SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
Juliane Kokott
vom 16. Februar 2017(1)
Rechtssache C‑74/16
Congregación de Escuelas Pías Provincia
Betania
gegen
Ayuntamiento de Getafe
(Vorabentscheidungsersuchen des Juzgado de lo
Contencioso-administrativo n 4 de Madrid [Verwaltungsgericht
Nr. 4 Madrid, Spanien])
„Wettbewerb – Staatliche Beihilfen – Art. 107
Abs. 1 AEUV – Spanische Steuer auf Bauwerke, Einrichtungen und Baumaßnahmen
– Steuerbefreiung für die katholische Kirche – Abgrenzung zwischen
wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Betätigung der katholischen Kirche –
Tätigkeiten der katholischen Kirche, mit denen kein strikt religiöser Zweck
verfolgt wird – Tätigkeiten im Rahmen des sozialen, kulturellen oder
bildungspolitischen Auftrags der katholischen Kirche – Kirchen, religiöse
Vereinigungen und religiöse Gemeinschaften – Art. 17 AEUV – Art. 351
AEUV“
I – Einleitung
1. Stellt es eine
nach Art. 107 Abs. 1 AEUV verbotene staatliche Beihilfe dar, wenn ein
Mitgliedstaat eine Religionsgemeinschaft von bestimmten Steuern freistellt, und
zwar auch für Tätigkeiten, die keinen strikt religiösen Zweck haben? Dies ist im
Kern die Frage, um deren Klärung der Gerichtshof im vorliegenden Fall von einem
spanischen Gericht ersucht wird.
2. Die Frage
stellt sich vor dem Hintergrund diverser Steuerbefreiungen, die das Königreich
Spanien der katholischen Kirche kraft eines 1979 geschlossenen völkerrechtlichen
Abkommens mit dem Heiligen Stuhl gewährt. Unter Berufung auf dieses Abkommen
möchte die katholische Kirche im vorliegenden Fall als Trägerin einer
kirchlichen Schule die Erstattung einer Gemeindesteuer erwirken, welche sie
anlässlich von Bauarbeiten an einem Schulgebäude zu entrichten hatte.
3. Da das
Wettbewerbsrecht der Union nur auf Unternehmen Anwendung findet, steht und fällt
die Lösung dieses Falles mit der nicht immer einfachen Abgrenzung zwischen
wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Betätigung. Dass speziell der
Bildungssektor an der Schnittstelle zwischen unternehmerischen und sozialen, ja
sogar kulturellen Aufgaben steht, ist bereits aus früheren Urteilen(2)
hinlänglich bekannt.
4. Eine neue
Dimension erlangt die Problematik aber im vorliegenden Fall dadurch, dass sie
letztlich das Verhältnis zwischen Staat und Kirche berührt, dem das
Unionsprimärrecht mit Art. 17 AEUV besondere Aufmerksamkeit schenkt.
Angesichts der häufig sehr leidenschaftlich geführten Debatte über die Rolle von
Religion und Religionsgemeinschaften in einer modernen europäischen
Gesellschaft(3)
könnte der vorliegende Fall aktueller nicht sein. Die aufgeworfenen Rechtsfragen
dürften weit über Spanien hinaus auch für zahlreiche andere Mitgliedstaaten von
großem Interesse sein.
5. Da das
Abkommen Spaniens mit dem Heiligen Stuhl aus der Zeit vor dem Beitritt Spaniens
zu den Europäischen Gemeinschaften stammt, sind bei der Lösung des Falles ferner
die Art. 108 und 351 AEUV zu berücksichtigen.
II – Rechtlicher Rahmen
A – Unionsrecht
6. Der
unionsrechtliche Rahmen dieses Falles wird durch Art. 107 Abs. 1 AEUV
bestimmt, der im Titel VII Kapitel 1 des AEU-Vertrags enthalten ist
(„Wettbewerbsregeln“):
„Soweit in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt
ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich
welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder
Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem
Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten
beeinträchtigen.“
7. Daneben ist
auf Art. 17 Abs. 1 AEUV hinzuweisen, der sich im Ersten Teil
Titel II („Allgemein geltende Bestimmungen“) des AEU-Vertrags befindet und
wie folgt abgefasst ist:
„Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse
Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren
Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht.“
8. Schließlich
ist Art. 351 AEUV von Belang, eine Vorschrift aus dem Siebten Teil des
AEU-Vertrags („Allgemeine und Schlussbestimmungen“):
„Die Rechte und Pflichten aus Übereinkünften, die vor dem
1. Januar 1958 oder, im Falle später beigetretener Staaten, vor dem Zeitpunkt
ihres Beitritts zwischen einem oder mehreren Mitgliedstaaten einerseits und
einem oder mehreren dritten Ländern andererseits geschlossen wurden, werden
durch die Verträge nicht berührt.
Soweit diese Übereinkünfte mit den Verträgen nicht
vereinbar sind, wenden der oder die betreffenden Mitgliedstaaten alle geeigneten
Mittel an, um die festgestellten Unvereinbarkeiten zu beheben.
Erforderlichenfalls leisten die Mitgliedstaaten zu diesem Zweck einander Hilfe;
sie nehmen gegebenenfalls eine gemeinsame Haltung ein.
Bei Anwendung der in Absatz 1 bezeichneten
Übereinkünfte tragen die Mitgliedstaaten dem Umstand Rechnung, dass die in den
Verträgen von jedem Mitgliedstaat gewährten Vorteile Bestandteil der Errichtung
der Union sind und daher in untrennbarem Zusammenhang stehen mit der Schaffung
gemeinsamer Organe, der Übertragung von Zuständigkeiten auf diese und der
Gewährung der gleichen Vorteile durch alle anderen Mitgliedstaaten.“
B – Völkerrecht
9. Das Abkommen
vom 3. Januar 1979 zwischen dem Spanischen Staat und dem Heiligen Stuhl
über wirtschaftliche Angelegenheiten(4)
sieht in seinem Art. IV Abs. 1 Buchst. B Unterabs. 1 für
Grundstücke der katholischen Kirche eine „vollständige und dauerhafte Befreiung
von Real- und Ertragsteuern sowie von der Einkommensteuer und der
Vermögensteuer“ vor.
10. Wie sich jedoch aus
Unterabs. 2 dieser Bestimmung ergibt, gilt die besagte Steuerbefreiung
„nicht für Einkünfte aus Wirtschaftsbetrieben oder ihren Vermögenswerten, deren
Nutzung Dritten überlassen wurde“, und ebenso wenig „für Kapitalerträge sowie
für Einkünfte, die dem Abzug der Einkommensteuer an der Quelle unterliegen“.
11. In Art. VI des
Abkommens von 1979 ist ein Streitbeilegungsmechanismus enthalten, wonach sich
der Heilige Stuhl und die spanische Regierung verpflichten, Probleme bei der
Auslegung und Anwendung des Abkommens im gegenseitigen Einvernehmen und mit
Rücksicht auf die in dem Abkommen enthaltenen Grundsätze zu lösen.
C – Nationales
Recht
12. Die in Spanien erhobene
Steuer auf Bauwerke, Einrichtungen und Baumaßnahmen(5)
geht auf ein Gesetz von 1988 zurück. Derzeit beruht sie auf Art. 100
Abs. 1 des Gesetzes über die Regelung der örtlichen Finanzen(6)
in der Fassung des Königlichen Legislativdekrets(7)
2/2004 vom 5. März 2004(8).
Es handelt sich um eine indirekte Gemeinderealsteuer, deren Ertrag den
spanischen Gemeinden zufließt.
13. Mit Erlass vom
5. Juni 2001(9)
hat das spanische Finanzministerium klargestellt, dass die Steuer auf Bauwerke,
Einrichtungen und Baumaßnahmen unter Art. IV Abs. 1 Buchst. B des
Abkommens von 1979 fällt. Dieser Erlass von 2001 wurde später durch Erlass vom
15. Oktober 2009(10)
dahingehend präzisiert, dass die besagte Steuerbefreiung nur für die von der
Grundsteuer(11)
ausgenommenen Gebäude gelte, d. h. für Gebäude, die ausschließlich
religiösen Zwecken gewidmet sind(12).
Allerdings wurde der Erlass von 2009 seinerseits mit Urteil der Audiencia
Nacional vom 9. Dezember 2013 für nichtig erklärt, weil er gegen
Art. IV Abs. 1 Buchst. B und gegen Art. VI des Abkommens von
1979 verstoße(13).
III – Sachverhalt und Ausgangsverfahren
14. Die Congregación de
Escuelas Pías Provincia de Betania (Comunidad de Casa de Escuelas Pías de
Getafe, PP. Escolapios)(14)
ist eine Einrichtung der katholischen Kirche und unterliegt als solche dem
Abkommen von 1979. Sie ist Eigentümerin eines Grundstücks in der Gemeinde Getafe
nahe Madrid, auf dem sich die Schule „La Inmaculada“ befindet.
15. Am 4. März 2011
beantragte die Congregación bei der Gemeinde Getafe die Baugenehmigung zur
Renovierung und Erweiterung eines frei stehenden Gebäudes auf jenem Grundstück.
Das besagte Gebäude dient der Schule als Aula. Beabsichtigt war, diese Aula mit
450 Sitzplätzen auszustatten, damit sie für Versammlungen, Kurse, Konferenzen
usw. genutzt werden könne.
16. Die Baugenehmigung wurde
am 28. April 2011 erteilt, wofür die Congregación die Steuer auf Bauwerke,
Einrichtungen und Baumaßnahmen in Höhe von 23 730,41 Euro zu entrichten
hatte.
17. Später stellte die
Congregación allerdings unter Berufung auf Art. IV Abs. 1
Buchst. B des Abkommens von 1979 einen Antrag auf Erstattung der von ihr
bezahlten Steuer.
18. Letzteren Antrag lehnte
die Steuerbehörde(15)
der Gemeinde mit Bescheid vom 6. November 2013 ab. Zur Begründung führte
sie aus, die Steuerbefreiung komme hier nicht zur Anwendung, da es sich um eine
Tätigkeit handle, die nicht im Zusammenhang mit den religiösen Zielen der
katholischen Kirche stehe. Auf den Einspruch der Congregación hin wurde der
ablehnende Bescheid vom Leiter der Steuerbehörde der Gemeinde mit Bescheid vom
27. Februar 2014 bestätigt. Dagegen hat die Congregación am 21. Mai
2014 beim Juzgado de lo Contencioso-administrativo (Verwaltungsgericht)
Nr. 4 von Madrid, dem vorlegenden Gericht, Klage erhoben.
IV – Vorabentscheidungsersuchen und Verfahren
vor dem Gerichtshof
19. Mit Beschluss vom
26. Januar 2016 hat der Juzgado de lo Contencioso-administrativo Nr. 4
von Madrid dem Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV folgende Frage zur
Vorabentscheidung vorgelegt:
Verstößt die Befreiung der katholischen Kirche von der
Steuer auf Bauwerke, Einrichtungen und Baumaßnahmen im Zusammenhang mit
Maßnahmen an Grundstücken, die für wirtschaftliche Tätigkeiten bestimmt sind,
mit denen kein strikt religiöser Zweck verfolgt wird, gegen Art. 107
Abs. 1 AEUV?
20. Im Verfahren vor dem
Gerichtshof haben das Königreich Spanien und die Europäische Kommission
schriftlich Stellung genommen. In der mündlichen Verhandlung vom 10. Januar
2017 waren neben diesen Beteiligten auch die Congregación und das Ayuntamiento
de Getafe als Parteien des Ausgangsrechtsstreits vertreten.
V – Würdigung
A – Zulässigkeit
des Vorabentscheidungsersuchens
21. Gemäß Art. 94 der
Verfahrensordnung des Gerichtshofs(16)
muss das Vorabentscheidungsersuchen neben der Vorlagefrage auch die
erforderlichen Angaben zum tatsächlichen und rechtlichen Rahmen des
Ausgangsrechtsstreits enthalten. Das vorlegende Gericht hat ferner darzustellen,
welcher Zusammenhang zwischen den auszulegenden unionsrechtlichen Vorschriften
und dem Ausgangsrechtsstreit besteht, sowie die Gründe anzugeben, aus denen es
Zweifel an der Auslegung oder Gültigkeit jener Vorschriften hat. Nach der
Rechtsprechung kommt den Angaben zum tatsächlichen und rechtlichen Rahmen in
wettbewerbsrechtlichen Verfahren besondere Bedeutung zu(17).
22. Vor diesem Hintergrund
äußern sowohl die spanische Regierung als auch die Kommission im vorliegenden
Fall Zweifel an der Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens. Keiner dieser
Angriffspunkte erscheint mir jedoch stichhaltig.
23. Wenig überzeugend ist
erstens der Vorwurf der spanischen Regierung, das Vorabentscheidungsersuchen
werfe eine rein hypothetische Frage auf und ziele auf eine gutachtliche
Auslegung des Unionsrechts ab, die nichts mit der Realität des
Ausgangsrechtsstreits zu tun habe.
24. Denn zum einen gilt nach
ständiger Rechtsprechung für Vorlagefragen, die das Unionsrecht betreffen, eine
Vermutung der Entscheidungserheblichkeit(18),
und dem vorlegenden Gericht wird dabei ein Beurteilungsspielraum zugestanden(19).
Zum anderen ist es im vorliegenden Fall alles andere als offensichtlich, dass
die erbetene Auslegung von Art. 107 AEUV ohne Zusammenhang mit der Realität
oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits wäre. Vielmehr ist das richtige
Verständnis von Art. 107 Abs. 1 AEUV für das Schicksal des
Klagebegehrens der Congregación von erheblicher Bedeutung, kann ihr doch die
gewünschte Steuerbefreiung nur gewährt werden, soweit sie nicht mit den
unionsrechtlichen Bestimmungen über staatliche Beihilfen in Konflikt steht. Die
diesbezüglichen Zweifel des vorlegenden Gerichts gehen aus der
Vorlageentscheidung mit hinreichender Klarheit hervor.
25. Was zweitens die
Darstellung des rechtlichen Rahmens des Ausgangsrechtsstreits anbelangt, so
weist das Vorabentscheidungsersuchen entgegen der Auffassung der spanischen
Regierung keine offensichtlichen Lücken auf. Der Vorlagebeschluss stellt die
maßgeblichen Vorschriften des spanischen Steuerrechts sowie die einschlägigen
völkerrechtlichen Bestimmungen des Abkommens von 1979 in verständlicher Weise
dar. Die spanische Regierung hat im Übrigen keine Rechtsvorschrift
identifiziert, die das vorlegende Gericht verkannt oder zu erwähnen vergessen
hätte.
26. Ausreichend ist drittens
auch die Darstellung des tatsächlichen Rahmens des Ausgangsrechtsstreits im
Vorlagebeschluss. Zwar ist der spanischen Regierung und der Kommission
zuzugeben, dass das vorlegende Gericht die Tätigkeit der Congregación im Bereich
des Unterrichtswesens im Allgemeinen sowie die Nutzung des
streitgegenständlichen Gebäudes im Besonderen noch genauer hätte beschreiben
können. Gleichwohl enthält der Vorlagebeschluss alle notwendigen Angaben für das
Verständnis der Vorlagefrage und ihrer Tragweite. Dies zeigen nicht zuletzt die
Stellungnahmen, welche die spanische Regierung und die Kommission selbst vor dem
Gerichtshof abgegeben haben(20),
worauf das Ayuntamiento de Getafe (Gemeinde Getafe) in der mündlichen
Verhandlung zu Recht hingewiesen hat.
27. Alles in allem ist das
Vorabentscheidungsersuchen somit zulässig.
B – Inhaltliche
Würdigung der Vorlagefrage
28. Mit seiner Frage möchte
das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die streitige Steuerbefreiung
im Falle ihrer Anwendung auf Schulgebäude als verbotene staatliche Beihilfe im
Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV anzusehen ist.
1. Anwendbarkeit der
unionsrechtlichen Bestimmungen über staatliche Beihilfen
29. Zunächst ist zu
erörtern, ob das in Art. 107 Abs. 1 AEUV enthaltene Verbot staatlicher
Beihilfen in einem Fall wie dem vorliegenden überhaupt Anwendung finden kann,
wenn man bedenkt, dass Art. 17 AEUV die Union verpflichtet, den Status der
Kirchen(21)
in den Mitgliedstaaten zu achten und ihn nicht zu beeinträchtigen(22).
30. Mit besagtem
Art. 17 AEUV hat der Vertrag von Lissabon eine Vorschrift übernommen, die
bereits in Art. I‑52 des Vertrags über eine Verfassung für Europa(23)
enthalten war und deren Ursprünge auf die 1997 angenommene Erklärung zum Status
der Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften(24)
zurückgehen.
31. Letztlich konkretisiert
und ergänzt Art. 17 AEUV das allgemeinere, in Art. 4 Abs. 2 EUV
verankerte Gebot zur Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten, die
in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen zum
Ausdruck kommt.
32. Zweifelsohne wird durch
Art. 17 AEUV der besonderen gesellschaftlichen Rolle der Kirchen in den
Mitgliedstaaten an prominenter Stelle Ausdruck verliehen. Diese Vorschrift darf
aber nicht im Sinne einer Bereichsausnahme verstanden werden, nach der sich die
Tätigkeit der Kirchen generell außerhalb des Geltungsbereichs des Unionsrechts
bewegen würde. Insbesondere muss das Unionsrecht dort zur Geltung kommen, wo
Kirchen sich wirtschaftlich betätigen(25),
ähnlich wie dies der Gerichtshof auch im Hinblick auf Sportvereine bzw.
Sportverbände(26)
und auf Bildungseinrichtungen(27)
in ständiger Rechtsprechung anerkennt.
33. Die besondere Bedeutung
von Art. 17 AEUV liegt in einem Fall wie dem vorliegenden also nicht etwa
darin, dass die Betätigung der Kirchen generell dem Geltungsbereich des
Unionsrechts entzogen würde, sondern vielmehr darin, dass bei der Auslegung
und der Anwendung von Unionsrecht der Status der Kirchen zu achten ist und
nicht beeinträchtigt werden darf.
2. Der Begriff der
staatlichen Beihilfe gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV
34. Das Verbot staatlicher
Beihilfen gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV soll verhindern, dass der Handel
zwischen Mitgliedstaaten durch von staatlichen Stellen gewährte Vergünstigungen
beeinträchtigt wird, die in verschiedenartiger Weise durch die Bevorzugung
bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu
verfälschen drohen(28).
35. In seiner
Vorlageentscheidung geht der nationale Richter ausdrücklich von der Prämisse
aus, dass das in Rede stehende Schulgebäude einer wirtschaftlichen Nutzung – im
Gegensatz zur rein religiösen Nutzung – gewidmet ist. Um aber dem vorlegenden
Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, die ihm in bestmöglicher Weise die
Lösung des Ausgangsrechtsstreits ermöglicht(29),
werde ich im Rahmen meiner Ausführungen zu Art. 107 Abs. 1 AEUV
zunächst die Voraussetzungen in Erinnerung rufen, unter denen aus
unionsrechtlicher Sicht überhaupt eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt (siehe
dazu sogleich, Abschnitt a), bevor ich auf die einzelnen
Tatbestandsmerkmale des Verbots staatlicher Beihilfen eingehe (siehe dazu weiter
unten, Abschnitt b).
a) Der Unternehmensbegriff
als Grundvoraussetzung für die Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts
36. Zunächst ist
hervorzuheben, dass das Wettbewerbsrecht der Union allein die Tätigkeit von
Unternehmen betrifft(30).
37. Der Begriff des
Unternehmens ist funktional zu verstehen und umfasst jede eine wirtschaftliche
Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer
Finanzierung(31).
Eine Einrichtung, die keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, ist kein
Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts(32).
38. Der Umstand, dass im
Mittelpunkt der Betätigung von Kirchen im Normalfall die Erledigung religiöser,
seelsorgerischer und sozialer Aufgaben steht, schließt als solcher noch nicht
aus, dass einzelne Aktivitäten von Kirchen gleichwohl dem Wirtschaftsleben
zugerechnet werden. Denn die Unterscheidung zwischen wirtschaftlicher und
nichtwirtschaftlicher Betätigung ist für jede von einer Einrichtung ausgeübte
Tätigkeit gesondert zu treffen(33).
39. Wirtschaftliche
Tätigkeit ist jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf
einem bestimmten Markt anzubieten(34).
Dabei spricht ein fehlender Erwerbszweck oder eine fehlende
Gewinnerzielungsabsicht für sich allein noch nicht gegen die Annahme einer
wirtschaftlichen Tätigkeit, solange Güter und Dienstleistungen angeboten
werden(35).
40. Die im Ausgangsverfahren
streitige Steuerbefreiung wird von der Congregación mit Blick auf Baumaßnahmen
an einem ihrer Schulgebäude begehrt. Sie steht also letztlich im Zusammenhang
mit der Unterrichtstätigkeit der Congregación als Trägerin der Schule „La
Inmaculada“.
41. Ob speziell eine solche
Unterrichtstätigkeit als wirtschaftliche Betätigung einzustufen ist, hängt von
einer Gesamtwürdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls ab, die dem
nationalen Richter obliegt. Dabei ist sowohl auf die Finanzierung des
Unterrichts als auch auf die mit dem Unterricht erfüllten Aufgaben und Ziele des
Trägers der Schule Bedacht zu nehmen(36).
42. Betreibt ein kirchlicher
Träger seine Bildungseinrichtungen ganz oder überwiegend in kommerzieller Art
und Weise, und erbringt er den dort stattfindenden Unterricht im Wesentlichen
als Gegenleistung für die finanziellen Beiträge und die sonstigen geldwerten
Leistungen(37)
der Schüler oder ihrer Eltern, dann bietet er insoweit Dienstleistungen im Sinne
von Art. 56 AEUV an(38)
und wird folglich wirtschaftlich tätig.
43. Anders verhält es sich
hingegen, wenn der kirchliche Träger seine Bildungseinrichtungen nicht in
kommerzieller Art und Weise, sondern als Teil seines allgemeinen Auftrags im
sozialen, kulturellen und bildungspolitischen Bereich betreibt und zur
Finanzierung des dort stattfindenden Unterrichts gar nicht oder nur marginal auf
Beiträge der Schüler oder ihrer Eltern zurückgreift. In einem solchen Fall
bietet er keine Dienstleistungen im Sinne von Art. 56 AEUV an(39)
und wird somit auch nicht wirtschaftlich tätig.
44. Entgegen der Auffassung
des vorlegenden Gerichts setzt die Zuordnung von kirchlichen
Unterrichtsleistungen zum nichtwirtschaftlichen Bereich nicht voraus, dass mit
dem Unterricht selbst – und letztlich auch mit den Gebäuden, in denen dieser
Unterricht stattfindet – ein „strikt religiöser Zweck“(40)
verfolgt wird. Vielmehr reicht es für die Annahme des nichtwirtschaftlichen
Charakters solcher Unterrichtsleistungen aus, wenn mit ihnen ein genuin
sozialer, kultureller und bildungspolitischer Zweck verfolgt wird.
45. Für diese Sichtweise
spricht nicht zuletzt auch die in Art. 17 Abs. 1 AEUV verankerte
Pflicht zur Rücksichtnahme auf den besonderen Status der Kirchen. Denn dieser
Status bringt es mit sich, dass die Kirchen in der Gesellschaft nicht nur strikt
religiöse Aufgaben wahrnehmen, sondern darüber hinaus zur Erfüllung sozialer,
kultureller und bildungspolitischer Ziele einen gewichtigen Beitrag leisten.
Wollte man die Tätigkeit der Kirchen auf sozialem, kulturellem oder
bildungspolitischem Gebiet pauschal dem normalen Wirtschaftsleben zuordnen, so
würde man den besonderen Charakter dieser Tätigkeit und damit letztlich auch den
besonderen Status der Kirchen verkennen.
46. Wie die mündliche
Verhandlung ergeben hat, werden die Räumlichkeiten der Schule „La Inmaculada“
zum überwiegenden Teil für Unterrichtsleistungen verwendet, die dem
Pflichtunterricht an staatlichen Schulen gleichwertig sind (sogenannte
educación obligatoria, bestehend aus educación primaria und
educación secundaria obligatoria). Diese Unterrichtsleistungen werden
nach Maßgabe eines Abkommens zwischen der Congregación und der zuständigen
spanischen Region – der Comunidad de Madrid (Autonome Gemeinschaft Madrid) –
erbracht, und ihr Löwenanteil wird aus öffentlichen Geldern finanziert,
wohingegen Zahlungen und geldwerte Leistungen der Schüler oder ihrer Eltern
lediglich ganz am Rande eine Rolle spielen(41).
Somit kann davon ausgegangen werden, dass der an der Schule „La Inmaculada“
erbrachte Pflichtunterricht voll in das öffentliche Bildungssystem Spaniens
integriert ist.
47. Derartige Umstände
sprechen allesamt für die Annahme, dass die Nutzung des streitgegenständlichen
Schulgebäudes – der Aula – einen spezifisch sozialen, kulturellen und
bildungspolitischen Auftrag verfolgt und die Tätigkeit der Congregación insoweit
nichtwirtschaftlicher Natur ist, mag auch aufgrund der Wahlmöglichkeiten von
Schülern und Eltern zwischen verschiedenen Schulen in öffentlicher oder privater
Trägerschaft unter den Bildungseinrichtungen ein gewisser „Wettbewerb“
bestehen.
48. In der mündlichen
Verhandlung ist jedoch zutage getreten, dass in der Schule „La Inmaculada“ neben
dem Pflichtunterricht auch sonstige Bildungsleistungen angeboten werden, die im
spanischen System als freiwillig gelten, und zwar zum einen die frühkindliche
Erziehung (educación infantil) und zum anderen der Unterricht in
weiterführenden Schulzweigen (educación postobligatoria), die entweder
zum Abitur (bachillerato) oder zu einem berufsbildenden Abschluss
(formación profesional) führen. Wie der Prozessvertreter der Congregación
vor dem Gerichtshof eingeräumt hat, wird zur Finanzierung dieser freiwilligen
Unterrichtsangebote von den Eltern der Schüler ein Schulgeld erhoben.
49. Letztere Sachlage deutet
darauf hin, dass jedenfalls ein Teil der von der Congregación in der Schule „La
Inmaculada“ erbrachten Unterrichtsleistungen den Charakter einer klassischen
Dienstleistung im Sinne von Art. 56 AEUV hat oder jedenfalls starke
Ähnlichkeiten mit einer solchen Dienstleistung aufweist(42).
50. Unter diesen Umständen
ist davon auszugehen, dass sich die Congregación mit den an ihrer Schule „La
Inmaculada“ erbrachten Unterrichtsleistungen teils wirtschaftlich, teils
nichtwirtschaftlich betätigt und dass dementsprechend auch die
streitgegenständliche Aula nicht ausschließlich einem sozialen, kulturellen und
bildungspolitischen Zweck gewidmet ist, sondern zumindest anteilig für eine
unternehmerische Tätigkeit der Congregación genutzt wird.
51. Im Verfahren vor dem
Gerichtshof ist letztlich nicht klar geworden, welche Größenordnung der
freiwillige Unterricht im Verhältnis zum Pflichtunterricht an der Schule „La
Inmaculada“ hat, so dass sich jedenfalls auf der Grundlage der uns vorliegenden
Informationen nicht beziffern lässt, in welchem Verhältnis die wirtschaftliche
und die nichtwirtschaftliche Betätigung der Congregación stehen.
52. Ohnehin ist es Sache des
vorlegenden Gerichts, hierzu im Rahmen der nationalen Verfahrensautonomie die
notwendigen Feststellungen zur Tätigkeit der Congregación zu treffen, aus denen
auf die Nutzung der streitgegenständlichen Aula geschlossen werden kann. Dabei
wird man sicherlich nicht allein darauf abstellen können, welcher Anteil aller
Räumlichkeiten der Schule „La Inmaculada“ – bezogen auf die gesamte Nutzfläche
des Gebäudekomplexes – der einen oder der anderen Unterrichtsform gewidmet
ist(43).
Sehr viel größeres Gewicht gebührt meines Erachtens anderen Kennziffern wie
insbesondere der Zahl der Schulklassen und Unterrichtsstunden sowie der Anzahl
der Schüler(44)
und Lehrer, die auf die eine und die andere Unterrichtsform entfallen; ferner
ist das durchschnittliche jährliche Budget zu berücksichtigen, das die Schule
für die eine und die andere Unterrichtsform aufwendet.
53. Sollte die
unternehmerische Tätigkeit der Congregación im Vergleich zu ihren sozial,
kulturell und bildungspolitisch motivierten Unterrichtsleistungen keinen
nennenswerten Umfang haben, sondern völlig untergeordneter Natur sein, so wäre
es gerechtfertigt, insgesamt von einer nichtwirtschaftlichen Betätigung der
Congregación auszugehen. In diesem Sinne hat sich zu Recht auch die Kommission
vor dem Gerichtshof eingelassen.
54. Eine solche
Betrachtungsweise ist vor allem aus Vereinfachungsgründen gerechtfertigt und
führt zu einer möglichst unbürokratischen Handhabung der unionsrechtlichen
Bestimmungen über staatliche Beihilfen. Um allerdings dem Grundsatz der
Rechtssicherheit Genüge zu tun, ist es notwendig, einen Schwellenwert
anzuerkennen, der Unternehmen und nationalen Behörden als Faustregel für die
Einstufung einer wirtschaftlichen Betätigung als völlig untergeordneter Natur
dienen kann.
55. Die Kommission scheint
davon auszugehen, dass eine wirtschaftliche Betätigung bis zu einem Anteil von
20 % des gesamten Unterrichtsangebots einer Einrichtung wie der
Congregación eine reine Nebentätigkeit von völlig untergeordneter Bedeutung
wäre. Dazu beruft sich die Kommission auf ihre Allgemeine
Gruppenfreistellungsverordnung(45)
sowie auf den von ihr herausgebrachten Unionsrahmen für Forschungsbeihilfen(46).
56. Sicherlich ist die
Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung – ein verbindlicher Rechtsakt im Sinne
von Art. 288 Abs. 2 AEUV – bei der Würdigung des vorliegenden
Sachverhalts maßgeblich zu berücksichtigen. Bei näherer Betrachtung findet sich
aber im verfügenden Teil dieser Verordnung kein Hinweis auf einen irgendwie
gearteten Schwellenwert von 20 %. Lediglich in der Präambel der besagten
Verordnung wird in einem ganz spezifischen Kontext, nämlich im Zusammenhang mit
Forschungsinfrastrukturen, als Regelbeispiel ein solcher Prozentsatz genannt(47).
Eine im Wesentlichen identische Formulierung findet sich – wiederum bezogen auf
Forschungseinrichtungen oder Forschungsinfrastrukturen – im Unionsrahmen für
Forschungsbeihilfen, einer rechtlich unverbindlichen Mitteilung der Kommission,
mit dem sie ihre Verwaltungspraxis bekannt macht und den Mitgliedstaaten
bestimmte Maßnahmen vorschlägt(48).
57. Unter diesen Umständen
erscheint es mir nicht zwingend, den von der Kommission speziell für
Forschungsinfrastrukturen entwickelten, vergleichsweise hohen Schwellenwert von
20 % zu verallgemeinern und ihn generell bei der Bestimmung des
wirtschaftlichen oder nichtwirtschaftlichen Charakters einer Tätigkeit
heranzuziehen.
58. Vielmehr sollte – in
Anlehnung an die allgemein üblichen Schwellenwerte im Wettbewerbsrecht(49)
und in sonstigen binnenmarktrelevanten Materien(50)
– davon ausgegangen werden, dass im Normalfall eine wirtschaftliche Betätigung
im Vergleich zur nichtwirtschaftlichen Betätigung nur dann als völlig
untergeordnet angesehen werden darf, wenn sie vom Umfang her weniger als
10 % der in Rede stehenden Tätigkeit der betreffenden Einrichtung auf dem
jeweils relevanten Sektor ausmacht (hier: 10 % der Betätigung der
Congregación im Bereich der schulischen Unterrichtsleistungen).
59. Sollte hingegen die
wirtschaftliche Betätigung einer Einrichtung wie der Congregación 10 % oder
mehr ausmachen, so müsste davon ausgegangen werden, dass sich diese Einrichtung
teils wirtschaftlich, teils nichtwirtschaftlich betätigt. Dementsprechend wäre
auch die ihr gewährte staatliche Vorzugsbehandlung – hier: die Steuerbefreiung –
anteilig (pro rata) als ein möglicher Vorteil anzusehen, der im Hinblick
auf das Verbot staatlicher Beihilfen nach Art. 107 Abs. 1 AEUV
gewürdigt werden müsste.
60. Alles in allem lässt
sich festhalten, dass eine Steuerbefreiung wie die hier streitige mangels
wirtschaftlicher Betätigung der katholischen Kirche schon gar nicht in den
Anwendungsbereich von Art. 107 Abs. 1 AEUV fällt, soweit davon ein
Schulgebäude betroffen ist, das von der Kirche zur Erbringung von
Unterrichtsleistungen im Rahmen ihres sozialen, kulturellen und
bildungspolitischen Auftrags genutzt wird. Hingegen liegt eine wirtschaftliche
Betätigung vor, soweit das betreffende Gebäude für genuin kommerzielle Zwecke
genutzt wird.
b) Die vier
Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 107 Abs. 1 AEUV
61. Nur soweit die
Congregación sich nach dem oben Gesagten(51)
wirtschaftlich betätigt und damit als Unternehmen anzusehen ist, ist die von ihr
begehrte Steuerbefreiung am Maßstab von Art. 107 Abs. 1 AEUV zu
messen.
62. Nach Art. 107
Abs. 1 AEUV „[sind, soweit] in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt
ist, … staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher
Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige
den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt
unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten
beeinträchtigen“.
63. Die Qualifizierung als
„Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV verlangt, dass alle in
dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen erfüllt sind(52).
64. So muss es sich erstens
um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher
Mittel handeln. Zweitens muss diese Maßnahme geeignet sein, den Handel zwischen
Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Drittens muss dem Begünstigten durch sie ein
Vorteil gewährt werden. Viertens muss sie den Wettbewerb verfälschen oder zu
verfälschen drohen(53).
65. Bei der Prüfung dieser
Voraussetzungen kommt es nach gefestigter Rechtsprechung weniger auf die
subjektive Zielsetzung der nationalen Stellen als vielmehr auf die Wirkungen der
getroffenen Maßnahme an(54).
i) Staatliche Maßnahme
oder Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel
66. Was zunächst das
Kriterium der „staatlichen oder aus staatlichen Mitteln gewährten Beihilfe“
betrifft, so ist anerkannt, dass Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht nur
positive Leistungen wie Subventionen umfasst, sondern auch Maßnahmen, die in
verschiedener Form die von einem Unternehmen normalerweise zu tragenden
Belastungen vermindern und die somit zwar keine Subventionen im strengen Sinne
des Begriffs darstellen, diesen aber nach Art und Wirkung gleichstehen(55).
67. Auch eine steuerliche
Vergünstigung, die zwar nicht mit der Übertragung staatlicher Mittel verbunden
ist, aber die Begünstigten finanziell besser stellt als die übrigen
Steuerpflichtigen, fällt unter Art. 107 Abs. 1 AEUV(56).
Selbstredend gilt dies auch dann, wenn die entsprechende Vergünstigung von einer
staatlichen Untergliederung – hier: einer Gemeinde – gewährt wird bzw. deren
Einnahmen mindert; denn Art. 107 Abs. 1 AEUV bezieht sich auf alle
Maßnahmen, die aus öffentlichen Mitteln finanziert werden und dem Staat
zuzurechnen sind(57).
68. Dass die streitige
Steuerbefreiung im vorliegenden Fall aus dem Abkommen von 1979 resultiert und
somit völkerrechtlichen Ursprungs ist, nimmt ihr nicht ihren Charakter als
staatliche und aus staatlichen Mitteln finanzierte Maßnahme. Erstens ist das
Abkommen von 1979 unter maßgeblicher Mitwirkung des spanischen Staates zustande
gekommen sowie von diesem ratifiziert worden; aus Sicht des Unionsrechts ist es
damit wie nationales Recht zu behandeln. Zweitens führt das Abkommen
hinsichtlich der Steuer auf Bauwerke, Einrichtungen und Baumaßnahmen zu einem
Einnahmeverzicht der öffentlichen Hand in Spanien. Drittens wirkt der spanische
Staat auch an der Auslegung und Konkretisierung des Abkommens maßgeblich mit,
wie nicht zuletzt die verschiedenen Erlasse des Finanzministeriums belegen(58).
Und viertens billigt der Streitbeilegungsmechanismus gemäß Art. VI des
Abkommens dem spanischen Staat ebenfalls eine entscheidende Rolle bei der
Auslegung und Fortentwicklung des Abkommens zu.
ii) Selektiver Vorteil
69. Art. 107
Abs. 1 AEUV untersagt Beihilfen, die „bestimmte Unternehmen oder
Produktionszweige begünstigen“, d. h. selektive Beihilfen(59).
Kennzeichnend für diese Selektivität des Vorteils ist es nach der
Rechtsprechung, dass bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige gegenüber
anderen Unternehmen oder Produktionszweigen begünstigt werden, die sich im
Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel in einer
vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden(60).
70. Gemäß gefestigter
Rechtsprechung ist für die Einschätzung eines Steuervorteils als selektiv
ausschlaggebend, dass die zugrundeliegende staatliche Maßnahme vom allgemeinen
System insoweit abweicht, als sie eine nicht gerechtfertigte Unterscheidung
zwischen Wirtschaftsteilnehmern einführt, die sich im Hinblick auf das mit der
Steuerregelung dieses Mitgliedstaats verfolgte Ziel in einer vergleichbaren
tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden(61).
71. Nach dem „allgemeinen
System“, um das es im vorliegenden Fall geht, wird in Spanien auf alle Bauwerke,
Einrichtungen und Baumaßnahmen eine Steuer zugunsten der Gemeinden erhoben. Dass
allein die katholische Kirche diese Steuer aufgrund des Abkommens von 1979 nicht
entrichten muss, stellt für sie – soweit sie sich wirtschaftlich und damit
unternehmerisch betätigt – einen Vorteil dar, der sie finanziell besser stellt
als die übrigen Wirtschaftsteilnehmer(62).
Keineswegs handelt es sich um einen Vorteil, der auf einer unterschiedslos auf
alle Wirtschaftsteilnehmer anwendbaren allgemeinen Maßnahme beruhen würde und
jedermann offenstünde, der die Voraussetzungen dafür erfüllt(63).
72. Sicherlich erkennt der
Gerichtshof an, dass ein Steuervorteil dann nicht selektiv ist, wenn die
Begünstigung durch das Wesen oder die allgemeinen Zwecke des Systems, zu dem sie
gehört, gerechtfertigt ist, insbesondere wenn eine Steuerregelung unmittelbar
auf Grund- oder Leitprinzipien des nationalen Steuersystems beruht(64).
Eine derartige Rechtfertigung ist jedoch in einem Fall wie dem vorliegenden nach
allen uns vorliegenden Informationen nicht ersichtlich. Denn die Gründe für die
Steuerbefreiung der katholischen Kirche ergeben sich weder aus der Systematik
der einschlägigen Steuerregelung noch aus den Grund- oder Leitprinzipien des
spanischen Steuersystems. Vielmehr stützt sich die streitige Steuerbefreiung auf
das Abkommen von 1979. Sie beruht also auf Wertungen, die außerhalb des
spanischen Steuerrechts ihren Ursprung finden und folglich nicht geeignet sind,
die Selektivität des Vorteils auszuschließen.
73. An einem selektiven
Vorteil im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV könnte es gleichwohl dann
fehlen, wenn die streitige Steuerbefreiung lediglich den Ausgleich für etwaige
von der katholischen Kirche auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge übernommene
Lasten darstellen sollte. Maßgeblich dafür sind die in der Rechtsprechung
Altmark Trans(65)
aufgestellten Kriterien.
74. Bei der Anwendung dieser
Kriterien ist – eingedenk des Verfassungsauftrags aus Art. 17 Abs. 1
AEUV – der besondere Status der Kirchen gebührend zu berücksichtigen. Dies mag
zwar durchaus dazu führen, dass die in einer kirchlichen Schule angebotenen
Unterrichtsleistungen als ein Beitrag zur Daseinsvorsorge angesehen werden,
zumal dann, wenn diese Unterrichtsleistungen in das staatliche Bildungssystem
eingebunden sind(66).
75. Jedoch ist die
pauschale Befreiung der katholischen Kirche von einer Steuer auf
Bauwerke, Einrichtungen und Baumaßnahmen als solche kein objektiver und vor
allem transparent berechneter Ausgleich für die den Kirchen entstehenden
spezifischen Lasten aus der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher
Verpflichtungen(67).
Vielmehr dürfte ein solcher Ausgleich nur durch zielgerichtete Maßnahmen
erfolgen, insbesondere durch konkrete Finanzzuweisungen des Staates, wobei
allerdings zu prüfen wäre, ob nicht die Finanzzuweisungen, die die Congregación
ohnehin schon vom spanischen Staat erhält, einen hinreichenden Ausgleich
darstellen.
76. Ohne die genannten
Vorkehrungen kann die Rechtsprechung Altmark Trans in einem Fall wie dem
vorliegenden nicht zum Ausschluss eines selektiven Vorteils für die katholische
Kirche führen.
iii) Beeinträchtigung des Handels zwischen
Mitgliedstaaten und Verfälschung des Wettbewerbs
77. Die dritte und vierte
Voraussetzung des Art. 107 Abs. 1 AEUV, die eng miteinander verknüpft
sind, widmen sich jeweils den Auswirkungen staatlicher Beihilfen auf den
Wettbewerb bzw. auf den unionsinternen Handel. Nach ständiger Rechtsprechung
bedarf es dabei nicht des Nachweises einer tatsächlichen Auswirkung auf den
Handel zwischen Mitgliedstaaten und einer tatsächlichen Wettbewerbsverzerrung,
sondern nur der Prüfung, ob eine Maßnahme geeignet ist, diesen Handel zu
beeinträchtigen und den Wettbewerb zu verfälschen(68).
78. Zur Beeinträchtigung des
Handels zwischen Mitgliedstaaten ist eine Maßnahme immer schon dann geeignet,
wenn sie die Stellung eines Unternehmens gegenüber anderen Wettbewerbern in
diesem Handel stärkt. Das begünstigte Unternehmen braucht dazu nicht selbst am
unionsinternen Handel teilzunehmen(69).
79. In Bezug auf die
Voraussetzung der Wettbewerbsverzerrung ist zu betonen, dass Beihilfen, die ein
Unternehmen von den Kosten befreien sollen, die es normalerweise im Rahmen
seiner laufenden Geschäftsführung oder seiner üblichen Tätigkeiten zu tragen
gehabt hätte, grundsätzlich die Wettbewerbsbedingungen verfälschen(70).
80. Für kommerziell
erbrachte Unterrichtsleistungen, wie ich sie im vorliegenden Abschnitt meiner
Schlussanträge diskutiere – also namentlich das freiwillige Unterrichtsangebot
und sonstige optionale Angebote der Schule – besteht durchaus ein Markt, auf dem
größere und sogar kleinere Anbieter grenzüberschreitend tätig werden können.
Erhält einer der Anbieter solcher Unterrichtsleistungen – wie hier die
katholische Kirche – eine Befreiung von der Steuer auf Bauwerke, Einrichtungen
und Baumaßnahmen, wohingegen seine tatsächlichen oder potenziellen Konkurrenten
in vergleichbaren Situationen diese Steuer entrichten müssen, so erlangt dieser
Anbieter einen Kostenvorteil, der sich für ihn im Wettbewerb günstig auswirken
kann.
81. Zugegebenermaßen bewegt
sich die im vorliegenden Fall von der Congregación zu entrichtende Steuer für
den Umbau der Aula der Schule „La Inmaculada“ mit 23 730,41 Euro in einer
Größenordnung, die im Vergleich zu anderen binnenmarktrelevanten Kostenfaktoren
vergleichsweise gering anmutet.
82. Nach ständiger
Rechtsprechung gibt es aber im Unionsrecht keine Schwelle und keinen
Prozentsatz, bis zu der oder dem man davon ausgehen könnte, dass der Handel
zwischen Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt ist. Weder der verhältnismäßig
geringe Umfang einer Beihilfe noch die verhältnismäßig geringe Größe des
begünstigten Unternehmens schließt nämlich von vornherein die Möglichkeit einer
Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten aus(71).
83. Ist also die
wirtschaftliche Betätigung einer Einrichtung von hinreichendem Gewicht, um die
Einrichtung als Unternehmen im Sinne der Wettbewerbsregeln des Unionsrechts
einzustufen (was eine Vorfrage für die Anwendung von Art. 107 AEUV ist(72)),
so können auch verhältnismäßíg geringfügige Beihilfen zu einer Beeinträchtigung
des Handels zwischen Mitgliedstaaten führen.
84. Hinzu kommt, dass im
europäischen Wettbewerbsrecht die Wirkungen von Maßnahmen auf den unionsinternen
Handel und den Wettbewerb im Binnenmarkt niemals isoliert, sondern stets in
ihrem wirtschaftlichen und rechtlichen Kontext zu würdigen sind. Dabei ist nicht
zuletzt zu berücksichtigen, ob es sich um einen isolierten Einzelfall handelt
oder eine Vielzahl (ein „Bündel“) gleichartiger Probleme besteht(73).
85. Besitzt eine Einrichtung
– wie hier die katholische Kirche – zahlreiche Immobilien, die allesamt in den
Genuss der streitigen Steuerbefreiung kommen können, so geht ihr wirklicher
Wettbewerbsvorteil weit über das hinaus, was der im Ausgangsverfahren streitige
Betrag von 23 730,41 Euro für eine einzelne Baumaßnahme – hier die
Renovierung der Aula der Schule „La Inmaculada“ – bei vordergründiger
Betrachtung suggerieren mag. Denn als Anbieterin von Unterrichtsleistungen kann
die katholische Kirche in ihrer Kostenkalkulation generell den Vorteil
berücksichtigen, der ihr für alle ihre Schulgebäude aus der Befreiung von der
Steuer auf Bauwerke, Einrichtungen und Baumaßnahmen erwächst. Bedenkt man
ferner, dass das Abkommen von 1979 noch eine Reihe anderer Steuerbefreiungen
vorsieht, so potenziert sich dieser Vorteil sogar noch.
86. Übrigens gelten auch
nach der von der Europäischen Kommission erlassenen
De-minimis-Regelung(74)
nur solche Beihilfemaßnahmen, die in einem Zeitraum von drei Steuerjahren einen
Gesamtbetrag von 200 000 Euro nicht übersteigen, als „Maßnahmen, die nicht
alle Tatbestandsmerkmale des Artikels 107 Absatz 1 AEUV erfüllen“. Die hier
streitige Steuerbefreiung gemäß dem Abkommen von 1979 ist mit keiner solchen
betragsmäßigen und zeitlichen Begrenzung ausgestattet, sondern gilt nach
Art. IV Abs. 1 Buchst. B jenes Abkommens allgemein und unbegrenzt
für alle Bauwerke, Einrichtungen und Baumaßnahmen der katholischen Kirche
in Spanien. Diese Steuerbefreiung kann folglich nicht in den Genuss der
De-minimis-Regelung kommen.
c) Zwischenergebnis
87. Soweit also die
Congregación sich nach dem oben Gesagten wirtschaftlich betätigt und damit als
Unternehmen anzusehen ist(75),
ist eine Steuerbefreiung wie die im Ausgangsverfahren streitige als staatliche
Beihilfe einzustufen, für die das Verbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV
gilt.
3. Die Folgen einer
etwaigen Einstufung als staatliche Beihilfe
88. Zu erörtern bleibt die
Frage, welche Folgen für den Ausgangsrechtsstreit aus der Einstufung der
streitigen Steuerbefreiung als staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107
Abs. 1 AEUV erwachsen können. Besonderheiten können sich hier namentlich
aus den Art. 108 und 351 Abs. 1 AEUV ergeben, auf die vor allem die
spanische Regierung mit Nachdruck hingewiesen hat. Um dem vorlegenden Gericht
eine sachdienliche Antwort zu geben, ist abschließend auch auf diese beiden
Vorschriften und die aus ihnen folgenden Problematiken kurz einzugehen(76).
a) Zur Abgrenzung zwischen
bestehenden Beihilfen und neuen Beihilfen im Sinne von Art. 108 AEUV
89. Art. 108 AEUV
trifft eine Unterscheidung zwischen bestehenden Beihilferegelungen und neuen
Beihilfen. Während neue Beihilfen nicht durchgeführt werden dürfen, solange sie
nicht von der Kommission genehmigt wurden (Art. 108 Abs. 3 AEUV),
unterliegen bestehende Beihilferegelungen lediglich einer fortlaufenden
Überprüfung durch die Kommission (Art. 108 Abs. 1 AEUV). Kurz gesagt
gilt folglich für neue Beihilfen eine Notifizierungspflicht und ein
Durchführungsverbot, bei deren Verletzung die Gewährung der Beihilfe als
rechtswidrig anzusehen ist(77),
wohingegen bestehende Beihilferegelungen regelmäßig durchgeführt werden dürfen,
solange die Kommission nicht ihre Vertragswidrigkeit festgestellt hat(78).
90. Sollte es sich also bei
der streitigen Steuerbefreiung um eine bestehende Beihilferegelung im Sinne von
Art. 108 Abs. 1 AEUV handeln, so dürfte das vorlegende Gericht ihre
Gewährung nicht als rechtswidrig einstufen, solange die Kommission sie nicht für
unvereinbar mit dem Binnenmarkt erklärt hat.
91. Für die Annahme einer
bestehenden Beihilferegelung spricht bei vordergründiger Betrachtung der
Umstand, dass das Abkommen von 1979 aus der Zeit vor dem Beitritt Spaniens zu
den Europäischen Gemeinschaften stammt; dieser Beitritt wurde bekanntlich erst
1986 vollzogen.
92. Maßgeblich für die
Einordnung einer Maßnahme als bestehende Beihilferegelung oder als neue Beihilfe
sollte aber allein der Zeitpunkt sein, ab dem die mit der Beihilfe verbundene
Verfälschung des Wettbewerbs eintritt oder einzutreten droht(79).
Zu einer solchen Wettbewerbsverfälschung konnte es im vorliegenden Fall erst
1988 kommen, als Spanien die Steuer auf Bauwerke, Einrichtungen und Baumaßnahmen
tatsächlich einführte. Zu diesem Zeitpunkt war Spanien bereits Mitgliedstaat der
Europäischen Gemeinschaften.
93. Damit kann eine
Steuerbefreiung wie die hier streitige nicht als bestehende Beihilferegelung
eingestuft werden, sondern ist als neue Beihilfe anzusehen. Folglich würde
Art. 108 AEUV das vorlegende Gericht nicht daran hindern, im
Ausgangsrechtsstreit von einer rechtswidrigen Beihilfegewährung auszugehen.
b) Zur Berücksichtigung
von Art. 351 AEUV mit Blick auf das Abkommen von 1979
94. Zu erörtern bleibt
schließlich, ob Art. 351 AEUV es dem vorlegenden Gericht erlaubt oder gar
gebietet, im Ausgangsrechtsstreit vom Verbot staatlicher Beihilfen gemäß
Art. 107 Abs. 1 AEUV abzuweichen und der katholischen Kirche die
streitige Steuerbefreiung zuzusprechen, selbst wenn es sich eigentlich um eine
rechtswidrige staatliche Beihilfe handeln sollte.
95. Gemäß Art. 351
Abs. 1 AEUV werden die Rechte und Pflichten aus einer völkerrechtlichen
Übereinkunft, die ein Mitgliedstaat vor seinem Beitritt zur Union mit einem
Drittstaat geschlossen hat, durch das Unionsrecht nicht berührt.
96. Art. 351 AEUV hat
allgemeine Tragweite und gilt für alle internationalen Übereinkünfte, die sich
auf die Anwendung des Unionsrechts auswirken können, unabhängig von ihrem
Gegenstand(80).
Die Vorschrift kann somit auch im Hinblick auf das Abkommen von 1979 durchaus
zur Anwendung kommen.
97. Eine
Verpflichtung, von unionsrechtlichen Bestimmungen wie Art. 107
Abs. 1 AEUV abzuweichen, folgt aus Art. 351 AEUV allerdings nicht.
Vielmehr soll den Mitgliedstaaten lediglich die Möglichkeit eingeräumt
werden, etwaige vor ihrem Beitritt zur Union eingegangene völkerrechtliche
Verpflichtungen einzuhalten(81)
und zu diesem Zweck nötigenfalls von unionsrechtlichen Bestimmungen
abzuweichen(82).
Soweit hingegen die fragliche völkerrechtliche Übereinkunft dem Mitgliedstaat
einen Spielraum lässt, muss er diesen so nutzen, dass er sich
unionsrechtskonform verhält(83).
98. Auf jeden Fall ist es
nicht Sache des Gerichtshofs, sondern Aufgabe des nationalen Gerichts, den
Umfang der völkerrechtlichen Verpflichtungen festzustellen, die für Spanien aus
dem Abkommen von 1979 resultieren(84).
99. Das vorlegende Gericht
wird deshalb zu prüfen haben, ob aus Art. IV Abs. 1 Buchst. B des
Abkommens von 1979 zwingend folgt, dass die katholische Kirche für alle
ihre Gebäude in Spanien – auch solche, die ganz oder teilweise einer
wirtschaftlichen Betätigung gewidmet sind – generell von der Steuer auf
Bauwerke, Einrichtungen und Baumaßnahmen befreit werden muss. Nur dann
bestünde ein Konflikt mit dem Verbot staatlicher Beihilfen gemäß Art. 107
Abs. 1 AEUV, und nur insoweit würde Art. 351 Abs. 1 AEUV es dem
vorlegenden Gericht erlauben, bei der Lösung des Ausgangsrechtsstreits von
Art. 107 Abs. 1 AEUV abzuweichen.
100. Am Rande sei bemerkt, dass
der spanische Staat in einem solchen Fall nach Art. 351 Abs. 2 AEUV
verpflichtet wäre, alle geeigneten Mittel anzuwenden, um eine etwaige
Unvereinbarkeit von Art. IV Abs. 1 Buchst. B des Abkommens von
1979 mit den unionsrechtlichen Bestimmungen über staatliche Beihilfen zu
beheben. Zunächst müsste Spanien von dem in Art. VI des Abkommens
enthaltenen Streitbeilegungsmechanismus aktiv Gebrauch machen, um im
Einvernehmen mit dem Heiligen Stuhl – wenigstens für die Zukunft – zu einer
Auslegung von Art. IV Abs. 1 Buchst. B des Abkommens zu gelangen,
die mit dem Unionsrecht und insbesondere mit Art. 107 Abs. 1 AEUV
vereinbar ist. Sollte dieser Weg nicht in angemessener Zeit zu einer
unionsrechtskonformen Lösung führen, müsste Spanien das Abkommen kündigen(85).
4. Zusammenfassung
101. Alles in allem lässt sich
festhalten:
Eine Steuerbefreiung wie die hier streitige verstößt
nicht gegen das Verbot staatlicher Beihilfen im Sinne von Art. 107
Abs. 1 AEUV, soweit davon ein Schulgebäude betroffen ist, das von der
katholischen Kirche zur Erbringung von Unterrichtsleistungen im Rahmen ihres
sozialen, kulturellen und bildungspolitischen Auftrags genutzt wird. Hingegen
liegt in einer solchen Steuerbefreiung eine nach Art. 107 Abs. 1 AEUV
verbotene staatliche Beihilfe, soweit das betreffende Gebäude für genuin
kommerzielle Zwecke genutzt wird.
VI – Ergebnis
102. Vor dem Hintergrund der
vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, das
Vorabentscheidungsersuchen des Juzgado de lo Contencioso-administrativo
Nr. 4 von Madrid wie folgt zu beantworten:
Eine Befreiung von der Steuer auf Bauwerke, Einrichtungen
und Baumaßnahmen, wie sie der katholischen Kirche nach dem Abkommen vom
3. Januar 1979 zwischen dem Spanischen Staat und dem Heiligen Stuhl über
wirtschaftliche Angelegenheiten zusteht, verstößt nicht gegen das Verbot
staatlicher Beihilfen im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV, soweit davon
ein Schulgebäude betroffen ist, das von der katholischen Kirche nicht zur
kommerziellen Erbringung von Unterrichtsleistungen, sondern zur Erbringung von
Unterrichtsleistungen im Rahmen ihres sozialen, kulturellen und
bildungspolitischen Auftrags genutzt wird.