüblichkeit von Pachtzahlungen bei Pachtverträgen von landwirtschaftlichen Flächen im staatlichen Eigentum und zur Berücksichtigungsfähigkeit zusätzlicher vertraglicher Verpflichtungen bei der Bestimmung dieser Marktüblichkeit.

Die Marktüblichkeit der Pacht

Das EuG leitet seine Ausführungen damit ein, dass die Kommission hinsichtlich der Beurteilung des Vorteils zwar über einen Ermessensspielraum verfüge. Nichtsdestotrotz haben die Gerichte aber neben der sachlichen Richtigkeit, Zuverlässigkeit und Kohärenz der angeführten Beweise auch zu überprüfen, ob diese Beweise alle relevanten Daten beinhalten, die bei der Beurteilung einer komplexen Situation heranzuziehen sind und ob sie die aus ihnen gezogenen Schlüsse stützen. Darüber hinaus hat die Kommission sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen und ihre Entscheidung hinreichend zu begründen (EuGH u.a. in C-525/04 P, Rn. 56 – 58).

Auf dieser Grundlage kam das EuG dann zu dem Schluss, dass der von der Kommission vorgenommene Vergleich der von der Klägerin gezahlten Pacht mit den Durchschnittsbeträgen aus dem Bericht Uus Ma und den Daten des statistischen Amtes zu allgemein und unzureichend qualifiziert war. Insbesondere lässt die Methode der Kommission zwangsläufig zu tolerierende Schwankungsbreiten außer Betracht, wodurch sie die marktübliche Pacht nicht plausibel und kohärent belegt:

Die Kommission hat für ihre Auffassung, dass das arithmetische Mittel aus den in den Preisspannen enthaltenen Beträgen als Grundlage für den Marktpreis heranzuziehen ist, keine nähere Begründung angegeben. Die Tatsache, dass der Bericht Uus Maa den marktüblichen Preis der Pacht in Preisspannen ausgedrückt hat, impliziert aber zwangsläufig, dass auch die Mindestbeträge dieser Preisspannen einer Pacht entsprechen, die mit dem Marktpreis vereinbar ist. Es ist üblich, Schätzungen in Preisklassen als Grundlage für die Bewertung der Marktüblichkeit von Preisen anzuführen. Kann die Kommission nicht spezifisch darlegen und rechtfertigen, warum sie eine abweichende Bewertungsmethode verwendet, ist davon auszugehen, dass die Mindestbeträge der Preisspannen maßgeblich sind und den Marktpreis abbilden. Vorliegend hat sie aber gar keine Begründung angegeben, warum sie als Grundlage das arithmetische Mittel der Preisspannen gewählt hat. Das Gericht merkt noch an, dass eine solche Methode vielmehr zu ungenauen Ergebnissen und einer erheblichen Überschätzung des Marktpreises führt.

Des Weiteren hat die Kommission aber auch den falschen Bezugszeitraum bzw. -zeitpunkt für die Beurteilung der Marktüblichkeit der Pacht gewählt. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Pachtvertrages war es ausweislich des Berichtes Uus Maa üblich, allgemein formulierte Verträge ohne Klauseln zur einseitigen Pachterhöhung zu schließen. Entsprechend hätte im Zeitpunkt des Abschlusses des Pachtvertrages ein privater Wirtschaftsteilnehmer unter normalen Wettbewerbsbedingungen in einer vergleichbaren Situation nicht notwendigerweise eine vertragliche Bestimmung vorgesehen, die eine (jährliche) einseitige Erhöhung der Pacht ermöglicht. Wenn die Kommission dann nicht nachweist, dass der Staat die Möglichkeit hatte, die Pacht jedes Jahr zu erhöhen, um sie an den Marktpreis anzupassen, kann sie nicht die Pacht für den gesamten Zeitraum vergleichen. Vielmehr hätte sie prüfen müssen, ob die Höhe der Pacht bei Abschluss des Pachtvertrages und im Zeitpunkt der Vertragsänderungen in 2005, 2007 und 2009 dem Marktpreis entsprach.

Weiter hat die Kommission nicht den genauen Anteil an Ackerflächen auf dem gegenständlichen Grundstück berechnet, obwohl es ihr nach den ihr vorliegenden Unterlagen möglich gewesen wäre. In der Folge zog sie Grundstücke zum Vergleich heran, die über eine Ackerfläche von 95 bis 97 % verfügten, während das gegenständliche Grundstück nur über eine Ackerfläche von 83 % verfügte. Da der Preis für Ackerland in der Regel höher war als der Preis für Dauergrünland, überschätzte sie auch auf dieser Grundlage den Marktpreis für Grundstücke, die mit dem streitigen Grundstück vergleichbar wären.

Soweit sich die Kommission insbesondere hinsichtlich des Zeitraums 2015 bis 2017 noch auf Daten des estnischen statistischen Amtes stützte, handelte es sich nach Ansicht des EuG auch hierbei um eine ungeeignete Methode. So handelt es sich bei diesen Daten um Durchschnittspreise für die Pacht landwirtschaftlicher Flächen in ganz Estland, ungeachtet ihrer Merkmale und ihrer Lage. Außerdem geben die Daten keine Preisspannen an, weshalb es nicht möglich ist, den niedrigsten Marktpreis zu kennen.

Die Berücksichtigung zusätzlicher vertraglicher Verpflichtungen

Auch die überwiegende Nichtberücksichtigung von im Pachtvertrag vorgesehenen und von der Klägerin durchgeführten Investitionen zur Erhaltung des Bodens und der Verbesserung der Bodenqualität ist nach Ansicht des EuG rechtsfehlerhaft.

Die Kommission hatte ihr Ergebnis schon nicht auf Sachverständigenkenntnis gestützt. Sie hat auf die von den estnischen Behörden vorgelegten Berichte nicht Bezug genommen. Sie hat den Wert der von der Klägerin getätigten Investitionen und ihre etwaige Berücksichtigung in der Gesamtmiete deshalb nicht anhand der ihr vorliegenden einschlägigen Informationen geprüft. Stattdessen hat sie pauschal ohne eine nachvollziehbare und überprüfbare Methode lediglich die Hälfte der Investitionen in Entwässerungssysteme berücksichtigt und sich hierbei ohne konkrete Berechnungen darauf gestützt, dass die Investitionen auch der Klägerin zugutegekommen seien. Ob auch ein privater Wirtschaftsbeteiligter, der unter normalen Wettbewerbsbedingungen handelt und sich in einer vergleichbaren Situation wie die estnischen Behörden befindet, die in Rede stehenden vertraglichen Verpflichtungen auferlegt hätte, hat die Kommission gar nicht geprüft.

Das EuG führt im Gegensatz zur Ansicht der Kommission aus, dass Investitionen, die im Pachtvertrag oder gesetzlich auferlegt sind, auch im Interesse des Verpächters liegen dürften, wenn sie über die vertraglichen oder gesetzlichen Mindestanforderungen hinausgehen. Denn ein privater Wirtschaftsbeteiligter kann sich an längerfristigen Rentabilitätsaussichten orientieren. Entsprechend ergibt sich aus dem Bericht Uus Maa, dass es zum Zeitpunkt des Abschlusses des Pachtvertrags üblich war, Grundstücke gar unentgeltlich zur Verfügung zu stellen, um zu verhindern, dass die Grundstücke brachliegen. Auch der Pachtvertrag zielte darauf ab, die zweckmäßige Nutzung des Grundstücks aufrecht zu erhalten. Es war deshalb nicht auszuschließen, dass auch ein privatwirtschaftlicher Verpächter zusätzliche Verpflichtungen vorgesehen hätte, um nicht selbst die notwendigen Investitionen zur langfristigen Erhaltung und Wertsteigerung der Flächen tätigen zu müssen.

Ohne zu überprüfen, ob die von den estnischen Behörden erhobene Pacht unter diesen Umständen dem Verhalten eines privaten Wirtschaftsteilnehmers entsprach, konnte die Kommission aber nicht feststellen, in welcher Höhe die von der Klägerin getätigten Investitionen als integraler Bestandteil der Pachteinnahmen der estnischen Behörden hätten berücksichtigt werden müssen.

Im Ergebnis ist die Entscheidung der Kommission somit sowohl bei der allgemeinen Bestimmung der marktüblichen Pacht als auch bei der Analyse der Berücksichtigung zusätzlicher Verpflichtungen des Pachtvertrages mit offensichtlichen Beurteilungsfehlern und Verstößen gegen die Pflicht zur sorgfältigen und unparteiischen Untersuchung aller relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls behaftet.

Anmerkungen

In dem Urteil diktiert das EuG der Kommission relativ deutlich, welche Sorgfalts- und Begründungspflichten der Kommission auch dann obliegen, wenn ihr bei der Beurteilung des Vorliegens eines wirtschaftlichen Vorteils ein Ermessen hinsichtlich der geeigneten Beweise und Analysemethoden im Rahmen eines Benchmarkings zusteht. Diese Grundsätze sind dabei auch über ein Benchmarking für die Beurteilung einer marktgerechten Pacht hinaus von Bedeutung.

Für die Praxis interessant sind vor allem zwei Kernaussagen, die das EuG im Zusammenhang mit der Bestimmung der Marktüblichkeit von Pachtzahlungen für staatseigene (landwirtschaftliche) Flächen trifft:

Erstens ist grundsätzlich die marktübliche Pacht anhand von Preisspannen für die Pacht vergleichbarer Flächen zu beurteilen. Bereits der Mindestpreis innerhalb dieser Preisspanne stellt dann eine marktübliche Pacht für die Fläche dar.

Die Kommission hat  sich vermutlich bei ihrer Prüfung unter Heranziehung des arithmetischen Mittels aus den Preisspannen von Rn. 100 der Bekanntmachung zum Beihilfenbegriff leiten lassen. Dort wird ausgeführt: „Beim Benchmarking wird häufig nicht ein „genauer“ Referenzwert, sondern eine Spanne möglicher Werte ermittelt, indem vergleichbare Transaktionen geprüft werden. Wenn das Ziel der Bewertung darin besteht zu prüfen, ob die staatliche Maßnahme den Marktbedingungen entspricht, empfiehlt es sich in der Regel, Maße für die zentrale Tendenz wie den Durchschnitt oder den Median vergleichbarer Transaktionen in Erwägung zu ziehen.“

Jedenfalls die dritte Kammer des EuG gibt in ihrem Urteil einer Bestimmung des marktüblichen Preises anhand von Preisspannen den Vorzug. Allerdings sind die Besonderheiten des vom EuG zu entscheidenden Falls zu berücksichtigen: Das EuG erklärte den Kommissionsbeschluss aufgrund eines offensichtlichen Beurteilungsfehlers der Kommission für nichtig. Der Beurteilungsfehler beruhte u.a. darauf, dass die Kommission ihrer Prüfung ein Sachverständigengutachten zugrunde gelegt hat, das den Marktpreis in Preisspannen angab und dann nicht begründet hat, warum sie eine abweichende Bewertungsmethode gewählt hat. Das Urteil steht der Wahl einer anderen Bewertungsmethode im Grundsatz aber nicht entgegen. So wird in Rn. 52 ausgeführt, dass eine Abweichung von der Schätzung in Preisklassen einer spezifischen Rechtfertigung bedarf. An einer Rechtfertigung oder Begründung der Kommission für ihre Wahl der Bewertungsmethode fehlte es vorliegend aber vollends. Oftmals dürfte es angezeigt und in der Sachverständigenpraxis üblich sein, insbesondere bei großen Preisspannen außergewöhnlich niedrige und/oder außergewöhnlich hohe Preise („Mondpreise“) bei der Bestimmung des Marktpreises außer Acht zu lassen.

Zweitens können, soweit der Pachtvertrag dem Pächter zusätzliche Investitionen auferlegt, diese Investitionen bei der Beurteilung, ob die vereinbarte Pachtzahlung dem Marktpreis entspricht, als integraler Bestandteil der Pachteinnahmen mit einbezogen werden, soweit ein privater Wirtschaftsbeteiligter in der Situation des Verpächters solche Investitionen ebenfalls mit einbeziehen würde, um die Bodenqualität der Fläche zu erhalten und zu verbessern und den Wert der Fläche langfristig zu steigern.

 

Autor: Christopher Hanke, Müller-Wrede & Partner

27,5 Mrd. EUR zum Ausgleich indirekter Emissionskosten

27,5 Mrd. EUR zum Ausgleich indirekter Emissionskosten

Am 19. August 2022 hat die Europäische Kommission eine deutsche Beihilferegelung zur teilweisen Entschädigung bestimmter energieintensiver Unternehmen für höhere Strompreise infolge der Auswirkungen des EU-Emissionshandelssystems (EU-EHS) genehmigt.

Insbesondere energieintensiven Unternehmen entstehen durch das EU-Emissionshandelssystem und die dort verankerte Pflicht zum Handel mit Emissionszertifikaten aus den Auswirkungen der CO2-Preise auf die Stromerzeugungskosten („indirekte Emissionskosten“) erhöhte Kosten. Die nun genehmigte – mit bis zu 27,5 Mrd. EUR ausgestattete – Regelung soll für die umfassten Unternehmen einen Teil dieser erhöhten Strompreise für den Zeitraum 2021 – 2030 abdecken. Hierdurch soll verhindert werden, dass die Unternehmen ihre Produktionskapazitäten in Länder außerhalb der EU mit weniger ehrgeizigen Klimazielen verlagern und infolge einer solchen Verlagerung der CO2-Emissionen der Schadstoffausstoß weltweit gesehen zunimmt.

Voraussetzungen

Es können solche Unternehmen einen Ausgleich erlangen, die in einem der in Anhang I der Leitlinien für bestimmte Beihilfemaßnahmen im Zusammenhang mit dem System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten nach 2021 (im Folgenden „EHS-Leitlinien für staatliche Beihilfen“) aufgeführten Sektoren tätig sind (u.a. Lederherstellung, Metallindustrie oder Papierproduktion).

Um den Kostenausgleich beanspruchen zu können, ist es erforderlich, dass die Unternehmen nachweislich in Energiespar- oder Dekarbonisierungsmaßnahmen investieren. So müssen sie zum einen entweder in ihrem Energiemanagementsystem (Unternehmensplan, in dem Energieeffizienzziele und eine Strategie zu deren Erreichung festgelegt sind) aufgeführte Maßnahmen durchführen oder mindestens 30 % ihres Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energiequellen decken. Zum anderen müssen ab 2023 zusätzliche Investitionen getätigt werden, mit dem Ziel, dass die begünstigten Unternehmen mindestens 50 % des Beihilfebetrages in die Umsetzung ihres Energiemanagementsystems oder in die Dekarbonisierung ihres Produktionsprozesses investieren.

Beihilfehöchstbeträge

Die Regelung sieht einen Ausgleich für im Vorjahr angefallene indirekte Emissionskosten vor und soll letztmals 2031 (für das Jahr 2030) gezahlt werden. Der Beihilfehöchstbetrag entspricht in der Regel 75 % der angefallenen indirekten Emissionskosten, kann in einigen Fällen aber heraufgesetzt werden, um die verbleibenden indirekten Emissionskosten auf 1,5 % der Bruttowertschöpfung des Unternehmens zu begrenzen. Um Anreize für Energieeinsparungen zu setzen, wird der Beihilfebetrag auf Grundlage von Stromverbrauchseffizienz-Richtwerten berechnet. Die Kosten für 1 GWh ihres jährlichen Stromverbrauchs haben die Beihilfenempfänger selbst zu tragen. Schließlich werden keine Beihilfen für den Verbrauch selbst erzeugter Elektrizität aus vor dem 01. Januar 2021 in Betrieb genommenen Anlagen gewährt, für die der potenzielle Beihilfeempfänger Anspruch auf eine Vergütung nach dem EEG hat.

Würdigung der Kommission

Die Kommission hat die Regelung nach Art. 107 Abs. 3 lit. c AEUV in Anwendung der Voraussetzungen der EHS-Leitlinien für staatliche Beihilfen geprüft und genehmigt.

Hierbei kam sie zu dem Ergebnis, dass die Regelung erforderlich und geeignet ist, um energieintensive Unternehmen bei der Bewältigung von infolge indirekter Emissionskosten erhöhten Strompreisen zu unterstützen und zu verhindern, dass die weltweiten Treibhausgasemissionen infolge einer Produktionsverlagerung in Länder außerhalb der EU ansteigen.

Im Übrigen erfüllt die Regelung die in den EHS-Leitlinien für staatliche Beihilfen festgelegten Anforderungen an Energieaudits und Energiemanagementsysteme und trägt so zu den Klima- und Umweltzielen der EU sowie den Zielen des Grünen Deals bei.

Schließlich ist die Regelung nach Ansicht der Kommission auf das erforderliche Minimum beschränkt und hat keine übermäßigen negativen Auswirkungen auf Wettbewerb und Handel in der EU.

Anmerkungen

Die genehmigte Regelung tritt neben Hilfs- und Unterstützungsprogramme im Zusammenhang mit der Energiekrise (siehe u.a. Die Kommission billigt 5 Milliarden Hilfsprogramm zur Unterstützung energie- und handelsintensiver Unternehmen) und ist von diesen zu unterscheiden.

So ist sie bereits im November 2021 notifiziert worden und dient entsprechend den EHS-Leitlinien der nachhaltigen Verhinderung der Verlagerung von CO2-Emissionen (und nicht etwa der Überbrückung von Liquiditätsengpässen in Krisenzeiten o.ä.).

Das EU-EHS bildet einen der Eckpfeiler zur Bekämpfung des Klimawandels auf europäischer Ebene. Im Kontext dieses Systems sollen die EHS-Leitlinien für staatliche Beihilfen verhindern, dass infolge des EU-EHS besonders betroffene Unternehmen ihre Produktionen verlagern und so global gesehen CO2-Emissionen sogar erhöht werden.

 

Autor: Christopher Hanke, Müller-Wrede & Partner

Die Deutsche Bahn und ihre Töchter – der nächste Streich

Die Deutsche Bahn und ihre Töchter – der nächste Streich

Die Europäische Kommission hat mit Beschluss vom 27. Juli 2022 eine mit 215 Mio. EUR ausgestattete Unterstützungsmaßnahme zugunsten der Deutschen Bahn genehmigt. Die Maßnahme soll die Deutsche Bahn für Einbußen entschädigen, die einigen ihrer Tochtergesellschaften infolge der COVID-19-Pandemie entstanden sind.

Es handelt sich hierbei bereits um die dritte von der Kommission genehmigte Maßnahme zum Ausgleich von Schäden, die der Deutschen Bahn über ihre Tochtergesellschaften infolge der COVID-19-Pandemie entstanden sind. Im August 2021 genehmigte die Kommission eine Kapitalzuführung in Höhe von 550 Mio. EUR zum Ausgleich von Einbußen, die der DB Fernverkehr entstanden sind (Beihilfen für die Deutsch Bahn – dieses war der erste Streich…). Im Dezember 2021 genehmigte die Kommission dann eine Kapitalzuführung in Höhe von 88 Mio. EUR zum Ausgleich von Verlusten, die der DB Cargo entstanden sind (Pressemitteilung der Kommission).

Die Maßnahme Deutschlands

Auch die neue Unterstützungsmaßnahme erfolgt in Form einer Kapitalzuführung.

Zwischen dem 16. März 2020 und dem 31. Mai 2020 sind den Gesellschaften DB Netz (Betreiber der Eisenbahninfrastruktur), DB Energie (Bewirtschafter des deutschen Bahnstrom- und -tankstellennetzes) und DB Station & Service (u.a. Erhebung von Gebühren für die Nutzung von Hauptbahnhöfen und die Vermietung von Flächen in Bahnhöfen) infolge der Pandemie und der von Deutschland und anderen Ländern ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus insgesamt Einnahmeverluste von 215 Mio. EUR entstanden. Die Verluste der Unternehmen wurden von der Deutschen Bahn gedeckt, für die Deckung der Verluste soll die Deutsche Bahn mit der genehmigten Kapitalzuführung nunmehr entschädigt werden.

Die Genehmigung der Kommission

Wie bereits die beiden letztjährigen Genehmigungen erfolgte die Prüfung und Genehmigung der Kommission auch diesmal auf Grundlage des Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV. Nach dieser Vorschrift sind Beihilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind, mit dem Binnenmarkt vereinbar. Die Kommission hatte bereits zu Beginn der Pandemie in einer Handreichung die COVID-19-Pandemie als ein außergewöhnliches Ereignis im Sinne des Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV eingestuft (siehe hierzu auch Voraussetzung für eine Notifizierung auf Grundlage Art. 107 Abs. 2b). Hiermit hat sie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet, Unterstützungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie nicht nur auf Grundlage des Art. 107 Abs. 3 lit. b AEUV iVm. dem Befristeten COVID-19-Rahmen zu erlassen, sondern auch auf Grundlage des Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV (siehe hierzu im Einzelnen Beihilferechtlicher Werkzeugkasten in Zeiten von Corona).

Nach Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV können Mitgliedstaaten hierbei solche Schäden ausgleichen, die unmittelbar auf die Pandemie zurückzuführen sind. Die Kommission hat bei ihrer Prüfung der gegenständlichen Maßnahme festgestellt, dass die Entschädigung für solche unmittelbar auf die Pandemie als außergewöhnliches Ereignis zurückzuführende Schäden bereitgestellt wird.

Im Übrigen hat die Kommission die Maßnahme für angemessen erachtet, da der vorgesehene Ausgleich nicht über die zur Deckung der Schäden durch die Deutsche Bahn erforderliche Höhe hinausgeht. Die Kommission kam deshalb insgesamt zu dem Ergebnis, dass die Maßnahme gemäß Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar ist.

Die nichtvertrauliche Fassung des Beschlusses wird unter der Nummer SA. 100322 über das Beihilfenregister der Europäischen Kommission zugänglich gemacht werden.

 

Autor: Christopher Hanke, Müller-Wrede & Partner

Drittstaatliche Subventionen: Rat und Europäisches Parlament erzielen politische Einigung über Kommissionsvorschlag

Drittstaatliche Subventionen: Rat und Europäisches Parlament erzielen politische Einigung über Kommissionsvorschlag

Am 30. Juni 2022 hat der Rat eine politische Einigung zwischen Rat und Europäischem Parlament über eine Verordnung über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen bekannt gegeben (siehe auch Pressemitteilung der Kommission).

Die Verordnung dient der Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen, die dadurch entstehen, dass Drittländer auf dem Binnenmarkt tätigen Unternehmen Subventionen gewähren. Denn während die Mitgliedstaaten der strengen Kontrolle des Beihilfenrechts unterliegen, besteht hinsichtlich Subventionen durch Drittstaaten bislang eine Regelungslücke im europäischen Wettbewerbsrecht. Diese Regelungslücke beabsichtigen Kommission, Parlament und Rat mit der neuen Verordnung zu schließen.

Die Verordnung geht zurück auf einen Vorschlag der Kommission, mit dem die Kommission am 05. Mai 2021 an Rat und Parlament herangetreten ist (für eine ausführliche Besprechung des Vorschlags siehe Quardt/Hanke, Neues „Level Playing Field“ für die Subventionskontrolle im Binnenmarkt?, BRZ 2021, 187).

Die wesentlichen Inhalte des Vorschlags der Kommission

Die Verordnung soll es der Kommission ermöglichen, finanzielle Zuwendungen von Behörden eines Drittstaates daraufhin zu überprüfen, ob sie den Wettbewerb im Binnenmarkt verzerren. Stellt sie fest, dass eine den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subvention vorliegt, führt sie – wie im Rahmen der Beihilfenkontrolle – eine Abwägungsprüfung der positiven und negativen Auswirkungen der Subvention durch. Kommt die Kommission zu dem Ergebnis, dass die negativen Auswirkungen überwiegen, kann sie Abhilfemaßnahmen (z.B. Rückzahlung der Subvention einschließlich Verzinsung, Verzicht auf bestimmte Investitionen oder Verringerung der Kapazitäten oder Marktpräsenz) verhängen oder entsprechende Verpflichtungsangebote des Unternehmens akzeptieren.

Um eine einheitliche Anwendung der Verordnung zu gewährleisten, ist für die Umsetzung ausschließlich die Kommission zuständig.

Die Verordnung sieht drei Prüfinstrumente zur Prüfung des Vorliegens einer drittstaatlichen Subvention vor:

  • Ein Instrument für die vorherige Anmeldung und Genehmigung von Zusammenschlüssen von Unternehmen, wenn eines der Unternehmen im vorangegangenen Geschäftsjahr einen Gesamtumsatz von mindestens 500 Mio. EUR in der Union erzielt hat und das Rechtsgeschäft eine drittstaatliche finanzielle Zuwendung von mindestens 50 Mio. EUR beinhaltet;
  • Ein Instrument für die vorherige Anmeldung und Genehmigung von Geboten im Rahmen öffentlicher Vergabeverfahren, wenn der geschätzte Auftragswert mindestens 250 Mio. EUR beträgt;
  • Ein allgemeines Prüfinstrument für alle weiteren Marktsituationen und für Zusammenschlüsse und Gebote in öffentlichen Vergabeverfahren unterhalb der jeweiligen Schwellenwerte.

Zur Durchsetzung ihrer Prüfungsbefugnisse gibt die vorgeschlagene Verordnung der Kommission weitreichende Untersuchungsbefugnisse sowie die Möglichkeit der Verhängung von Zwangs- und Bußgeldern an die Hand.

Bewertung und Änderungen durch Rat und Parlament

Wie erwartet wurde, fand das von der Kommission vorgeschlagene Instrument und seine Ausgestaltung insgesamt Unterstützung bei Rat und Parlament. Die Anfang Mai 2022 von beiden Organen verabschiedeten Verhandlungspositionen (Verhandlungsposition Rat, Verhandlungsposition Europäisches Parlament) für den Trilog mit der Kommission sahen keine grundlegenden Änderungen vor, sondern betrafen lediglich Anpassungsbedarf an spezifischen Vorschriften, wie den Regelungen zu den Schwellenwerten und den Regelungen zu den verschiedenen anwendbaren Fristen.

Während das Europäische Parlament einen weiteren Anwendungsbereich der Verordnung über niedrigere Schwellenwerte anstrebte, forderte der Europäische Rat einen engeren Anwendungsbereich über höhere Schwellenwerte. Letztlich wurden die von der Kommission vorgeschlagenen Schwellenwerte unverändert beibehalten. Neu ist das Erfordernis, dass Gebote in einem öffentlichen Vergabeverfahren eine drittstaatliche Zuwendung von mindestens 4 Mio. EUR umfassen müssen, um der Anmeldepflicht des Instruments zu unterfallen. Der Vorschlag der Kommission sah noch vor, dass jede drittstaatliche finanzielle Zuwendung eine Anmeldepflicht begründen solle.

Ebenfalls angepasst wurde die Frist für die rückwirkende Überprüfungsmöglichkeit von drittstaatlichen Subventionen durch die Kommission. Während der Vorschlag der Kommission noch vorsah, dass die Kommission befugt sein soll, Subventionen zu prüfen, die bis zu zehn Jahre vor Inkrafttreten der Verordnung gewährt wurden, wurde diese Frist nun auf fünf Jahre reduziert.

Die nächsten Schritte

Die zwischen Rat und Europäischem Parlament erzielte Einigung muss noch von Rat und Parlament förmlich angenommen und im Amtsblatt veröffentlicht werden. Die Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft und wird sechs Monate nach ihrem Inkrafttreten in der gesamten EU unmittelbar anwendbar sein. Die Anmeldepflicht gilt neun Monate nach Inkrafttreten der Verordnung.

 

Autor: Christopher Hanke, Müller-Wrede & Partner

Keine Rechtfertigung einer Beihilfe bei Verstoß gegen besondere Vorschriften des Unionsrechts?

Keine Rechtfertigung einer Beihilfe bei Verstoß gegen besondere Vorschriften des Unionsrechts?

Das Verfahren nach Artikel 108 AEUV darf niemals zu einem Ergebnis führen, das zu den besonderen Vorschriften des Vertrages im Widerspruch steht.

Mit dieser Begründung erachtete die Europäische Kommission einen Ausgleich für die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Dienstleistungen für den Betrieb einer internationalen Seeverbindungsroute als mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe, weil die Begünstigte Adriatica (ein Unternehmen der Tirrenia-Gruppe) an einem nach Artikel 101 AEUV verbotenen Preisfestsetzungskartell beteiligt war.

Das Ergebnis der Kommission wurde nunmehr mit Urteil des EuG vom 18.05.2022 (T-601/20) bestätigt. Tirrenia hatte gegen den Kommissionsbeschluss (u.a.) auf der Grundlage geklagt, dass allein die Beteiligung an einem solchen Kartell nicht die Binnenmarktvereinbarkeit ausschließen könne. Die Beihilferegelung als solche habe nicht gegen besondere Vorschriften des Vertrages verstoßen.

Daneben enthält das Urteil u.a. grundlegende Aussagen zur Unterscheidung zwischen bestehenden und neuen Beihilfen und zum Sinn und Zweck der 10-jährigen Verjährungsfrist.

Hintergrund

Das Urteil reiht sich ein in einen seit 1999 schwelenden Konflikt zwischen der Tirrenia-Gruppe und der Europäischen Kommission wegen Ausgleichszahlungen des italienischen Staates für durch die Tirrenia-Gruppe durchgeführte Seeverkehrsdienste als öffentliche Dienstleistung.

Zuletzt hatte die Kommission mit Beschluss vom 02.03.2020 einen Großteil der Maßnahmen als bestehende Beihilfen oder mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfen bewertet (siehe hierzu Ein seltener Fall im Beihilfenrecht: ein Beschluss der Kommission auf Grundlage des DawI-Rahmens – BeihilfenBlog (beihilfen-blog.eu)). Lediglich Ausgleichsleistungen für die Route Brindisi–Korfu–Igoumenitsa–Patras erachtete die Kommission wegen des Verstoßes gegen Art. 101 AEUV als mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe.

Das Urteil des EuG

Tirrenia macht zur Begründung ihrer Klage drei Klagegründe geltend: Erstens, einen Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften in Bezug auf die Verjährungsfrist für die Rückforderung von Zinsen; Zweitens, die fehlerhafte Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen, die fehlerhafte Einstufung als neue Beihilfen, einen Verstoß gegen die Begründungspflicht und einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; Drittens, einen Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäßen Verwaltung.

Fehlerhaften Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen und Verstoß gegen Begründungspflicht

Wie bereits einleitend angeführt, ist Tirrenia der Ansicht, dass die Kommission zu Unrecht angenommen habe, dass allein das Vorliegen eines wettbewerbswidrigen Verhaltens (bspw. in Form eines kartellrechtlichen Verstoßes) bereits impliziere, dass es unmöglich sei, dass die Beihilfe mit dem Binnenmarkt vereinbar sei. Die Beihilfe als solche verstoße nämlich nicht gegen andere Bestimmungen des Vertrages, der Verstoß gegen Art. 101 AEUV liege in einem gesonderten Verhalten begründet.

Das EuG stimmt Tirrenia insofern zwar noch zu, dass eine Beihilferegelung, die nicht als solche und auch nicht aufgrund ihrer Modalitäten gegen andere Bestimmungen des Vertrages verstößt, nicht aus diesem Grund als mit dem Binnenmarkt unvereinbar angesehen werden kann. Die Kommission hatte ihre Begründung aber, anders als von Tirrenia unterstellt, nicht auf die bloße Existenz eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV gestützt. Vielmehr führte die Kommission als Begründung an, dass das mit einem Preisfestsetzungskartell verfolgte Ziel im Widerspruch zum Ziel einer Beihilfe für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen steht. Während die Bildung eines Preisfestsetzungskartells darauf abzielt, Preise für Verbraucher im Vergleich zum Marktpreis zu erhöhen und den Beteiligten höhere Vergütungen zu sichern, dient eine Beihilfe für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse dazu, Preise für Verbraucher erschwinglich zu halten und Nutzern die Dienstleistung zugänglich und regelmäßig zu gewährleisten. Das EuG bestätigte die Kommission, dass sie ohne offensichtlichen Beurteilungsfehler zu dem Schluss kommen konnte, dass die Beteiligung an einem Preisfestsetzungskartell deshalb die Unvereinbarkeit der Maßnahme mit dem Binnenmarkt impliziere.

Soweit Tirrenia auch rügte, dass die Kommission hinsichtlich dieses Prüfungspunktes gegen ihre Begründungspflicht verstoßen habe, weist das EuG auch diese Rüge ab. Die Begründung der Kommission war insofern sogar besonders ausführlich und die Rüge Tirrenias zielte eher auf die rechtliche Bewertung als auf eine fehlende Begründung.

Fehlerhafte Einstufung als neue Beihilfe und Verstoß gegen die Begründungspflicht

Des Weiteren wendete Tirrenia sich gegen die Feststellung der Kommission, dass es sich bei der Beihilferegelung um eine neue Beihilfe handelte. Vielmehr habe es sich um eine bestehende Beihilfe gehandelt.

Zum einen seien die Verbindungen zwischen Italien und Griechenland bereits in – den Betrieb verschiedener Routen regelnden – Gesetzesdekreten von 1936 vorgesehen gewesen, wovon notwendigerweise auch die hier gegenständliche Verbindung umfasst gewesen sei. Diese Argumentation lehnte das EuG mit der Begründung ab, dass es die italienischen Behörden im Verwaltungsverfahren versäumt hätten, das Datum der Einführung der konkreten Strecke zu übermitteln und aus einem Schreiben der italienischen Behörden vielmehr hervorgeht, dass die konkrete Strecke erst 1972 eingeführt wurde. Im Übrigen war die Bezugnahme auf die Strecke zwischen Italien und Griechenland so allgemein und unspezifisch, dass schon nicht geprüft und gewährleistet werden könne, dass der Betrag, der die konkrete Strecke betreffenden Beihilfe nicht über das hinausging, was zur Deckung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung erforderlich war.

Zum anderen seien nach Ansicht Tirrenias später am Mechanismus zur Berechnung des Ausgleichsbetrages vorgenommene Änderungen nicht wesentlich und die Aufhebung der Gesetzesdekrete von 1936 insofern rein formal. Hierzu stellt das EuG fest, dass die Rechtsgrundlage, auf der die Gewährung der Ausgleichszahlungen zuvor beruhte, unstreitig aufgehoben wurde. Der Rechtsakt sei somit im Zeitpunkt seiner Aufhebung erloschen und somit nicht mehr Teil der Rechtsordnung der Union gewesen. Die Ausgleichsregelung ist mit der Rechtsgrundlage verbunden, die ihre Rechtmäßigkeit begründet und verschwindet mit Aufhebung der Rechtsgrundlage ebenfalls aus der Rechtsordnung. Vielmehr wurde die Ausgleichsregelung dann durch eine neue Regelung, die streitige Beihilferegelung als, als neue Beihilfe iSd. Art. 1 lit. c der VO Nr. 659/1999 ersetzt.

Schließlich waren entgegen der von Tirrenia vertretenen weiteren Argumente auch die übrigen Änderungen der Regelung wesentlicher Art, als dass sie Kernelemente wie den Ausgleichsmechanismus zur Berechnung der Höhe des Ausgleichs, den Zeitraum, in dem der Ausgleich gezahlt werden konnte und die Haushaltsmittel, die zur Finanzierung bereitgestellt werden sollten, betrafen. Aus den gleichen Gründen war die Beihilferegelung ebenso wenig als eine bestehende Beihilfe zu bewerten, weil die Änderungen von der ursprünglichen Regelung abtrennbar gewesen wären. Die Änderungen betrafen wesentliche Elemente der Regelung.

Auch hier nahm die Kommission in ihrem Beschluss eine ausführliche Begründung vor, sodass das EuG hinsichtlich der Rüge eines Verstoßes gegen die Begründungspflicht auch hier feststellte, dass Tirrenia eher den Inhalt der Begründung in Frage stellt, als das Fehlen einer Begründung behaupten zu können.

Verstoß gegen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Schließlich rügte Tirrenia materiell noch einen Verstoß der Kommission gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil die Kommission zum einen eine Geldbuße wegen der Beteiligung am Kartell und zum anderen eine Rückforderung von Beihilfen wegen der Unvereinbarkeit der Regelung mit dem Binnenmarkt (infolge der Beteiligung an einem Kartell) verhängt habe. Hierdurch würde Tirrenia doppelt sanktioniert.

Hierzu stellte das EuG nur kurz dar, dass Tirrenia – anders als von ihr geltend gemacht – nicht zwei Mal bestraft wurde. Die Rückforderung einer Beihilfe wegen ihrer Unvereinbarkeit mit dem Binnenmarkt stellt keine Geldbuße dar, sondern dient der Beseitigung der Wettbewerbsverzerrung. Die Verurteilung wegen der Beteiligung an einem Kartell erfolgt hiervon unabhängig und wegen einer (gesonderten) Zuwiderhandlung.

Die Rückforderung der Beihilfe ist einzig Folge ihrer Rechtswidrigkeit und Unvereinbarkeit mit dem Binnenmarkt. Als solche kann die Rückforderung selbst keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begründen.

Anwendung der  der 10-jährigenVerjährungsfrist nach Art. 17 Abs. 1 VO 2015/1589 auf die Rückforderung von Zinsen

Mit Beschluss vom 16.03.2004 (Entscheidung 2005/163/EG) hat die Kommission erstmals die gegenständliche Maßnahme als mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe bewertet und die Rückforderung der Beihilfe einschließlich Zinsen angeordnet. Italien hat daraufhin die Beihilfen sowie einen Großteil der Zinsen von Tirrenia zurückgefordert. Der Beschluss wurde wegen eines Verstoßes gegen die Begründungspflicht mit Urteil des EuG vom 04.03.2009 aufgehoben.

Die Rückforderung  umfasste nach Feststellungen der Kommission nicht die aus einer verzögerten Rückzahlung durch Tirrenia entstandenen Zinsen für einen Zeitraum vom 01.01.2007 bis zum 26.03.2007. Soweit die Kommission hinsichtlich dieses Betrages jetzt mit dem hier gegenständlichen Beschluss die Rückforderung der ausstehenden Zinsen anordnet, wendet Tirrenia den Ablauf der 10-jährigen Verjährungsfrist des Art. 17 Abs. 1 der VO 2015/1589 ein. Es habe bezüglich der Zinsen keine Beanstandung der Kommission gegeben, die die Verjährung hätten unterbrechen können. Seit dem letzten die Verjährung unterbrechenden Ereignis – dem EuG-Urteil vom 04.03.2009 zum damaligen Kommissionsbeschluss – seien mehr als 10 Jahre vergangen.

Das EuG hält hierzu zunächst fest, dass das Hauptziel der Rückforderung einer rechtswidrig gewährten Beihilfe darin besteht, die durch den verschafften Wettbewerbsvorteil verursachte Wettbewerbsverzerrung zu beseitigen. Die Rückforderungspflicht ist erst erfüllt, wenn der Betrag der Beihilfe einschließlich Zinsen zurückgezahlt wurde, wie sich aus Art. 16 Abs. 1 und Abs. 2 der VO 2015/1589 ergibt. Nach Art. 16 Abs. 2 der VO 2015/1589 umfasst die aufgrund eines Rückforderungsbeschlusses zurückzufordernde Beihilfe Zinsen, die nach einem von der Kommission festgelegten angemessenen Satz berechnet werden und vom Zeitpunkt, ab dem die Beihilfe dem Empfänger zur Verfügung stand bis zu ihrer tatsächlichen Rückzahlung zu zahlen sind.

Verjährungsfristen haben demgegenüber die Funktion, Rechtssicherheit zu gewährleisten.

Durch das Urteil des EuG wurde mit dem Kommissionbeschluss zwar die Grundlage für die Rückforderung sowohl der Beihilfen als auch der Zinsen aufgehoben. Unmittelbar darauf nahm die Kommission jedoch das Verwaltungsverfahren wieder auf und stellte mit Abschluss des Verfahrens in dem hier gegenständlichen Beschluss fest, dass die gegenständliche Maßnahme eine rechtswidrige und mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe darstellte. Eine besondere Feststellung zu den Zinsen musste die Kommission hierbei nach Ansicht des Gerichts  nicht treffen, da sich die Ausdehnung auf die Zinsen unmittelbar und zwangsläufig aus Art. 16 der VO 2015/1589 ergibt. Insofern ist es unzutreffend, dass das letzte die Verjährung unterbrechende Ereignis das Urteil vom 04.03.2009 gewesen sein soll. Denn in dem wieder aufgenommenen Verfahren ergriff die Kommission zahlreiche, die Verjährungsfrist unterbrechende Maßnahmen, wie sie in Art. 17 Abs. 2 der VO 2015/1589 aufgeführt werden. So richtete sie u.a. am 18.10.2018 (vor Ablauf der auch nach Klägerinnenvortrag nicht vor 2009 beginnenden Verjährungsfrist) ein Schreiben an Italien, in dem Italien aufgefordert wurde, den genauen bislang zurück geforderten Betrag mitzuteilen.

Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der guten Verwaltung sowie gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes

Schließlich rügt Tirrenia einige Verstöße der Kommission auf der Grundlage der übermäßigen Länge des Verfahrens von 10 Jahren. So hätte die übermäßige Dauer ein berechtigtes Vertrauen in die Binnenmarktvereinbarkeit der Maßnahmen hervorgerufen und auch gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der guten Verwaltung verstoßen.

Auch insofern folgt das EuG der Argumentation aber nicht.

Dier Kommission ist im Falle einer nicht angemeldeten möglichen rechtswidrigen Beihilfe (so hier der Fall) nicht an die Fristen für angemeldete Beihilfen gebunden, wie sich auch aus Erwägungsgrund 22 der VO 2015/1589 ergibt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu bewerten.

Nicht nur benennt Tirrenia aber schon nicht konkret, aus welchen Umständen sich im Einzelfall ein Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und ordnungsgemäßen Verwaltung ergeben soll. Die Entscheidung enthält außerdem zahlreiche Erwägungsgründe zu einer Vielzahl von Maßnahmen, deren faktische und rechtliche Komplexität von den italienischen Behörden im Verfahren selbst hervorgehoben wurde. Ferner waren es vor allem die italienischen Behörden, die untätig geblieben sind und es unterlassen haben, der Kommission rechtzeitig die erforderlichen Informationen zu übermitteln.

Betreffend den Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes kommt hinzu, dass bei einer ohne vorherige Anmeldung durchgeführten Maßnahme der Empfänger zu diesem Zeitpunkt kein berechtigtes Vertrauen in ihre rechtmäßige Gewährung haben kann. Ein Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV ist für sich genommen bereits geeignet, ein berechtigtes Vertrauen des Empfängers auszuschließen. Soweit Tirrenia Rechtsprechung anführt, die sich auf Vertrauensschutz bei Durchführung eines Vorprüfungsverfahrens oder bei angemeldeten Verfahren bezieht, ist diese Rechtsprechung auf den Fall einer nicht angemeldeten gewährten Beihilfe nicht übertragbar. Die Kommission hat schließlich auch keine Vertrauensschutz begründende Zusicherung erteilt. Im Gegenteil war für Tirrenia erkennbar, dass die Kommission die Beihilfe immer noch als rechtswidrig betrachten würde, nachdem der erste Beschluss wegen eines Verstoßes gegen die Begründungspflicht aufgehoben wurde.

Autor: Christopher Hanke, Müller-Wrede & Partner

Keine Informationen, kein Beweis?

Keine Informationen, kein Beweis?

Wie hoch sind die Anforderungen an den von der Kommission zu führenden und vom Gericht zu bewertenden Nachweis, dass einem Unternehmen ein Vorteil zugeflossen ist, wenn die Kommission hinsichtlich des zu bewertenden Sachverhalts nur über begrenzte Informationen verfügt?

Nachdem der EuGH in der Rechtssache C-244/18 PLarko“ das erstinstanzliche Urteil mit der Begründung aufhob, das EuG habe den falschen Prüfungsmaßstab angelegt und es unterlassen, sich bei seiner Prüfung und Begründung in den Kontext zum Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahme zu versetzen, durfte das EuG nunmehr mit Urteil vom 4. Mai 2022 eine erneute Prüfung unter Berücksichtigung der vom EuGH aufgestellten Grundsätze zur Beweislast vornehmen.

Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie die Anforderungen an die Beweislast der Kommission zu bewerten sind und wie die Verantwortungssphären zwischen Mitgliedstaat und Kommission abzugrenzen sind, wenn der Mitgliedstaat im Verwaltungsverfahren unter Verstoß gegen seine Pflichten zur loyalen Zusammenarbeit der Kommission nicht die für ihre Prüfung des Art. 107 Abs. 1 AEUV erforderlichen Informationen übermittelt.

Bisheriger Verfahrensgang

Larko ist ein griechisches auf die Gewinnung und Verarbeitung von Lateriterz, den Abbau von Braunkohle und die Herstellung von Ferronickel und Nebenprodukten spezialisiertes Unternehmen. Nachdem im März 2012 die griechischen Behörden die Kommission über ein Privatisierungsprogramm für Larko informierten, leitete die Kommission im April 2012 eine vorläufige Prüfung der Privatisierung gemäß den Vorschriften über staatliche Beihilfen ein.

Mit Beschluss vom 6. März 2013 eröffnete die Kommission das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV. Mit Beschluss  vom 27. März 2014 stellte die Kommission fest, dass drei der geprüften Maßnahmen zugunsten Larkos mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfen im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellten, die unter Missachtung des Art. 108 Abs. 3 AEUV gewährt wurden und ordnete die Rückforderung der Beihilfen an. Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens waren die griechischen Behörden nach Ansicht der Kommission den Aufforderungen der Kommission, die erforderlichen Informationen zu übermitteln, unzureichend und lückenhaft nachgekommen.

Im Juni 2014 erhob Larko Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses u.a. mit der Begründung, dass die Kommission zu Unrecht festgestellt habe, dass es sich bei den Maßnahmen um mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfen handele. Mit Urteil vom 1. Februar 2018 wies das EuG die Klage ab. Larko wendete sich daraufhin mit einem Rechtsmittel vor dem EuGH gegen das Urteil.

Urteil des EuGH vom 26. März 2020

Hinsichtlich zwei Maßnahmen wies der EuGH das Rechtsmittel zurück. Hinsichtlich einer im Dezember 2008 gewährten Garantie für ein Darlehen in Höhe von 30 Mio. EUR, mit der 100 % des Darlehens bis zu drei Jahre abgedeckt wurden und deren Garantieprämie 1 % pro Jahr betrug, hob der EuGH das Urteil auf und verwies die Rechtssache zurück an das EuG.

Das EuG hatte insofern ursprünglich geurteilt, dass ein privater Kapitalgeber eine Garantie zu solchen Konditionen nicht gewährt hätte und die Kommission in der Annahme eines wirtschaftlichen Vorteils bestätigt. Hierbei hat es nach Ansicht des EuGH einen Rechtsfehler begangen.

Denn das Gericht stützte zum einen seine Begründung, dass Larko ein „Unternehmen in Schwierigkeiten“ iSd. Rn. 9 – 11 der Leitlinien für staatliche Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen (in der damals geltenden Fassung) war, auf Elemente, die nach dem Erlass der Maßnahme eingetreten waren. Zum anderen habe es bei seiner Prüfung, ob die griechischen Behörden im Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahme von den Schwierigkeiten Larkos Kenntnis hatten, festgestellt, dass kein Aktenstück „mit Sicherheit“ nachweise, dass die Behörden zu diesem Zeitpunkt eine solche Kenntnis hatten. Schließlich stellte es dann aber eine Vermutung an, wonach der griechische Staat zum Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahme von der schwierigen Lage Larkos hätte Kenntnis haben müssen.

Durch diese Begründung habe das Gericht es unterlassen, sich bei der Prüfung des Kriteriums des privaten Wirtschaftsteilnehmers in den Kontext zum Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahme zu versetzen. Das Gericht habe verkannt, dass die Kommission ihre positive Annahme, dass einem Unternehmen ein Vorteil zugeflossen ist, nicht einfach auf eine negative Vermutung stützen darf, wenn sie schlicht nicht über hinreichende Informationen für eine (möglicherweise gegenteilige) Schlussfolgerung verfügt.

Ist der Grundsatz des privaten Wirtschaftsteilnehmers (wie vorliegend) anwendbar (wofür der betroffene Mitgliedstaat beweisbelastet sei), obliege nämlich die Beweislast, ob die Voraussetzungen für die Anwendung des Grundsatzes des privaten Wirtschaftsteilnehmers vorliegen oder nicht, der Kommission.

Auch, wenn sie aufgrund der Verletzung eines Mitgliedsstaates von dessen Pflicht zur Zusammenarbeit die angeforderten Auskünfte nicht erhält, muss sie ihre Entscheidung auf „einigermaßen tragfähige und schlüssige Anhaltspunkte stützen, die eine hinreiche Grundlage für die Annahme bilden, dass einem Unternehmen ein Vorteil zugeflossen ist, der eine staatliche Beihilfe darstellt, und die somit geeignet sind, die Schlussfolgerungen, zu denen sie gelangt ist, zu untermauern“.

Urteil des EuG vom 4. Mai 2022

Somit hatte das EuG nach Rückverweisung der Rechtssache nunmehr zu prüfen, ob die Kommission in ihrem Beschluss in einer diesen Anforderungen genügenden Weise das Vorliegen eines wirtschaftlichen Vorteils hinsichtlich der Darlehensgarantie geprüft und begründet hat.

Die vom EuG zu beurteilende Begründung der Kommission findet sich im 73. Erwägungsgrund des Beschlusses und enthält im Wesentlichen zwei Teile:

Zum einen die Feststellung der Kommission, dass Larko 2008 ein „Unternehmen in Schwierigkeiten“ iSv. Nr. 3.2 lit. a der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien iVm. der Definition in den Rn. 9 – 11 der Leitlinien für staatliche Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen in der damals geltenden Fassung war. Zum anderen, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass unter Berücksichtigung der erheblichen finanziellen Schwierigkeiten und der hohen Verschuldung Larkos im Verhältnis zum Eigenkapital (iSv. Nr. 3.2 lit. d der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien) eine jährliche Garantieprämie von 1 % dem Ausfallrisiko des garantierten Darlehens angemessen sei.

Das EuG stellte zunächst fest, dass aus der Struktur des 73. Erwägungsgrundes zu entnehmen sei, dass die beiden Teile der Begründung als alternative Begründungen zu verstehen seien, die ausgehend von Nr. 3.2 lit. a und lit. d der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien jeweils zu dem Schluss führen sollen, dass die griechischen Behörden nicht nachgewiesen hätten, dass die Maßnahme marktkonform gewesen sei und daher einen Vorteil iSv. Art. 107 Abs. 1 AEUV beinhaltete. Sodann prüfte das EuG zunächst hinsichtlich des zweiten Teils der Begründung nach Maßgabe des EuGH, ob die Verwaltungsakten Angaben von einer gewissen Zuverlässigkeit und Kohärenz enthalten, die eine hinreichende Grundlage für den Schluss der Kommission bilden und dass dieser Punkt zwischen der Kommission und den griechischen Behörden nicht streitig war.

Hierbei gelangte das EuG zu dem Schluss, dass dem Vorbringen der Kommission zu folgen und die Klage auch insofern abzuweisen ist. Das Gericht stützt dieses Ergebnis auf eine fünf-schrittige Prüfung.

Prüfungsumfang

Mit den ersten beiden Prüfungsschritten umgrenzt das Gericht zunächst den erforderlichen Prüfungsumfang bzw. die Prüfungsgrundlage.

So dürfen die im zweiten Teil der Begründung angeführten „erheblichen finanziellen Schwierigkeiten von Larko“ nicht mit der im ersten Teil angeführten Eigenschaft Larkos als „Unternehmen in Schwierigkeiten“ verwechselt werden. Die Voraussetzungen der Nr. 3.2 der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien müssen kumulativ erfüllt sein. Der zweite Teil der Begründung bezieht sich auf Nr. 3.2 lit. d der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien, nach der für die Garantie ein marktübliches Entgelt zu zahlen ist. Hierbei ist u.a. die Ausfallwahrscheinlichkeit des Kredits maßgeblich, mithin auch, ob sich das Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten befindet. Nach der in dem Urteil sehr verklausuliert formulierten Ansicht des Gerichts genügt es, dass eine der Voraussetzungen der Nr. 3.2 der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien nicht vorliegt, damit das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe nicht gemäß der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien ausgeschlossen werden kann.

Des Weiteren habe der EuGH lediglich in dem o.g. Umfang die falsche Anwendung des Grundsatzes des privaten Wirtschaftsteilnehmers durch das Gericht beanstandet, nicht aber die Stichhaltigkeit des zweiten Teils der Begründung des 73. Erwägungsgrundes des Beschlusses der Kommission oder die Stichhaltigkeit der weiteren Beurteilung des Gerichts hierzu, obwohl Larko diese Punkte in ihrem Rechtsmittel ausdrücklich gerügt hatte. Das Gericht hat somit nunmehr das Vorliegen von Gesichtspunkten zu prüfen, die belegen können, dass die griechischen Behörden vor oder bei Gewährung der Maßnahme von den „Schwierigkeiten von Larko“ Kenntnis hatten oder hätten haben müssen.

Anhaltspunkte in den Verwaltungsakten

In den weiteren beiden Prüfungsschritten legt das Gericht dar, dass die Feststellungen der Kommission zusammen mit den aus den Verwaltungsakten hervorgehenden maßgeblichen Beweisen ausreichen, um zu belegen, dass Larko spätestens zum Zeitpunkt der Gewährung der Maßnahme in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten steckte und dies den griechischen Behörden bewusst war, was sie im Verwaltungsverfahren auch nicht bestritten haben.

So habe die Kommission im zweiten Teil der Begründung des 73. Erwägungsgrundes einen Zusammenhang zwischen den „erheblichen finanziellen Schwierigkeiten“ Larkos und der „hohen Verschuldung im Verhältnis zum Eigenkapital“, die sich auf das „Ausfallrisiko der garantierten Darlehen“ auswirken könne, hergestellt. Den Zusammenhang belege die Kommission im 56. Erwägungsgrund des Beschlusses anhand einer Tabelle zur Verschuldung und zum Eigenkapital Larkos in den Jahren 2007 und 2008.

Diese Einschätzung wird nach Auffassung des Gerichts auch durch folgende weitere Anhaltspunkte in der Akte belegt:

  • Die Kommission hat im Eröffnungsbeschluss ausdrücklich die Aufmerksamkeit der griechischen Behörden auf den potenziell nicht marktkonformen Charakter der Garantieprämie im Hinblick auf Nr. 3.2 der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien gelegt. Sie führte hierbei an, dass eine jährliche Prämie von 1 % im Hinblick auf die erheblichen finanziellen Schwierigkeiten und der hohen Verschuldung Larkos auf den ersten Blick dem Ausfallrisiko nicht angemessen sei.
  • Die Kommission hat die griechischen Behörden – auch im Eröffnungsbeschluss – ausdrücklich aufgefordert, ihr alle Informationen zur Beurteilung der Kriterien der Nr. 3.2 der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien zu übermitteln, auch um prüfen zu können, ob die Prämie von 1 % im Vergleich zu „entsprechenden marktüblichen“ Entgelten angemessen ist.
  • Die griechischen Behörden haben für ihre Behauptungen, dass Larko über eine gute Bonitätseinstufung verfügt habe und die Prämie von 1 % den Marktbedingungen entsprochen habe, keine Beweise vorgelegt. Vielmehr haben die griechischen Behörden an anderer Stelle die „abrupte Verschlechterung“ der finanziellen Lage Larkos im zweiten Halbjahr 2008 einräumen müssen.
  • Die Schlussfolgerung wird durch die konstanten Verluste Larkos in den Jahren 2007 und 2008 bestätigt, die die Kommission in Eröffnungsbeschluss und angefochtenem Beschluss zugrunde gelegt hat. Außerdem wies die Kommission im Eröffnungsbeschluss darauf hin, dass nach Nr. 3.2 lit. c der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien das Vorliegen einer Beihilfe nicht ausgeschlossen werden könne, wenn die Garantie mehr als 80 % des ausstehenden Kreditbetrags decke (die Maßnahme war aber dazu bestimmt, 100 % des Darlehens zu decken).
  • Aus den im angefochtenen Beschluss zusammengefassten Erklärungen der griechischen Behörden zum Eröffnungsbeschluss geht hervor, dass diese ab Mitte 2008 von der schlechten finanziellen Situation Larkos Kenntnis hatten.

Kein Entgegenstehen der Regeln über Verteilung der Beweislast

In einem letzten Prüfungsschritt hält das EuG fest, dass auch die Regeln über die Verteilung der Beweislast nicht geeignet sind, die Feststellungen zu entkräften. Nach Ansicht des Gerichts würden ansonsten die Beweislast unter Verkennung des Umfangs der Pflichten zur loyalen Zusammenarbeit des Mitgliedstaates aus Art. 4 Abs. 3 EUV ungerechtfertigterweise zulasten der Kommission umgekehrt.

Denn zwar habe die Kommission nach dem Urteil des EuGH, auch wenn sie es mit einem Mitgliedstaat zu tun habe, der unter Verletzung seiner Pflicht zur Zusammenarbeit die angeforderten Auskünfte nicht erteilt, ihre Entscheidungen auf einigermaßen tragfähige und schlüssige Anhaltspunkte zu stützen, die eine hinreichende Grundlage für ihre Annahme bilden und darf nicht einfach in Ermangelung anderer Anhaltspunkte ihre positive Feststellung auf eine negative Vermutung stützen. Auch könne die Kommission durch von ihr erlassene Verhaltensregeln – wie die Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien – keine Verpflichtungen zulasten der Mitgliedstaaten begründen.

Vorliegend hatte die Kommission aber über die o.g. hinreichend zuverlässigen und kohärenten Anhaltspunkte verfügt. Die griechischen Behörden wiederum haben nichts unternommen, um diese Anhaltspunkte zu widerlegen und die für die Erfüllung der Nr. 3.2 lit. d der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien maßgeblichen Anhaltspunkte vorzutragen. Weder die griechischen Behörden noch Larko haben die der Kommission zur Verfügung stehenden Indizien widerlegt, obwohl die Kommission die Behörden ausdrücklich hierzu aufgefordert hatte. Ein solches Ergebnis entspricht schließlich der Verteilung der Kenntnis- und Verantwortungssphären, die den Voraussetzungen von Nr. 3.2 der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien zugrunde liegen und die vor allem den Nachweis durch den Mitgliedstaat erleichtern sollen, dass eine öffentliche Einzelgarantie keine der Kommission mitzuteilende staatliche Beihilfe beinhaltet. Grade solche Informationen, die in die Kenntnis- und Verantwortungssphäre des Mitgliedstaates fallen, könnte der Mitgliedstaat gemäß seiner Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV vorlegen.

So hat die Kommission beim Erlass dieses Beschlusses über ausreichend zuverlässige und kohärente Anhaltspunkte für die Feststellung, dass die gewährte Garantieprämie nicht marktkonform war und einen Vorteil iSv. Art. 107 Abs. 1 AEUV dargestellt hat, verfügt. Das EuG hat die Klage deshalb insgesamt abgewiesen, ohne über den ersten Teil der Begründung der Kommission, dass es sich bei Larko um ein „Unternehmen in Schwierigkeiten“ gehandelt hat, entscheiden zu müssen.

Fazit

Die Prüfung des Kriteriums des privaten Wirtschaftsteilnehmers kann sich für die Kommission im Einzelfall vor dem Hintergrund der Verteilung der Beweislast als schwierig gestalten. Zunächst ist festzustellen, dass der betroffene Mitgliedstaat für die Anwendbarkeit des Kriteriums des privaten Wirtschaftsbeteiligten beweispflichtig ist. Für die Frage der Anwendung dieses Kriteriums trifft die Beweislast regelmäßig die Kommission. Nach dem Urteil des EuGH entbinden auch diesbezügliche Verstöße des Mitgliedstaates gegen die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit die Kommission nicht davon, ihre Entscheidung auf tragfähige und schlüssige Anhaltspunkte stützen.

Das daraufhin ergangene Urteil des EuG zeigt jedoch die Umsetzungsschwierigkeiten dieser Vorgaben in der Praxis:

Das EuG  prüft zunächst kleinschrittig und entsprechend den Vorgaben des EuGH die sich aus den Verwaltungsakten ergebenden Informationen auf verschiedenste mögliche Anhaltspunkte, die den Schluss der Kommission belegen könnten und kommt zu dem Schluss, dass die Kommission auf Grundlage dieser Indizien zu dem Ergebnis kommen konnte, dass sich bei Larko im Zeitpunkt der Gewährung der Maßnahme in erheblichen Schwierigkeiten befand. Dieses Ergebnis rechtfertig das EuG abschließend zurecht mit der Verteilung der Kenntnis- und Verantwortungssphären zwischen Mitgliedstaat und Kommission: handelt es sich wie in diesem Fall bei den Voraussetzungen von Nr. 3.2 der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien um Informationen, die in die Kenntnis- und Verantwortungssphäre des Mitgliedstaates fallen, könnte der Mitgliedstaat diese gemäß seiner Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV vorlegen. Tut der Mitgliedstaat dies jedoch nicht, muss es für die Beweispflicht der Kommission ausreichen, dass sie ihre Entscheidung auf „tragfähige und schlüssige Anhaltspunkte“ und damit auf Indizien stützt, die ihr zur Verfügung stehen. Eine darüber hinausgehende Möglichkeit für den Beweis der Anwendung des Kriteriums des privaten Kapitalgebers hat die Kommission mangels Informationen in einer solchen Situation nicht.

Autor: Christopher Hanke. Müller-Wrede & Partner