Schlagwort: EuGH

Bruchlandung für die Kommission und das EuG in der Rs. Volotea

Bruchlandung für die Kommission und das EuG in der Rs. Volotea

Wieder einmal durfte sich der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Fragen der Anwendbarkeit und Anwendung des Grundsatzes des privaten Wirtschaftsbeteiligten befassen. Hilfreich in der Praxis ist dabei die Feststellung, dass die Kommission nicht allein aufgrund Fehlens eines Ausschreibungsverfahrens davon ausgehen darf, dass Vertragsleistungen als marktunüblich angesehen werden können. Vielmehr hat sie anhand weiterer Kriterien das Vorliegen einer Begünstigung zu prüfen.

Beschluss der Kommission

Dem Urteil vorausgegangen war eine beihilferechtliche Untersuchung der EU-Kommission zu einem italienischen Regionalgesetz, auf dessen Grundlage den Betreibern sardischer Flughäfen eine Finanzierung für den Ausbau der Flugverbindungen von und zu der Insel gewährt werden konnte.

Mit Beschluss vom 29. Juli 2016 entschied die Kommission, dass es sich bei den fraglichen Unterstützungsmaßnahmen um mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfen handelt, die jedoch nicht den Betreibern der sardischen Flughäfen, sondern vielmehr den Fluggesellschaften zugutegekommen sind.

Zwischenstopp vor dem EuG

Zwei Fluggesellschaften – Volotea und easyJet – die mit den Flughafenbetreibern der Flughäfen Cagliari-Elmas und Olbia Verträge über die Durchführung von Maßnahmen zur Erhöhung des Luftverkehrs sowie über Marketingleistungen zur Förderung von Sardinien als Reiseziel abgeschlossen hatten, legten zunächst einen Zwischenstopp vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) ein, bei dem sie auf die Nichtigkeitserklärung des Beschlusses klagten. Das EuG erteilte diesem Antrag jedoch eine Absage und wies die Klagen der beiden Fluggesellschaften mit Urteil vom 13. Mai 2020 als unbegründet ab und hielt den Beschluss der Kommission aufrecht.

Bruchlandung der Kommission vor dem EuGH

In dem Urteil vom 17. November 2022 zu den verbundenen Rechtssachen hebt der EuGH jedoch die Urteile des EuG, sowie den Beschluss der Kommission auf, soweit sie die beiden Klägerinnen betreffen.

Das Urteil des EuGH im Einzelnen

Der EuGH stützt seine Urteilsbegründung im Wesentlichen darauf, dass das EuG im Rahmen seiner Prüfung, ob Volotea und easyJet einen von der Region gewährten Vorteil in Anspruch genommen haben, den Grundsatz des privaten Wirtschaftsbeteiligten nicht korrekt angewendet bzw. dessen Anwendbarkeit fälschlicherweise ausgeschlossen habe.

Anwendbarkeit des Grundsatzes des privaten Wirtschaftsbeteiligten

Nach Ansicht des EuGH ist dieser Grundsatz unabhängig davon anwendbar, ob der Staat unmittelbar oder über private Unternehmen, die seiner Kontrolle oder seinem Einfluss unterliegen, Unternehmen einen Vorteil gewährt.

In jedem Fall sei dabei für die Feststellung des Vorliegens eines Vorteils im Wesentlichen die Auswirkungen der fraglichen staatlichen Maßnahme auf das begünstigte Unternehmen zu berücksichtigen. Dies gelte unabhängig davon, ob die Mittel unmittelbar vom Staat oder mittelbar von einer von ihm errichteten oder benannten öffentlichen oder privaten Einrichtung gewährt werden. Im Rahmen von Art. 107 Abs. 1 AEUV wird nicht zwischen den Ursachen oder Zielen staatlicher Maßnahmen unterschieden. Folglich ist die Art der Ziele, die ein Mitgliedstaat mit staatlichen Maßnahmen verfolgt, für die Frage, ob sie einem Unternehmen einen Vorteil gewähren und für ihre Einstufung als staatliche Beihilfe unerheblich. Zudem ist die Verfolgung von Zielen der öffentlichen Ordnung den meisten staatlichen Maßnahmen, die als „staatliche Beihilfen“ bezeichnet werden, ohnehin inhärent.

Das Urteil macht erneut deutlich, dass der Grundsatz des marktwirtschaftlich handelnden privaten Wirtschaftsteilnehmers grundsätzlich für die Frage, ob eine Begünstigung ausgeschlossen werden kann, anwendbar ist, wenn das Verhalten des Staates tatsächlich mit dem Verhalten eines privaten Wirtschaftsteilnehmers vergleichbar ist. Der EuGH schließt die Anwendbarkeit dieses Grundsatzes daher in Fällen aus, in denen das staatliche Verhalten untrennbar mit dem Vorhandensein einer Infrastruktur verbunden ist, die ein privater Wirtschaftsteilnehmer niemals hätte bereitstellen können oder der Staat in seiner Eigenschaft als Träger öffentlicher Gewalt handelt. Im letztgenannten Fall stellt der EuGH klar, dass die bloße Ausübung öffentlicher Gewalt, wie z.B. der Einsatz steuerlicher Mittel, für sich genommen noch nicht zur Unanwendbarkeit des Grundsatzes des privaten Wirtschaftsbeteiligten führt. Für die Anwendung dieses Grundsatzes komme es weder auf den wirtschaftlichen Charakter der konkreten staatlichen Maßnahme noch darauf an, welche Mittel für diesen Zweck eingesetzt würden.

Anwendung des Grundsatzes des privaten Wirtschaftsbeteiligten

Im Einklang mit seiner neueren Spruchpraxis geht der EuGH auch in dem vorliegenden Urteil von einem weiten Anwendungsbereich dieses Grundsatzes aus. Danach ist der Grundsatz des privaten Wirtschaftsbeteiligten auch außerhalb der traditionellen Grenzen von staatlichem Eigentum oder Beteiligung anwendbar. Im Einzelfall sind verschiedene Kriterien heranzuziehen, um die konkrete staatliche Maßnahme so angemessen und adäquat wie möglich mit der Maßnahme zu vergleichen, die ein privater Wirtschaftsteilnehmer in einer vergleichbaren Situation und unter normalen Marktbedingungen hätte ergreifen können. So kann das Kriterium des privaten Kapitalgebers bei staatlichen Maßnahmen wie Kapitalzuführungen, das des privaten Gläubigers bei Maßnahmen im Zusammenhang mit  Zahlungserleichterungen für die Rückzahlung einer Schuld und das des privaten Verkäufers bei Maßnahmen, die die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen betreffen, herangezogen werden. Dies ist unabhängig davon möglich, ob die konkrete Maßnahme unmittelbar oder über öffentliche Einrichtungen oder private Unternehmen, die unter der Kontrolle oder dem Einfluss des Staates stehen, durchgeführt werden.

In diesem Zusammenhang ist es die Aufgabe der Kommission, nach einer Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren des Einzelfalles nachzuweisen, dass ein Unternehmen, dem die fragliche staatliche Maßnahme zugutekommt, von einem durchschnittlich umsichtigen und sorgfältigen privaten Wirtschaftsteilnehmer, der sich in einer möglichst ähnlichen Lage befindet und unter normalen Marktbedingungen handelt, einen vergleichbaren Vorteil eindeutig nicht erhalten hätte. Bei ihrer Prüfung muss die Kommission alle Optionen, die ein solcher Wirtschaftsteilnehmer vernünftigerweise in Betracht gezogen hätte, alle verfügbaren Informationen, die seine Entscheidung wesentlich beeinflussen könnten und die zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Gewährung eines Vorteils vorhersehbaren Entwicklungen berücksichtigen.

Feststellungen des EuG hinsichtlich der Marktkonformität

In dem erstinstanzlichen Urteil stellt das EuG zunächst fest, dass der Grundsatz des privaten Wirtschaftsbeteiligten aus drei Gründen nicht anwendbar ist: Erstens, weil die betroffenen Flughafenbetreiber keine vom Staat gehaltenen Einrichtungen seien, zweitens, weil die staatliche Maßnahme allein Ziele der öffentlichen Politik verfolge und drittens, weil sich die Flughafenbetreiber darauf beschränkt hätten die Maßnahmen umzusetzen, ohne dabei über eine nennenswerte Selbstständigkeit gegenüber der Autonomen Region zu verfügen. Dennoch prüft es weiter, ob die Region wie ein privater Käufer von Waren oder Dienstleistungen gehandelt hat. Der EuG kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die Fluggesellschaften, die mit den Betreibern der Flughäfen Verträge über die Erbringung von Luftverkehrs- und Marketingleistungen abgeschlossen haben, als Empfänger eines „Vorteils“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV anzusehen waren. Das Gericht begründete dieses Ergebnis damit, dass die ihnen im Rahmen dieser Verträge gezahlten Vergütungen zum einen keine Gegenleistung für Dienstleistungen darstellten, die einen echten Bedarf der Autonomen Region befriedigten. Zum anderen sei der Abschluss dieser Verträge von den betreffenden Flughafenbetreibern ohne vorherige Durchführung eines Ausschreibungsverfahrens erfolgt.

Der EuGH stellt zunächst klar, dass die Durchführung von Ausschreibungsverfahren nicht die einzige Möglichkeit sei, um die Marktkonformität eines Vertrags festzustellen. Die Durchführung eines solchen Verfahrens sei daher für die Anwendung des Grundsatzes des privaten Wirtschaftsbeteiligten im Zusammenhang mit Kauf- oder Verkaufsgeschäften nicht zwingend erforderlich. Die Marktüblichkeit könne vielmehr auch mittels eines unabhängigen Sachverständigengutachtens oder durch eine Bewertung der relevanten Kosten belegt werden.

Mit Hinblick auf die Frage, ob die Autonome Region einen echten Bedarf an den Dienstleistungen hatte, äußerte das EuG Zweifel. Fraglich wäre insbesondere, ob die streitigen Marketingdienstleistungen unter Berücksichtigung der Grundsätze der Rationalisierung der öffentlichen Ausgaben den tatsächlichen Bedürfnissen hinsichtlich der wirtschaftlichen Förderung der Insel Sardiniens entsprächen. Der EuGH urteilte, dass Zweifel allein jedoch nicht für die Annahme eines Vorteils i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV ausreichen.

Kommission ist ihrer Pflicht zur Feststellung der Marktüblichkeit nicht nachgekommen

Schließlich kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass das EuG zudem nicht hinreichend geprüft habe, ob die Kommission ihrer Pflicht zur Feststellung, ob die Verträge zwischen den Flughafenbetreibern und den Fluggesellschaften marktübliche Rechtsgeschäfte darstellten, nachgekommen ist. Die Kommission habe diesen Punkt in ihrem Beschluss lediglich pauschal gewürdigt und nicht ausreichend bewiesen. Somit sei die Feststellung des EuG, dass den Fluggesellschaften durch diese Verträge ein beihilferechtlicher Vorteil i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV gewährt wurde, rechtsfehlerhaft erfolgt.

Autorin: Johanna Rippel, Referendarin bei Müller-Wrede Rechtsanwälte

Gelder aus einer verbindlichen Abgabe stellen staatliche Mittel dar (und Gerichte gewähren keine Beihilfen)

Gelder aus einer verbindlichen Abgabe stellen staatliche Mittel dar (und Gerichte gewähren keine Beihilfen)

Eine staatliche Beihilfe kann nicht durch eine gerichtliche Entscheidung eingeführt werden“ – Unter diesem Titel veröffentlichte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) seine Pressemitteilung zu den verbundenen Rechtssachen C-702/20 und C-17/21. Hierbei handelt es sich nicht um die einzige Grundsatzaussage, die der EuGH in seinem Urteil anlässlich eines Vorabentscheidungsersuchens des Obersten Gerichts von Lettland zur Auslegung der Art. 107 Abs. 1 AEUV und Art. 108 Abs. 3 AEUV getroffen hat. Insbesondere enthält das Urteil aufschlussreiche Ausführungen des EuGH zur beihilferechtlichen Einordnung von Geldern, die aus einer nach nationalem Recht obligatorischen Abgabe stammen. Die vom EuGH diesbezüglich aufgezeigten Grundsätze dürften auch für die Bewertung verschiedener gesetzlich geregelter Umlagemechanismen im deutschen Energierecht von Interesse sein.

Die dem Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegenden Verfahren

Bis zum 07. Juni 2005 enthielt das lettische Energiegesetz eine Regelung, nach der bestimmte Erzeuger von Strom aus erneuerbaren Energiequellen – wie die beiden Klägerinnen im zugrunde liegenden Verfahren – ihren überschüssigen Strom zu einem Preis in Höhe des doppelten durchschnittlichen Stromverkaufstarifs an ein zugelassenes öffentliches Stromversorgungsunternehmen verkaufen durften. Der durchschnittliche Stromverkaufstarif wurde von der lettischen Regulierungsbehörde festgelegt.

Mit Wirkung zum 08. Juni 2005 wurde das Verfahren zum Verkauf von überschüssigem Strom geändert. Für Erzeuger, die ihre Tätigkeit zu diesem Zeitpunkt bereits aufgenommen hatten, sahen die geänderten gesetzlichen Regelungen aber vor, dass die frühere Regelung weiterhin Anwendung fand. Die Regulierungsbehörde legte die Regelung dahingehend aus, dass der durchschnittliche Stromverkaufstarif auf den am 07. Juni 2005 festgelegten Preis eingefroren wurde und nahm keine aktualisierten Festsetzungen des Tarifs mehr vor. Entsprechend konnten die von der Regelung umfassten Erzeuger für ihren überschüssigen Strom fortan (nur) das Doppelte des eingefrorenen Tarifs verlangen. Im Januar 2010 entschied das Verfassungsgericht Lettlands, dass diese Auslegung der Regulierungsbehörde fehlerhaft war und der durchschnittliche Stromverkaufstarif fortlaufend hätte angepasst werden müssen.

Die Klägerinnen im zugrunde liegenden Verfahren verklagten daraufhin die Regulierungsbehörde auf „Schadensersatz“ in Höhe der Differenz zwischen den Erlösen aus dem Verkauf zu dem eingefrorenen Tarif und einem Verkauf zum tatsächlichen durchschnittlichen Tarif im Zeitraum nach dem 07. Juni 2005. Das Regionalverwaltungsgericht gab den Klagen teilweise statt und verurteilte die Regulierungsbehörde zu einer entsprechenden Zahlung, allerdings unter der Bedingung, dass die Kommission zuvor einen Beschluss über die Genehmigung solcher Beihilfen erlässt oder dass eine Genehmigung als erlassen gilt. Die Regulierungsbehörde legte Kassationsbeschwerde gegen das Urteil ein, woraufhin das Oberste Gericht Lettlands dem EuGH eine Vielzahl an Fragen zur Auslegung und Anwendung der Art. 107 Abs. 1 und Art. 108 Abs. 3 AEUV zur Vorabentscheidung vorlegte.

Die Ausführungen des EuGH

Die Entscheidungsgründe des EuGH-Urteils zu den insgesamt 13 Vorlagefragen umfassen Erwägungen zum Tatbestandsmerkmal des Art. 107 Abs. 1 AEUV der „staatlichen Mittel“, zur Relevanz der Liberalisierung des Strommarktes bei der Einstufung eines Vorteils als staatliche Beihilfe und verschiedene Erwägungen zur Beurteilung eines mittels gerichtlicher Entscheidung zugesprochenen Vorteils.

Gelder aus einer Abgabe als „staatliche Mittel“

Zunächst führt der EuGH aus, dass Gelder, die nach Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates durch obligatorische Beiträge aufgebracht und im Einklang mit diesen Vorschriften verwaltet und verteilt werden, als „staatliche Mittel“ anzusehen sind. Hierbei ist es unerheblich, ob der Finanzierungsmechanismus nach nationalem Recht eine Abgabe steuerlicher Art im engeren Sinne darstellt.

Zwar reicht es nicht aus, dass die Abgabe faktisch von einer bestimmten Personengruppe getragen wird, sondern sie muss nach nationalem Recht obligatorisch sein. Stammen die Gelder aus einer solchen nach nationalem Recht obligatorischen Abgabe und werden die Gelder im Einklang mit den nationalen Vorschriften verwaltet und verteilt, handelt es sich aber bereits allein deshalb um „staatliche Mittel“ iSd. Art. 107 Abs. 1 AEUV.

Weiter stellt der EuGH klar, dass alternativ auch nach einem zweiten Kriterium festgestellt werden kann, ob es sich bei den Geldern um „staatliche Mittel“ handelt. Und zwar dann, wenn die Beträge stets unter staatlicher Kontrolle bleiben und den zuständigen nationalen Behörden zur Verfügung stehen.

Staatliche Beihilfe nur bei vollständig liberalisiertem Strommarkt?

Soweit das vorlegende Gericht wissen wollte, ob die Einstufung eines Vorteils als staatliche Beihilfe davon abhängt, ob der betreffende Markt zuvor vollständig liberalisiert wurde, stellt der EuGH klar, dass diese Frage für die Einstufung als staatliche Beihilfe unerheblich ist. Denn eine potenzielle Handelsbeeinträchtigung kann auch bereits dann vorliegen, wenn der Markt nur teilweise geöffnet ist. Entscheidend ist insofern vielmehr, ob bei Inkrafttreten der Beihilfe eine tatsächliche Wettbewerbssituation auf dem Markt besteht.

„Schadensersatz“ als Beihilfe?

Im Zusammenhang mit einer weiteren Vorlagefrage setzt sich der EuGH damit auseinander, wann eine Zahlung als „Schadensersatz“ nicht dem Beihilfenrecht unterfällt.

So sind staatliche Beihilfen in ihrem rechtlichen Charakter bereits grundlegend von Zahlungen zum Ersatz eines Privatpersonen verursachten Schadens zu unterscheiden, sodass Schadensersatzzahlungen keine staatlichen Beihilfen im Sinne des Unionsrecht darstellen können.

Allerdings ist es bei der Bewertung der Zahlung als „Schadensersatz“ oder mögliche Beihilfe unerheblich, ob die Zahlung nach nationalem Recht als „Entschädigung“ oder „Schadensersatz“ angesehen wird. Der im zugrunde liegenden Verfahren geltend gemachte „Schadensersatz“ erschöpft sich nämlich in den Beträgen, auf die die Klägerinnen nach geltendem lettischen Recht einen unmittelbaren Anspruch zu haben meinen. Vor diesem Hintergrund führt der EuGH aus, dass es für die Unterscheidung vielmehr darauf ankommt, ob ein Kläger einen anderen Schaden ersetzt verlangt als den Schaden, der einzig in der unvollständigen Zahlung eines Vorteils besteht (wie z.B. Schäden, die infolge der unvollständigen Zahlung entstanden sind).

Anträge auf Zahlung der noch nicht erhaltenen Beträge als gesonderte vom Gericht gewährte Beihilfe?

Die Kommission war sodann der Ansicht, dass die im Ausgangsverfahren von den nationalen Gerichten zugesprochenen Beträge eine von dem gesetzlich geschaffenen Tarifvorteil gesonderte staatliche Beihilfe darstellen. Sie führte insofern an, dass Rechtsgrundlage für die zugesprochenen Beträge nicht das Energiegesetz, sondern die Gerichtsurteile selbst seien.

Dieser Argumentation schiebt der EuGH einen Riegel vor. Ausgehend von den Ausführungen zur vorangegangenen Vorlagefrage führt der EuGH folgerichtig aus, dass die Anträge der Klägerinnen nicht auf eine gesonderte Zahlung auf eigener Rechtsgrundlage gerichtet sind, sondern auf die Zahlung eines Teils ebenjenes Tarifvorteils, der sich aus den lettischen Vorschriften ergibt und – ebenso wie der bereits gezahlte Betrag des Tarifvorteils – in diesen Vorschriften seine Rechtsgrundlage hat.

Der EuGH geht in der Folge noch weiter und stellt ganz grundlegende Erwägungen zur Möglichkeit der Gewährung einer Beihilfe durch ein nationales Gericht auf:

So kann ein nationales Gericht zwar ein Urteil erlassen, aus dem hervorgeht, dass einer Partei ein Betrag zusteht, der einer staatlichen Beihilfe entspricht. Dies bedeutet aber nicht, dass das Gericht die Beihilfe selbst gewährt. Die Rechtskraft des Urteils bewirkt nämlich nur, dass die andere Partei (oftmals eine zuständige Verwaltungsbehörde) zur Zahlung der Beihilfe verpflichtet ist. Die die Beihilfe gewährende Stelle bleibt dann die Partei, die zur Zahlung verurteilt wird. Ferner kann eine staatliche Beihilfe schon deshalb nicht durch eine nationale gerichtliche Entscheidung eingeführt werden, da ihre Einführung Zweckmäßigkeitserwägungen unterliegt, die dem Richteramt fremd sind.

Gerichtlich geltend gemachte Beträge als „neue“ oder „bestehende“ Beihilfe?

Weiter wollte das vorlegende Gericht wissen, ob die gerichtlich geltend gemachten Beträge, sollte es sich bei den Beträgen um staatliche Beihilfen handeln, als „bestehende Beihilfen“ iSd. Art. 1 lit. b Ziff. iv der VO 2015/1589 eingestuft werden können.

Auch insofern folgerichtig leitet der EuGH ein, dass die Frage ob die Beträge als „bestehende Beihilfe“ eingeordnet werden können, davon abhängt, wie der gesetzlich geregelte Tarifvorteil einzustufen ist, da die gerichtlich geltend gemachten Beträge gleicher Art sind wie dieser Tarifvorteil.

Soweit das vorlegende Gericht weiter wissen wollte, ob für den Beginn der 10-jährigen Verjährungsfrist für die Rückforderung des Art. 17 Abs. 1 der VO 2015/1589 der Zeitpunkt der Einführung des Tarifvorteils oder der Zeitpunkt der tatsächlichen Zahlung maßgeblich ist, verweist der EuGH auf Art. 17 Abs. 2 VO 2015/1589, nach dem der Zeitpunkt der Gewährung der Beihilfe maßgeblich ist. Es ist somit unbeachtlich, wann eine Beihilferegelung erlassen wurde. Für die Berechnung der Verjährungsfrist ist davon auszugehen, dass eine Beihilfe erst zu dem Zeitpunkt gewährt wurde, zu dem sie tatsächlich an den Empfänger vergeben wurde. Denn der Beginn einer Rückforderungsfrist kann nicht vor dem Zeitpunkt liegen, in dem die ggf. zurückzufordernde Beihilfe gezahlt wurde. Da die Vollstreckung des die Beträge gewährenden Ausgangsurteils unter dem Vorbehalt der Genehmigung durch die Kommission stand, ist die Zahlung der zugesprochenen Beträge noch nicht erfolgt, sodass die Frist des Art. 17 Abs. 1 der VO 2015/1589 noch nicht zu laufen begonnen hat. Folglich kann es sich bei den geltend gemachten Beträgen nicht nach Art. 17 Abs. 3 der VO 2015/1589 um eine „bestehende Beihilfe“ handeln.

Abweisung einer Klage, weil Zahlung gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV verstoßen würde?

Schließlich durfte sich der EuGH mit der Aufgabe der nationalen Gerichte bei der Durchführung des Systems der Kontrolle staatlicher Beihilfen befassen.

So folgt aus dem Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 AEUV und der Pflicht nationaler Gerichte, im Einklang mit nationalem Recht alle Konsequenzen aus einer Verletzung von Art. 108 Abs. 3 AEUV zu ziehen, dass ein nationales Gericht einen Antrag auf Zahlung einer nicht bei der Kommission angemeldeten Beihilfe zurückweisen muss.

Einschränkend stellt der EuGH aber klar, dass nationale Gerichte ihrer Aufgabe innerhalb dieses Kontrollsystems hinreichend nachkommen, wenn sie dem Antrag unter dem Vorbehalt stattgeben, dass die zuständige nationale Behörde die Beihilfe zuvor bei der Kommission anmeldet und die Beihilfe von der Kommission genehmigt wird oder als genehmigt gilt (so wie es das Verwaltungsgericht im Ausgangsurteil getan hatte).

Anmerkungen

Der Schwerpunkt des Urteils liegt sicherlich in der Frage, ob durch wen wann eine Beihilfe gewährt wird, wenn einem Anspruch auf eine Beihilfe gerichtlich stattgegeben wird. Insofern enthält das Urteil wichtige Ausführungen zur Abgrenzung zwischen Schadensersatzforderungen und Beihilfen, zur beihilferechtlichen Bewertung der materiellen Rechtskraft solcher Urteile und zum Zeitpunkt der Gewährung einer solchen Beihilfe iSd. Art. 17 Abs. 2 der VO 2015/1589.

Darüber hinaus setzt der EuGH in seinen Ausführungen zu „staatlichen Mitteln“ auf seinem Urteil zur EEG-Umlage (C-405/16 P) auf, stellt dabei jedoch noch einmal klar, dass es für die Annahme der Staatlichkeit bereits ausreicht, dass es sich um Mittel handelt, die aus einer nach nationalem Recht obligatorischen Abgabe stammen. Bei dem Vorliegen der staatlichen Kontrolle über die Gelder handelt es sich (nur) um ein weiteres, alternatives Kriterium zur Begründung „staatlicher Mittel“. Keinesfalls müssen beide Kriterien für die Annahme der Staatlichkeit kumulativ vorliegen.

Zwar lehnt der EuGH in seinem Urteil zur EEG-Umlage das Vorliegen einer Abgabe im beihilferechtlichen Sinne sowie die ausreichende staatliche Kontrolle ab, da die Umlage nach nationalem Recht nicht obligatorisch war, sondern nur de facto auf den Letztverbraucher abgewälzt wurde. Dennoch wurde der nunmehr mit dem aktuellen Urteil manifestierte zweistufige Prüfungsansatz bereits in dem Urteil zur EEG-Umlage vom EuGH angewendet.

Derzeit beschäftigen noch zwei weitere Umlagemechanismen, die ihre Grundlage in deutschen gesetzlichen Regelungen haben, die Unionsgerichte:

U.a. in der Rs. T-196/19 bestätigte das EuG die Kommission, dass der Ausgleich für eine Netzentgeltbefreiung bestimmter Bandlastverbraucher nach § 19 StromNEV (a.F.) durch eine nach nationalem Recht verbindliche Abgabe – und bereits deshalb aus „staatlichen Mitteln“ – finanziert wurde. Das Verfahren ist derzeit vor dem EuGH anhängig, da sich sowohl die betroffenen Unternehmen als auch die Bundesrepublik Deutschland mit einem Rechtsmittel u.a. gegen diese Feststellungen des EuG wenden.

Auch die Regelung einer Zuschlagszahlung zugunsten von Betreibern bestimmter KWK-Anlagen nach § 13 KWKG wurde von der Kommission zwar genehmigt, da die Regelung eine nach Art. 107 Abs. 3 lit. c AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfe darstelle. Die Bundesrepublik Deutschland wendet sich mit einer Klage aber auch gegen diesen Beschluss, soweit die Kommission zunächst feststellt, dass die Maßnahme eine Beihilfe darstellt. Als Argument führt die Bundesrepublik an, dass die Kommission fehlerhaft davon ausgehe, dass allein der Abgabencharakter einer Umlage die Staatlichkeit der vereinnahmten Mittel impliziere.

In beiden Fällen scheint die Ansicht der Kommission bzw. des EuG im Einklang mit der nun ausdrücklich klargestellten Rechtsprechung des EuGH zu liegen.

Autor: Christopher Hanke, Müller-Wrede & Partner

Kommission : FC Valencia – Spanier gewinnen in der Rückrunde

Kommission : FC Valencia – Spanier gewinnen in der Rückrunde

Auch wenn die spanische Fußballmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Katar gegen Marokko ausgeschieden ist, hat der spanische Fußball in der Rückrunde in Luxemburg zumindest einen beihilferechtlichen Sieg gegen die EU-Kommission eingefahren.

Zum Spielverlauf im Einzelnen:

Bürgschaften zugunsten spanischer Fußballvereine

Das Instituto Valenciano de Finanzas (das Finanzinstitut der Regierung der Autonomen Gemeinschaft in Valencia – IVF) gewährte in den Jahren 2009 und 2010 verschiedene Bürgschaften zugunsten von Vereinigungen, die mit drei regionalen Fußballclubs – dem FC Valencia, dem FC Hércules und dem FC Elche – in Verbindung standen.

Konkret betrachtet wird in diesem Beitrag, die durch das IVF zugunsten der Fundacion Valencia im November 2009 gewährte Bürgschaft für ein Bankdarlehen iHv. 75 Mio. EUR für den Erwerb von 70,6 % der Aktien des FC Valencia. Diese Bürgschaft wurde ein Jahr später um 6 Mio. EUR aufgestockt, verbunden mit der Erhöhung des Darlehens um diesen Betrag. Bis zum 26. August 2010 sollte das Darlehen in gesamter Höhe sowie Zinsen und Verzugszinsen zurückgezahlt und die Bürgschaft zurückgegeben werden.

Beschluss der Kommission

Mit Beschluss vom 4. Juli 2016 ist die Kommission (siehe hierzu Rote Karte für den spanischen Fußball vom 7. Juli 2016 – BeihilfenBlog) zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei den Bürgschaften der IVF um staatliche Beihilfen handelt. Der FC Valencia habe sich zum Zeitpunkt der Bürgschaftsgewährung in finanziellen Schwierigkeiten befunden. Der für eine Genehmigung dieser Art von Beihilfen erforderliche Umstrukturierungsplan konnte jedoch seitens der spanischen Behörden nicht vorgelegt werden. Daher ordnete die Kommission die Rückforderung der Beihilfen an.

Die Hinrunde vor dem Gericht der Europäischen Union

Der FC Valencia erhob gegen diesen Kommissionsbeschluss Nichtigkeitsklage beim EuG. Mit Urteil vom 12. März 2020 (Rs. T-732/16) erklärte das Gericht den Beschluss der Kommission für nichtig. Hintergrund ist, dass der Kommission bei der Frage, ob es sich bei der Bürgschaft um eine Beihilfe handelt oder nicht ein Beurteilungsfehler unterlaufen ist. Der Beurteilungsfehler bezieht sich auf die von der Kommission zu prüfende Frage, ob auf dem Markt keine äquivalente Garantieprämie angeboten werde. Nachdem die Kommission davon ausgegangen sei, dass es sich bei dem Fußballverein um ein Unternehmen in Schwierigkeiten handelt, sei sie fälschlicherweise davon ausgegangen, dass deshalb auf dem Markt keine entsprechende Referenzgarantieprämie angeboten werde. Die Kommission habe darüber hinaus auch keine Gesamtbetrachtung vorgenommen, ob dem FC Valencia von einem privaten Wirtschaftsteilnehmer eine Bürgschaft zu vergleichbaren Konditionen angeboten worden wäre.

Die Rückrunde vom Gerichtshof der Europäischen Union

Die Kommission hat gegen das Urteil des EuG Rechtsmittel eingelegt und beantragt, das Urteil des Gerichts aufzuheben. Die Kommission macht dabei einen einzigen Rechtsmittelgrund geltend, mit dem sie die fehlerhafte Auslegung des Begriffs „wirtschaftlicher Vorteil“ iSd. Art. 107 Abs. 1 AEUV rügt.

Der EuGH hat mit seinem Urteil vom 10. November 2022 in Rs. C-211/20 P das Rechtsmittel als unbegründet zurückgewiesen und damit der spanischen Mannschaft in der Rückrunde zum Sieg verholfen.

Der EuGH stützt dabei die Ansicht des EuG in der ersten Instanz im Hinblick auf den Beurteilungsfehler der Kommission im Zusammenhang mit der Ermittlung der marktgerechten Bürgschaftsprämie. Der EuGH führt aus, dass die Kommission bei der Anwendung des Grundsatzes des privaten Wirtschaftsteilnehmers eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung vorzunehmen habe, bei der sie grundsätzlich über ein weites Ermessen verfüge. Die Kommission hat jedoch im Zusammenhang mit der Frage, ob und unter welchen Umständen eine Bürgschaftsprämie marktgerecht ist ihr Ermessen durch den Erlass der Bürgschaftsmitteilung gebunden und müsse sich daran auch festhalten lassen. Daher müsse die Kommission bei der Beurteilung der Frage, ob eine Bürgschaftsprämie ein Beihilfenelement enthält auch die in der Bürgschaftsmitteilung angegebene Prüfungsreihenfolge berücksichtigen.

Zunächst sei daher zu prüfen, ob es eine entsprechende Garantieprämie als Vergleichsmaßstab auf dem Finanzmarkt gibt. Steht eine solche Prämie als Vergleichsmaßstab nicht zur Verfügung, sind die gesamten Finanzierungskosten für einen vergleichbaren nicht garantierten Kredit heranzuziehen. Erst wenn die Kommission beides geprüft und verneint hat, kann in einem nächsten Schritt – in Abstimmung mit dem Mitgliedstaat – auf Referenzwerte zurückgegriffen werden.

Hier habe die Kommission – so der EuGH – festgestellt, dass es sich bei dem FC Valencia um ein Unternehmen in Schwierigkeiten handelt. Daraus habe sie nicht nur geschlussfolgert, dass kein Finanzinstitut bereit gewesen wäre, dem Sportverein eine Bürgschaft zu gewähren, sondern auch dass es keinen vergleichbaren nicht garantierten Kredit am Markt geben könne. Die Kommission sei daher irrig und ungeprüft vom Vorliegen eines beihilferelevanten Vorteils ausgegangen und habe dabei ihre Entscheidung nur auf eine negative Vermutung gestützt. Insofern habe die Kommission die ihr obliegende Beweislast und Sorgfaltspflicht nicht erfüllt, die sie sich selbst im Zusammenhang mit der Prüfung der Beihilferelevanz einer Bürgschaftsprämie auferlegt habe. Ausreichend wäre gewesen, wenn sich die Kommission im Verwaltungsverfahren an die spanischen Behörden gewandt hätte, um maßgebliche Information für ihre Beurteilung zu erbitten.

Autorin: Johanne Rippel, Referendarin bei Müller-Wrede & Partner

Steuerautonomie der Mitgliedstaaten schützt nicht vor Anwendung des Beihilfenrechts, aber…

Steuerautonomie der Mitgliedstaaten schützt nicht vor Anwendung des Beihilfenrechts, aber…

Die beihilferechtliche Bewertung der Ausstellung von Steuervorbescheiden (sog. „tax rulings“) durch einzelne Mitgliedstaaten beschäftigt seit geraumer Zeit Kommission und Unionsgerichte (hier bereits in zahlreichen Beiträgen besprochen, zuletzt EuGH: Belgische „tax rulings“ stellen eine Beihilferegelung dar – BeihilfenBlog). Tax rulings enthalten verbindliche Auskünfte der Steuerbehörden über die Höhe der von dem betroffenen Unternehmen zukünftig zu zahlenden Steuern und werden oftmals von Konzernen genutzt, um Rechtssicherheit hinsichtlich der Besteuerung bestimmter Systeme (oftmals von bestimmten Verrechnungspreisen) zu erlangen.

Seit 2013 überprüft die Kommission die mitgliedstaatliche Praxis solcher tax rulings vermehrt auf ihre Vereinbarkeit mit dem Beihilfenrecht. Einer der ersten Beschlüsse, mit denen die Kommission tax rulings als mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe einstufte, war ein Beschluss zu einem tax ruling luxemburgischer Steuerbehörden zugunsten der Fiat Chrysler Finance Europe (FTT), einem Unternehmen der Fiat-Gruppe (siehe zum Beschluss im Einzelnen Ruling (Tax) rulings… Die Kommission stellt die Beihilferechtswidrigkeit vorteilhafter Steuervorbescheide für Fiat und Starbucks fest – BeihilfenBlog).

Nachdem das EuG den Kommissionsbeschluss noch bestätigt hatte (siehe EuG zum Thema Tax-rulings: die Kommission liegt 1:2 im Rückstand – BeihilfenBlog), fand die Saga nun mit Urteil der Großen Kammer des EuGH vom 08.11.2022 ihren Abschluss.

Mit seinem Urteil (verb. Rs. C‑885/19 P und C‑898/19 P) hat der EuGH die Urteile des EuG aufgehoben und den Kommissionsbeschluss für nichtig erklärt. Die Kommission habe bei der Prüfung des Vorliegens eines selektiven Vorteils durch die steuerliche Maßnahme zu Unrecht einen anderen Fremdvergleichsgrundsatz als den im luxemburgischen Recht festgelegten Grundsatz angewendet. In diesem Zusammenhang nahm der EuGH eine interessante und wichtige Klarstellung zum Zusammenspiel aus Steuerautonomie der Mitgliedstaaten einerseits und Anwendung des Beihilfenrechts andererseits bei der Prüfung eines selektiven Vorteils einer Steuermaßnahme vor.

Im Einzelnen:

Der zugrunde liegende Sachverhalt und der bisherige Verfahrensgang ergibt sich aus unseren bereits angeführten Beiträgen zum Kommissionsbeschluss und zu den EuG-Urteilen.

Im Rechtsmittelverfahren führten die Rechtsmittelführer (neben FTT auch Irland) folgende Rechtsmittelgründe an: Die von der Kommission vorgenommene Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes („arm’s length principle“) sei fehlerhaft und die Kommission habe einen Fehler bei der Anwendung des Art. 107 Abs. 1 AEUV begangen. Dem Gericht sei insofern bei der Prüfung der Selektivität ein Fehler unterlaufen. Weiter sei gegen die Grundsätze der Begründungspflicht und der Rechtssicherheit verstoßen worden. Schließlich rügten die Rechtsmittelführer einen Verstoß gegen die Art. 4 und 5 EUV sowie gegen Art. 114 AEUV, da die Vorschriften über staatliche Beihilfen im konkreten Fall zur Harmonisierung der Vorschriften der Mitgliedstaaten über die direkte Besteuerung genutzt worden seien.

Der EuGH prüfte zunächst die Rechtsmittelgründe, mit denen die Rechtsmittelführer im Kern einen Rechtsfehler des EuG bei der Prüfung eines „selektiven Vorteils“ rügen.

Hierbei weist der EuGH einleitend darauf hin, dass Maßnahmen der Mitgliedstaaten in Bereichen, die nicht unionsrechtlich harmonisiert sind, nicht von den Bestimmungen über die Kontrolle staatlicher Beihilfen ausgenommen sind. Auch wenn das Steuerrecht ein solcher Bereich ist, dürfen Mitgliedstaaten also keine steuerliche Maßnahme erlassen, die eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe darstellt.

Bei der Prüfung, ob steuerliche Maßnahmen eine staatliche Beihilfe iSd. Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellen, ist das entscheidende Merkmal, ob die Maßnahme einen selektiven Vorteil verschafft. Also ob sie geeignet ist, bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige gegenüber anderen Unternehmen oder Produktionszweigen zu begünstigen, die sich im Hinblick auf das mit dieser Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden und somit eine unterschiedliche Behandlung erfahren, die der Sache nach als diskriminierend eingestuft werden kann.

Die Einstufung einer steuerlichen Maßnahme als selektiv erfolgt in drei Schritten: In einem ersten Schritt muss die Kommission das Bezugssystem, d.h. die in einem Mitgliedstaat geltende „normale“ Steuerregelung ermitteln. Die Bestimmung des Bezugsrahmens muss sich hierbei aus einer objektiven Prüfung des Inhalts, des Zusammenhangs und der konkreten Wirkungen der nach dem nationalen Recht dieses Staates anwendbaren Vorschriften ergeben. In einem zweiten Schritt muss die Kommission dartun, dass die Maßnahme von diesem Bezugssystem insofern abweicht, als sie Unterscheidungen zwischen solchen Wirtschaftsteilnehmern einführt, die sich im Hinblick auf das mit dem Bezugssystem verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden. Drittens unterfallen solche a priori selektiven Maßnahmen nicht dem Beihilfebegriff, wenn die Unterscheidung gerechtfertigt ist, weil sie sich aus der Natur oder dem Aufbau des Systems ergibt, in das sich die Maßnahmen einfügen (st. Rspr., siehe v.a. World Duty Free Group und Spanien/Kommission, verb. Rs. C‑51/19 P und C‑64/19 P).

Hierbei betont der EuGH, dass die Regelungstechnik nicht entscheidend ist. Selbst eine nicht formal abweichende Maßnahme, die auf an sich allgemeinen Kriterien beruht, kann selektiv sein, wenn sie faktisch zu einer unterschiedlichen Behandlung von Unternehmen führt, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Steuerregelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren Situation befinden.

Aus der Steuerautonomie der Mitgliedstaaten zieht der EuGH aber eine Einschränkung für die Bestimmung des Bezugssystems, die nicht nur im hiesigen Fall entscheidend ist, sondern auch über diesen Fall hinaus von der Kommission zu beachten sein wird: So folgt aus der Steuerautonomie der Mitgliedstaaten, dass bei der Bestimmung des Bezugssystems nur das im jeweiligen Mitgliedstaat anwendbare nationale Recht zu berücksichtigen ist. Die so zutreffend vorzunehmende Bestimmung des Bezugssystems ist unerlässlich, nicht nur für die Beurteilung, ob ein Vorteil vorliegt, sondern auch für die Frage, ob ein solcher Vorteil selektiv ist.

Die Kommission hatte in Erwägungsgrund 228 ihres Beschlusses noch ausgeführt, dass der Fremdvergleichsgrundsatz notwendigerweise einen festen Bestandteil ihrer Prüfung einer den Unternehmen einer Gruppe gewährten steuerlichen Maßnahmen bilde, unabhängig davon, ob dieser Grundsatz im nationalen Recht verankert sei oder nicht (Näheres zum Fremdvergleichsgrundsatz bzw. „arm’s length principle“ unter Etappen-Sieg für die Kommission bei Prüfung von „tax rulings“ zugunsten von Nike und Converse: Klage gegen Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens abgewiesen – BeihilfenBlog; Etappen-Sieg für die Kommission bei Prüfung von „tax rulings“ zugunsten von Nike und Converse: Klage gegen Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens abgewiesen – BeihilfenBlog (beihilfen-blog.eu)).

Der Steuervorbescheid war auf Grundlage von Art. 164 Abs. 3 des luxemburgischen Einkommenssteuergesetzes und einem Rundschreiben zu diesem Artikel erlassen worden. Die Kommission hatte nach eigenem Vorbringen aber nicht geprüft, ob der fragliche Steuervorbescheid mit dem in diesen Vorschriften konkret definierten Fremdvergleichsgrundsatz in Einklang steht. Denn sie war der Ansicht, dass es ausreiche, aufzuzeigen, dass die Methode der luxemburgischen Steuerbehörden bei der Ausstellung des Steuervorbescheids allgemein von einer Methode abweiche, die zu einer verlässlichen Annäherung an ein marktbasiertes und damit fremdvergleichskonformes Ergebnis führe.

Das EuG hatte den Ansatz der Kommission, den Fremdvergleichsgrundsatzes unabhängig von seiner konkreten Verankerung im nationalen Recht anzuwenden, bestätigt.

Dem erteilte der EuGH nun in Anwendung der zuvor hergeleiteten Grundsätze eine ausdrückliche Absage. Indem die Kommission die Relevanz des Art. 164 Abs. 3 des Einkommenssteuergesetzes und des Rundschreibens verneint hat, hat sie einen anderen Fremdvergleichsgrundsatz angewandt als den im nationalen Recht festgelegten. Sie hat schlicht festgestellt, dass der Fremdvergleichsgrundsatz abstrakt im allgemeinen luxemburgischen Körperschaftssteuersystem als Zielsetzung zum Ausdruck kommt, ohne aber die Art und Weise zu berücksichtigen, in der dieser Grundsatz in Bezug auf integrierte Unternehmen eines Konzerns im nationalen Recht (in Art. 164 Abs. 3 des Einkommenssteuergesetzes bzw. dem Rundschreiben) konkret verankert ist. Zwar zielt das auf integrierte Unternehmen in Luxemburg anwendbare nationale Steuerrecht darauf ab, zu einer verlässlichen Annäherung an den Marktpreis zu gelangen, was als Ziel allgemein dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Nichtsdestotrotz müssen die konkreten Modalitäten der Anwendung dieses Grundsatzes nach dem nationalen Recht bei der Bestimmung des Bezugssystems berücksichtigt werden.

Indem das EuG den Ansatz der Kommission bestätigt hat, hat es nicht die o.g. Anforderungen der Rechtsprechung an die Bestimmung des Bezugssystems eingehalten, nach denen die Prüfung eines selektiven Vorteils auf Grundlage einer objektiven Prüfung des Inhalts, des Aufbaus und der konkreten Wirkungen der nach dem nationalen Recht dieses Staates anwendbaren Vorschriften vorzunehmen ist. Das Gericht hat somit Art. 107 Abs. 1 AEUV fehlerhaft angewandt.

Gleichermaßen hat das EuG hierdurch die Vorschriften zur Steuerautonomie der Mitgliedstaaten (Art. 114 Abs. 2 AEUV und Art. 115 AEUV) verkannt. Denn die Kommission ist nicht befugt, unter Außerachtlassung der nationalen Steuervorschriften eigenständig die „normale“ Besteuerung in einem Mitgliedstaat festzulegen. Die Steuerautonomie der Mitgliedstaaten lässt sich nur gewährleisten, wenn die Prüfung nach Art. 107 Abs. 1 AEUV ausschließlich auf Grundlage der vom Gesetzgeber des betreffenden Mitgliedstaats festgelegten Steuervorschriften beruht.

Aufgrund dieser Rechtsfehler hob der EuGH nicht nur die Urteile des EuG auf, sondern erklärte auch den Kommissionsbeschluss für nichtig.

Der Rechtsfehler des EuG beruhte darauf, eine rechtsfehlerhafte Prüfung der Kommission bestätigt zu haben. Gleichermaßen hatte deshalb bereits die Kommission in ihrem Beschluss gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV und die Vorschriften zur Steuerautonomie der Mitgliedstaaten verstoßen.

In diesem Zusammenhang betont der EuGH abermals, dass die Entscheidung trotzdem nicht ausschließt, dass auch solche Steuermaßnahmen der beihilferechtlichen Kontrolle unterliegen.

Anmerkungen

Auch wenn die Kommission in diesem konkreten Fall einen Rückschlag bei ihrem Vorgehen gegen Steuermaßnahmen zugunsten multinationaler Konzerne zu verkraften hat, bestätigt der EuGH abermals ausdrücklich, dass auch Maßnahmen auf Grundlage von Vorschriften in Bereichen, die nicht unionsrechtlich harmonisiert sind, der beihilferechtlichen Kontrolle unterliegen.

Hierbei nimmt der EuGH aber einige wichtige Klarstellungen und Abgrenzungen zu dem Zusammenspiel aus Steuerautonomie einerseits und Beihilfenrecht andererseits vor: Bei der Bestimmung des Bezugssystems darf die Kommission nur das im jeweiligen Mitgliedstaat anwendbare nationale Recht berücksichtigen. Die Bestimmung einer „normalen“ Besteuerung als Bezugssystem kann und darf nur auf Grundlage der konkreten Auswirkungen des nationalen Rechts erfolgen. Bestimmt die Kommission die „normale“ Besteuerung ungeachtet dessen, verstößt sie zum einen gegen den Grundsatz, dass das Vorliegen eines selektiven Vorteils nach einer objektiven Prüfung des Inhalts, des Aufbaus und der konkreten Wirkungen der nach dem nationalen Recht dieses Staates anwendbaren Vorschriften vorzunehmen ist. Zum anderen verstößt sie dann gegen die Art. 114 Abs. 2 und 115 AEUV, da die „normale“ Besteuerung in einem nicht unionsrechtlich harmonisierten Bereich nur von den Mitgliedstaaten selbst festgelegt werden kann.

Üben die Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeiten in einem solchen Bereich aus, haben sie bei der Ausgestaltung der Regelungen und Maßnahmen aber nichtsdestotrotz das Beihilfenrecht zu beachten.

Dass auch dieses Urteil die Kommission eher ermutigt als entmutigt, verdeutlicht eine Stellungnahme der EU-Kommissarin für Wettbewerb, Margrethe Vestager.

Sie betonte, dass das Urteil die Kommission in ihrem Ansatz, auch Maßnahmen in nicht unionsrechtlich harmonisierten Bereichen einer beihilferechtlichen Prüfung zu unterziehen, bestätige. Hierbei gebe das Urteil der Kommission wichtige Orientierungshilfen. Die Kommission werde weiterhin alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente nutzen, um Wettbewerbsverzerrungen durch rechtswidrige Besteuerung multinationaler Konzerne zu verhindern. Hierbei zeige das Vorgehen der Kommission auch ungeachtet einzelner beihilferechtlicher Entscheidungen bereits spürbare Wirkung. Viele Mitgliedstaaten hätten Gesetzgebung oder Rechtsprechung angepasst, um Schlupflöcher zu vermeiden oder zu schließen.

Autor: Christopher Hanke, Müller-Wrede & Partner

Keine Informationen, kein Beweis?

Keine Informationen, kein Beweis?

Wie hoch sind die Anforderungen an den von der Kommission zu führenden und vom Gericht zu bewertenden Nachweis, dass einem Unternehmen ein Vorteil zugeflossen ist, wenn die Kommission hinsichtlich des zu bewertenden Sachverhalts nur über begrenzte Informationen verfügt?

Nachdem der EuGH in der Rechtssache C-244/18 PLarko“ das erstinstanzliche Urteil mit der Begründung aufhob, das EuG habe den falschen Prüfungsmaßstab angelegt und es unterlassen, sich bei seiner Prüfung und Begründung in den Kontext zum Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahme zu versetzen, durfte das EuG nunmehr mit Urteil vom 4. Mai 2022 eine erneute Prüfung unter Berücksichtigung der vom EuGH aufgestellten Grundsätze zur Beweislast vornehmen.

Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie die Anforderungen an die Beweislast der Kommission zu bewerten sind und wie die Verantwortungssphären zwischen Mitgliedstaat und Kommission abzugrenzen sind, wenn der Mitgliedstaat im Verwaltungsverfahren unter Verstoß gegen seine Pflichten zur loyalen Zusammenarbeit der Kommission nicht die für ihre Prüfung des Art. 107 Abs. 1 AEUV erforderlichen Informationen übermittelt.

Bisheriger Verfahrensgang

Larko ist ein griechisches auf die Gewinnung und Verarbeitung von Lateriterz, den Abbau von Braunkohle und die Herstellung von Ferronickel und Nebenprodukten spezialisiertes Unternehmen. Nachdem im März 2012 die griechischen Behörden die Kommission über ein Privatisierungsprogramm für Larko informierten, leitete die Kommission im April 2012 eine vorläufige Prüfung der Privatisierung gemäß den Vorschriften über staatliche Beihilfen ein.

Mit Beschluss vom 6. März 2013 eröffnete die Kommission das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV. Mit Beschluss  vom 27. März 2014 stellte die Kommission fest, dass drei der geprüften Maßnahmen zugunsten Larkos mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfen im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellten, die unter Missachtung des Art. 108 Abs. 3 AEUV gewährt wurden und ordnete die Rückforderung der Beihilfen an. Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens waren die griechischen Behörden nach Ansicht der Kommission den Aufforderungen der Kommission, die erforderlichen Informationen zu übermitteln, unzureichend und lückenhaft nachgekommen.

Im Juni 2014 erhob Larko Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses u.a. mit der Begründung, dass die Kommission zu Unrecht festgestellt habe, dass es sich bei den Maßnahmen um mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfen handele. Mit Urteil vom 1. Februar 2018 wies das EuG die Klage ab. Larko wendete sich daraufhin mit einem Rechtsmittel vor dem EuGH gegen das Urteil.

Urteil des EuGH vom 26. März 2020

Hinsichtlich zwei Maßnahmen wies der EuGH das Rechtsmittel zurück. Hinsichtlich einer im Dezember 2008 gewährten Garantie für ein Darlehen in Höhe von 30 Mio. EUR, mit der 100 % des Darlehens bis zu drei Jahre abgedeckt wurden und deren Garantieprämie 1 % pro Jahr betrug, hob der EuGH das Urteil auf und verwies die Rechtssache zurück an das EuG.

Das EuG hatte insofern ursprünglich geurteilt, dass ein privater Kapitalgeber eine Garantie zu solchen Konditionen nicht gewährt hätte und die Kommission in der Annahme eines wirtschaftlichen Vorteils bestätigt. Hierbei hat es nach Ansicht des EuGH einen Rechtsfehler begangen.

Denn das Gericht stützte zum einen seine Begründung, dass Larko ein „Unternehmen in Schwierigkeiten“ iSd. Rn. 9 – 11 der Leitlinien für staatliche Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen (in der damals geltenden Fassung) war, auf Elemente, die nach dem Erlass der Maßnahme eingetreten waren. Zum anderen habe es bei seiner Prüfung, ob die griechischen Behörden im Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahme von den Schwierigkeiten Larkos Kenntnis hatten, festgestellt, dass kein Aktenstück „mit Sicherheit“ nachweise, dass die Behörden zu diesem Zeitpunkt eine solche Kenntnis hatten. Schließlich stellte es dann aber eine Vermutung an, wonach der griechische Staat zum Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahme von der schwierigen Lage Larkos hätte Kenntnis haben müssen.

Durch diese Begründung habe das Gericht es unterlassen, sich bei der Prüfung des Kriteriums des privaten Wirtschaftsteilnehmers in den Kontext zum Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahme zu versetzen. Das Gericht habe verkannt, dass die Kommission ihre positive Annahme, dass einem Unternehmen ein Vorteil zugeflossen ist, nicht einfach auf eine negative Vermutung stützen darf, wenn sie schlicht nicht über hinreichende Informationen für eine (möglicherweise gegenteilige) Schlussfolgerung verfügt.

Ist der Grundsatz des privaten Wirtschaftsteilnehmers (wie vorliegend) anwendbar (wofür der betroffene Mitgliedstaat beweisbelastet sei), obliege nämlich die Beweislast, ob die Voraussetzungen für die Anwendung des Grundsatzes des privaten Wirtschaftsteilnehmers vorliegen oder nicht, der Kommission.

Auch, wenn sie aufgrund der Verletzung eines Mitgliedsstaates von dessen Pflicht zur Zusammenarbeit die angeforderten Auskünfte nicht erhält, muss sie ihre Entscheidung auf „einigermaßen tragfähige und schlüssige Anhaltspunkte stützen, die eine hinreiche Grundlage für die Annahme bilden, dass einem Unternehmen ein Vorteil zugeflossen ist, der eine staatliche Beihilfe darstellt, und die somit geeignet sind, die Schlussfolgerungen, zu denen sie gelangt ist, zu untermauern“.

Urteil des EuG vom 4. Mai 2022

Somit hatte das EuG nach Rückverweisung der Rechtssache nunmehr zu prüfen, ob die Kommission in ihrem Beschluss in einer diesen Anforderungen genügenden Weise das Vorliegen eines wirtschaftlichen Vorteils hinsichtlich der Darlehensgarantie geprüft und begründet hat.

Die vom EuG zu beurteilende Begründung der Kommission findet sich im 73. Erwägungsgrund des Beschlusses und enthält im Wesentlichen zwei Teile:

Zum einen die Feststellung der Kommission, dass Larko 2008 ein „Unternehmen in Schwierigkeiten“ iSv. Nr. 3.2 lit. a der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien iVm. der Definition in den Rn. 9 – 11 der Leitlinien für staatliche Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen in der damals geltenden Fassung war. Zum anderen, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass unter Berücksichtigung der erheblichen finanziellen Schwierigkeiten und der hohen Verschuldung Larkos im Verhältnis zum Eigenkapital (iSv. Nr. 3.2 lit. d der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien) eine jährliche Garantieprämie von 1 % dem Ausfallrisiko des garantierten Darlehens angemessen sei.

Das EuG stellte zunächst fest, dass aus der Struktur des 73. Erwägungsgrundes zu entnehmen sei, dass die beiden Teile der Begründung als alternative Begründungen zu verstehen seien, die ausgehend von Nr. 3.2 lit. a und lit. d der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien jeweils zu dem Schluss führen sollen, dass die griechischen Behörden nicht nachgewiesen hätten, dass die Maßnahme marktkonform gewesen sei und daher einen Vorteil iSv. Art. 107 Abs. 1 AEUV beinhaltete. Sodann prüfte das EuG zunächst hinsichtlich des zweiten Teils der Begründung nach Maßgabe des EuGH, ob die Verwaltungsakten Angaben von einer gewissen Zuverlässigkeit und Kohärenz enthalten, die eine hinreichende Grundlage für den Schluss der Kommission bilden und dass dieser Punkt zwischen der Kommission und den griechischen Behörden nicht streitig war.

Hierbei gelangte das EuG zu dem Schluss, dass dem Vorbringen der Kommission zu folgen und die Klage auch insofern abzuweisen ist. Das Gericht stützt dieses Ergebnis auf eine fünf-schrittige Prüfung.

Prüfungsumfang

Mit den ersten beiden Prüfungsschritten umgrenzt das Gericht zunächst den erforderlichen Prüfungsumfang bzw. die Prüfungsgrundlage.

So dürfen die im zweiten Teil der Begründung angeführten „erheblichen finanziellen Schwierigkeiten von Larko“ nicht mit der im ersten Teil angeführten Eigenschaft Larkos als „Unternehmen in Schwierigkeiten“ verwechselt werden. Die Voraussetzungen der Nr. 3.2 der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien müssen kumulativ erfüllt sein. Der zweite Teil der Begründung bezieht sich auf Nr. 3.2 lit. d der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien, nach der für die Garantie ein marktübliches Entgelt zu zahlen ist. Hierbei ist u.a. die Ausfallwahrscheinlichkeit des Kredits maßgeblich, mithin auch, ob sich das Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten befindet. Nach der in dem Urteil sehr verklausuliert formulierten Ansicht des Gerichts genügt es, dass eine der Voraussetzungen der Nr. 3.2 der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien nicht vorliegt, damit das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe nicht gemäß der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien ausgeschlossen werden kann.

Des Weiteren habe der EuGH lediglich in dem o.g. Umfang die falsche Anwendung des Grundsatzes des privaten Wirtschaftsteilnehmers durch das Gericht beanstandet, nicht aber die Stichhaltigkeit des zweiten Teils der Begründung des 73. Erwägungsgrundes des Beschlusses der Kommission oder die Stichhaltigkeit der weiteren Beurteilung des Gerichts hierzu, obwohl Larko diese Punkte in ihrem Rechtsmittel ausdrücklich gerügt hatte. Das Gericht hat somit nunmehr das Vorliegen von Gesichtspunkten zu prüfen, die belegen können, dass die griechischen Behörden vor oder bei Gewährung der Maßnahme von den „Schwierigkeiten von Larko“ Kenntnis hatten oder hätten haben müssen.

Anhaltspunkte in den Verwaltungsakten

In den weiteren beiden Prüfungsschritten legt das Gericht dar, dass die Feststellungen der Kommission zusammen mit den aus den Verwaltungsakten hervorgehenden maßgeblichen Beweisen ausreichen, um zu belegen, dass Larko spätestens zum Zeitpunkt der Gewährung der Maßnahme in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten steckte und dies den griechischen Behörden bewusst war, was sie im Verwaltungsverfahren auch nicht bestritten haben.

So habe die Kommission im zweiten Teil der Begründung des 73. Erwägungsgrundes einen Zusammenhang zwischen den „erheblichen finanziellen Schwierigkeiten“ Larkos und der „hohen Verschuldung im Verhältnis zum Eigenkapital“, die sich auf das „Ausfallrisiko der garantierten Darlehen“ auswirken könne, hergestellt. Den Zusammenhang belege die Kommission im 56. Erwägungsgrund des Beschlusses anhand einer Tabelle zur Verschuldung und zum Eigenkapital Larkos in den Jahren 2007 und 2008.

Diese Einschätzung wird nach Auffassung des Gerichts auch durch folgende weitere Anhaltspunkte in der Akte belegt:

  • Die Kommission hat im Eröffnungsbeschluss ausdrücklich die Aufmerksamkeit der griechischen Behörden auf den potenziell nicht marktkonformen Charakter der Garantieprämie im Hinblick auf Nr. 3.2 der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien gelegt. Sie führte hierbei an, dass eine jährliche Prämie von 1 % im Hinblick auf die erheblichen finanziellen Schwierigkeiten und der hohen Verschuldung Larkos auf den ersten Blick dem Ausfallrisiko nicht angemessen sei.
  • Die Kommission hat die griechischen Behörden – auch im Eröffnungsbeschluss – ausdrücklich aufgefordert, ihr alle Informationen zur Beurteilung der Kriterien der Nr. 3.2 der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien zu übermitteln, auch um prüfen zu können, ob die Prämie von 1 % im Vergleich zu „entsprechenden marktüblichen“ Entgelten angemessen ist.
  • Die griechischen Behörden haben für ihre Behauptungen, dass Larko über eine gute Bonitätseinstufung verfügt habe und die Prämie von 1 % den Marktbedingungen entsprochen habe, keine Beweise vorgelegt. Vielmehr haben die griechischen Behörden an anderer Stelle die „abrupte Verschlechterung“ der finanziellen Lage Larkos im zweiten Halbjahr 2008 einräumen müssen.
  • Die Schlussfolgerung wird durch die konstanten Verluste Larkos in den Jahren 2007 und 2008 bestätigt, die die Kommission in Eröffnungsbeschluss und angefochtenem Beschluss zugrunde gelegt hat. Außerdem wies die Kommission im Eröffnungsbeschluss darauf hin, dass nach Nr. 3.2 lit. c der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien das Vorliegen einer Beihilfe nicht ausgeschlossen werden könne, wenn die Garantie mehr als 80 % des ausstehenden Kreditbetrags decke (die Maßnahme war aber dazu bestimmt, 100 % des Darlehens zu decken).
  • Aus den im angefochtenen Beschluss zusammengefassten Erklärungen der griechischen Behörden zum Eröffnungsbeschluss geht hervor, dass diese ab Mitte 2008 von der schlechten finanziellen Situation Larkos Kenntnis hatten.

Kein Entgegenstehen der Regeln über Verteilung der Beweislast

In einem letzten Prüfungsschritt hält das EuG fest, dass auch die Regeln über die Verteilung der Beweislast nicht geeignet sind, die Feststellungen zu entkräften. Nach Ansicht des Gerichts würden ansonsten die Beweislast unter Verkennung des Umfangs der Pflichten zur loyalen Zusammenarbeit des Mitgliedstaates aus Art. 4 Abs. 3 EUV ungerechtfertigterweise zulasten der Kommission umgekehrt.

Denn zwar habe die Kommission nach dem Urteil des EuGH, auch wenn sie es mit einem Mitgliedstaat zu tun habe, der unter Verletzung seiner Pflicht zur Zusammenarbeit die angeforderten Auskünfte nicht erteilt, ihre Entscheidungen auf einigermaßen tragfähige und schlüssige Anhaltspunkte zu stützen, die eine hinreichende Grundlage für ihre Annahme bilden und darf nicht einfach in Ermangelung anderer Anhaltspunkte ihre positive Feststellung auf eine negative Vermutung stützen. Auch könne die Kommission durch von ihr erlassene Verhaltensregeln – wie die Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien – keine Verpflichtungen zulasten der Mitgliedstaaten begründen.

Vorliegend hatte die Kommission aber über die o.g. hinreichend zuverlässigen und kohärenten Anhaltspunkte verfügt. Die griechischen Behörden wiederum haben nichts unternommen, um diese Anhaltspunkte zu widerlegen und die für die Erfüllung der Nr. 3.2 lit. d der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien maßgeblichen Anhaltspunkte vorzutragen. Weder die griechischen Behörden noch Larko haben die der Kommission zur Verfügung stehenden Indizien widerlegt, obwohl die Kommission die Behörden ausdrücklich hierzu aufgefordert hatte. Ein solches Ergebnis entspricht schließlich der Verteilung der Kenntnis- und Verantwortungssphären, die den Voraussetzungen von Nr. 3.2 der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien zugrunde liegen und die vor allem den Nachweis durch den Mitgliedstaat erleichtern sollen, dass eine öffentliche Einzelgarantie keine der Kommission mitzuteilende staatliche Beihilfe beinhaltet. Grade solche Informationen, die in die Kenntnis- und Verantwortungssphäre des Mitgliedstaates fallen, könnte der Mitgliedstaat gemäß seiner Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV vorlegen.

So hat die Kommission beim Erlass dieses Beschlusses über ausreichend zuverlässige und kohärente Anhaltspunkte für die Feststellung, dass die gewährte Garantieprämie nicht marktkonform war und einen Vorteil iSv. Art. 107 Abs. 1 AEUV dargestellt hat, verfügt. Das EuG hat die Klage deshalb insgesamt abgewiesen, ohne über den ersten Teil der Begründung der Kommission, dass es sich bei Larko um ein „Unternehmen in Schwierigkeiten“ gehandelt hat, entscheiden zu müssen.

Fazit

Die Prüfung des Kriteriums des privaten Wirtschaftsteilnehmers kann sich für die Kommission im Einzelfall vor dem Hintergrund der Verteilung der Beweislast als schwierig gestalten. Zunächst ist festzustellen, dass der betroffene Mitgliedstaat für die Anwendbarkeit des Kriteriums des privaten Wirtschaftsbeteiligten beweispflichtig ist. Für die Frage der Anwendung dieses Kriteriums trifft die Beweislast regelmäßig die Kommission. Nach dem Urteil des EuGH entbinden auch diesbezügliche Verstöße des Mitgliedstaates gegen die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit die Kommission nicht davon, ihre Entscheidung auf tragfähige und schlüssige Anhaltspunkte stützen.

Das daraufhin ergangene Urteil des EuG zeigt jedoch die Umsetzungsschwierigkeiten dieser Vorgaben in der Praxis:

Das EuG  prüft zunächst kleinschrittig und entsprechend den Vorgaben des EuGH die sich aus den Verwaltungsakten ergebenden Informationen auf verschiedenste mögliche Anhaltspunkte, die den Schluss der Kommission belegen könnten und kommt zu dem Schluss, dass die Kommission auf Grundlage dieser Indizien zu dem Ergebnis kommen konnte, dass sich bei Larko im Zeitpunkt der Gewährung der Maßnahme in erheblichen Schwierigkeiten befand. Dieses Ergebnis rechtfertig das EuG abschließend zurecht mit der Verteilung der Kenntnis- und Verantwortungssphären zwischen Mitgliedstaat und Kommission: handelt es sich wie in diesem Fall bei den Voraussetzungen von Nr. 3.2 der Mitteilung über Beihilfen in Form von Garantien um Informationen, die in die Kenntnis- und Verantwortungssphäre des Mitgliedstaates fallen, könnte der Mitgliedstaat diese gemäß seiner Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV vorlegen. Tut der Mitgliedstaat dies jedoch nicht, muss es für die Beweispflicht der Kommission ausreichen, dass sie ihre Entscheidung auf „tragfähige und schlüssige Anhaltspunkte“ und damit auf Indizien stützt, die ihr zur Verfügung stehen. Eine darüber hinausgehende Möglichkeit für den Beweis der Anwendung des Kriteriums des privaten Kapitalgebers hat die Kommission mangels Informationen in einer solchen Situation nicht.

Autor: Christopher Hanke. Müller-Wrede & Partner