URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
3. April 2014(*)
„Rechtsmittel – Finanzsektor – Beträchtliche Störung im
Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats – Staatliche Beihilfe zugunsten einer
Bankengruppe – Form – Kapitalzuführung im Rahmen eines Umstrukturierungsplans –
Entscheidung – Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt –
Voraussetzungen – Änderung der Bedingungen für die Rückzahlung der Beihilfe –
Kriterium des privaten Kapitalgebers“
In der Rechtssache C‑224/12 P
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung
des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 11. Mai 2012,
Europäische Kommission, vertreten durch
L. Flynn, S. Noë und H. van Vliet als Bevollmächtigte,
Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
andere Parteien des Verfahrens:
Königreich der Niederlande, vertreten durch
M. de Ree, C. Wissels und J. Langer als Bevollmächtigte im
Beistand von P. Glazener, advocaat,
ING Groep NV mit Sitz in Amsterdam (Niederlande),
Prozessbevollmächtigte: O. W. Brouwer und J. Blockx, advocaten,
sowie M. O’Regan, Solicitor,
Kläger im ersten Rechtszug,
De Nederlandsche Bank NV mit Sitz in Amsterdam
(Niederlande), Prozessbevollmächtigte: S. Verschuur und H. Gornall,
advocaten, sowie M. Petite, avocat,
Streithelferin im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de
Lapuerta, der Richter J. L. da Cruz Vilaça (Berichterstatter),
G. Arestis, J.‑C. Bonichot und A. Arabadjiev,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzlerin: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die
mündliche Verhandlung vom 26. September 2013,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in
der Sitzung vom 19. Dezember 2013
folgendes
Urteil
1 Mit ihrem
Rechtsmittel beantragt die Europäische Kommission die Aufhebung des Urteils des
Gerichts der Europäischen Union vom 2. März 2012, Niederlande und ING
Groep/Kommission (T‑29/10 und T‑33/10, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit
dem das Gericht den Anträgen auf teilweise Nichtigerklärung der Entscheidung
2010/608/EG der Kommission vom 18. November 2009 über die staatliche
Beihilfe C 10/09 (ex N 138/09) der Niederlande – Stützungsfazilität
für illiquide Vermögenswerte zugunsten von ING und Umstrukturierungsplan (ABl.
2010, L 274, S. 139, im Folgenden: streitige Entscheidung)
stattgegeben hat.
Vorgeschichte des Rechtsstreits
2 Die ING Groep
NV (im Folgenden: ING) ist ein Finanzinstitut, das seinen Gesellschaftssitz in
Amsterdam (Niederlande) hat und das Privat-, Unternehmens- und institutionellen
Kunden in mehr als 40 Ländern Bank-, Anlage-, Lebensversicherungs- und
Altersvorsorgedienstleistungen anbietet. ING hält 100 % der Anteile an der
ING Bank NV und an der ING Verzekeringen NV, zwei Tochtergesellschaften, die
ihrerseits die Tochtergesellschaften von ING im Banken- und im
Versicherungsbereich kontrollieren.
3 Wegen der
weltweiten Finanzkrise, die im Jahr 2007 begann und sich im Folgejahr
beträchtlich verschlimmerte, erließ das Königreich der Niederlande verschiedene
Beihilfemaßnahmen zugunsten von ING, von denen insbesondere zwei im Rahmen des
vorliegenden Rechtsmittels relevant sind.
4 Die erste
Beihilfemaßnahme bestand in einer Kapitalerhöhung, die im Wege der Schaffung von
1 Mrd. ING-Wertpapieren durchgeführt wurde, die weder ein Stimmrecht noch einen
Dividendenanspruch gewährten und in vollem Umfang vom Königreich der Niederlande
zum Preis von 10 Euro pro Wertpapier gezeichnet wurden. Dadurch konnte ING ihr
sogenanntes „Core Tier 1“- Kapital (Kategorie 1) um 10 Mrd. Euro
erhöhen. Nach den Rückzahlungsbedingungen, die in der zwischen dem Königreich
der Niederlande und ING in diesem Zusammenhang getroffenen Vereinbarung über die
Zeichnung von Wertpapieren enthalten waren, sollten diese Wertpapiere auf
Initiative von ING entweder zum Stückpreis von 15 Euro (d. h. mit einem
Rückzahlungsagio von 50 % auf den Ausgabepreis) zurückgekauft werden oder
nach drei Jahren in Stammaktien umgewandelt werden. Sollte ING sich für die
Umwandlung entscheiden, hatten die niederländischen Behörden die Möglichkeit,
die Wertpapiere von ING zu einem Stückpreis von 10 Euro zuzüglich Stückzinsen
zurückzukaufen. Die Niederlande sollten nur dann eine Kuponzahlung erhalten,
wenn ING für die Stammaktien Dividenden ausschüttete.
5 Die zweite
Beihilfemaßnahme bestand in einem Cashflow-Swap bezüglich wertgeminderter Aktiva
und betraf ein Portfolio, das durch in den USA gewährte Hypothekendarlehen
besichert war und dessen Wert beträchtlich gesunken war.
6 Am
22. Oktober 2008 notifizierte das Königreich der Niederlande der Kommission
die erste Beihilfemaßnahme, und am 11. November 2008 erfolgte die
Kapitalerhöhung von ING.
7 Am
12. November 2008 erließ die Kommission die Entscheidung C(2008) 6936
in der Sache N 528/08 über eine vom Königreich der Niederlande an ING
gewährte Beihilfe (im Folgenden: ursprüngliche Entscheidung). In dieser
Entscheidung vertrat sie die Auffassung, dass der Kauf von ING-Wertpapieren
durch den niederländischen Staat ein Element einer Beihilfe im Sinne des
Art. 87 Abs. 1 EG enthalte. Diese Maßnahme sei jedoch im Sinne des
Art. 87 Abs. 3 Buchst. b EG mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar,
soweit mit ihr eine durch die weltweite Finanzkrise ausgelöste beträchtliche
Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats behoben werden solle. Daher
genehmigte sie diese Maßnahme für einen Zeitraum von sechs Monaten. Die
Kommission erläuterte, dass die Geltungsdauer der ursprünglichen Entscheidung,
sollten die niederländischen Behörden innerhalb dieses Zeitraums von sechs
Monaten hierzu einen realistischen Plan (im Folgenden: Umstrukturierungsplan)
vorlegen, automatisch bis zur Entscheidung der Kommission über diesen Plan
verlängert werde.
8 Am 4. März
2009 notifizierte das Königreich der Niederlande der Kommission die zweite
Beihilfemaßnahme.
9 Mit Schreiben
vom 31. März 2009 setzte die Kommission das Königreich der Niederlande von
ihrer Entscheidung in Kenntnis, das Verfahren nach Art. 88 Abs. 2 EG
zu eröffnen (ABl. C 158, S. 13), da sie Zweifel an der Vereinbarkeit
einiger Aspekte der Entlastungsmaßnahme für wertgeminderte Aktiva mit der
Mitteilung der Kommission über die Behandlung wertgeminderter Aktiva im
Bankensektor der Gemeinschaft (ABl. 2009, C 72, S. 1) hatte. Durch
diese Entscheidung wurde die Maßnahme dennoch für einen Zeitraum von sechs
Monaten genehmigt. Es hieß darin, dass sich die niederländischen Behörden
verpflichtet hätten, die Entlastungsmaßnahme für wertgeminderte Aktiva in den
Umstrukturierungsplan aufzunehmen, den sie aufgrund der ursprünglichen
Entscheidung vorzulegen hätten.
10 Am 12. Mai 2009
übermittelte das Königreich der Niederlande der Kommission einen
Umstrukturierungsplan für ING. Nach mehrmonatigen Gesprächen legte dieser
Mitgliedstaat der Kommission am 22. Oktober 2009 einen revidierten
Umstrukturierungsplan vor, der u. a. eine Änderung der
Rückzahlungsbedingungen für die vom Königreich der Niederlande am 11. November
2008 gewährte Kapitalzuführung (im Folgenden: Kapitalzuführung) enthielt.
11 Am 18. November 2009
erließ die Kommission die streitige Entscheidung.
12 Im 34. Erwägungsgrund der
streitigen Entscheidung, der zu deren Nr. 2 („Sachverhalt“) gehört,
schilderte die Kommission die Änderung der Rückzahlungsbedingungen wie folgt:
„Im Rahmen des Umstrukturierungsplans haben die
Niederlande eine Änderung der Vereinbarung über die Rückzahlung der
Core-Tier-1-Wertpapiere durch ING vorgelegt. Nach den geänderten Bestimmungen
kann ING bis zu 50 % der Core-Tier-1-Wertpapiere zum Ausgabepreis (10 Euro)
zurückkaufen, zu dem noch die auf der Basis des Jahreskupons von 8,5 %
errechneten Stückzinsen (rund 253 Mio. Euro) und, sollten die ING-Aktien zu
einem Preis von mehr als 10 Euro gehandelt werden, eine
Vorfälligkeitsentschädigung hinzukommen. Die Vorfälligkeitsentschädigung steigt
mit dem Preis der ING-Aktien. Für die Zwecke der Berechnung der
Vorfälligkeitsentschädigung wurde für die Erhöhung des Aktienpreises eine
Obergrenze von 12,45 Euro festgelegt. Bei dieser Höhe beträgt die Entschädigung
13 % jährlich. Die Vorfälligkeitsentschädigung könnte bis zu 705 Mio. Euro
betragen, sollten die 5 Mrd. Euro 400 Tage nach dem Ausgabedatum zurückgezahlt
werden. Die Untergrenze der Entschädigung liegt bei 340 Mio. Euro, wodurch für
die Niederlande ein interner Zinsfuß von mindestens 15 % gewährleistet ist.
Da ING normalerweise eine Vorfälligkeitsentschädigung von 2,5 Mrd. Euro
entrichten müsste, würde diese Änderung für ING einen zusätzlichen Vorteil mit
sich bringen, der je nach Marktpreis der ING-Aktien zwischen 1,79 Mrd. Euro und
2,2 Mrd. Euro liegen würde. …“
13 Im 98. Erwägungsgrund der
streitigen Entscheidung stellte die Kommission fest, dass diese Änderung der
Konditionen für die Rückzahlung des zugeführten Kapitals eine „zusätzliche
Beihilfe in Höhe von 2 Mrd. Euro“ nach sich ziehe, war aber im 157.
Erwägungsgrund dieser Entscheidung der Auffassung, dass diese zusätzliche
Beihilfemaßnahme nach Art. 87 Abs. 3 Buchst. b EG für mit dem
Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt werden sollte.
14 Daher sah Art. 2 der
streitigen Entscheidung vor:
„Die ING von den Niederlanden gewährte
Umstrukturierungsbeihilfe stellt eine staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel
87 Absatz 1 EG-Vertrag dar.
Vorbehaltlich der in Anhang II aufgeführten
Verpflichtungszusagen ist die Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar.
Die vorübergehende Beschränkung des Bilanzwachstums, die
mit der [ursprünglichen Entscheidung] auferlegt worden war, wird aufgehoben.“
Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes
Urteil
15 Mit Klageschriften, die
am 28. Januar 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingingen, erhoben das
Königreich der Niederlande und ING ihre Klagen in den Rechtssachen T‑29/10 und
T‑33/10.
16 Mit Beschluss des
Präsidenten der Dritten Kammer des Gerichts vom 15. März 2010 wurden die
Rechtssachen T‑29/10 und T‑33/10 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen
Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
17 Mit Beschluss vom 14.
Juli 2010 ließ das Gericht De Nederlandsche Bank NV (im Folgenden: DNB) als
Streithelferin zur Unterstützung der Anträge von ING zu.
18 Mit dem angefochtenen
Urteil hat das Gericht den drei Klagegründen des Königreichs der Niederlande und
dem ersten Klagegrund von ING stattgegeben. Infolgedessen hat es Art. 2
Abs. 1 und 2 der streitigen Entscheidung und Anhang II dieser Entscheidung
für nichtig erklärt.
19 Im Rahmen der Prüfung
dieser Klagegründe war das Gericht insbesondere der Auffassung, dass sich die
Kommission ihrer Verpflichtung, die wirtschaftliche Vernünftigkeit der Änderung
der Rückzahlungsbedingungen anhand des Kriteriums des privaten Kapitalgebers zu
prüfen, nicht mit der bloßen Begründung habe entziehen können, dass die
Kapitalzuführung, um deren Rückzahlung es gehe, als solche bereits eine
staatliche Beihilfe darstelle.
Entwicklungen nach Verkündung des angefochtenen
Urteils
20 In Anbetracht des
angefochtenen Urteils erließ die Kommission am 11. Mai 2012 den Beschluss
C(2012) 3150 final – Staatliche Beihilfe SA.28855 (N 373/2009) (ex
C 10/2009 und ex N 528/2009) – Niederlande – ING –
Umstrukturierungsbeihilfe (im Folgenden: neuer Beschluss). In diesem Beschluss
prüfte die Kommission die Änderung der Bedingungen für die Rückzahlung der
Kapitalzuführung anhand des Kriteriums des privaten Kapitalgebers und gelangte
zu der Auffassung, dass ein marktwirtschaftlich handelnder privater Kapitalgeber
diese neuen Bedingungen nicht akzeptiert hätte. Die Kommission entschied daher,
dass diese Änderung eine staatliche Beihilfe darstelle, die allerdings im
Hinblick auf die vom Königreich der Niederlande abgegebenen
Verpflichtungszusagen mit dem Binnenmarkt vereinbar sei.
21 Mit zwei am 23. Juli 2012
beim Gericht erhobenen Klagen (Rechtssachen T‑325/12 und T‑332/12) beantragten
das Königreich der Niederlande und ING die Nichtigerklärung des neuen
Beschlusses und führten zur Begründung u. a. an, dass die Kommission das
Kriterium des privaten Kapitalgebers falsch angewandt habe. Die Klagen wurden
jedoch von beiden Parteien zurückgenommen, und mit Beschluss des Gerichts vom
6. Dezember 2012, Niederlande und ING Groep/Kommission (T‑325/12 und
T‑332/12), wurden die Rechtssachen im Register des Gerichts gestrichen.
22 Somit ist der neue
Beschluss bestandskräftig geworden.
Anträge der Parteien
23 Die Kommission beantragt
mit ihrem Rechtsmittel,
– das
angefochtene Urteil aufzuheben, die Klage auf teilweise Nichtigerklärung der
streitigen Entscheidung abzuweisen und dem Königreich der Niederlande und ING
die Kosten aufzuerlegen;
– hilfsweise,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die verbundenen Sachen an das Gericht
zurückzuverweisen, damit dieses über den zweiten und den dritten Klagegrund von
ING in der Rechtssache T‑33/10 entscheidet, und die Kostenentscheidung für beide
Rechtszüge vorzubehalten;
– höchst
hilfsweise, Art. 2 Abs. 3 der streitigen Entscheidung für nichtig zu
erklären und dem Königreich der Niederlande und ING die Kosten des Rechtsmittels
aufzuerlegen.
24 Das Königreich der
Niederlande beantragt,
– alle
Rechtsmittelgründe der Kommission zurückzuweisen und ihr die Kosten
aufzuerlegen;
– hilfsweise,
falls der Gerichtshof einem oder mehreren der von der Kommission geltend
gemachten Rechtsmittelgründe stattgeben und das angefochtene Urteil aufheben
sollte, die Sache an das Gericht zurückzuverweisen.
25 ING beantragt,
– das
Rechtsmittel in den angeführten Punkten für unzulässig und/oder ins Leere gehend
zu erklären;
– hilfsweise,
falls das Rechtsmittel für zulässig erklärt werden und wirksam sein sollte, das
Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen;
– der
Kommission die Kosten sowohl des Rechtsmittelverfahrens als auch des Verfahrens
vor dem Gericht aufzuerlegen;
– höchst
hilfsweise, sofern der Gerichtshof dem Rechtsmittel stattgeben und somit das
angefochtene Urteil insgesamt oder teilweise aufheben sollte, die Sache an das
Gericht zurückzuverweisen und die Kostenentscheidung für den ersten und den
zweiten Rechtszug vorzubehalten.
26 DNB beantragt, den ersten
und den vierten Rechtsmittelgrund der Kommission zurückzuweisen.
Zum Rechtsmittel
Zum ersten Rechtsmittelgrund: Fehler des Gerichts,
soweit es entschieden habe, dass das Kriterium des privaten Kapitalgebers auf
die Änderung der Bedingungen für die Rückzahlung einer staatlichen Beihilfe
anwendbar gewesen sei
Vorbringen der Parteien
27 Die Kommission trägt vor,
dass es nur dann angemessen sei, das Kriterium des privaten Kapitalgebers auf
das Verhalten der Behörden anzuwenden, wenn sich Letztere in einer Situation
befänden, die mit derjenigen vergleichbar sei, in der sich private
Wirtschaftsteilnehmer befinden könnten. Ein privater Kapitalgeber könnte sich
aber nie in der Situation befinden, ING eine staatliche Beihilfe gewährt zu
haben.
28 Das Königreich der
Niederlande, ING und DNB halten den ersten Rechtsmittelgrund für unbegründet.
Insbesondere machen sie geltend, dass die Kommission zu Unrecht aus dem Umstand,
dass die Kapitalzuführung eine von diesem Mitgliedstaat hoheitlich gewährte
Beihilfemaßnahme sei, den Schluss gezogen habe, dass weitere Maßnahmen des
Königreichs der Niederlande hinsichtlich dieser Kapitalzuführung nicht mehr
anhand des Kriteriums des privaten Kapitalgebers beurteilt werden könnten.
Würdigung durch den Gerichtshof
29 Vorab ist darauf
hinzuweisen, dass die Erörterung im Verfahren vor dem Gericht nicht die konkrete
Anwendung des Kriteriums des privaten Kapitalgebers auf die Änderung der
Bedingungen für die Rückzahlung der Kapitalzuführung, sondern die Anwendbarkeit
dieses Kriteriums betraf.
30 Hierzu ist darauf
hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Rn. 92 des Urteils vom 5. Juni
2012, Kommission/EDF (C‑124/10 P), entschieden hat, dass angesichts der mit
Art. 87 Abs. 1 EG sowie mit dem Kriterium des privaten Kapitalgebers
verfolgten Ziele ein wirtschaftlicher Vorteil, selbst wenn er aus Mitteln
steuerlicher Natur gewährt wird, anhand des Kriteriums des privaten
Kapitalgebers zu beurteilen ist, wenn sich am Ende einer Gesamtwürdigung zeigt,
dass der betroffene Mitgliedstaat diesen Vorteil trotz des Einsatzes
hoheitlicher Mittel in seiner Eigenschaft als Anteilseigner des ihm gehörenden
Unternehmens gewährt hat.
31 Folglich hängt die
Anwendbarkeit des Kriteriums des privaten Kapitalgebers auf eine öffentliche
Intervention nicht von der Form ab, in der der Vorteil gewährt wurde, sondern
von der Einstufung dieser Intervention als Entscheidung, die ein Anteilseigner
des betreffenden Unternehmens getroffen hat.
32 Zudem gehört dieses
Kriterium zu den Faktoren, die die Kommission berücksichtigen muss, um das
Vorliegen einer Beihilfe festzustellen, und stellt somit keine Ausnahme dar, die
nur zur Anwendung kommt, wenn sich ein Mitgliedstaat auf sie beruft und
festgestellt worden ist, dass die in Art. 87 Abs. 1 EG enthaltenen
Merkmale des Begriffs der mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbaren staatlichen
Beihilfe vorliegen (vgl. Urteil Kommission/EDF, Rn. 103).
33 Wenn sich daher erkennen
lässt, dass das Kriterium des privaten Kapitalgebers anwendbar sein kann, hat
die Kommission den betroffenen Mitgliedstaat um alle einschlägigen Informationen
zu ersuchen, um überprüfen zu können, ob die Voraussetzungen für die
Anwendbarkeit und Anwendung dieses Kriteriums erfüllt sind (vgl. Urteil
Kommission/EDF, Rn. 104).
34 Die Anwendung dieser
Rechtsprechung darf nicht durch den bloßen Umstand beeinträchtigt werden, dass
es hier um die Anwendbarkeit des Kriteriums des privaten Kapitalgebers auf eine
Änderung der Bedingungen für den Rückkauf von Wertpapieren geht, die mittels
einer staatlichen Beihilfe erworben wurden.
35 Wie nämlich die
Generalanwältin in Nr. 41 ihrer Schlussanträge betont hat, kann jeder
Inhaber von Wertpapieren gleich welchen Betrags und gleich welcher Art erneute
Verhandlungen über die Bedingungen für ihren Rückkauf anstreben oder
entsprechenden Neuverhandlungen zustimmen. Deshalb ist es sinnvoll, das
diesbezügliche Verhalten des Staates dem Verhalten eines hypothetischen privaten
Kapitalgebers, der sich in einer vergleichbaren Lage befindet,
gegenüberzustellen.
36 Im Rahmen dieses
Vergleichs ist ausschlaggebend, ob die Änderung der Bedingungen für die
Rückzahlung der Kapitalzuführung nach dem Kriterium der wirtschaftlichen
Vernünftigkeit erfolgte, so dass auch ein privater Kapitalgeber in der Lage sein
könnte, eine solche Änderung zu akzeptieren, insbesondere indem die Aussichten
erhöht werden, die Rückzahlung dieser Kapitalzuführung zu erlangen.
37 Unter diesen Umständen
ist die Feststellung des Gerichts in Rn. 99 des angefochtenen Urteils
rechtsfehlerfrei, dass sich die Kommission ihrer Verpflichtung, die
wirtschaftliche Vernünftigkeit der Änderung der Rückzahlungsbedingungen anhand
des Kriteriums des privaten Kapitalgebers zu prüfen, nicht mit der bloßen
Begründung entziehen kann, die Kapitalzuführung, um deren Rückzahlung es gehe,
stelle als solche bereits eine staatliche Beihilfe dar. Es hat daher zu Recht
entschieden, dass die Kommission erst am Ende einer solchen Prüfung in der Lage
ist, zu beurteilen, ob ein zusätzlicher Vorteil im Sinne des Art. 87
Abs. 1 EG gewährt wurde.
38 Der erste
Rechtsmittelgrund ist demnach als unbegründet zurückzuweisen.
Zum zweiten Rechtsmittelgrund: Das Gericht habe den
aus den geänderten Rückzahlungsbedingungen resultierenden Einnahmenausfall des
Mitgliedstaats falsch beurteilt
Vorbringen der Parteien
39 Nach Ansicht der
Kommission ist die Feststellung des Gerichts rechtsfehlerhaft, dass sie – selbst
unter der Annahme, sie habe aufgrund der Änderung der Rückzahlungsbedingungen zu
dem Schluss gelangen können, dass das Königreich der Niederlande einen
Einnahmenausfall erlitten habe – den Betrag dieses behaupteten Einnahmenausfalls
nicht ordnungsgemäß ermittelt habe, da sie die den aufgelaufenen Zinsen
entsprechende Kuponzahlung, die im Rahmen der geänderten Bedingungen
obligatorisch und bedingungsfrei geworden sei, außer Acht gelassen habe.
40 Nach Auffassung des
Königreichs der Niederlande und von ING handelt es sich um eine Frage, die eine
Sachverhaltswürdigung erfordere, die im Rahmen eines Rechtsmittels nicht
überprüft werden könne.
Würdigung durch den Gerichtshof
41 Mit ihrem zweiten
Rechtsmittelgrund beanstandet die Kommission im Wesentlichen die Prüfung, die
das Gericht in den Rn. 126 bis 142 des angefochtenen Urteils bezüglich der
Änderung der Bedingungen für die Rückzahlung der Kapitalzuführung in
tatsächlicher Hinsicht vorgenommen hat.
42 In Rn. 135 des
angefochtenen Urteils hat das Gericht festgestellt, dass die Kuponzahlung, die
den zum Zeitpunkt der vorzeitigen Rückzahlung aufgelaufenen Zinsen entsprochen
habe, nach der Änderung der Rückzahlungsbedingungen, anders als nach den
ursprünglichen Bedingungen, nicht mehr von der Ausschüttung einer Dividende an
die Inhaber von Stammaktien abhängig gewesen sei.
43 Hingegen macht die
Kommission geltend, dass ING bereits nach den ursprünglichen
Rückzahlungsbedingungen bei der Rückzahlung der Kapitalzuführung zur Zahlung der
aufgelaufenen Zinsen verpflichtet gewesen sei.
44 Wie die Generalanwältin
in Nr. 47 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ist der Gerichtshof im
Rahmen des Rechtsmittels nicht zur Prüfung befugt, ob die geänderten
Rückzahlungsbedingungen im revidierten Umstrukturierungsplan korrekt
wiedergegeben wurden und inwieweit sie von den ursprünglichen Bedingungen
abwichen.
45 Nach Art. 256
Abs. 1 AEUV und Art. 58 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der
Europäischen Union ist das Rechtsmittel nämlich auf Rechtsfragen beschränkt.
Somit ist für die Feststellung und Beurteilung der relevanten Tatsachen sowie
die Beweiswürdigung allein das Gericht zuständig. Die Würdigung dieser Tatsachen
und dieser Beweismittel ist somit, außer im Fall ihrer Verfälschung, keine
Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofs im Rahmen eines
Rechtsmittels unterläge.
46 Da die Kommission keine
Verfälschung geltend macht, ist der zweite Rechtsmittelgrund somit als
unzulässig zurückzuweisen.
Zum dritten Rechtsmittelgrund: Fehler des Gerichts,
da es nicht berechtigt gewesen sei, Art. 2 Abs. 1 der streitigen
Entscheidung insgesamt für nichtig zu erklären
Vorbringen der Parteien
47 Die Kommission macht
geltend, das Gericht sei, selbst wenn sie die geänderten Rückzahlungsbedingungen
zu Unrecht als staatliche Beihilfe angesehen oder den Beihilfebetrag falsch
beziffert haben sollte, nicht berechtigt gewesen, Art. 2 Abs. 1 der
streitigen Entscheidung insgesamt für nichtig zu erklären.
48 Da das Gericht nämlich
zum einen eingeräumt habe, dass die in Art. 2 Abs. 1 der streitigen
Entscheidung erwähnte Umstrukturierungsbeihilfe nicht zwischen den verschiedenen
Elementen dieser Beihilfe unterscheide, und zum anderen die in dieser
Entscheidung erfolgte Einstufung der Kapitalzuführung und der
Entlastungsmaßnahme für wertgeminderte Aktiva als staatliche Beihilfe nicht
beanstandet habe, habe es gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen,
als es Art. 2 Abs. 1 insgesamt für nichtig erklärt habe.
49 Jedenfalls habe das
Gericht Art. 2 Abs. 1 der streitigen Entscheidung nicht für nichtig
erklären dürfen, da diese Bestimmung nur bestätigend sei.
50 Nach Auffassung des
Königreichs der Niederlande und von ING blieb dem Gerichts nichts anderes übrig,
als Art. 2 Abs. 1 der streitigen Entscheidung insgesamt für nichtig zu
erklären, da diese Bestimmung nur allgemein auf die „Umstrukturierungsbeihilfe“
Bezug genommen habe, zu der die angeblich aus der Änderung der
Rückzahlungsbedingungen resultierende Beihilfe gehört habe. Das Gericht habe
nämlich entschieden, dass die Beurteilung dieser Änderung nicht von den anderen
Teilen des Rechtsakts getrennt werden könne.
Würdigung durch den Gerichtshof
51 Um über die Begründetheit
dieses Rechtsmittelgrundes entscheiden zu können, ist zu prüfen, ob das Gericht
richtig beurteilt hat, wie sich der Fehler, mit dem die streitige Entscheidung
seines Erachtens behaftet war, weil darin festgestellt worden sei, dass die
Änderung der Bedingungen für die Rückzahlung des zugeführten Kapitals eine
zusätzliche Beihilfe beinhalte, auf den verfügenden Teil dieser Entscheidung,
insbesondere auf Art. 2 Abs. 1, auswirken konnte.
52 Nach Art. 2
Abs. 1 der streitigen Entscheidung „[stellt] [d]ie ING von den Niederlanden
gewährte Umstrukturierungsbeihilfe … eine staatliche Beihilfe …
dar“.
53 Anhand der Antworten der
Kommission auf die schriftlichen Fragen des Gerichts hat das Gericht
festgestellt, dass sich die in der streitigen Entscheidung genannte Beihilfe von
17 Mrd. Euro wie folgt zusammensetze: erstens aus dem Betrag der Beihilfe,
die sich aus der Kapitalzuführung ergebe, nämlich 10 Mrd. Euro, zweitens
aus dem Betrag der Beihilfe, die sich aus der Änderung der
Rückzahlungsbedingungen ergebe, nämlich etwa 2 Mrd. Euro, und drittens aus dem
Betrag der Beihilfe, die sich aus der Entlastungsmaßnahme für wertgeminderte
Aktiva ergebe, nämlich 5 Mrd. Euro.
54 Das Gericht ist daher in
Rn. 152 des angefochtenen Urteils zu Recht davon ausgegangen, dass die
zusätzliche Beihilfe, d. h. jene Beihilfe, die der Änderung der
Rückzahlungsbedingungen entspreche, ein konstitutives Element der
„Umstrukturierungsbeihilfe“ darstelle, die in Art. 2 Abs. 1 des
verfügenden Teils der streitigen Entscheidung genannt sei, wo nicht zwischen den
verschiedenen Elementen dieser Beihilfe unterschieden werde.
55 Auf dieser Grundlage ist
das Gericht in Rn. 153 des angefochtenen Urteils zu dem Ergebnis gelangt,
dass Art. 2 Abs. 1 der streitigen Entscheidung angesichts der Fehler,
mit denen die in dieser Entscheidung vorgenommene Einstufung als zusätzliche
Beihilfe behaftet sei, in vollem Umfang für nichtig zu erklären sei, da er von
der Feststellung ausgehe, dass die Änderung der Rückzahlungsbedingungen eine
zusätzliche Beihilfe von etwa 2 Mrd. Euro beinhalte.
56 Die Kommission wirft dem
Gericht im Wesentlichen vor, sich nicht darauf beschränkt zu haben, Art. 2
Abs. 1 der streitigen Entscheidung teilweise für nichtig zu erklären. Ihrer
Ansicht nach war eine solche Nichtigerklärung möglich, da die Beurteilung der
Beihilfemaßnahme der Änderung der Rückzahlungsbedingungen von der Beurteilung
der anderen konstitutiven Elemente der Umstrukturierungsbeihilfe zu trennen war.
57 Hierzu ist darauf
hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die teilweise Nichtigerklärung
eines Rechtsakts der Union nur möglich ist, soweit sich die Teile, deren
Nichtigerklärung beantragt wird, vom Rest des Rechtsakts trennen lassen. Dieses
Erfordernis der Trennbarkeit ist nicht erfüllt, wenn die teilweise
Nichtigerklärung eines Rechtsakts zur Folge hätte, dass der Wesensgehalt dieses
Aktes verändert würde (Urteile vom 24. Mai 2005, Frankreich/Parlament und
Rat, C‑244/03, Slg. 2005, I‑4021, Rn. 12 und 13, sowie vom 6. Dezember
2012, Kommission/Verhuizingen Coppens, C‑441/11 P, Rn. 38).
58 Im vorliegenden Fall
hätte die teilweise Nichtigerklärung von Art. 2 Abs. 1 der streitigen
Entscheidung angesichts der Unmöglichkeit, den genauen Betrag der zusätzlichen
Beihilfe festzulegen, zur Folge gehabt, dass der Wesensgehalt dieser
Entscheidung verändert worden wäre.
59 Im 34. Erwägungsgrund der
streitigen Entscheidung ist die Kommission nämlich zu dem Ergebnis gelangt, dass
die Höhe der Änderung der Bedingungen für die Rückzahlung des zugeführten
Kapitals für ING einen zusätzlichen Vorteil mit sich bringen würde, der je nach
Marktpreis der ING-Aktien zwischen 1,7 Mrd. Euro und 2,2 Mrd. Euro liegen
würde.
60 Das Gericht hat hingegen
in Rn. 140 des angefochtenen Urteils entschieden, dass sich der für den
niederländischen Staat aus der Änderung der Rückzahlungsbedingungen
resultierende Einnahmenverzicht selbst unter der Annahme, dass die von der
Kommission vorgenommene Einstufung als zusätzliche Beihilfe zutreffe, nicht auf
einen Betrag von etwa 2 Mrd. Euro belaufen könne, sondern auf einen entsprechend
dem Betrag der zum Zeitpunkt der Rückzahlung aufgelaufenen Zinsen zwangsläufig
geringeren Betrag.
61 Gerade auf der Grundlage
des Gesamtbetrags von 17 Mrd. Euro gelangte die Kommission aber zu dem
Schluss, dass die Beihilfe für die Umstrukturierung von ING 5 % der
risikogewichteten Vermögenswerte von ING entspreche. Außerdem stellte die
Kommission unter Heranziehung dieses Schwellenwerts von 5 % der
risikogewichteten Vermögenswerte als Indikator für das Ausmaß der Beihilfe im
141. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung fest, dass ING „einen
erheblichen Beihilfebetrag“ erhalten habe.
62 In den Rn. 154 und
156 des angefochtenen Urteils hat das Gericht festgestellt, dass die zusätzliche
Beihilfe daher integraler Bestandteil der Prüfung durch die Kommission gewesen
sei, als sie über die Vereinbarkeit der Umstrukturierungsbeihilfe mit dem
Gemeinsamen Markt und insbesondere über die Bestimmung des für die
Vereinbarkeitserklärung der Beihilfe erforderlichen Maßes an
Verpflichtungszusagen entschieden habe.
63 Zu letzterem
Gesichtspunkt hat das Gericht in Rn. 158 des angefochtenen Urteils
klargestellt, dass sich aus der streitigen Entscheidung eindeutig ergebe, dass
die Kommission die Frage des Umfangs der Ausgleichsmaßnahmen in Anbetracht der
Auswirkungen der Umstrukturierungsbeihilfe geprüft habe, die sich aus der
Beihilfe der Kapitalzuführung, der Beihilfe der Änderung der
Rückzahlungsbedingungen und der Beihilfe der Entlastungsmaßnahme für
wertgeminderte Aktiva zusammensetze, d. h. in Anbetracht einer Beihilfe in
Höhe von insgesamt 17 Mrd. Euro.
64 Das Gericht hat daher zu
Recht entschieden, dass sich die zusätzliche Beihilfe nicht vom verfügenden Teil
und von der ihn stützenden Begründung trennen lässt.
65 Außerdem macht die
Kommission geltend, dass Art. 2 Abs. 1 der streitigen Entscheidung
nicht für nichtig habe erklärt werden dürfen, da diese Bestimmung lediglich die
ursprüngliche Entscheidung bestätigt habe.
66 Hierzu geht aus der
ursprünglichen Entscheidung hervor, dass die Kommission den „Kauf der
ING-Wertpapiere durch den niederländischen Staat“ als „Notmaßnahme angesichts
der Finanzkrise für einen Zeitraum von sechs Monaten“ genehmigt hat. Am Ende
dieses Zeitraums müsse die Maßnahme überprüft werden.
67 Es handelte sich daher um
eine vorläufige Maßnahme, die durch außergewöhnliche Umstände gerechtfertigt war
und deren Gültigkeit daran gekoppelt war, dass die niederländischen Behörden
einen Plan für die langfristige Rentabilität von ING vorlegen. Sollte ein
solcher Plan vorgelegt werden, würde die Maßnahme automatisch bis zur
Entscheidung der Kommission über diesen Plan verlängert.
68 Im Übrigen hatte die
ursprüngliche Entscheidung nur die Beihilfemaßnahme der Kapitalzuführung in Höhe
von 10 Mrd. Euro zum Gegenstand; es wurde darin nicht auf die übrigen
Maßnahmen betreffend die zusätzliche Beihilfe und die Entlastung für
wertgeminderte Aktiva Bezug genommen.
69 Zwar ist nach der
Rechtsprechung ein rein bestätigender Rechtsakt nicht mit einer
Nichtigkeitsklage anfechtbar (vgl. insbesondere Urteil vom 9. Dezember 2004,
Kommission/Greencore, C‑123/03 P, Slg. 2004, I‑11647, Rn. 39), doch
hat der Gerichtshof auch entschieden, dass ein Rechtsakt lediglich einen bereits
bestehenden Rechtsakt bestätigt, wenn er ihm gegenüber nichts Neues enthält
(vgl. Urteile vom 10. Dezember 1980, Grasselli/Kommission, 23/80, Slg. 1980,
3709, Rn. 18, und vom 14. September 2006, Kommission/Fernández Gómez,
C‑417/05 P, Slg. 2006, I‑8481, Rn. 46).
70 Die streitige
Entscheidung bestätigte aber nicht lediglich, was in der ursprünglichen
Entscheidung genehmigt worden war, sondern genehmigte eine umfassende Beihilfe
für die Umstrukturierung von ING, die drei Beihilfemaßnahmen umfasste und deren
Höhe sich auf 17 Mrd. Euro belief.
71 Die Vorprüfung einer
einzigen Beihilfemaßnahme, die in der Ausnahmesituation einer weltweiten
Finanzkrise erfolgte, die den Erlass von Notmaßnahmen erforderlich machte, kann
nämlich nicht denselben Kriterien unterliegen wie eine endgültige Entscheidung
über die Vereinbarkeit von drei einen erheblich höheren Betrag betreffenden
Beihilfemaßnahmen mit dem Binnenmarkt.
72 Die streitige
Entscheidung enthält daher gegenüber der ursprünglichen Entscheidung mehrere
neue Elemente, die ihrer Einstufung als „bestätigender Rechtsakt“
entgegenstehen.
73 Nach alledem ist der
dritte Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.
Zum vierten Rechtsmittelgrund: Das Gericht sei
rechtsfehlerhaft zu dem Ergebnis gekommen, dass Art. 2 Abs. 2 der
streitigen Entscheidung deswegen rechtswidrig sei, weil die Kommission die
geänderten Rückzahlungsbedingungen zu Unrecht als „staatliche Beihilfe“
eingestuft habe
Vorbringen der Parteien
74 Die Kommission wirft dem
Gericht vor, aus der Feststellung eines ihre Bewertung der zusätzlichen Beihilfe
beeinträchtigenden Fehlers auf eine Auswirkung auf die Verpflichtungszusagen
geschlossen zu haben, die erforderlich gewesen seien, um die
Umstrukturierungsbeihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar zu erklären.
Das Gericht habe somit zu Unrecht entschieden, dass die von den niederländischen
Behörden angebotenen Verpflichtungszusagen, nachdem die Beihilfe der geänderten
Rückzahlungsmodalitäten überbewertet worden sei, über das Minimum hinausgegangen
sein könnten, das erforderlich gewesen sei, damit die Beihilfe zugunsten von ING
mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sei.
75 In diesem Zusammenhang
macht die Kommission geltend, dass sie nicht befugt sei, die von einem
Mitgliedstaat im Zusammenhang mit einer notifizierten Beihilfe gemachten
Verpflichtungszusagen mit der Begründung zurückzuweisen, dass sie über das
hinausgingen, was erforderlich sei, damit eine staatliche Beihilfe mit dem
Gemeinsamen Markt vereinbar sei. Da die vom Königreich der Niederlande
angebotenen Verpflichtungszusagen genügt hätten, damit die Kapitalzuführung, die
Entlastungsmaßnahme für wertgeminderte Aktiva und die Änderung der
Rückzahlungsbedingungen als Ganzes mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar seien,
hätten sie folglich auch genügt, damit zwei dieser Maßnahmen mit dem Gemeinsamen
Markt vereinbar seien.
76 Das Königreich der
Niederlande und ING betonen, hierbei unterstützt von DNB, dass sie die
betreffenden Verpflichtungszusagen deswegen angeboten hätten, weil ihnen die
Kommission zu verstehen gegeben habe, dass sie keine günstige Entscheidung
erlassen werde, wenn diese Mindestausgleichsmaßnahmen nicht angeboten würden.
Daher könne die Kommission nicht geltend machen, dass ihr diese
Verpflichtungszusagen nicht zurechenbar seien.
Würdigung durch den Gerichtshof
77 Zunächst ist
festzustellen, dass sich entsprechend den Ausführungen der Generalanwältin in
Nr. 64 ihrer Schlussanträge aus der Schilderung des Verwaltungsverfahrens,
das zum Erlass der streitigen Entscheidung geführt hat, in den Rn. 9 bis 37
des angefochtenen Urteils des Gerichts ergibt, dass die Kommission wiederholt
die von ihr für notwendig erachteten Maßnahmen aufgezeigt und erklärt hat, dass
der Umstrukturierungsplan ohne diese Maßnahmen nicht genehmigt werde.
78 In Rn. 14 des
angefochtenen Urteils hat das Gericht nämlich festgestellt, dass die Kommission
bei einem am 24. April 2009 zwischen der Kommission, dem Königreich der
Niederlande, ING und DNB abgehaltenen Treffen darauf hingewiesen habe, dass die
betreffenden Beihilfemaßnahmen „nicht genehmigt würden“, wenn ING nicht bereit
sei, „erhebliche Umstrukturierungsmaßnahmen zu akzeptieren, um ihre Rentabilität
wiederherzustellen und die verursachten Wettbewerbsverzerrungen zu
verringern“.
79 Weiter hat das Gericht in
Rn. 29 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass ING der Kommission am
12. Oktober 2009 einen weiteren Umstrukturierungsplan vorgelegt habe, in dem
„mehrfach auf die Vorschläge Bezug genommen [wird], die das für
Wettbewerbsfragen zuständige Kommissionsmitglied in der E‑Mail vom 6. Oktober
2009 unterbreitet hat. Insbesondere waren in diesem Plan verschiedene
Veräußerungen, die zu einer Verringerung der Bilanzsumme von ING um 45 %,
d. h. um nahezu das Dreifache dessen, was in dem am 12. Mai 2009
vorgelegten Umstrukturierungsplan vorgeschlagen worden war, führen sollten, ein
Übernahmeverbot und Verhaltensverpflichtungen, wie sie die Kommission verlangt
hatte, vorgesehen“.
80 Aus dieser
Tatsachenwürdigung geht entgegen dem Vorbringen der Kommission hervor, dass die
in Anhang II der streitigen Entscheidung angeführten Verpflichtungszusagen nicht
einfach das Ergebnis einseitiger Angebote des Königreichs der Niederlande und
von ING waren, mit denen die Kommission nichts zu tun hatte. Das Gericht ist im
Gegenteil zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Verpflichtungszusagen zum großen
Teil auf die Anforderungen zurückgingen, die die Kommission im
Verwaltungsverfahren an das Königreich der Niederlande und ING gestellt
habe.
81 Unter diesen Umständen
steht das Vorbringen der Kommission im Rahmen dieses Rechtsmittelgrundes, wonach
sie nicht in der Lage gewesen sei, die vom Königreich der Niederlande und von
ING angebotenen Verpflichtungszusagen zu beeinflussen, im Widerspruch zu den
Tatsachenfeststellungen des Gerichts.
82 Eine inhaltliche Prüfung
dieses Rechtsmittelgrundes würde somit eine erneute Würdigung der betreffenden
Tatsachen voraussetzen. Angesichts des Umstands, dass die Kommission keine
Verfälschung der Tatsachen durch das Gericht geltend gemacht hat, und aus den in
Rn. 45 des vorliegenden Urteils genannten Gründen ist aber der Gerichtshof
im Rahmen des Rechtsmittels nicht zu einer solchen Würdigung befugt.
83 Der vierte
Rechtsmittelgrund ist daher als unzulässig zurückzuweisen.
Zum fünften Rechtsmittelgrund: Verstoß des Gerichts
gegen den Grundsatz ne ultra petita
Vorbringen der Parteien
84 Die Kommission macht
geltend, dass die vom Königreich der Niederlande und von ING beim Gericht
eingereichten Klageschriften in den Rechtssachen T‑29/10 bzw. T‑33/10 keinen
Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 2 Abs. 2 der streitigen
Entscheidung und deren Anhang enthielten. Das Gericht habe durch die
Nichtigerklärung dieser Bestimmungen den Gegenstand der bei ihm erhobenen Klagen
rechtswidrig erweitert und habe daher ultra petita entschieden.
85 Das Königreich der
Niederlande und ING widersprechen dieser Schlussfolgerung.
Würdigung durch den Gerichtshof
86 Zunächst ist darauf
hinzuweisen, dass ING mit ihrem ersten Klagegrund in der Rechtssache T‑33/10 die
Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung beantragt hatte, soweit darin die
Auffassung vertreten worden sei, dass die „Änderung der CT1-Transaktion eine
(zusätzliche) Beihilfe“ darstelle.
87 Aus der von ING beim
Gericht erhobenen Nichtigkeitsklage geht jedoch hervor, dass zum einen die
„CT1-Transaktion“ der zwischen ING und dem Königreich der Niederlande
getroffenen Vereinbarung entsprach, die eine Zuführung von 10 Mrd. Euro
CT1-Kapital (Core Tier-1-Kapital) zum Gegenstand hatte, und zum anderen die
Änderung dieser Transaktion in der Änderung der Bedingungen für die Rückzahlung
der Kapitalzuführung bestand.
88 Somit beantragte ING mit
ihrem ersten Klagegrund die Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung, soweit
diese Änderung darin als zusätzliche Beihilfe angesehen wurde. Dieser Antrag
betraf somit nicht einen einzelnen Artikel oder Absatz des verfügenden Teils der
streitigen Entscheidung.
89 Außerdem hat das Gericht
in Rn. 147 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass „ING … mit
ihrem ersten Antrag im Wesentlichen die Nichtigerklärung des Art. 2
Abs. 1 der [streitigen] Entscheidung sowie des Art. 2 Abs. 2 und
des Anhangs II dieser Entscheidung beantragt, soweit die Kommission
festgestellt hat, dass die Änderung der Rückzahlungsbedingungen eine zusätzliche
Beihilfe in Höhe von 2 Mrd. Euro beinhalte“.
90 Nach alledem kann der von
der Kommission geltend gemachte Rechtsmittelgrund, wonach das Gericht durch die
Nichtigerklärung von Art. 2 Abs. 2 und Anhang II der streitigen
Entscheidung ultra petita entschieden habe, keinen Erfolg haben.
91 Der fünfte
Rechtsmittelgrund ist deshalb als unbegründet zurückzuweisen.
Zum sechsten, hilfsweise geltend gemachten
Rechtsmittelgrund: Wenn das Gericht Art. 2 Abs. 1 und 2 der streitigen
Entscheidung zu Recht für nichtig erklärt habe, hätte es auch Art. 2
Abs. 3 für nichtig erklären müssen
Vorbringen der Parteien
92 Die Kommission trägt vor,
dass im 30. Erwägungsgrund der ursprünglichen Entscheidung die
Verpflichtungszusage des Königreichs der Niederlande und von ING festgehalten
worden sei, wonach ING das Wachstum ihrer Bilanzsumme beschränken werde, um die
durch die Kapitalzuführung verursachte Wettbewerbsverzerrung zu begrenzen.
Angesichts der Verpflichtungszusagen, auf denen die in der streitigen
Entscheidung getroffene Feststellung beruht habe, dass die Beihilfe mit dem
Binnenmarkt vereinbar sei, habe sie aber in Art. 2 Abs. 3 dieser
Entscheidung entschieden, die vorübergehende Beschränkung des Bilanzwachstums
von ING aufzuheben.
93 Nach Ansicht der
Kommission hätte ING, falls das Gericht die Würdigung und die
Verpflichtungszusagen, auf denen Art. 2 Abs. 2 und Anhang II der
streitigen Entscheidung beruhten, zu Recht für nichtig erklärt habe,
zwangsläufig nicht von den Beschränkungen des Bilanzwachstums befreit werden
dürfen, denen sie vor Erlass dieser Entscheidung unterlegen habe. Denn die
Feststellung der Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Binnenmarkt im Licht der in
Anhang II der streitigen Entscheidung genau aufgeführten Verpflichtungszusagen
und die Aufhebung der Beschränkungen des Bilanzwachstums stellten eine
untrennbare Einheit dar.
94 Das Königreich der
Niederlande macht geltend, dass die Frage, ob die Nichtigerklärung von
Art. 2 Abs. 1 und 2 der streitigen Entscheidung auch die
Nichtigerklärung von Art. 2 Abs. 3 zur Folge haben müsse, eine
inhaltliche Bewertung voraussetze, die das Gericht ohne entsprechenden Antrag
nicht habe vornehmen können. Nach Ansicht des Königreichs der Niederlande kann
der Gerichtshof diese Bewertung nicht im Rahmen eines Rechtsmittels vornehmen,
da es sich um eine Tatsachenwürdigung handle.
95 Nach Auffassung von ING
ist dieser Rechtsmittelgrund offensichtlich unzulässig, da die Kommission vor
dem Gericht nie einen entsprechenden Antrag gestellt habe und daher auch jetzt
keinen solchen Antrag stellen könne.
Würdigung durch den Gerichtshof
96 Mit diesem
Rechtsmittelgrund wirft die Kommission dem Gericht im Wesentlichen vor, auf die
Nichtigerklärung von Art. 2 Abs. 1 und 2 der streitigen Entscheidung
hin nicht von Amts wegen den Gesichtspunkt der Nichtigerklärung von Art. 2
Abs. 3 geprüft zu haben.
97 Hierzu ist festzustellen,
dass das Gericht die von der Kommission aufgeworfene Frage nicht von Amts wegen
prüfen konnte, ohne ultra petita zu entscheiden, da nicht davon
ausgegangen werden kann, dass diese Frage zwingendes Recht berührt (vgl. in
diesem Sinne Urteile vom 1. Juni 2006, P & O European Ferries
[Vizcaya] und Diputación Foral de Vizcaya/Kommission, C‑442/03 P und
C‑471/03 P, Slg. 2006, I‑4845, Rn. 45, sowie vom 10. Dezember 2013,
Kommission/Irland u. a., C‑272/12 P, Rn. 28).
98 Folglich ist der sechste
Rechtsmittelgrund als unzulässig zurückzuweisen.
99 Da keiner der sechs von
der Kommission zur Stützung ihres Rechtsmittels geltend gemachten
Rechtsmittelgründe durchgreift, ist ihr Rechtsmittel insgesamt
zurückzuweisen.
Kosten
100 Nach Art. 184 Abs. 2
seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das
Rechtsmittel unbegründet ist. Nach Art. 138 Abs. 1 der
Verfahrensordnung, der gemäß deren Art. 184 Abs. 1 auf das
Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag
zur Tragung der Kosten zu verurteilen.
101 Da
das Königreich der Niederlande und ING die Verurteilung der Kommission beantragt
haben und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten
aufzuerlegen.
102 Nach Art. 140 Abs. 1 der
Verfahrensordnung, der gemäß Art. 184 Abs. 1 ebenfalls auf das
Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist zu entscheiden, dass DNB ihre
eigenen Kosten trägt.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof
(Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
1. Das Rechtsmittel
wird zurückgewiesen.
2. Die Europäische
Kommission trägt die Kosten.
3. De Nederlandsche
Bank NV trägt ihre eigenen Kosten.
Unterschriften