Schlagwort: Inflation Reduction Act

Europas Agenda zur Gestaltung des Wandels

Europas Agenda zur Gestaltung des Wandels

Ende letzten Jahres kündigte die Europäische Kommission eine europäische Reaktion auf die aktuelle wirtschaftliche Lage und den Inflation Reduction Act (IRA) der USA an. In diesem Zusammenhang wurde ihr vom Europäischen Rat aufgegeben, eine Analyse zur Mobilisierung aller einschlägigen nationalen- und EU-Instrumente vorzulegen sowie eine auf EU-Ebene angesiedelte Strategie zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und der Produktivität zu erarbeiten (siehe Reaktion auf den Inflation Reduction Act: Mehr Wettbewerbsgleichheit durch weniger Wettbewerbsgleichheit? – BeihilfenBlog (beihilfen-blog.eu)). Dieser Aufforderung kam die Kommission nun binnen kürzester Zeit nach.

Anfang Februar veröffentlichte die Kommission ihre Mitteilung „Ein Industrieplan zum Grünen Deal für das klimaneutrale Zeitalter“. Der Industrieplan soll als Teil des europäischen Grünen Deals den Weg zur Klimaneutralität weiter ebnen und dafür Sorge tragen, dass Europa auch nach dem Wandel im klimaneutralen Industriezeitalter weltweit eine Vorreiterrolle einnehmen kann. Insbesondere soll die Wettbewerbsfähigkeit Europas in Anbetracht von umfangreichen Investitionen in den ökologischen Wandel in anderen Staaten (IRA in den USA, aber auch vergleichbare Investitionspakete in Japan oder Indien) gesichert und gestärkt werden.

„Ein Industrieplan zum Grünen Deal für das klimaneutrale Zeitalter“

Der Industrieplan beinhaltet vier sich ergänzende Säulen:

Ein vorhersehbares, kohärentes und vereinfachtes Regelungsumfeld soll durch Maßnahmen wie verkürzte Genehmigungsverfahren, europäische Normen und Rechtsrahmen oder Anreize zum Einsatz von klimaneutraler Technologie dazu beitragen, dass sich alle Akteure gemeinsam auf dieselben Ziele konzentrieren und dass den Akteuren das Erreichen dieser gemeinsamen Ziele erleichtert wird.

Die Kompetenzen in der ganzen EU im grünen und digitalen Bereich sollen durch Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen ebenso wie durch Bildungsmaßnahmen (wie z.B. der europäischen Hochschulstrategie) und durch innereuropäische Kompetenzpartnerschaften ausgebaut werden.

Die globale Zusammenarbeit und die Stabilität des internationalen Handels im Bereich der klimaneutralen Technologien soll gefördert werden. Zu diesem Zweck wird die EU die WTO weiter unterstützen, ihr Netz von Freihandelsabkommen ausbauen und insbesondere weiterhin mit den USA an Lösungen für eine Aufrechterhaltung der transatlantischen Lieferketten arbeiten. Ebenso sollen neue Initiativen, wie ein „Klub für kritische Rohstoffe“ zur weltweiten Versorgung mit kritischen Rohstoffen entwickelt werden. Um einen offenen und fairen Wettbewerb zu sichern, beabsichtigt die EU die vollumfängliche Nutzung handelspolitischer Schutzinstrumente.

Als Reaktion auf die durch Subventionen in anderen Teilen der Welt entstehenden Wettbewerbsnachteile sieht der Plan der Kommission vor allem aber eine Ausweitung und Beschleunigung des Zugangs von Unternehmen im Bereich klimafreundlicher Technologien zu Finanzmitteln vor. Hierbei verfolgt der Vorschlag der Kommission ebenfalls verschiedene sich ergänzende Ansätze.

Schnellerer Zugang zu Finanzmitteln

Der Zugang zu Finanzmitteln soll durch vereinfachte und flexiblere Möglichkeiten der nationalen Finanzierung, durch eine verstärkte EU-Finanzierung und durch eine verstärkte Mobilisierung privater Investitionen verbessert werden.

Nationale Finanzierung

Den ersten Ansatz hat die Kommission bereits (als Entwurf zur Konsultation) in die Tat umgesetzt. Der ebenfalls Anfang Februar an die Mitgliedstaaten übersandte Konsultationsentwurf des „Temporary Crisis and Transition Framework“ (TCTF, zu Deutsch „Befristeter Krisen- und Übergangsrahmen“) sieht verschiedene zusätzliche Möglichkeiten vor, Investitionen für einen schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien zu fördern und die Dekarbonisierung der Industrie sowie die Herstellung der für den Übergang zur CO2-Neutralität erforderlichen Ausrüstung zu unterstützen.

Der TCTF-Entwurf erweitert die im bisherigen Temporary Crisis Framework (TCF, Befristeter Krisenrahmen) enthaltenen Möglichkeiten zur Gewährung von Beihilfen für den Ausbau erneuerbaren Energien auf alle Technologien im Bereich der erneuerbaren Energien. Für weniger ausgereifte Technologien wird die Verpflichtung zur Bestimmung des Beihilfebetrags auf Grundlage der Durchführung offener Ausschreibungen aufgehoben, sie ist nur noch für den Ausbau im Bereich von Solar-Photovoltaik, Onshore- und Offshore-Wind und Wasserkraft verbindlich. Die Fristen für den Abschluss von Projekten wurden verlängert.

Gleichermaßen erweitert der TCTF-Entwurf die Bestimmungen zur Gewährung von Dekarbonisierungsbeihilfen um flexiblere Beihilfeobergrenzen und um die Möglichkeit, Beihilfen für die Wasserstoffnutzung, Energieeffizienz und Elektrifizierung anhand von Standardprozentsätzen der Investitionskosten zu genehmigen.

Außerdem sieht der TCTF-Entwurf eine „Matching-Clause“ vor, nach der unter bestimmten Voraussetzungen Beihilfen in der Höhe gewährt werden dürfen, die der Höhe entspricht, die Wettbewerbern für ähnliche Vorhaben außerhalb der EU gewährt werden.

Des Weiteren plant die Kommission im Zusammenhang mit der Überarbeitung der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) die Anmeldeschwellen für Beihilfen in Schlüsselsektoren wie Wasserstoff, CO2-Abschneidung und -Speicherung oder emissionsfreie Fahrzeuge anzuheben.

Schließlich soll die Genehmigung von IPCEI-bezogenen Projekten gestrafft und vereinfacht werden.

EU-Finanzierung

Innerhalb der EU-Mitgliedstaaten – und offenkundig auch innerhalb der Kommission, wie die Rede Margrethe Vestagers zu den vorgeschlagenen Änderungen abermals verdeutlicht – besteht die Sorge, dass die Vereinfachung der Beihilfengewährung in den genannten Schlüsselbereichen in Verbindung mit den unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten der verschiedenen Mitgliedstaaten zu einer Fragmentierung des Binnenmarkts führt. Um eine solche Fragmentierung zu verhindern und den Finanzierungsbedarf für den Ausbau der Industrie in diesen Bereichen EU-weit zu schließen, strebt die Kommission als weiteren Ansatz eine erhöhte Bereitstellung von EU-Mitteln an.

Hierzu sollen auf Grundlage des REPowerEU-Plans Finanzhilfen und Darlehen aus der Aufbau- und Resilienzfazilität ebenso wie Zuschüsse aus der Reserve für die Anpassung an den Brexit bereitgestellt werden. Die Europäische Investitionsbank möchte die Verwirklichung der Ziele des REPowerEU-Plans darüber hinaus mit zusätzlichen Darlehen und Eigenkapital unterstützen.

Auf Grundlage des Programms InvestEU sollen mithilfe der Europäischen Investitionsbank, des Europäischen Investitionsfonds, der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und weiteren Durchführungspartnern vor allem über Garantievereinbarungen öffentliche und private Investitionen im Bereich der Klimaneutralität unterstützt werden.

Schließlich verweist der Industrieplan auf den EU-Innovationsfonds.

Die Kommission führt jedoch aus, dass die genannten Instrumente (nur) eine Überbrückungslösung bilden, um eine gezielte Unterstützung dort zu leisten, wo sie am dringendsten benötigt wird. Bis zum Sommer 2023 will die Kommission deshalb eine strukturelle langfristiger ausgerichtete Lösung für den Investitionsbedarf in Form eines „Europäischen Souveränitätsfonds“ vorschlagen, der seine Grundlage in den Erfahrungen mit IPCEI-Projekten haben soll. Bei der Ausgestaltung beabsichtigt sie, die Mitgliedstaaten eng mit einzubinden.

Anmerkungen

Wie von der Kommission angekündigt und vom Europäischen Rat gefordert, enthält der „Industrieplan zum Grünen Deal für das klimaneutrale Zeitalter“ einen Überblick über die bestehenden der EU und ihren Mitgliedstaaten zur Verfügung stehenden Instrumente zur Wahrung und Förderung der Wettbewerbsfähigkeit Europas im Übergang zum klimaneutralen Industriezeitalter. Auch die Ankündigung einer Vereinfachung der Beihilferegeln im Bereich der klimafreundlichen Technologien setzte die Kommission in ihrem Konsultationsentwurf des TCTF binnen kürzester Zeit um. Mit weiteren Vereinfachungen ist im Zusammenhang mit der ebenfalls zeitnah zu erwartenden Überarbeitung der AGVO ist u.a. durch Anhebung der Schwellenwerte zu rechnen.

Wenig konkret bleibt derzeit noch die Ankündigung eines „Europäischen Souveränitätsfonds“. Dass ein solches Instrument zur stärkeren gemeinsamen Finanzierung auf EU-Ebene und zur Strukturierung der ganzheitlichen Förderung von Schlüsselbereichen weiterhin angestrebt und insbesondere für den Zusammenhalt der Union für dringend notwendig erachtet wird, verdeutlicht die Kommission jedoch abermals ausdrücklich.

Autor: Christopher Hanke, Müller-Wrede Rechtsanwälte

Reaktion auf den Inflation Reduction Act: Mehr Wettbewerbsgleichheit durch weniger Wettbewerbsgleichheit?

Reaktion auf den Inflation Reduction Act: Mehr Wettbewerbsgleichheit durch weniger Wettbewerbsgleichheit?

Ein selbstbewusstes und aggressiv auf den Weltmärkten auftretendes China, die Herausforderungen des Klimawandels vor dem Hintergrund ambitionierter Klimaziele, die Folgen der COVID-19-Pandemie, sowie des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine…. Die europäische Industrie hat gegenwärtig eine Vielzahl von verschiedenen Herausforderungen zu bewältigen, die insbesondere auch die Wertschöpfungs- und Lieferketten vieler Industriesektoren belasten. Und nun auch noch das: Der Inflation Reduction Act (IRA), der von den Vereinigten Staaten im August 2022 angenommen wurde und zu Beginn des neuen Jahres in Kraft treten soll, droht die Märkte abzuschotten und damit kritische Lieferketten zu unterbrechen. Entsprechend lautstark und forsch fallen die Forderungen nach europäischen Gegenmaßnahmen aus, bei deren Umsetzung die Rolle des EU-Beihilfenrechts fraglich zu sein scheint.

Der Inflation Reduction Act und seine befürchteten Auswirkungen

Der IRA beinhaltet im Kern ein massives Klimaschutzprogramm, das vor allem Steuergutschriften (sog. „Tax Credits“) für eine Vielzahl von Klimaschutzmaßnahmen vorsieht. So sind „Investment Tax Credits“ für Investitionen in erneuerbare Energieerzeugungskapazitäten ebenso vorgesehen wie „Production Tax Credits“ für die Produktion von erneuerbarem Strom, emissionsarmem Wasserstoff und kritische Komponenten sowie Rohstoffe, z.B. für Solar- und Wind- oder Batteriekomponenten. Darüber hinaus werden u.a. Tax Credits für emissionsfreie Fahrzeuge und Ladestationen, „Fuel Tax Credits“ für saubere Kraftstoffe und „Carbon Capture Tax Credits“ für Negativemissions-Technologien gewährt. Schließlich beinhaltet der IRA ein spezielles Programm für Industrieprojekte, eine Methan-Preis-Regulierung und eine Aufstockung der Kreditermächtigungen für Energieinfrastrukturen.

Gleichzeitig sind kumulative „Tax Credit Bonus-Systeme“ von bis zu 10 % vorgesehen, wenn inländische Herstellungsanforderungen erfüllt oder Projekte in Brachflächen, fossil geprägten Gegenden oder einkommensschwachen Gegenden innerhalb der Vereinigten Staaten umgesetzt werden.

Der IRA soll die Vormachtstellung der Vereinigten Staaten als größter Energiehersteller langfristig sicherstellen. Zusammen mit dem Infrastructure Investment and Jobs Act und dem Chips & Science Act werden die Vereinigten Staaten ca. 2 Billionen US-Dollar in wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, Innovation und Industrieproduktivität investieren, wobei alle Programme enorme Anreize und teils Verpflichtungen beinhalten, Produktionen in die Vereinigte Staaten zu verlagern und ihre Produkte aus den Vereinigten Staaten zu beziehen.

Insbesondere Letzteres wird vor allem von der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten mit Sorge und Kritik beobachtet. So führt Kommissionspräsidentin von der Leyen in gleich zwei ausführlichen Reden zu diesem Thema (am Europakolleg in Brügge, 04.12.2022 & auf der Plenartagung des Europäischen Parlaments zur Vorbereitung der Tagung des Europäischen Rates, 14.12.2022) aus, dass der IRA aus mehreren Gründen zu unlauterem Wettbewerb auf den Märkten führe: Die dem Gesetz zugrunde liegende „Buy American“-Logik, die Steuererleichterungen und die Produktionssubventionen könnten entweder bereits unmittelbar oder jedenfalls vorhersehbar europäische Unternehmen benachteiligen. Dadurch, dass darüber hinaus Anreize geschaffen werden, nicht nur in den Vereinigten Staaten zu produzieren, sondern auch kritische Komponenten und Rohstoffe in eigene landesinterne Lieferketen zu ziehen, bestehe die Gefahr, dass transatlantische und damit europäische Lieferketten darunter leiden. Insgesamt schaffe der IRA ein attraktives Investitionsumfeld für saubere Technologien in den USA. Während durch den IRA nach ersten Analysen (u.a. der Rhodium Group) z.B. der Preis für einen Kilogramm erneuerbaren Wasserstoff in den Vereinigten Staaten bis 2030 auf unter einen US-Dollar gedrückt werden kann, schätzen aktuelle Studien die Kosten in Deutschland im Jahr 2030 auf über vier Euro.

Die Reaktion der Europäischen Union

Besonders engagiert präsentiert derzeit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mögliche strukturelle Ansätze, wie die europäische Wirtschaft trotz dieser neuesten Herausforderung wettbewerbsfähig bleiben und gleichzeitig beim grünen Wandel Vorreiter bleiben kann.

Bereits in ihrer Rede zur Lage der Union 2022 am 14.09.2022 kündigte sie einen sog. „Europäischen Souveränitätsfond“ an und erklärte, künftig europäische Mittel für finanzielle Beteiligungen an wichtigen Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse („IPCEI“, siehe Kommission nimmt überarbeitete IPCEI-Mitteilung an – BeihilfenBlog) bereitstellen zu wollen.

Diesen Ansatz griff sie in den bereits genannten Reden vor dem Europakolleg und auf der Plenartagung des Europäischen Parlaments als einen von vier Hauptaktionsbereichen von „einer Art europäischem Gesetz zur Verringerung der Inflationsrate“ als Reaktion auf die möglichen Benachteiligungen europäischer Unternehmen durch den IRA auf:

Erstens beabsichtigt die Kommission im Januar 2023 einen neuen Beihilferahmen zu verabschieden, auf dessen Grundlage Beihilfeverfahren für Investitionsbeihilfen und Steuergutschriften für die gesamte Wertschöpfungskette strategischer grüner Sektoren vereinfacht und beschleunigt durchgeführt werden können. In diesem Zusammenhang haben Mitgliedstaaten zukünftig u.a. die Möglichkeit, bei der Bereitstellung von Beihilfen für bestimmte Produkte im Bereich der sauberen Produktionstechnologien nicht nur die europäischen, sondern auch die globalen Bedingungen zu berücksichtigen, indem Mitgliedstaaten bei bestimmten Neuinvestitionen mit Subventionen von Drittländern gleichziehen können. Ist eine solche „Matching-clause“ dem Beihilfenrecht nicht fremd und z.B. bereits in Rn. 98 des FuEuI-Rahmens enthalten, fristet sie bislang insbesondere aufgrund des regelmäßig fehlenden Nachweises eines tatsächlichen Vergleichsszenarios ein beihilfenrechtliches Schattendasein. Die Anpassungen im Beihilfenrecht sollen nach der Vorstellung von der Leyens Anreize für Unternehmen schaffen, weiterhin in der Europäischen Union zu bleiben, zu investieren oder sich anzusiedeln.

Als zweiten Ansatz schlägt von der Leyen eine ergänzende europäische Finanzierung vor. Da nicht alle Mitgliedstaaten über die gleichen Kapazitäten für groß angelegte Investitionen in strategische Sektoren verfügen und nicht „gleich tief in die Taschen“ greifen können, erfordere ein grüner Wandel in ganz Europa eine ergänzende europäische Finanzierung. Konkret sehen die Vorschläge vor, kurzfristig den REPowerEU-Plan zu stärken. Für den Sommer 2023 ist die Vorlage eines detaillierten Vorschlags für den bereits o.g. Souveränitätsfonds geplant. Dieser soll auf Grundlage einer Aufstockung des EU-Haushalts mehr Mittel für eine gemeinsame europäische Klimapolitik mit einer gemeinsamen europäischen Finanzierung bereitstellen, um v.a. Investitionen in Forschungs-, Innovations- und Strategieprojekte in den Bereichen Wasserstoff, Halbleiter, Quanteninformatik, KI oder Biotechnologien zu ermöglichen. Zum gleichen Zweck ist – wie bereits oben ausgeführt – geplant europäische Mittel auch für IPCEIs in diesen Bereichen bereitzustellen. Zusätzlich soll dabei auch eine stärkere Koordinierung der Politik erfolgen.

Als dritten Punkt wolle man eng mit der Regierung der Vereinigten Staaten über die aus europäischer Sicht problematischen Punkte des IRA sprechen, um insbesondere abzustimmen, wie die jeweiligen Anreizprogramme gegenseitig verstärkt werden könnten ohne dabei auf Kosten des anderen zu gehen.

Um sich gemeinsam von der Abhängigkeit Chinas im Hinblick auf Produktion und Verarbeitung kritischer Rohstoffe zu lösen, zielt von der Leyen darauf ab, gemeinsam mit den Vereinigten Staaten als eine Art „Rohstoffclub“ eine von China unabhängig Wertschöpfung zu schaffen, um dadurch Chinas Monopol zu überwinden.

Diesen „Vier-Punkte-Plan“ bestärkte von der Leyen schließlich auch vor dem Europäischen Rat in dessen Tagung am 15.12.2022 und betonte dabei in ihren einleitenden Bemerkungen auf der anschließenden Pressekonferenz die Notwendigkeit, die Beihilfevorschriften einfacher, effektiver und planbarer zu gestalten und dabei verstärkt europäische Mittel zu investieren.

Dass die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten die Sorgen und Ansätze von der Leyens im Grundsatz teilen, verdeutlichen die Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates vom 15.12.2022. So wird der Kommission aufgegeben, bis Ende Januar 2023 eine Analyse zur Mobilisierung aller einschlägigen nationalen und EU-Instrumente vorzulegen und Vorschläge zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen – z.B. durch gestraffte Verwaltungsverfahren – zu unterbreiten. Ebenso wird die Kommission gebeten, bis Anfang 2023 eine auf EU-Ebene angesiedelte Strategie zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und der Produktivität zu erarbeiten.

Europa gemeinsam gegen die Vereinigten Staaten?

Teilen die Mitgliedstaaten zwar die Sorge über die Folgen der IRA für die europäische Wirtschaft und herrscht insoweit Einigkeit darüber, in diesem Zusammenhang eine europäische Strategie zu entwickeln, zeichnet sich jedoch bereits ab, dass die Mitgliedstaaten unterschiedliche Vorstellungen von deren Ausgestaltung und Umsetzung haben.

Vor allem im Zusammenhang mit der Lockerung von Subventionsregeln und der Aufstockung des EU-Haushalts bzw. Aufnahme neuer EU-Schulden verhärten sich die Fronten zwischen den klassischen Lagern. Während vor allem Finanzminister Christian Lindner öffentlich die deutsche Position vertritt und mehr Flexibilität bei der Anwendung des Beihilfenrechts begrüßt, um auf den IRA mit eigenen Subventionen reagieren zu können, lehnt er laxere EU-Haushaltsregeln oder die Aufnahme neuer EU-Schulden strikt ab. Hierbei erhält Deutschland u.a. Unterstützung von Finnland und den Niederlanden. Demgegenüber stehen die Mitgliedstaaten, die auch schon zuletzt die „tiefen Taschen“ von Ländern wie Deutschland kritisierten (die aus eigener Kraft ihrer Industrie mit mehr Subventionen durch die Krisen helfen konnten) und damit eine Schieflage des europäischen Marktes befürchteten. Angeführt  von Frankreich und Italien wird deshalb der Ruf nach dem Einsatz von „EU-Töpfen“ und gemeinsamer Finanzierung lauter. Anklang in diesem Lager fand daher insbesondere der vorgeschlagene EU-Souveränitätsfonds.

Auch im Hinblick auf das Risiko der Inkaufnahme eines Handelskrieges mit den Vereinigten Staaten fällt der Ton unterschiedlich scharf aus. Während Frankreichs Regierungschef Emmanuel Macron schon zuletzt bei einem Besuch in Washington den IRA ausgesprochen scharf kritisierte und sich dafür aussprach, notfalls ebenfalls unter Missachtung von Handelsregeln, mit einem europäischen Unterstützungsprogramm zu reagieren, wirkt Bundeskanzler Olaf Scholz zurückhaltender und setzt vor allem auf den Dialog mit den Vereinigten Staaten. Unterstützt wird er auch hierbei von Finanzminister Christian Lindner, der betonte, dass insbesondere Deutschland kein Interesse an einem Handelskrieg mit den USA haben könne. Zu groß ist die Sorge in Deutschland, dass ein solches Vorgehen zu Vergeltungsmaßnahmen führen könne, zumal die USA der wichtigste Handelspartner für den deutschen Export ist.

Eine weitere Alternative brachte der Chef des Handelsausschusses im EU-Parlament, Bernd Lange, ins Spiel, in dem er auf die rechtlichen Möglichkeiten hinwies, die Vereinigten Staaten bei der WTO zu verklagen. Das Vorgehen der Vereinigten Staaten sei eindeutig nicht kompatibel mit den WTO-Vorschriften.

Ausblick

Nun ist also zunächst die Kommission gefordert, bis Ende Januar 2023 konkrete Vorschläge aus dem Hut zu zaubern, um die beihilferechtliche Grundlage für die bislang noch unklare Umsetzung der politischen Ziele zu schaffen.

Bei einer Analyse der bereits vorhandenen beihilferechtlichen Tools wie z.B. AGVO, De-minimis-Verordnungen und DawI-Freistellungsbeschluss dürfte sich sicherlich auch die Fragen stellen, inwieweit zeitaufwändige Genehmigungsverfahren z.B. auf Grundlage der Leitlinien für staatliche Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen (KUEBLL) effizienter gestaltet werden könnten, um Klimainvestitionen zeitnah umzusetzen.

Wie angekündigt wird die Kommission daneben auch hier auf die Ausgestaltung eines neuen Beihilferahmens setzen. Damit hat sie bereits während der Corona Krise mit dem Temporary Framework und im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine mit dem Temporary Crisis Framework gute Erfahrungen gemacht, um Erleichterungen für Beihilfen in bestimmten Bereichen zu schaffen. Dabei dürfte es insbesondere um Maßnahmen zur Unterstützung der gesamten Wertschöpfungskette strategisch grüner Sektoren gehen, sowie um die konkrete Ausgestaltung einer „Matching-clause“.  

Mit einer darüber hinausgehenden Lockerung der beihilferechtlichen Regelungen dürften die obersten Wettbewerbshüter jedoch vermutlich eher zögerlich umgehen. Ganz grundsätzlich stellt sich die Frage, ob eine Lockerung des europäischen Beihilfenrecht und die damit einhergehende Gefahr eines unfairen Wettbewerbs im Binnenmarkt wirklich der richtige Ansatz ist, um einen fairen Wettbewerb im Welthandel herzustellen oder ob ein solches Vorgehen nicht eher dazu beitragen würde, die Union weiter zu spalten. Ziel der Vorschriften des EU-Beihilfenrechts ist es schließlich, den Binnenmarkt zu schützen und einen Subventionswettlauf innerhalb der Union zu verhindern. Staatliche Beihilfen sind daher gemäß Art. 107 AEUV grundsätzlich verboten und dürfen nur gewährt werden, wenn sie mit dem Binnenmarkt vereinbar sind. Mit dem Binnenmarkt nicht vereinbar sind jedoch stets Beihilfen, deren Gewährung davon abhängig ist, dass der Beihilfenempfänger seinen Sitz in dem betreffenden Mitgliedstaat hat oder der Beihilfenempfänger einheimische Waren verwendet. Damit ist ein mit dem IRA vergleichbares protektionistischen Verhalten der Mitgliedstaaten aus beihilferechtlicher Sicht nicht zulässig.

Mag das Beihilfenrecht an manchen Stellen schwerfällig sein, hat es jedoch in der Vergangenheit wesentlich dazu beigetragen, den Wettbewerb im Binnenmarkt auch in Krisenzeiten zu schützen und sollte daher jetzt nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Vielmehr sollte auf die Regelungen der WTO für Subventionen im Rahmen des Agreement on Subsidies and Countervailing Measures (SCMA) verwiesen werden. Das SCMA verbietet in gleicher Form Subventionen, deren Gewährung an die Bedingung geknüpft ist, dass anstelle von eingeführten Waren einheimische verwendet werden. Die Einreichung einer Klage ist dabei nicht als ein unfreundlicher Akt zu bewerten, sondern vielmehr erforderlich, um Bestätigung zu erhalten, dass die amerikanischen Rechtsvorschriften nicht WTO-konform sind.

Zu hoffen bleibt, dass die Verhandlungen zwischen der US-Regierung und der Kommission in der extra dafür eingesetzten transatlantischen Task Force zielführend sind. Beide Seiten scheinen sich dabei zumindest grundsätzlich darüber einig zu sein, dass eine enge Koordinierung wichtig ist, um nachhaltige und widerstandsfähige Lieferketten über den Atlantik hinweg zu unterstützen, auch um eine saubere Energiewirtschaft aufzubauen. Profitieren dürfte von einem Handelskrieg zwischen Europa und den Vereinigten Staaten allenfalls China und das – da dürften sich beide Seiten des Atlantiks auch einig sein – kann nicht das Ziel sein.

Dieser Beitrag wurde gemeinsam verfasst von Christopher Hanke und Gabriele Quardt, Müller-Wrede und Partner.