In der neuen De-minimis-Verordnung VO 2023/2831 wurden ohne großes Aufheben die Kumulierungsregeln vereinfacht. De-minimis-Beihilfen nach der VO 2023/2831 und DawI-de-minimis-Beihilfen nach der VO 2023/2832 können unabhängig voneinander gewährt werden: Ein Unternehmen, das Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DawI) erbringt, kann DawI-de-minimis-Beihilfen bis zu 750.000 EUR und (allgemeine) De-minimis-Beihilfen bis zu 300.000 EUR in einem 3-Jahreszeitraum erhalten. Eine sinnvolle Kumulierungsregel für die Ausgleichszahlungen an den öffentlichen Personenverkehr (ÖPV) oder andere DawI-Erbringer wurde dagegen nicht gefunden.
Es mag in der Praxis wenig Beachtung gefunden haben, aber bis zum 31.12.2023 mussten bei der Gewährung von De-minimis-Beihilfen nach der VO 1407/2013 auch die sog. DawI-de-minimis-Beihilfen nach der VO 360/2012 der beiden vorangegangen und des laufenden Jahres abgefragt werden. De-minimis-Beihilfen durften mit DawI-de-minimis-Beihilfen nur bis zur Höhe von 500.000 EUR kumuliert werden (Art. 5 Abs. 1 S. 1 VO 1407/2013, Art. 2 Abs. 7 VO 360/2012). Anders ausgedrückt: Ein Unternehmen mit einer gemeinschaftlichen Verpflichtung durfte über den bisherigen DawI-de-minimis-Schwellenwert hinaus keine (allgemeine) De-minimis-Beihilfe erhalten. Seit dem 01.01.2024 gibt es diese Beschränkung nicht mehr; die (allgemeine) De-minimis-Verordnung 2023/2831 und die DawI-de-minimis-Verordnung 2023/2832 erlauben gegenseitig die Kumulierung.
Eine kleine Abweichung im Wortlaut wirft jedoch eine Frage auf: Während Art. 5 Abs. 1 VO 2023/2832 eine Kumulierung mit nach anderen De-minimis-Verordnungen gewährten Beihilfen erlaubt, erlaubt Art. 5 Abs. 1 VO 2023/2831 nur eine Kumulierung mit nach der VO 2023/2832 gewährten Beihilfen. Ist somit wegen des fehlenden Verweises eine Kumulierung einer (allgemeinen) De-minimis-Beihilfe mit DawI-de-minimis-Beihilfen nicht zulässig, die in den Jahren 2022 und 2023 nach der VO 360/2012 gewährt wurden? Oder nur bis zum „alten“ Schwellenwert für DawI-de-minimis-Beihilfen von 500.000 EUR? Kann also ein Unternehmen, das im Jahr 2023 eine Dawi-de-minimis-Beihilfe von 500.000 EUR bekommen hat, in 2024 eine (allgemeine) De-minimis-Beihilfe erhalten?
Der Wortlaut beider Verordnungen gibt keine Antworten. Es kann aber auf folgende Überlegung zurückgegriffen werden: Nach Art. 3 Abs. 1 VO 2023/2831 sind Beihilfemaßnahmen, die die Voraussetzungen dieser Verordnung erfüllen, keine „echten“ Beihilfen und daher nicht notifizierungspflichtig. Diese Verordnung enthält die Kumulierungsregel aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 VO 1407/2013 nicht mehr, die eine Kumulierung mit DawI-de-minimis-Beihilfen nur bis 500.000 EUR erlaubte. Die Kumulierung ist jetzt uneingeschränkt möglich, solange die Regeln der Verordnung eingehalten werden. Eine (allgemeine) De-minimis-Beihilfe kann alle Voraussetzungen der VO 2023/2831 erfüllen, selbst wenn das Unternehmen vor dem 01.01.2024 DawI-de-minimis-Beihilfen erhalten hat. Damit bleiben bei der Gewährung einer (allgemeinen) De-minimis-Beihilfe nicht nur aktuelle, sondern auch die vor dem 01.01.2024 gewährten Dawi-de-minimis-Beihilfen unberücksichtigt. Nur bei der Gewährung einer DawI-De-minimis Beihilfe auf Grundlage der VO 2023/2832 sind die in den vergangenen zwei Jahren gewährten DawI-De-minimis Beihilfen abzufragen.
Unverändert bleibt die Situation bei Ausgleichsleistungen für das Erbringen von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DawI). Ein Unternehmen, das eine Ausgleichsleistung für die DawI erhält, darf nicht zusätzlich eine DawI-de-minimis-Beihilfe erhalten, selbst wenn die Ausgleichsleistung nach den Altmark-Kriterien ermittelt wurde und somit beihilfefrei ist (Art. 5 Abs. 2 VO 2013/2382). In der allgemeinen De-minimis-Verordnung 2013/2381 gibt es keine entsprechende Regelung. Eine solche Regelung wäre auch schwer zu begründen. Warum dürfte jedes Unternehmen eine (allgemeine) De-minimis-Beihilfe erhalten, nur die Unternehmen nicht, die im Interesse der Allgemeinheit Leistungen erbringen, ohne eine Beihilfe zu erhalten? Aber selbst wenn die allgemeine De-minimis-Verordnung 2013/2381 keine Beschränkung hinsichtlich DawI-Erbringer enthält, muss die De-minimis-Beihilfe wohl bei der Überkompensationskontrolle (3. Altmark-Kriterium) berücksichtigt und die Ausgleichsleistung entsprechend gekürzt werden, zumindest wenn die De-minimis-Beihilfe für dieselbe DawI gewährt wird.