Reaktion auf den Inflation Reduction Act: Mehr Wettbewerbsgleichheit durch weniger Wettbewerbsgleichheit?

Reaktion auf den Inflation Reduction Act: Mehr Wettbewerbsgleichheit durch weniger Wettbewerbsgleichheit?

Ein selbstbewusstes und aggressiv auf den Weltmärkten auftretendes China, die Herausforderungen des Klimawandels vor dem Hintergrund ambitionierter Klimaziele, die Folgen der COVID-19-Pandemie, sowie des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine…. Die europäische Industrie hat gegenwärtig eine Vielzahl von verschiedenen Herausforderungen zu bewältigen, die insbesondere auch die Wertschöpfungs- und Lieferketten vieler Industriesektoren belasten. Und nun auch noch das: Der Inflation Reduction Act (IRA), der von den Vereinigten Staaten im August 2022 angenommen wurde und zu Beginn des neuen Jahres in Kraft treten soll, droht die Märkte abzuschotten und damit kritische Lieferketten zu unterbrechen. Entsprechend lautstark und forsch fallen die Forderungen nach europäischen Gegenmaßnahmen aus, bei deren Umsetzung die Rolle des EU-Beihilfenrechts fraglich zu sein scheint.

Der Inflation Reduction Act und seine befürchteten Auswirkungen

Der IRA beinhaltet im Kern ein massives Klimaschutzprogramm, das vor allem Steuergutschriften (sog. „Tax Credits“) für eine Vielzahl von Klimaschutzmaßnahmen vorsieht. So sind „Investment Tax Credits“ für Investitionen in erneuerbare Energieerzeugungskapazitäten ebenso vorgesehen wie „Production Tax Credits“ für die Produktion von erneuerbarem Strom, emissionsarmem Wasserstoff und kritische Komponenten sowie Rohstoffe, z.B. für Solar- und Wind- oder Batteriekomponenten. Darüber hinaus werden u.a. Tax Credits für emissionsfreie Fahrzeuge und Ladestationen, „Fuel Tax Credits“ für saubere Kraftstoffe und „Carbon Capture Tax Credits“ für Negativemissions-Technologien gewährt. Schließlich beinhaltet der IRA ein spezielles Programm für Industrieprojekte, eine Methan-Preis-Regulierung und eine Aufstockung der Kreditermächtigungen für Energieinfrastrukturen.

Gleichzeitig sind kumulative „Tax Credit Bonus-Systeme“ von bis zu 10 % vorgesehen, wenn inländische Herstellungsanforderungen erfüllt oder Projekte in Brachflächen, fossil geprägten Gegenden oder einkommensschwachen Gegenden innerhalb der Vereinigten Staaten umgesetzt werden.

Der IRA soll die Vormachtstellung der Vereinigten Staaten als größter Energiehersteller langfristig sicherstellen. Zusammen mit dem Infrastructure Investment and Jobs Act und dem Chips & Science Act werden die Vereinigten Staaten ca. 2 Billionen US-Dollar in wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, Innovation und Industrieproduktivität investieren, wobei alle Programme enorme Anreize und teils Verpflichtungen beinhalten, Produktionen in die Vereinigte Staaten zu verlagern und ihre Produkte aus den Vereinigten Staaten zu beziehen.

Insbesondere Letzteres wird vor allem von der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten mit Sorge und Kritik beobachtet. So führt Kommissionspräsidentin von der Leyen in gleich zwei ausführlichen Reden zu diesem Thema (am Europakolleg in Brügge, 04.12.2022 & auf der Plenartagung des Europäischen Parlaments zur Vorbereitung der Tagung des Europäischen Rates, 14.12.2022) aus, dass der IRA aus mehreren Gründen zu unlauterem Wettbewerb auf den Märkten führe: Die dem Gesetz zugrunde liegende „Buy American“-Logik, die Steuererleichterungen und die Produktionssubventionen könnten entweder bereits unmittelbar oder jedenfalls vorhersehbar europäische Unternehmen benachteiligen. Dadurch, dass darüber hinaus Anreize geschaffen werden, nicht nur in den Vereinigten Staaten zu produzieren, sondern auch kritische Komponenten und Rohstoffe in eigene landesinterne Lieferketen zu ziehen, bestehe die Gefahr, dass transatlantische und damit europäische Lieferketten darunter leiden. Insgesamt schaffe der IRA ein attraktives Investitionsumfeld für saubere Technologien in den USA. Während durch den IRA nach ersten Analysen (u.a. der Rhodium Group) z.B. der Preis für einen Kilogramm erneuerbaren Wasserstoff in den Vereinigten Staaten bis 2030 auf unter einen US-Dollar gedrückt werden kann, schätzen aktuelle Studien die Kosten in Deutschland im Jahr 2030 auf über vier Euro.

Die Reaktion der Europäischen Union

Besonders engagiert präsentiert derzeit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mögliche strukturelle Ansätze, wie die europäische Wirtschaft trotz dieser neuesten Herausforderung wettbewerbsfähig bleiben und gleichzeitig beim grünen Wandel Vorreiter bleiben kann.

Bereits in ihrer Rede zur Lage der Union 2022 am 14.09.2022 kündigte sie einen sog. „Europäischen Souveränitätsfond“ an und erklärte, künftig europäische Mittel für finanzielle Beteiligungen an wichtigen Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse („IPCEI“, siehe Kommission nimmt überarbeitete IPCEI-Mitteilung an – BeihilfenBlog) bereitstellen zu wollen.

Diesen Ansatz griff sie in den bereits genannten Reden vor dem Europakolleg und auf der Plenartagung des Europäischen Parlaments als einen von vier Hauptaktionsbereichen von „einer Art europäischem Gesetz zur Verringerung der Inflationsrate“ als Reaktion auf die möglichen Benachteiligungen europäischer Unternehmen durch den IRA auf:

Erstens beabsichtigt die Kommission im Januar 2023 einen neuen Beihilferahmen zu verabschieden, auf dessen Grundlage Beihilfeverfahren für Investitionsbeihilfen und Steuergutschriften für die gesamte Wertschöpfungskette strategischer grüner Sektoren vereinfacht und beschleunigt durchgeführt werden können. In diesem Zusammenhang haben Mitgliedstaaten zukünftig u.a. die Möglichkeit, bei der Bereitstellung von Beihilfen für bestimmte Produkte im Bereich der sauberen Produktionstechnologien nicht nur die europäischen, sondern auch die globalen Bedingungen zu berücksichtigen, indem Mitgliedstaaten bei bestimmten Neuinvestitionen mit Subventionen von Drittländern gleichziehen können. Ist eine solche „Matching-clause“ dem Beihilfenrecht nicht fremd und z.B. bereits in Rn. 98 des FuEuI-Rahmens enthalten, fristet sie bislang insbesondere aufgrund des regelmäßig fehlenden Nachweises eines tatsächlichen Vergleichsszenarios ein beihilfenrechtliches Schattendasein. Die Anpassungen im Beihilfenrecht sollen nach der Vorstellung von der Leyens Anreize für Unternehmen schaffen, weiterhin in der Europäischen Union zu bleiben, zu investieren oder sich anzusiedeln.

Als zweiten Ansatz schlägt von der Leyen eine ergänzende europäische Finanzierung vor. Da nicht alle Mitgliedstaaten über die gleichen Kapazitäten für groß angelegte Investitionen in strategische Sektoren verfügen und nicht „gleich tief in die Taschen“ greifen können, erfordere ein grüner Wandel in ganz Europa eine ergänzende europäische Finanzierung. Konkret sehen die Vorschläge vor, kurzfristig den REPowerEU-Plan zu stärken. Für den Sommer 2023 ist die Vorlage eines detaillierten Vorschlags für den bereits o.g. Souveränitätsfonds geplant. Dieser soll auf Grundlage einer Aufstockung des EU-Haushalts mehr Mittel für eine gemeinsame europäische Klimapolitik mit einer gemeinsamen europäischen Finanzierung bereitstellen, um v.a. Investitionen in Forschungs-, Innovations- und Strategieprojekte in den Bereichen Wasserstoff, Halbleiter, Quanteninformatik, KI oder Biotechnologien zu ermöglichen. Zum gleichen Zweck ist – wie bereits oben ausgeführt – geplant europäische Mittel auch für IPCEIs in diesen Bereichen bereitzustellen. Zusätzlich soll dabei auch eine stärkere Koordinierung der Politik erfolgen.

Als dritten Punkt wolle man eng mit der Regierung der Vereinigten Staaten über die aus europäischer Sicht problematischen Punkte des IRA sprechen, um insbesondere abzustimmen, wie die jeweiligen Anreizprogramme gegenseitig verstärkt werden könnten ohne dabei auf Kosten des anderen zu gehen.

Um sich gemeinsam von der Abhängigkeit Chinas im Hinblick auf Produktion und Verarbeitung kritischer Rohstoffe zu lösen, zielt von der Leyen darauf ab, gemeinsam mit den Vereinigten Staaten als eine Art „Rohstoffclub“ eine von China unabhängig Wertschöpfung zu schaffen, um dadurch Chinas Monopol zu überwinden.

Diesen „Vier-Punkte-Plan“ bestärkte von der Leyen schließlich auch vor dem Europäischen Rat in dessen Tagung am 15.12.2022 und betonte dabei in ihren einleitenden Bemerkungen auf der anschließenden Pressekonferenz die Notwendigkeit, die Beihilfevorschriften einfacher, effektiver und planbarer zu gestalten und dabei verstärkt europäische Mittel zu investieren.

Dass die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten die Sorgen und Ansätze von der Leyens im Grundsatz teilen, verdeutlichen die Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates vom 15.12.2022. So wird der Kommission aufgegeben, bis Ende Januar 2023 eine Analyse zur Mobilisierung aller einschlägigen nationalen und EU-Instrumente vorzulegen und Vorschläge zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen – z.B. durch gestraffte Verwaltungsverfahren – zu unterbreiten. Ebenso wird die Kommission gebeten, bis Anfang 2023 eine auf EU-Ebene angesiedelte Strategie zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und der Produktivität zu erarbeiten.

Europa gemeinsam gegen die Vereinigten Staaten?

Teilen die Mitgliedstaaten zwar die Sorge über die Folgen der IRA für die europäische Wirtschaft und herrscht insoweit Einigkeit darüber, in diesem Zusammenhang eine europäische Strategie zu entwickeln, zeichnet sich jedoch bereits ab, dass die Mitgliedstaaten unterschiedliche Vorstellungen von deren Ausgestaltung und Umsetzung haben.

Vor allem im Zusammenhang mit der Lockerung von Subventionsregeln und der Aufstockung des EU-Haushalts bzw. Aufnahme neuer EU-Schulden verhärten sich die Fronten zwischen den klassischen Lagern. Während vor allem Finanzminister Christian Lindner öffentlich die deutsche Position vertritt und mehr Flexibilität bei der Anwendung des Beihilfenrechts begrüßt, um auf den IRA mit eigenen Subventionen reagieren zu können, lehnt er laxere EU-Haushaltsregeln oder die Aufnahme neuer EU-Schulden strikt ab. Hierbei erhält Deutschland u.a. Unterstützung von Finnland und den Niederlanden. Demgegenüber stehen die Mitgliedstaaten, die auch schon zuletzt die „tiefen Taschen“ von Ländern wie Deutschland kritisierten (die aus eigener Kraft ihrer Industrie mit mehr Subventionen durch die Krisen helfen konnten) und damit eine Schieflage des europäischen Marktes befürchteten. Angeführt  von Frankreich und Italien wird deshalb der Ruf nach dem Einsatz von „EU-Töpfen“ und gemeinsamer Finanzierung lauter. Anklang in diesem Lager fand daher insbesondere der vorgeschlagene EU-Souveränitätsfonds.

Auch im Hinblick auf das Risiko der Inkaufnahme eines Handelskrieges mit den Vereinigten Staaten fällt der Ton unterschiedlich scharf aus. Während Frankreichs Regierungschef Emmanuel Macron schon zuletzt bei einem Besuch in Washington den IRA ausgesprochen scharf kritisierte und sich dafür aussprach, notfalls ebenfalls unter Missachtung von Handelsregeln, mit einem europäischen Unterstützungsprogramm zu reagieren, wirkt Bundeskanzler Olaf Scholz zurückhaltender und setzt vor allem auf den Dialog mit den Vereinigten Staaten. Unterstützt wird er auch hierbei von Finanzminister Christian Lindner, der betonte, dass insbesondere Deutschland kein Interesse an einem Handelskrieg mit den USA haben könne. Zu groß ist die Sorge in Deutschland, dass ein solches Vorgehen zu Vergeltungsmaßnahmen führen könne, zumal die USA der wichtigste Handelspartner für den deutschen Export ist.

Eine weitere Alternative brachte der Chef des Handelsausschusses im EU-Parlament, Bernd Lange, ins Spiel, in dem er auf die rechtlichen Möglichkeiten hinwies, die Vereinigten Staaten bei der WTO zu verklagen. Das Vorgehen der Vereinigten Staaten sei eindeutig nicht kompatibel mit den WTO-Vorschriften.

Ausblick

Nun ist also zunächst die Kommission gefordert, bis Ende Januar 2023 konkrete Vorschläge aus dem Hut zu zaubern, um die beihilferechtliche Grundlage für die bislang noch unklare Umsetzung der politischen Ziele zu schaffen.

Bei einer Analyse der bereits vorhandenen beihilferechtlichen Tools wie z.B. AGVO, De-minimis-Verordnungen und DawI-Freistellungsbeschluss dürfte sich sicherlich auch die Fragen stellen, inwieweit zeitaufwändige Genehmigungsverfahren z.B. auf Grundlage der Leitlinien für staatliche Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen (KUEBLL) effizienter gestaltet werden könnten, um Klimainvestitionen zeitnah umzusetzen.

Wie angekündigt wird die Kommission daneben auch hier auf die Ausgestaltung eines neuen Beihilferahmens setzen. Damit hat sie bereits während der Corona Krise mit dem Temporary Framework und im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine mit dem Temporary Crisis Framework gute Erfahrungen gemacht, um Erleichterungen für Beihilfen in bestimmten Bereichen zu schaffen. Dabei dürfte es insbesondere um Maßnahmen zur Unterstützung der gesamten Wertschöpfungskette strategisch grüner Sektoren gehen, sowie um die konkrete Ausgestaltung einer „Matching-clause“.  

Mit einer darüber hinausgehenden Lockerung der beihilferechtlichen Regelungen dürften die obersten Wettbewerbshüter jedoch vermutlich eher zögerlich umgehen. Ganz grundsätzlich stellt sich die Frage, ob eine Lockerung des europäischen Beihilfenrecht und die damit einhergehende Gefahr eines unfairen Wettbewerbs im Binnenmarkt wirklich der richtige Ansatz ist, um einen fairen Wettbewerb im Welthandel herzustellen oder ob ein solches Vorgehen nicht eher dazu beitragen würde, die Union weiter zu spalten. Ziel der Vorschriften des EU-Beihilfenrechts ist es schließlich, den Binnenmarkt zu schützen und einen Subventionswettlauf innerhalb der Union zu verhindern. Staatliche Beihilfen sind daher gemäß Art. 107 AEUV grundsätzlich verboten und dürfen nur gewährt werden, wenn sie mit dem Binnenmarkt vereinbar sind. Mit dem Binnenmarkt nicht vereinbar sind jedoch stets Beihilfen, deren Gewährung davon abhängig ist, dass der Beihilfenempfänger seinen Sitz in dem betreffenden Mitgliedstaat hat oder der Beihilfenempfänger einheimische Waren verwendet. Damit ist ein mit dem IRA vergleichbares protektionistischen Verhalten der Mitgliedstaaten aus beihilferechtlicher Sicht nicht zulässig.

Mag das Beihilfenrecht an manchen Stellen schwerfällig sein, hat es jedoch in der Vergangenheit wesentlich dazu beigetragen, den Wettbewerb im Binnenmarkt auch in Krisenzeiten zu schützen und sollte daher jetzt nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Vielmehr sollte auf die Regelungen der WTO für Subventionen im Rahmen des Agreement on Subsidies and Countervailing Measures (SCMA) verwiesen werden. Das SCMA verbietet in gleicher Form Subventionen, deren Gewährung an die Bedingung geknüpft ist, dass anstelle von eingeführten Waren einheimische verwendet werden. Die Einreichung einer Klage ist dabei nicht als ein unfreundlicher Akt zu bewerten, sondern vielmehr erforderlich, um Bestätigung zu erhalten, dass die amerikanischen Rechtsvorschriften nicht WTO-konform sind.

Zu hoffen bleibt, dass die Verhandlungen zwischen der US-Regierung und der Kommission in der extra dafür eingesetzten transatlantischen Task Force zielführend sind. Beide Seiten scheinen sich dabei zumindest grundsätzlich darüber einig zu sein, dass eine enge Koordinierung wichtig ist, um nachhaltige und widerstandsfähige Lieferketten über den Atlantik hinweg zu unterstützen, auch um eine saubere Energiewirtschaft aufzubauen. Profitieren dürfte von einem Handelskrieg zwischen Europa und den Vereinigten Staaten allenfalls China und das – da dürften sich beide Seiten des Atlantiks auch einig sein – kann nicht das Ziel sein.

Dieser Beitrag wurde gemeinsam verfasst von Christopher Hanke und Gabriele Quardt, Müller-Wrede und Partner.

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