Schlagwort: Selektivität

Steuerautonomie der Mitgliedstaaten schützt nicht vor Anwendung des Beihilfenrechts, aber…

Steuerautonomie der Mitgliedstaaten schützt nicht vor Anwendung des Beihilfenrechts, aber…

Die beihilferechtliche Bewertung der Ausstellung von Steuervorbescheiden (sog. „tax rulings“) durch einzelne Mitgliedstaaten beschäftigt seit geraumer Zeit Kommission und Unionsgerichte (hier bereits in zahlreichen Beiträgen besprochen, zuletzt EuGH: Belgische „tax rulings“ stellen eine Beihilferegelung dar – BeihilfenBlog). Tax rulings enthalten verbindliche Auskünfte der Steuerbehörden über die Höhe der von dem betroffenen Unternehmen zukünftig zu zahlenden Steuern und werden oftmals von Konzernen genutzt, um Rechtssicherheit hinsichtlich der Besteuerung bestimmter Systeme (oftmals von bestimmten Verrechnungspreisen) zu erlangen.

Seit 2013 überprüft die Kommission die mitgliedstaatliche Praxis solcher tax rulings vermehrt auf ihre Vereinbarkeit mit dem Beihilfenrecht. Einer der ersten Beschlüsse, mit denen die Kommission tax rulings als mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe einstufte, war ein Beschluss zu einem tax ruling luxemburgischer Steuerbehörden zugunsten der Fiat Chrysler Finance Europe (FTT), einem Unternehmen der Fiat-Gruppe (siehe zum Beschluss im Einzelnen Ruling (Tax) rulings… Die Kommission stellt die Beihilferechtswidrigkeit vorteilhafter Steuervorbescheide für Fiat und Starbucks fest – BeihilfenBlog).

Nachdem das EuG den Kommissionsbeschluss noch bestätigt hatte (siehe EuG zum Thema Tax-rulings: die Kommission liegt 1:2 im Rückstand – BeihilfenBlog), fand die Saga nun mit Urteil der Großen Kammer des EuGH vom 08.11.2022 ihren Abschluss.

Mit seinem Urteil (verb. Rs. C‑885/19 P und C‑898/19 P) hat der EuGH die Urteile des EuG aufgehoben und den Kommissionsbeschluss für nichtig erklärt. Die Kommission habe bei der Prüfung des Vorliegens eines selektiven Vorteils durch die steuerliche Maßnahme zu Unrecht einen anderen Fremdvergleichsgrundsatz als den im luxemburgischen Recht festgelegten Grundsatz angewendet. In diesem Zusammenhang nahm der EuGH eine interessante und wichtige Klarstellung zum Zusammenspiel aus Steuerautonomie der Mitgliedstaaten einerseits und Anwendung des Beihilfenrechts andererseits bei der Prüfung eines selektiven Vorteils einer Steuermaßnahme vor.

Im Einzelnen:

Der zugrunde liegende Sachverhalt und der bisherige Verfahrensgang ergibt sich aus unseren bereits angeführten Beiträgen zum Kommissionsbeschluss und zu den EuG-Urteilen.

Im Rechtsmittelverfahren führten die Rechtsmittelführer (neben FTT auch Irland) folgende Rechtsmittelgründe an: Die von der Kommission vorgenommene Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes („arm’s length principle“) sei fehlerhaft und die Kommission habe einen Fehler bei der Anwendung des Art. 107 Abs. 1 AEUV begangen. Dem Gericht sei insofern bei der Prüfung der Selektivität ein Fehler unterlaufen. Weiter sei gegen die Grundsätze der Begründungspflicht und der Rechtssicherheit verstoßen worden. Schließlich rügten die Rechtsmittelführer einen Verstoß gegen die Art. 4 und 5 EUV sowie gegen Art. 114 AEUV, da die Vorschriften über staatliche Beihilfen im konkreten Fall zur Harmonisierung der Vorschriften der Mitgliedstaaten über die direkte Besteuerung genutzt worden seien.

Der EuGH prüfte zunächst die Rechtsmittelgründe, mit denen die Rechtsmittelführer im Kern einen Rechtsfehler des EuG bei der Prüfung eines „selektiven Vorteils“ rügen.

Hierbei weist der EuGH einleitend darauf hin, dass Maßnahmen der Mitgliedstaaten in Bereichen, die nicht unionsrechtlich harmonisiert sind, nicht von den Bestimmungen über die Kontrolle staatlicher Beihilfen ausgenommen sind. Auch wenn das Steuerrecht ein solcher Bereich ist, dürfen Mitgliedstaaten also keine steuerliche Maßnahme erlassen, die eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe darstellt.

Bei der Prüfung, ob steuerliche Maßnahmen eine staatliche Beihilfe iSd. Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellen, ist das entscheidende Merkmal, ob die Maßnahme einen selektiven Vorteil verschafft. Also ob sie geeignet ist, bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige gegenüber anderen Unternehmen oder Produktionszweigen zu begünstigen, die sich im Hinblick auf das mit dieser Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden und somit eine unterschiedliche Behandlung erfahren, die der Sache nach als diskriminierend eingestuft werden kann.

Die Einstufung einer steuerlichen Maßnahme als selektiv erfolgt in drei Schritten: In einem ersten Schritt muss die Kommission das Bezugssystem, d.h. die in einem Mitgliedstaat geltende „normale“ Steuerregelung ermitteln. Die Bestimmung des Bezugsrahmens muss sich hierbei aus einer objektiven Prüfung des Inhalts, des Zusammenhangs und der konkreten Wirkungen der nach dem nationalen Recht dieses Staates anwendbaren Vorschriften ergeben. In einem zweiten Schritt muss die Kommission dartun, dass die Maßnahme von diesem Bezugssystem insofern abweicht, als sie Unterscheidungen zwischen solchen Wirtschaftsteilnehmern einführt, die sich im Hinblick auf das mit dem Bezugssystem verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden. Drittens unterfallen solche a priori selektiven Maßnahmen nicht dem Beihilfebegriff, wenn die Unterscheidung gerechtfertigt ist, weil sie sich aus der Natur oder dem Aufbau des Systems ergibt, in das sich die Maßnahmen einfügen (st. Rspr., siehe v.a. World Duty Free Group und Spanien/Kommission, verb. Rs. C‑51/19 P und C‑64/19 P).

Hierbei betont der EuGH, dass die Regelungstechnik nicht entscheidend ist. Selbst eine nicht formal abweichende Maßnahme, die auf an sich allgemeinen Kriterien beruht, kann selektiv sein, wenn sie faktisch zu einer unterschiedlichen Behandlung von Unternehmen führt, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Steuerregelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren Situation befinden.

Aus der Steuerautonomie der Mitgliedstaaten zieht der EuGH aber eine Einschränkung für die Bestimmung des Bezugssystems, die nicht nur im hiesigen Fall entscheidend ist, sondern auch über diesen Fall hinaus von der Kommission zu beachten sein wird: So folgt aus der Steuerautonomie der Mitgliedstaaten, dass bei der Bestimmung des Bezugssystems nur das im jeweiligen Mitgliedstaat anwendbare nationale Recht zu berücksichtigen ist. Die so zutreffend vorzunehmende Bestimmung des Bezugssystems ist unerlässlich, nicht nur für die Beurteilung, ob ein Vorteil vorliegt, sondern auch für die Frage, ob ein solcher Vorteil selektiv ist.

Die Kommission hatte in Erwägungsgrund 228 ihres Beschlusses noch ausgeführt, dass der Fremdvergleichsgrundsatz notwendigerweise einen festen Bestandteil ihrer Prüfung einer den Unternehmen einer Gruppe gewährten steuerlichen Maßnahmen bilde, unabhängig davon, ob dieser Grundsatz im nationalen Recht verankert sei oder nicht (Näheres zum Fremdvergleichsgrundsatz bzw. „arm’s length principle“ unter Etappen-Sieg für die Kommission bei Prüfung von „tax rulings“ zugunsten von Nike und Converse: Klage gegen Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens abgewiesen – BeihilfenBlog; Etappen-Sieg für die Kommission bei Prüfung von „tax rulings“ zugunsten von Nike und Converse: Klage gegen Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens abgewiesen – BeihilfenBlog (beihilfen-blog.eu)).

Der Steuervorbescheid war auf Grundlage von Art. 164 Abs. 3 des luxemburgischen Einkommenssteuergesetzes und einem Rundschreiben zu diesem Artikel erlassen worden. Die Kommission hatte nach eigenem Vorbringen aber nicht geprüft, ob der fragliche Steuervorbescheid mit dem in diesen Vorschriften konkret definierten Fremdvergleichsgrundsatz in Einklang steht. Denn sie war der Ansicht, dass es ausreiche, aufzuzeigen, dass die Methode der luxemburgischen Steuerbehörden bei der Ausstellung des Steuervorbescheids allgemein von einer Methode abweiche, die zu einer verlässlichen Annäherung an ein marktbasiertes und damit fremdvergleichskonformes Ergebnis führe.

Das EuG hatte den Ansatz der Kommission, den Fremdvergleichsgrundsatzes unabhängig von seiner konkreten Verankerung im nationalen Recht anzuwenden, bestätigt.

Dem erteilte der EuGH nun in Anwendung der zuvor hergeleiteten Grundsätze eine ausdrückliche Absage. Indem die Kommission die Relevanz des Art. 164 Abs. 3 des Einkommenssteuergesetzes und des Rundschreibens verneint hat, hat sie einen anderen Fremdvergleichsgrundsatz angewandt als den im nationalen Recht festgelegten. Sie hat schlicht festgestellt, dass der Fremdvergleichsgrundsatz abstrakt im allgemeinen luxemburgischen Körperschaftssteuersystem als Zielsetzung zum Ausdruck kommt, ohne aber die Art und Weise zu berücksichtigen, in der dieser Grundsatz in Bezug auf integrierte Unternehmen eines Konzerns im nationalen Recht (in Art. 164 Abs. 3 des Einkommenssteuergesetzes bzw. dem Rundschreiben) konkret verankert ist. Zwar zielt das auf integrierte Unternehmen in Luxemburg anwendbare nationale Steuerrecht darauf ab, zu einer verlässlichen Annäherung an den Marktpreis zu gelangen, was als Ziel allgemein dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Nichtsdestotrotz müssen die konkreten Modalitäten der Anwendung dieses Grundsatzes nach dem nationalen Recht bei der Bestimmung des Bezugssystems berücksichtigt werden.

Indem das EuG den Ansatz der Kommission bestätigt hat, hat es nicht die o.g. Anforderungen der Rechtsprechung an die Bestimmung des Bezugssystems eingehalten, nach denen die Prüfung eines selektiven Vorteils auf Grundlage einer objektiven Prüfung des Inhalts, des Aufbaus und der konkreten Wirkungen der nach dem nationalen Recht dieses Staates anwendbaren Vorschriften vorzunehmen ist. Das Gericht hat somit Art. 107 Abs. 1 AEUV fehlerhaft angewandt.

Gleichermaßen hat das EuG hierdurch die Vorschriften zur Steuerautonomie der Mitgliedstaaten (Art. 114 Abs. 2 AEUV und Art. 115 AEUV) verkannt. Denn die Kommission ist nicht befugt, unter Außerachtlassung der nationalen Steuervorschriften eigenständig die „normale“ Besteuerung in einem Mitgliedstaat festzulegen. Die Steuerautonomie der Mitgliedstaaten lässt sich nur gewährleisten, wenn die Prüfung nach Art. 107 Abs. 1 AEUV ausschließlich auf Grundlage der vom Gesetzgeber des betreffenden Mitgliedstaats festgelegten Steuervorschriften beruht.

Aufgrund dieser Rechtsfehler hob der EuGH nicht nur die Urteile des EuG auf, sondern erklärte auch den Kommissionsbeschluss für nichtig.

Der Rechtsfehler des EuG beruhte darauf, eine rechtsfehlerhafte Prüfung der Kommission bestätigt zu haben. Gleichermaßen hatte deshalb bereits die Kommission in ihrem Beschluss gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV und die Vorschriften zur Steuerautonomie der Mitgliedstaaten verstoßen.

In diesem Zusammenhang betont der EuGH abermals, dass die Entscheidung trotzdem nicht ausschließt, dass auch solche Steuermaßnahmen der beihilferechtlichen Kontrolle unterliegen.

Anmerkungen

Auch wenn die Kommission in diesem konkreten Fall einen Rückschlag bei ihrem Vorgehen gegen Steuermaßnahmen zugunsten multinationaler Konzerne zu verkraften hat, bestätigt der EuGH abermals ausdrücklich, dass auch Maßnahmen auf Grundlage von Vorschriften in Bereichen, die nicht unionsrechtlich harmonisiert sind, der beihilferechtlichen Kontrolle unterliegen.

Hierbei nimmt der EuGH aber einige wichtige Klarstellungen und Abgrenzungen zu dem Zusammenspiel aus Steuerautonomie einerseits und Beihilfenrecht andererseits vor: Bei der Bestimmung des Bezugssystems darf die Kommission nur das im jeweiligen Mitgliedstaat anwendbare nationale Recht berücksichtigen. Die Bestimmung einer „normalen“ Besteuerung als Bezugssystem kann und darf nur auf Grundlage der konkreten Auswirkungen des nationalen Rechts erfolgen. Bestimmt die Kommission die „normale“ Besteuerung ungeachtet dessen, verstößt sie zum einen gegen den Grundsatz, dass das Vorliegen eines selektiven Vorteils nach einer objektiven Prüfung des Inhalts, des Aufbaus und der konkreten Wirkungen der nach dem nationalen Recht dieses Staates anwendbaren Vorschriften vorzunehmen ist. Zum anderen verstößt sie dann gegen die Art. 114 Abs. 2 und 115 AEUV, da die „normale“ Besteuerung in einem nicht unionsrechtlich harmonisierten Bereich nur von den Mitgliedstaaten selbst festgelegt werden kann.

Üben die Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeiten in einem solchen Bereich aus, haben sie bei der Ausgestaltung der Regelungen und Maßnahmen aber nichtsdestotrotz das Beihilfenrecht zu beachten.

Dass auch dieses Urteil die Kommission eher ermutigt als entmutigt, verdeutlicht eine Stellungnahme der EU-Kommissarin für Wettbewerb, Margrethe Vestager.

Sie betonte, dass das Urteil die Kommission in ihrem Ansatz, auch Maßnahmen in nicht unionsrechtlich harmonisierten Bereichen einer beihilferechtlichen Prüfung zu unterziehen, bestätige. Hierbei gebe das Urteil der Kommission wichtige Orientierungshilfen. Die Kommission werde weiterhin alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente nutzen, um Wettbewerbsverzerrungen durch rechtswidrige Besteuerung multinationaler Konzerne zu verhindern. Hierbei zeige das Vorgehen der Kommission auch ungeachtet einzelner beihilferechtlicher Entscheidungen bereits spürbare Wirkung. Viele Mitgliedstaaten hätten Gesetzgebung oder Rechtsprechung angepasst, um Schlupflöcher zu vermeiden oder zu schließen.

Autor: Christopher Hanke, Müller-Wrede & Partner

Keine Ausnahme von der Abgabe – auch Steuersystem des Vereinigten Königreichs fällt Kommission zum Opfer

Keine Ausnahme von der Abgabe – auch Steuersystem des Vereinigten Königreichs fällt Kommission zum Opfer

Nächstes Urteil eines europäischen Gerichts zur beihilferechtlichen Bewertung nationaler steuerlicher Maßnahmen zugunsten bestimmter multinationaler Konzerne, nächster Erfolg für die Kommission:

Mit Urteil vom 08. Juni 2022 (verbundene Rechtssachen T-363/19 und T-456/19) hat das Gericht die Kommission bestätigt, dass gesetzlich geregelte Ausnahmen von einer grundsätzlich zu zahlenden Abgabe auf künstlich auf Betriebsstätten im Ausland abgezweigte Gewinne eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe iSd. Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt.

Hierbei folgen Kommission und Gericht den in mehreren jüngeren Entscheidungen zu Steuerregelungen und sog. „tax rulings“ verfestigten Grundsätzen zur Feststellung, wann Merkmale eines nationalen Steuersystems bzw. nationale steuerliche Maßnahmen die Tatbestandsmerkmale eines selektiven wirtschaftlichen Vorteils erfüllen. Da die Entscheidungspraxis bereits in einigen Beiträgen dieses Blogs ausführlich besprochen wurde (siehe Multinationale Konzerne und Steuern – die nächste Episode – BeihilfenBlog (beihilfen-blog.eu)Goodbye Goodwill – EuGH zur Selektivität steuerlicher Maßnahmen – BeihilfenBlog (beihilfen-blog.eu)EuGH: Belgische „tax rulings“ stellen eine Beihilferegelung dar – BeihilfenBlog (beihilfen-blog.eu)Etappen-Sieg für die Kommission bei Prüfung von „tax rulings“ zugunsten von Nike und Converse: Klage gegen Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens abgewiesen – BeihilfenBlog (beihilfen-blog.eu)), beschäftigt sich dieser Beitrag nur mit den wesentlichen Merkmalen der als beihilferechtswidrig eingestuften Steuerregelung des Vereinigten Königreichs und den wesentlichen Entscheidungsgründen des Gerichts.

Die auf controlled foreign companies (CFCs) anwendbaren Steuerregeln

Das Körperschaftssteuerrecht des Vereinigten Königreichs beruht auf dem Territorialitätsprinzip, nach dem Gewinne, die aus Tätigkeiten und Vermögenswerten im Vereinigten Königreich erzielt werden, der Körperschaftssteuer unterliegen. Nicht besteuert werden Gewinne, die dauerhaften Niederlassungen im Ausland zuzurechnen sind.

Da es hierdurch für Unternehmen im Vereinigten Königreich attraktiv sein kann, Tochtergesellschaften im Ausland zu unterhalten und Gewinne auf diese Tochtergesellschaften umzuverteilen, umfasste der Taxiation (International and Other Provisions) Act 2010 eigene Regelungen für sog. controlled foreign companies (CFCs), d.h. solche Unternehmen, die im Ausland ansässig sind, aber von einer oder mehreren Personen im Vereinigten Königreich rechtlich oder wirtschaftlich kontrolliert werden.

Die Regelungen sehen vor, dass solche Gewinne, die von einem Unternehmen oder von einer Unternehmensgruppe künstlich auf ein CFC verlagert werden, einer Abgabe unterliegen (im Folgenden „CFC-Abgabe“). Die Höhe der Abgabe orientiert sich hierbei an der Höhe der Steuern, die auf den künstlich verlagerten Gewinn erhoben würden, wenn er der Körperschaftssteuer im Vereinigten Königreich unterliegen würde. Die Abgabe dient hierbei dem Ziel der fairen Besteuerung bei einer künstlichen Verlagerung von Gewinnen, soll gegenüber einem System der allgemeinen Besteuerung von CFCs aber auch gewährleisten, dass keine (zusätzliche) Steuer bei tatsächlicher wirtschaftlicher Aktivität des Unternehmens im Ausland erhoben wird.

Ob Gewinne als künstlich verlagerte Gewinne der CFC-Abgabe unterfallen, richtet sich danach, ob die Gewinne aus Vermögenswerten oder Entscheidungen stammen, die im Vereinigten Königreich begründet sind. Denn in einem solchen Fall unterscheidet sich das den Gewinn erzielende Unternehmen von dem Unternehmen, das die Gewinne generiert. Maßgeblich für die Beurteilung, ob Gewinne künstlich auf ein CFC verlagert werden, ist eine Funktionsanalyse zur Feststellung der tatsächlich von einer Betriebsstätte ausgeübten Tätigkeiten. Die Funktionsanalyse erfolgt nach dem Grundsatz der sog. significant people functions. Entscheidend für die Zuordnung der Tätigkeiten zu einer Betriebsstätte sind die von den Unternehmensmitarbeitern ausgeübten wesentlichen Funktionen: Die Tätigkeiten – und folglich die Vermögenswerte und Entscheidungen – eines Unternehmens sind der Betriebsstätte zuzuordnen, an der die Unternehmensmitarbeiter die für diese Tätigkeiten wesentlichen Funktionen ausüben.

Um den Verwaltungsaufwand zu verringern, gibt es wiederum eine Reihe an gesetzlichen Ausnahmen von der CFC-Abgabe, bei denen eine Einzelfallprüfung auf Grundlage der significant people functions nach Ansicht des Gesetzgebers in der Regel ergeben würde, dass die Gewinne der CFCs nicht aus einer künstlichen Verlagerung stammen, weil das Risiko der Umleitung in diesen Fällen allgemein gering ist. Eine dieser Ausnahmen ist folgende komplexe Regelung, die von Kommission und Gericht als Beihilfe eingestuft wurde:

Von der CFC-Abgabe befreit sind Gewinne aus sog. qualifizierten Darlehen (qualifying loans). Als solche werden im gegenständlichen Gesetz Darlehen definiert, die als allgemeine Voraussetzungen zum einen von einer Betriebsstätte des CFCs gewährt werden, von der die Aktivitäten des CFC mindestens im Wesentlichen ausgehen und die mit einem gewissen Grad an Kontinuität betrieben werden. Zum anderen müssen sie Mitgliedern der gleichen multinationalen Gruppe gewährt werden, die nicht im Vereinigten Königreich ansässig sind. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist ein Darlehen dann ein qualifiziertes Darlehen, wenn es noch eine der geregelten spezifischen Voraussetzungen erfüllt (z.B. das Darlehen stammt aus Mitteln, die das CFC aus Anteilen oder Vermögenswerten an anderen Unternehmen der Gruppe erzielt; die Gewinne aus dem Darlehen führen nur zu einer geringen Gewinnspanne; Freibetrag bei lediglich geringen Gewinnen).

Von dieser Ausnahme betroffen waren u.a. Darlehen von unter niederländischem Recht gebildeten CFCs der ITV Gruppe, deren Holding im Vereinigten Königreich steuerlich ansässig ist. ITV klagte deshalb gegen den die Rückforderung der gewährten Beihilfe anordnenden Kommissionsbeschluss.

Die wesentlichen Ausführungen des Gerichts

Referenzsystem

ITV als Klägerin und das Vereinigte Königreich führten zunächst an, die Kommission habe als für die Prüfung der Selektivität maßgebliches Referenzsystem unzutreffend die auf CFCs anwendbaren Regeln bestimmt. Als Referenzsystem sei vielmehr das Körperschaftssteuersystem des Vereinigten Königreichs als Ganzes heranzuziehen.

Das Gericht führt zunächst die gefestigte Rechtsprechung der europäischen Gerichte an (u.a. World Duty Free Group, C-51/19 P, Rn. 62 und 63), nach der bei der Bestimmung des Referenzrahmens auf das allgemeine Steuersystem Bezug zu nehmen ist, wenn die fragliche steuerliche Maßnahme untrennbar mit diesem verbunden ist. Ist eine solche Maßnahme aber eindeutig von diesem allgemeinen System zu trennen, kann der Referenzrahmen enger als das allgemeine System oder sogar mit der Maßnahme identisch sein, wenn sich diese als eine Maßnahme mit eigenständiger rechtlicher Logik darstellt und es nicht möglich ist, eine kohärente Gesamtheit von Vorschriften außerhalb dieser Maßnahme zu bestimmen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht nach den Gründen und Zielen einer staatlichen Maßnahme unterscheidet, sondern die Maßnahme anhand ihrer Wirkung unabhängig von den verwendeten Techniken beschreibt.

Sodann stellt das Gericht fest, dass es sich bei den auf CFC anwendbaren Regeln um ein solches eigenes Regelungssystem innerhalb des Steuerrechts des Vereinigten Königreichs mit eigenständiger rechtlicher Logik handelt: Während nach dem auf dem Territorialitätsprinzip beruhenden Körperschaftssteuersystem Gewinne von im Vereinigten Königreich ansässigen Unternehmen aus ihrer wirtschaftlichen Aktivität im Vereinigten Königreich besteuert werden, betrifft die CFC-Abgabe Gewinne, die nach diesem Prinzip normalerweise nicht der Körperschaftssteuer unterliegen würden. Während die steuerpflichtige Person nach dem Territorialitätsprinzip das Unternehmen ist, das im Vereinigten Königreich eigene Gewinne erzielt, ist die pflichtige Person der CFC-Abgabe nicht das die Gewinne erzielende Unternehmen, sondern das das CFC kontrollierende Unternehmen. Während das die Körperschaftssteuerpflicht auslösende Ereignis der im Vereinigten Königreich erzielte Gewinn ist, ist das die CFC-Abgabe auslösende Ereignis die künstliche Umleitung von Gewinnen. Und auch wenn sich die Höhe der CFC-Abgabe an der Höhe der üblichen Steuerpflicht orientiert, wird ihre Höhe durch einen eigenen Kalkulationsmechanismus bestimmt. Schließlich enthalten die auf CFCs anwendbaren Regeln eigene – so für die Körperschaftssteuer nicht existente – Vorschriften zur Berechnung der Abgabe, zur Verwaltung und Eintreibung der Abgabe und zum Zusammenhang der Abgabe zu Steuern, die das Mutterunternehmen im Vereinigten Königreich zahlt und zu Steuern, die das CFC im Land seiner Niederlassung zahlt.

Wirtschaftlicher Vorteil

Weiter rügten die Klägerin und das Vereinigte Königreich, dass die Ausnahmen von der Pflicht zur Zahlung der CFC-Abgabe nicht isoliert von den übrigen Vorschriften zur CFC-Abgabe betrachtet werden können. Vielmehr sind sie Teil der Vorschriften, die insgesamt den Anwendungsbereich der Abgabe definieren und können als solche grade keine Ausnahme von diesen Vorschriften darstellen. Folglich kann die Anwendung der gegenständlichen Regelungen keinen wirtschaftlichen Vorteil begründen.

Das Gericht führt hierzu zunächst an, dass ein wirtschaftlicher Vorteil dann vorliegt, wenn eine Maßnahme Belastungen vermindert, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat (ständige Rspr., u.a. Bouygues und Bouygues Télécom, verb. Rs. C-399/10 P und C-401/10 P, Rn. 101). So ist die Gewährung einer steuerlichen Vergünstigung, die die Begünstigten besser stellt als die übrigen Steuerpflichtigen, ein wirtschaftlicher Vorteil (Ministerio de Defensa and Navantia, C-522/13, Rn. 23).

Sodann stellt das Gericht fest, dass die CFC-Abgabe grundsätzlich zu zahlen ist, wenn die Voraussetzung einer künstlichen Umleitung der Gewinne vorliegt. Die gegenständlichen Ausnahmeregelungen stehen im Widerspruch zu dieser Natur der Abgabe und können deshalb nicht bloß als eine Variante der Bestimmung des Anwendungsbereichs der Regelungen für CFC angesehen werden. Würde bereits die Aufnahme in den selben Gesetzestext ausschließen, dass eine de facto Abweichung keine Abweichung mehr darstellt, sondern lediglich den Anwendungsbereich der Regelung definiert, wäre es für die Mitgliedstaaten ein Leichtes, durch gesetzgeberische Techniken die Beihilfenkontrolle zu umgehen.

Das Ziel der auf CFC anwendbaren Regelungen

Weiterhin rügten die Klägerin und das Vereinigte Königreich, dass die Kommission das Ziel der auf CFC anwendbaren Regelungen unzutreffend definiert hat, indem sie als Ziel nur die spezifische Besteuerung von künstlich abgezweigten Gewinnen definierte. Vielmehr sei das Ziel der Regelungen ganz allgemein der Schutz der Steuerbasis im Vereinigten Königreich.

Die Feststellung des Ziels der Regelungen des Referenzsystems ist maßgeblich, um die für die Feststellung der Selektivität erforderliche Prüfung vornehmen zu können. Die Selektivität bemisst sich nämlich danach, ob eine Maßnahme Unternehmen gegenüber anderen Unternehmen begünstigt, die sich im Hinblick auf das mit der Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden.

Das Gericht stellt auf die Rügen fest, dass die Regelungen zwar auch dem, dem Körperschaftssteuersystem insgesamt zugrunde liegenden, allgemeinen Ziel des Schutzes der Steuerbasis dienen würden. Um die Selektivität der fraglichen Regelungen beurteilen zu können, muss aber das speziellere Ziel der auf CFC anwendbaren Regelungen herangezogen werden. Dieses hat die Kommission zutreffend definiert.

Selektivität

Schließlich führten die Klägerin und das Vereinigte Königreich an, dass die Regelung nicht selektiv sei.  Die auf CFC anwendbaren Regelungen würden nur zur Verpflichtung einer CFC-Abgabe führen, wenn ein hohes Risiko einer künstlichen Abzweigung von Gewinnen vorherrsche, während die gegenständliche Ausnahme nur dann Anwendung finden würde, wenn ein geringes Risiko einer Umgehung der Besteuerung vorherrsche. Die rechtliche und tatsächliche Situation von CFCs, die Gewinne aus qualifizierten Darlehen erzielen – und folglich der Ausnahme unterfallen – sei deshalb nicht vergleichbar mit der von CFCs, die Gewinne aus anderen – der Ausnahme nicht unterfallenden – Darlehen erzielen.

Das Gericht bestätigt aber auch insofern die Kommission und kommt zu dem Ergebnis, dass beide Situationen im Hinblick auf das mit den auf CFC anwendbaren Regelungen verfolgte Ziel der Besteuerung von künstlich abgezweigten Gewinnen vergleichbar sind:

Das Referenzsystem stellen die auf CFC anwendbaren Regelungen dar, die das Ziel haben, die Steuerbasis der Körperschaftssteuer zu beschützen, indem sie eine Abgabe auf Gewinne einführen, die künstlich aus dem Vereinigten Königreich auf das CFC umgeleitet werden. Maßgeblich für die Feststellung der künstlichen Umleitung ist das oben erläuterte Prinzip der significant people functions.

Das Gericht kam zu dem Schluss, dass sowohl im Fall der qualifizierten Darlehen als auch im Fall der nicht-qualifizierten Darlehen die Anwendung dieses Prinzips regelmäßig dazu führen kann, dass die Gewinne im Vereinigten Königreich hätten besteuert werden müssen. Denn auch, wenn die gesetzlichen Ausnahmen von der CFC-Abgabe für qualifizierte Darlehen Fallgruppen umfassen sollen, bei denen eine Einzelfallprüfung ergeben sollte, dass die Gewinne der CFCs nicht aus einer künstlichen Verlagerung stammen, kamen Kommission und Gericht bei ihrer Prüfung zu dem Ergebnis, dass es in sämtlichen Fallvarianten möglich ist, dass eine Einzelfallprüfung auch zum gegenteiligen Ergebnis führen könnte.

Soweit also nur Unternehmen, die Gewinne aus qualifizierten Darlehen erzielen, von der CFC-Abgabe befreit werden können, obwohl ihre Gewinne nach dem dem Referenzsystem zugrunde liegenden Ziel im Vereinigten Königreich hätten besteuert werden müssen, liegt hierin nach Ansicht des Gerichts eine Ungleichbehandlung zweier Gruppen, die hinsichtlich dieses Ziels miteinander vergleichbar sind.

Rechtfertigung der Maßnahme aus Gründen des Verwaltungsaufwands

Weiter waren die Klägerin und das Vereinigte Königreich der Ansicht, das System der steuerlichen Kontrolle von CFCs sei ohne die Regelung von Gruppenausnahmen wegen der Komplexität der Prüfung der significant people functions bei intra-Gruppen-Darlehen im Ausland verwaltungstechnisch nicht durchführbar. Die Regelung sei deshalb, auch wenn sie einen selektiven wirtschaftlichen Vorteil darstellen sollte, jedenfalls gerechtfertigt.

Hierzu führt das Gericht an, dass eine Maßnahme, die eine Ausnahme von der Anwendung des allgemeinen Steuersystems darstellt, zwar durch die Natur oder den allgemeinen Aufbau des Steuersystems gerechtfertigt werden kann, wenn der betreffende Mitgliedstaat nachweisen kann, dass sie unmittelbar auf den Grund- oder Leitprinzipien seines Steuersystems beruht, wobei zwischen den mit einer bestimmten Steuerregelung verfolgten Zielen, die außerhalb dieser Regelung liegen, und den dem Steuersystem selbst inhärenten Mechanismen, die zur Erreichung dieser Ziele erforderlich sind, zu unterscheiden ist (Portugal/Kommission, C‑88/03, Rn. 81A-Brauerei, C-374/17, Rn. 48).

Die Klägerin und das Vereinigte Königreich konnten aber schon nicht darlegen, dass ein Erfordernis von Einzelfallprüfungen das System der steuerlichen Kontrolle von Gewinnen der CFCs zu einem System mit unzumutbarem oder nicht zu bewältigendem Verwaltungsaufwand machen würde.

Rechtfertigung der Maßnahme aus Gründen der Niederlassungsfreiheit

Soweit auch gerügt wurde, dass die Ausnahmen von der CFC-Abgabe der Gewährleistung der Niederlassungsfreiheit dienten und insofern gerechtfertigt sei, stellte das Gericht fest, dass die Verpflichtung zur Zahlung der CFC-Abgabe auch im Fall eines qualifizierten Darlehens schon nicht als ein Hindernis der Niederlassungsfreiheit darstellen kann.

Fazit

Erneut ist die Kommission bei ihrer Jagd nach Beihilfen in komplexen nationalen Steuersystemen fündig geworden und ist dabei nun vom Gericht bestätigt worden. Ansatz ist auch hier wieder der drei-Stufen-Test für die Überprüfung der Selektivität – ein Tatbestandsmerkmal, das außerhalb der beihilferechtlichen Überprüfung von Steuersystemen eher ein Schattendasein führt. Entscheidend für den drei-Stufen-Test ist die Einstiegsfrage, welches Referenzsystem für die weitere Prüfung heranzuziehen ist. Hier betrachten die Kommission und das europäische Gericht die CFC-Regeln als eigenständiges Referenzsystem und damit als Grundlage für die weitere Prüfung. Es ist davon auszugehen, dass damit das letzte Wort noch nicht gesprochen worden ist und sich auch noch der EuGH mit der Frage der Selektivität der CFC-Regelung befassen darf.

 

Autor: Christopher Hanke, Müller-Wrede & Partner