SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
HENRIK SAUGMANDSGAARD ØE
vom 19. September 2018(1)
Rechtssache C‑374/17
Finanzamt B
gegen
A‑Brauerei,
Beteiligter:
Bundesministerium der Finanzen
(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs
[Deutschland])
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Staatliche
Beihilfen – Materielle Selektivität – Fehlen – Kriterium der
allgemeinen Verfügbarkeit – Allgemeine Maßnahme – Bezugsrahmen –
Vergleichbarkeit – Rechtfertigung aufgrund der Natur oder des inneren
Aufbaus des Bezugsrahmens – Steuervergünstigung –
Grunderwerbsteuer – Befreiung zugunsten von Umwandlungsvorgängen innerhalb
eines Konzerns – Voraussetzung einer Beteiligung zu mindestens 95 % am
Kapital der beteiligten Gesellschaften – Behaltensfristen von fünf Jahren
vor und nach dem Umwandlungsvorgang“
I. Einleitung
1. Mit
Entscheidung vom 30. Mai 2017 hat der Bundesfinanzhof (Deutschland) dem
Gerichtshof ein Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von
Art. 107 Abs. 1 AEUV vorgelegt.
2. Diese Frage
stellt sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der A‑Brauerei und dem
Finanzamt B (Deutschland) über dessen Entscheidung, für die Übernahme der T‑GmbH
– einer Tochtergesellschaft der A‑Brauerei – durch die A‑Brauerei die
Steuerbefreiung nach § 6a des Grunderwerbsteuergesetzes (in der Fassung vom
26. Februar 1997, BGBl. I S. 418, 1804, zuletzt geändert durch
Art. 12 Nr. 1 des Gesetzes vom 22. Juni 2011, BGBl. I
S. 1126, im Folgenden: GrEStG) zu versagen. Nach dieser Bestimmung sind
bestimmte Umwandlungen innerhalb eines Konzerns von der Grunderwerbsteuer
befreit.
3. Das vorlegende
Gericht ist der Ansicht, dass die Aufnahme der T‑GmbH durch die A‑Brauerei unter
§ 6a GrEStG falle und daher von der Grunderwerbsteuer zu befreien sei.
Fraglich sei allerdings, ob diese Befreiung als staatliche Beihilfe im Sinne von
Art. 107 Abs. 1 AEUV einzustufen sei, was im Kontext des
Ausgangsverfahrens hauptsächlich von der Auslegung der Voraussetzung der
Selektivität abhängen werde. Das Gericht ist gleichwohl der Meinung, dass die
Befreiung nach § 6a GrEStG nicht selektiv sei und daher keine staatliche
Beihilfe darstelle.
4. Vorab ist
darauf hinzuweisen, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur materiellen
Selektivität insbesondere im Bereich der Steuern durch das Nebeneinander zweier
Prüfungsmethoden gekennzeichnet ist, was die Bekanntmachung der Europäischen
Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe bestätigt(2).
5. Die klassische
Prüfungsmethode, die aus dem Wortlaut des AEU-Vertrags abgeleitet werden kann(3),
gründet sich auf das Kriterium der allgemeinen Verfügbarkeit. Nach diesem
Ansatz, der u. a. im Urteil Kommission und Spanien/Government of Gibraltar
und Vereinigtes Königreich(4)
angewandt wurde, ist jeder Vorteil selektiv, der nicht allen Unternehmen im
Inland offensteht. Das Kriterium der allgemeinen Verfügbarkeit verlangt nicht,
dass alle Unternehmen tatsächlich in den Genuss des betreffenden Vorteils
kommen, sondern dass alle in seinen Genuss kommen könnten(5).
6. Die sogenannte
Methode „des Bezugsrahmens“, die auf das Urteil Paint Graphos u. a.(6)
aus dem Jahr 2011 zurückgeht und die im Urteil Kommission/World Duty Free Group
u. a.(7)
bestätigt wurde, beruht auf dem Kriterium der Diskriminierung(8).
Nach diesem dreistufigen Ansatz ist ein Vorteil selektiv, wenn er vom
maßgeblichen Bezugsrahmen abweicht, wenn er nicht allen Unternehmen offensteht,
die sich in vergleichbaren Situationen befinden, und wenn er nicht durch die
Natur oder den inneren Aufbau des fraglichen Systems gerechtfertigt ist(9).
7. Jede dieser
beiden Prüfungsmethoden soll die selektiven Maßnahmen, die unter Art. 107
Abs. 1 AEUV fallen, von den allgemeinen Maßnahmen, die nicht darunter
fallen, unterscheiden. Im Rahmen der vorliegenden Rechtssache führen beide
Methoden meines Erachtens zum selben Ergebnis, nämlich der fehlenden
Selektivität der in § 6a GrEStG vorgesehenen Befreiung.
8. Ich schlage
dem Gerichtshof jedoch vor, nur die klassische Prüfungsmethode anzuwenden
und in Anwendung dieser Methode zu entscheiden, dass die Befreiung nach
§ 6a GrEStG eine allgemeine Maßnahme darstellt, da sie jedem Unternehmen im
Inland und selbst jedem inländischen oder ausländischen Unternehmen, das im
Inland ein Grundstück besitzt, offensteht(10).
9. Ich habe
nämlich gewisse Bedenken hinsichtlich der praktischen Folgen der Heranziehung
der Methode des Bezugsrahmens, sowohl auf materieller als auch auf formeller
Ebene(11).
Mir scheint insbesondere, dass diese Methode die Gefahr mit sich bringt, die
Regeln für staatliche Beihilfen auf jede steuerliche Differenzierung
auszuweiten, indem sie zu einer Überprüfung sämtlicher Steuerregelungen der
Mitgliedstaaten auf der Suche nach Diskriminierungen einlädt.
10. Hilfsweise werde ich die
Gründe darlegen, aus denen die Anwendung der Methode des Bezugsrahmens zum
selben Ergebnis führt, nämlich dem Nichtvorliegen einer staatlichen Beihilfe,
ohne die beträchtlichen Schwierigkeiten zu verbergen, die die Anwendung dieser
Methode mit sich bringt(12).
II. Deutsches Recht
11. § 1 des
Umwandlungsgesetzes (im Folgenden: UmwG) lautet wie folgt:
„(1) Rechtsträger mit
Sitz im Inland können umgewandelt werden
1. durch
Verschmelzung;
2. durch
Spaltung (Aufspaltung, Abspaltung, Ausgliederung);
3. durch
Vermögensübertragung;
…“
12. In § 2 UmwG heißt
es:
„Rechtsträger können unter Auflösung ohne Abwicklung
verschmolzen werden
1. im Wege der
Aufnahme durch Übertragung des Vermögens eines Rechtsträgers oder mehrerer
Rechtsträger (übertragende Rechtsträger) als Ganzes auf einen bestehenden
Rechtsträger (übernehmender Rechtsträger) …“
13. § 1 GrEStG
bestimmt:
„(1) Der
Grunderwerbsteuer unterliegen die folgenden Rechtsvorgänge, soweit sie sich auf
inländische Grundstücke beziehen:
1. ein
Kaufvertrag oder ein anderes Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übereignung
begründet;
2. die
Auflassung, wenn kein Rechtsgeschäft vorausgegangen ist, das den Anspruch auf
Übereignung begründet;
3. der Übergang
des Eigentums, wenn kein den Anspruch auf Übereignung begründendes
Rechtsgeschäft vorausgegangen ist und es auch keiner Auflassung bedarf.
…
(2a) Gehört zum
Vermögen einer Personengesellschaft ein inländisches Grundstück und ändert sich
innerhalb von fünf Jahren der Gesellschafterbestand unmittelbar oder mittelbar
dergestalt, dass mindestens 95 vom Hundert der Anteile am Gesellschaftsvermögen
auf neue Gesellschafter übergehen, gilt dies als ein auf die Übereignung eines
Grundstücks auf eine neue Personengesellschaft gerichtetes Rechtsgeschäft. …
(3) Gehört zum
Vermögen einer Gesellschaft ein inländisches Grundstück, so unterliegen der
Steuer, soweit eine Besteuerung nach Absatz 2a nicht in Betracht kommt,
außerdem:
1. ein
Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile der
Gesellschaft begründet, wenn durch die Übertragung unmittelbar oder mittelbar
mindestens 95 vom Hundert der Anteile der Gesellschaft in der Hand des Erwerbers
oder in der Hand von herrschenden und abhängigen Unternehmen oder abhängigen
Personen oder in der Hand von abhängigen Unternehmen oder abhängigen Personen
allein vereinigt werden würden;
2. die
Vereinigung unmittelbar oder mittelbar von mindestens 95 vom Hundert der Anteile
der Gesellschaft, wenn kein schuldrechtliches Geschäft im Sinne der
Nummer 1 vorausgegangen ist;
3. ein
Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung unmittelbar oder mittelbar von
mindestens 95 vom Hundert der Anteile der Gesellschaft begründet;
4. der Übergang
unmittelbar oder mittelbar von mindestens 95 vom Hundert der Anteile der
Gesellschaft auf einen anderen, wenn kein schuldrechtliches Geschäft im Sinne
der Nummer 3 vorausgegangen ist.“
14. § 6a GrEStG sieht
Folgendes vor:
„Für einen nach § 1 Absatz 1 Nummer 3,
Absatz 2a oder 3 steuerbaren Rechtsvorgang aufgrund einer Umwandlung im
Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 [UmwG] wird die Steuer
nicht erhoben; … Satz 1 gilt auch für entsprechende Umwandlungen aufgrund
des Rechts eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines Staats, auf
den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet.
Satz 1 gilt nur, wenn an dem Umwandlungsvorgang ausschließlich ein
herrschendes Unternehmen und ein oder mehrere von diesem herrschenden
Unternehmen abhängige Gesellschaften oder mehrere von einem herrschenden
Unternehmen abhängige Gesellschaften beteiligt sind. Im Sinne von Satz 3
abhängig ist eine Gesellschaft, an deren Kapital oder Gesellschaftsvermögen das
herrschende Unternehmen innerhalb von fünf Jahren vor dem Rechtsvorgang und fünf
Jahren nach dem Rechtsvorgang unmittelbar oder mittelbar oder teils unmittelbar,
teils mittelbar zu mindestens 95 vom Hundert ununterbrochen beteiligt ist.“
III. Ausgangsrechtsstreit
15. Die A‑Brauerei, Klägerin
des Ausgangsverfahrens und Revisionsbeklagte, ist eine Aktiengesellschaft mit
einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb. Sie hielt 100 % der
Geschäftsanteile an der T‑GmbH, der mehrere Grundstücke gehörten. Die T‑GmbH war
ihrerseits Alleingesellschafterin der E‑GmbH.
16. Mit Vertrag vom
1. August 2012 übertrug die T‑GmbH als übertragender Rechtsträger ihr
Vermögen als Ganzes (also einschließlich der Grundstücke) mit allen Rechten und
Pflichten unter Auflösung ohne Abwicklung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1
in Verbindung mit § 2 Nr. 1 UmwG auf die A‑Brauerei als übernehmender
Rechtsträger (Verschmelzung durch Aufnahme). Die Verschmelzung wurde mit der
Eintragung im Handelsregister am 24. September 2012 wirksam. Zu diesem
Zeitpunkt erlosch die T‑GmbH, an der die A‑Brauerei seit mehr als fünf Jahren
beteiligt gewesen war. Die A‑Brauerei war seitdem Alleingesellschafterin der
E‑GmbH.
17. Das Finanzamt B,
Beklagter und Revisionskläger, vertrat die Ansicht, dass der Übergang der
Grundstücke aufgrund der Verschmelzung der T‑GmbH auf die A‑Brauerei einen
steuerbaren Vorgang nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG darstelle und
dieser Vorgang nicht unter die Befreiung nach § 6a GrEStG falle. Den
Einspruch der A‑Brauerei wies es mit der Begründung zurück, bei der T‑GmbH
handele es sich nicht um eine abhängige Gesellschaft im Sinne von § 6a
GrEStG, weil sie aufgrund der Verschmelzung untergegangen sei und deshalb die
gesetzliche Nachbehaltensfrist von fünf Jahren nicht eingehalten worden sei.
18. Das Finanzgericht
(Deutschland) gab der Klage der A‑Brauerei statt und gewährte ihr die
Steuerbegünstigung nach § 6a GrEStG.
19. Mit seiner Revision beim
vorlegenden Gericht rügt das Finanzamt einen Verstoß gegen § 6a GrEStG. Es
beantragt, das Urteil des Finanzgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die A‑Brauerei beantragt, die Revision zurückzuweisen.
20. Das Bundesministerium
der Finanzen (Deutschland) ist dem Verfahren beigetreten. Es hat mitgeteilt,
dass ein förmliches Prüfverfahren durch die Kommission in Bezug auf die neu
eingeführte Steuerbegünstigung des § 6a GrEStG nicht stattgefunden
habe.
IV. Vorlagefrage
21. Der Bundesfinanzhof hat
dem Gerichtshof erläuternde Hinweise zu der von § 1 Abs. 1 GrEStG
vorgesehenen Grunderwerbsteuer, der Befreiung nach § 6a GrEStG sowie der
Relevanz der Vorlagefrage für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits
gegeben.
22. Ich halte es für das
richtige Verständnis des Ausgangsrechtsstreits und der Bedeutung der
vorliegenden Rechtssache für zweckmäßig, diese Erläuterungen zum Teil
wiederzugeben.
A. Grunderwerbsteuer
nach § 1 Abs. 1 GrEStG
23. Die Grunderwerbsteuer
nach § 1 Abs. 1 GrEStG erfasst grundsätzlich alle Rechtsvorgänge, bei
denen der Rechtsträger eines im Inland gelegenen Grundstücks wechselt.
24. Zu den Vorgängen nach
§ 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG zählen u. a. Rechtsträgerwechsel
aufgrund von Umwandlungen nach dem UmwG, wie eine Verschmelzung, eine Spaltung
oder eine Vermögensübertragung. Bei diesen Vorgängen geht das Vermögen des
übertragenden Rechtsträgers als Ganzes (Gesamtrechtsnachfolge) oder teilweise
(Sonderrechtsnachfolge) auf einen neuen Rechtsträger über, ohne dass es einer
Übertragung einzelner Vermögensgegenstände bedarf.
25. Außerdem stellt § 1
Abs. 2a und 3 GrEStG eine rechtliche Fiktion auf, wonach bestimmte
Rechtsvorgänge betreffend die Gesellschaftsanteile den Rechtsvorgängen
betreffend die von diesen Gesellschaften gehaltenen Grundstücke gleichgestellt
sind und daher grundsätzlich der Grunderwerbsteuer unterliegen. Bei allen von
dieser Fiktion umfassten Fällen werden insgesamt oder sukzessive mindestens
95 % der Anteile der betreffenden Gesellschaft übertragen.
B. Befreiung
nach § 6a GrEStG
26. § 6a GrEStG sieht
eine Befreiung von der Grunderwerbsteuer im Fall einer Umwandlung im Sinne von
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UmwG vor. Diese Befreiung gilt für
Unternehmen mit Sitz im Inland oder im Ausland. Sie gilt auch für entsprechende
Umwandlungen aufgrund des Rechts eines Mitgliedstaats oder eines Staats, auf den
das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet.
27. § 6а Satz 3
GrEStG schränkt jedoch den Anwendungsbereich dieser Befreiung auf Umwandlungen
im Konzern ein. An der Umwandlung dürfen nämlich ausschließlich ein herrschendes
Unternehmen und ein oder mehrere von diesem herrschenden Unternehmen abhängige
Gesellschaften oder mehrere von einem herrschenden Unternehmen abhängige
Gesellschaften beteiligt sein. Eine Gesellschaft wird als abhängig eingestuft,
wenn an ihrem Kapital oder Gesellschaftsvermögen das herrschende Unternehmen
innerhalb von fünf Jahren vor dem Rechtsvorgang und fünf Jahren nach dem
Rechtsvorgang unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 95 % ununterbrochen
beteiligt ist.
28. Der Bundesfinanzhof
weist darauf hin, dass er § 6a GrEStG entsprechend dem Begünstigungszweck,
Umstrukturierungen innerhalb von Konzernen zu erleichtern, weit auslege.
29. Diese weite Auslegung
gilt für den Begriff des herrschenden Unternehmens im Sinne von § 6a
Satz 3 GrEStG. Herrschendes Unternehmen kann jede natürliche oder
juristische Person, Personengesellschaft oder Personenvereinigung sein, die jede
Art von wirtschaftlicher Tätigkeit ausübt. Diese letztere Voraussetzung ist
u. a. erfüllt, wenn das herrschende Unternehmen über seine Beteiligung am
abhängigen Unternehmen am Markt teilnimmt.
30. Nach dieser weiten
Auslegung sind die in § 6a Satz 4 GrEStG vorgesehenen Behaltensfristen
nur insoweit maßgebend, als sie nach der Umwandlung auch eingehalten werden
können. So kann bei einer Verschmelzung einer abhängigen Gesellschaft auf das
herrschende Unternehmen nur die Frist vor der Verschmelzung eingehalten werden,
da definitionsgemäß die Beteiligung des herrschenden Unternehmens am Kapital der
abhängigen Gesellschaft nach der Verschmelzung untergeht. Die Steuerbegünstigung
nach § 6a GrEStG wird jedoch gewährt, weil die Behaltensfrist nach der
Verschmelzung gerade wegen der Verschmelzung nicht eingehalten werden kann.
Diese Auslegung gilt für die anderen von § 6a Satz 1 GrEStG erfassten
Umwandlungsvorgänge.
C. Erheblichkeit
der Vorlagefrage für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits
31. Das vorlegende Gericht
ist der Ansicht, dass die Aufnahme der T‑GmbH durch die A‑Brauerei unter
§ 6a GrEStG falle und daher von der Grunderwerbsteuer zu befreien sei. An
dem Umwandlungsvorgang seien nämlich die A‑Brauerei als herrschendes Unternehmen
und die auf die A‑Brauerei verschmolzene T‑GmbH als abhängige Gesellschaft
beteiligt gewesen. Die A‑Brauerei sei wirtschaftlich tätig und habe vor der
Verschmelzung durch Aufnahme mehr als fünf Jahre 100 % der Geschäftsanteile
an der T‑GmbH gehalten. Außerdem könne die Behaltensfrist nach der Verschmelzung
gerade wegen der Verschmelzung nicht eingehalten werden.
32. Dieses Gericht fragt
sich allerdings, ob diese Befreiung als staatliche Beihilfe im Sinne von
Art. 107 Abs. 1 AEUV einzustufen sei.
33. Es weist darauf hin,
dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die nationalen Gerichte im
Bereich staatlicher Beihilfen mit Rechtsstreitigkeiten befasst werden könnten,
in deren Rahmen sie den in Art. 107 Abs. 1 AEUV enthaltenen
Beihilfebegriff auszulegen und anzuwenden hätten, um insbesondere zu bestimmen,
ob eine staatliche Maßnahme ohne Beachtung des in Art. 108 Abs. 3 AEUV
vorgesehenen Vorprüfungsverfahrens eingeführt worden sei.
34. Wenn diese Befreiung als
staatliche Beihilfe anzusehen sei, werde § 6a GrEStG unanwendbar und das
Revisionsverfahren würde bis zum Erlass einer Entscheidung der Kommission über
die Vereinbarkeit dieser Beihilfe mit dem Binnenmarkt ausgesetzt. Im
gegenteiligen Fall würde die Revision des Finanzamts als unbegründet
zurückgewiesen und die A‑Brauerei könnte diese Befreiung beanspruchen.
35. Insbesondere wirft das
vorlegende Gericht Fragen zur Selektivität der Steuerbegünstigung nach § 6a
GrEStG auf.
36. Unter diesen Umständen
hat der Bundesfinanzhof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende
Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 107 Abs. 1 AEUV dahin gehend
auszulegen, dass eine nach dieser Vorschrift verbotene Beihilfe vorliegt, wenn
nach der Regelung eines Mitgliedstaats Grunderwerbsteuer für einen steuerbaren
Erwerb aufgrund einer Umwandlung (Verschmelzung) nicht erhoben wird, falls am
Umwandlungsvorgang bestimmte Rechtsträger (herrschendes Unternehmen und eine
abhängige Gesellschaft) beteiligt sind und die Beteiligung des herrschenden
Unternehmens an der abhängigen Gesellschaft in Höhe von 100 % innerhalb von
fünf Jahren vor dem Rechtsvorgang und fünf Jahren nach dem Rechtsvorgang
besteht?
V. Verfahren
vor dem Gerichtshof
37. Das
Vorabentscheidungsersuchen ist am 21. Juni 2017 in das Register der Kanzlei
des Gerichtshofs eingetragen worden.
38. Die A‑Brauerei, die
deutsche Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen
eingereicht.
39. In der mündlichen
Verhandlung vom 11. Juni 2018 sind die Vertreter der A‑Brauerei sowie die
Bevollmächtigten der deutschen Regierung und der Kommission erschienen, um
mündliche Ausführungen zu machen.
VI. Würdigung
40. Mit seiner Frage möchte
das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 107 Abs. 1 AEUV dahin
auszulegen ist, dass eine Steuerbegünstigung wie die im Ausgangsrechtsstreit in
Rede stehende, der darin besteht, einen Umwandlungsvorgang innerhalb eines
Konzerns, im vorliegenden Fall eine Verschmelzung, an der ein herrschendes
Unternehmen und eine abhängige Gesellschaft beteiligt sind, von der
Grunderwerbsteuer zu befreien, wobei das herrschende Unternehmen eine
Beteiligung von mindestens 95 % an der abhängigen Gesellschaft innerhalb
von fünf Jahren vor dem Rechtsvorgang und grundsätzlich fünf Jahren nach dem
Rechtsvorgang halten muss, als staatliche Beihilfe einzustufen ist.
41. Nach Art. 107
Abs. 1 AEUV sind, soweit in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist,
staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art,
die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den
Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt
unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.
42. Nach ständiger
Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt die Qualifizierung als Beihilfe im
Sinne dieser Bestimmung, dass alle dort genannten Voraussetzungen erfüllt
sind(13).
43. Die Schwierigkeiten der
vorliegenden Rechtssache konzentrieren sich auf die Voraussetzung der
Selektivität(14).
44. Das vorlegende Gericht,
die A‑Brauerei und die deutsche Regierung sind der Auffassung, dass diese
Voraussetzung von der im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehenden Steuerbefreiung
nicht erfüllt werde und diese daher nicht als staatliche Beihilfe eingestuft
werden könne. Die Kommission vertritt den gegenteiligen Standpunkt.
45. Wie das vorlegende
Gericht, die A‑Brauerei und die deutsche Regierung bin ich der Ansicht, dass
diese Steuerbefreiung nicht selektiv ist. Diese fehlende Selektivität ist aus
der Anwendung der klassischen Methode der Selektivitätsprüfung, die sich auf den
Begriff „allgemeine Verfügbarkeit“ stützt (Abschnitt C), sowie der
Anwendung der Methode des Bezugsrahmens, und zwar trotz der Schwierigkeiten bei
ihrer Anwendung (Abschnitt D), abzuleiten.
46. Vorab möchte ich jedoch
auf die entscheidende Bedeutung, die der Auslegung der Voraussetzung der
Selektivität im Bereich der Steuern zukommt (Abschnitt A), sowie auf die
systemische Bedeutung der Wahl der Methode der Selektivitätsprüfung
(Abschnitt B) hinweisen.
A. Zur
entscheidenden Bedeutung der Voraussetzung der Selektivität im Bereich der
Steuern
47. Die Voraussetzung der
Selektivität ist für die Einstufung als staatliche Beihilfe im Bereich der
Steuern entscheidend, wenn eine steuerliche Maßnahme, die eine Differenzierung
zwischen Wirtschaftsteilnehmern vornimmt, grundsätzlich die anderen von
dieser Einstufung verlangten Voraussetzungen erfüllt.
48. Die Einstufung als
staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV ist von der
Erfüllung von sechs Voraussetzungen abhängig(15).
Erstens muss die nationale Maßnahme einem Unternehmen einen Vorteil verschaffen.
Zweitens muss dieser Vorteil selektiv sein. Drittens muss dieser Vorteil dem
Staat zurechenbar sein. Viertens muss sie aus staatlichen Mitteln gewährt
werden. Fünftens muss die Maßnahme den Handel zwischen den Mitgliedstaaten
beeinträchtigen. Sechstens muss diese Maßnahme den Wettbewerb verfälschen oder
zu verfälschen drohen.
49. Von diesen sechs
Voraussetzungen sind drei fast definitionsgemäß von jeder eine
Steuerbegünstigung vorsehenden nationalen Maßnahme, wie die im
Ausgangsrechtsstreit in Rede stehende Befreiung, erfüllt.
50. Zunächst gewährt eine
solche Befreiung den in ihren Anwendungsbereich fallenden Steuerpflichtigen
einen Vorteil, indem sie sie von einer finanziellen Belastung befreit,
nämlich im Ausgangsrechtsstreit von der in § 1 GrEStG festgelegten
Grunderwerbsteuer.
51. Sodann ist eine
Steuerbegünstigung im Allgemeinen von einer Maßnahme in Form von Gesetzen oder
Verordnungen, wie im Ausgangsrechtsstreit § 6a GrEStG, vorgesehen. Das
Erfordernis der Zurechenbarkeit an den Staat ist daher als erfüllt
anzusehen(16).
52. Schließlich hat der
Gerichtshof bereits vor langem entschieden, dass die Einführung einer
Steuerbegünstigung die Verwendung staatlicher Mittel impliziert, und zwar
trotz des Fehlens einer unmittelbaren Übertragung dieser Mittel, wobei der
Ursprung eines solchen Vorteils im Verzicht des Mitgliedstaats auf
Steuereinnahmen liegt, die er normalerweise erhalten hätte(17).
53. Von den drei
verbleibenden Voraussetzungen werden diejenige betreffend die Beeinträchtigung
des Handels zwischen den Mitgliedstaaten und die Gefahr einer Verzerrung
des Wettbewerbs praktisch sehr oft erfüllt sein, wenn die in Rede
stehende Maßnahme nicht unter eine De-minimis-Verordnung(18)
oder die Entscheidungspraxis der Kommission über die Maßnahmen mit rein lokalen
Auswirkungen(19)
fällt.
54. Nach ständiger
Rechtsprechung bedarf es nämlich nicht des Nachweises einer tatsächlichen
Auswirkung der fraglichen Beihilfe auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten und
einer tatsächlichen Wettbewerbsverzerrung, sondern nur der Prüfung, ob die
Beihilfe geeignet ist, diesen Handel zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zu
verfälschen(20).
55. Insbesondere wird durch
eine von einem Mitgliedstaat gewährte Beihilfe der Handel zwischen den
Mitgliedstaaten beeinflusst, wenn sie bei diesem die Stellung eines Unternehmens
gegenüber anderen konkurrierenden Unternehmen stärkt, ohne dass es erforderlich
ist, dass das begünstigte Unternehmen selbst am Handel zwischen den
Mitgliedstaaten teilnimmt(21).
56. Außerdem gibt es keinen
Schwellenwert oder Prozentsatz, bis zu dem man davon ausgehen könnte, dass der
Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt wäre. Weder der
verhältnismäßig geringe Umfang einer Beihilfe noch die verhältnismäßig geringe
Größe des begünstigten Unternehmens schließt nämlich von vornherein die
Möglichkeit einer Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten aus(22).
57. Was die Voraussetzung
der Wettbewerbsverzerrung anbelangt, verfälschen nach der Rechtsprechung
Beihilfen, die ein Unternehmen von den Kosten befreien sollen, die es
normalerweise im Rahmen seiner laufenden Geschäftsführung oder seiner üblichen
Tätigkeiten zu tragen gehabt hätte, grundsätzlich die Wettbewerbsbedingungen(23).
Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass eine Steuervergünstigung
den Wettbewerb verzerren kann, da sie den betreffenden Wirtschaftsteilnehmern
einen wirtschaftlichen Vorteil verschafft(24).
58. Es ist Sache des
vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob im spezifischen Rahmen des
Ausgangsrechtsstreits diese beiden Voraussetzungen erfüllt sind. Jedenfalls
scheint mir kaum zweifelhaft zu sein, dass, unabhängig von diesem Rechtsstreit,
die fragliche Steuerbefreiung unter tatsächlichen Umständen anwendbar ist, in
denen diese beiden Voraussetzungen sehr wohl erfüllt sein werden.
59. Nach alledem werden
grundsätzlich die fünf ersten Voraussetzungen für die Einstufung der Befreiung
nach § 6a GrEStG als staatliche Beihilfe erfüllt sein. Die Einstufung
dieser Befreiung als staatliche Beihilfe wird daher in erster Linie von ihrer
möglichen selektiven Natur abhängen. Allgemeiner hat aus diesem Grund die
Selektivität eine entscheidende Bedeutung für die Einstufung als staatliche
Beihilfe im Bereich der Steuern.
60. Im Hinblick auf diese
entscheidende Bedeutung der Voraussetzung der Selektivität im Bereich der
Steuern ist die systemische Bedeutung der Wahl der Methode der
Selektivitätsprüfung zu betonen.
B. Zur
systemischen Bedeutung der Wahl der Methode der Selektivitätsprüfung und zur
Unterscheidung zwischen dem Kriterium der allgemeinen Verfügbarkeit und
demjenigen der Diskriminierung
61. Wie ich in der
Einleitung der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, ist die
Rechtsprechung des Gerichtshofs durch zwei Methoden der materiellen
Selektivitätsprüfung gekennzeichnet, wobei die erste auf dem Kriterium der
allgemeinen Verfügbarkeit (klassische Prüfungsmethode) und die zweite auf
demjenigen der Diskriminierung (Methode des Bezugsrahmens) beruht.
62. Diese beiden Methoden
haben in der Praxis unterschiedliche Implikationen sowohl auf materieller
Ebene, nämlich zum Anwendungsbereich des Beihilfenrechts, als auch auf
formeller Ebene, nämlich zur Art der für die Bestimmung des Vorliegens
einer Beihilfe erforderlichen Prüfung.
63. Was erstens die
Implikationen auf materieller Ebene betrifft, so führt die Methode des
Bezugsrahmens, die auf dem Begriff der Diskriminierung beruht(25),
dazu, sich Fragen zur Rechtmäßigkeit jeder Differenzierung durch die
Mitgliedstaaten im Bereich der Steuern zu stellen.
64. Im Vergleich dazu
beschränkt die klassische Prüfungsmethode den Umfang der beihilferechtlichen
Prüfung auf nur diejenigen Differenzierungen, die nicht allgemein verfügbar
sind, d. h. auf die Differenzierungen, auf die sich nicht alle
Unternehmen im Inland berufen können.
65. Diese beiden Begriffe
können zwar in der Theorie ähnlich scheinen, sie haben jedoch in der Praxis
spürbar unterschiedliche Tragweiten.
66. Um ein extremes Beispiel
heranzuziehen, stellt eine Maßnahme, die progressive Steuersätze vorsieht, die
nach der Höhe der Einkommen definiert werden, unbestreitbar eine allgemeine
Maßnahme nach der klassischen Prüfungsmethode dar, da jedes Unternehmen die
günstigsten Sätze beanspruchen kann. Hingegen stellen nach der Methode des
Bezugsrahmens die günstigsten Steuersätze eine Differenzierung dar, die entweder
durch eine fehlende Vergleichbarkeit (zweiter Schritt) oder durch das Vorliegen
einer Rechtfertigung aufgrund der Natur oder des inneren Aufbaus der fraglichen
Regelung (dritter Schritt) validiert werden muss.
67. Um ganz klar zu sein:
Ich behaupte natürlich nicht, dass die Methode des Bezugsrahmens automatisch
dazu führen würde, progressive Steuersätze als selektiv einzustufen(26),
aber sehr wohl, dass sie diese Möglichkeit umfasst, da sie dazu führt, sich
Fragen zur Rechtmäßigkeit von Maßnahmen zu stellen, die durch die klassische
Prüfungsmethode vorab ausgeschlossen werden. Diese Gefahr der Ausweitung des
Beihilfenrechts könnte insbesondere Maßnahmen betreffen, die denjenigen ähnlich
sind, die der Gerichtshof in der Vergangenheit als „allgemein“ eingestuft hat(27).
68. Mit anderen Worten ist
der Untersuchungsbereich des Diskriminierungstests deutlich weiter als derjenige
des Tests der allgemeinen Verfügbarkeit. Der Diskriminierungstest ist nämlich
grundsätzlich auf jedes Differenzierungskriterium, insbesondere im
Bereich der Steuern, anzuwenden(28).
69. Im Vergleich dazu
bezieht sich der Test der allgemeinen Verfügbarkeit nur auf die
Differenzierungskriterien, die bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige von
der Inanspruchnahme des betreffenden Vorteils unwiderruflich ausschließen. Das
ist u. a. bei den Differenzierungen nicht der Fall, die auf der Verwendung
von Rechtsinstrumenten wie der im Ausgangsverfahren fraglichen Befreiung nach
§ 6a GrEStG beruhen. Daher ist diese Befreiung nach der klassischen
Prüfungsmethode eine allgemeine Maßnahme, da es jedem Unternehmen freisteht,
seine Tätigkeiten in einem Konzern zu strukturieren und gegebenenfalls einen der
in § 6a GrEStG genannten Umwandlungsvorgänge durchzuführen(29).
70. Diese Befreiung könnte
hingegen in Anwendung der Methode des Bezugsrahmens als selektiv eingestuft
werden, wenn die Stelle, die darüber zu befinden hat (die Kommission, das
Gericht, der Gerichtshof oder das nationale Gericht), der Ansicht ist, dass die
sich daraus ergebende unterschiedliche Behandlung nicht durch die fehlende
Vergleichbarkeit(30)
oder das Vorliegen einer Rechtfertigung(31)
validiert werden kann.
71. Eine andere Art, die
unterschiedliche Tragweite dieser beiden Ansätze zu erläutern, besteht darin,
sich zu fragen, zu welchem Zeitpunkt man die Selektivität eines Vorteils zu
beurteilen hat. Nach der klassischen Prüfungsmethode, die sich auf den Gedanken
der allgemeinen Verfügbarkeit gründet, ist die Selektivität vor dem
Zeitpunkt zu beurteilen, zu dem ein Unternehmen eine Entscheidung trifft, die
ihm gestattet, einen Vorteil zu erlangen, wie eine Investition, die Einstellung
eines Arbeitnehmers oder ein Umwandlungsvorgang innerhalb eines Konzerns. Nach
diesem ersten Ansatz ist ein Vorteil nicht selektiv, wenn das Verhalten, auf das
dieser Vorteil abzielt, von jedem Unternehmen angenommen werden kann(32).
72. Dagegen führt die
Methode des Bezugsrahmens dazu, die Selektivität nach einer solchen
Entscheidung zu beurteilen, indem sie die Situation der Unternehmen, denen
tatsächlich der Vorteil gewährt wird – weil sie das Verhalten, auf das der
Vorteil abzielt, angenommen haben – mit der Situation der Unternehmen, denen er
nicht gewährt wird – weil sie dieses Verhalten nicht angenommen haben,
vergleicht. Nach diesem zweiten Ansatz fällt offensichtlich eine große Zahl von
steuerlichen Differenzierungen, die durch den ersten Ansatz vorab ausgeschlossen
werden, unter das Beihilfenrecht(33).
73. Zusammenfassend geht die
Methode des Bezugsrahmens dahin, das Beihilfenrecht in einen allgemeinen
Diskriminierungstest umzuwandeln, der jedes Differenzierungskriterium
betrifft und nach dem daher sämtliche Steuerregelungen der Mitgliedstaaten zu
überprüfen sind, soweit diese Regelungen um Differenzierungen herum aufgebaut
sind(34).
Die Strenge dieses Tests wird außerdem durch die Beschränkungen betreffend die
Ziele, die hinsichtlich der Vergleichbarkeit(35)
und der Rechtfertigung(36)
geltend gemacht werden können, verschärft.
74. In einem Bereich wie dem
Steuerrecht, der eng mit der Souveränität der Mitgliedstaaten verbunden ist, der
auf Unionsebene nicht oder wenig harmonisiert ist und der heikle politische
Fragen, wie die Gleichheit vor der Steuer oder die Progressivität der Steuer,
aufwirft, kann man sich jedoch fragen, ob die Verwendung einer weniger invasiven
Prüfungsmethode, die sich auf den Begriff der allgemeinen Verfügbarkeit gründet,
nicht angemessener ist.
75. Insoweit weise ich
darauf hin, dass für die Beurteilung der Vereinbarkeit von Beihilfemaßnahmen mit
dem Binnenmarkt nach Art. 107 Abs. 2 und 3 AEUV ausschließlich die
Kommission zuständig ist(37).
76. Abgesehen von den in
Art. 107 Abs. 2 AEUV genannten Fällen, deren praktische Bedeutung
aufgrund ihrer Besonderheiten gering ist, verfügt die Kommission hierbei über
ein weites Ermessen, dessen Ausübung komplexe wirtschaftliche und soziale
Wertungen voraussetzt(38).
Daher ist die Kommission nicht verpflichtet, solche Beihilfen für mit dem
Gemeinsamen Markt vereinbar zu erklären, obwohl sie sich auch dann zur
Vereinbarkeit staatlicher Beihilfen, über die sie ihre Kontrolle ausübt, mit dem
Gemeinsamen Markt äußern muss, wenn diese ihr nicht notifiziert wurden(39).
Außerdem ist Art. 107 Abs. 2 und 3 AEUV in Bezug auf Abweichungen vom
allgemeinen Grundsatz der Unvereinbarkeit staatlicher Beihilfen mit dem
Gemeinsamen Markt eng auszulegen(40).
77. In Anbetracht der
ausschließlichen Zuständigkeit und des weiten Ermessens der Kommission
hinsichtlich der Vereinbarkeit der Beihilfen mit dem Binnenmarkt würde eine
Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Beihilfenrechts mittels der Methode des
Bezugsrahmens der Kommission die Befugnis übertragen, die nationalen
Steuerregelungen zu „glätten“, indem sie die Aufhebung der Differenzierungen
verlangt, die aus sozialen, wirtschaftlichen, ökologischen oder anderen Gründen
zulässigerweise festgelegt wurden(41).
78. Es wäre meines Erachtens
schwer mit dem Grundsatz der Autonomie der Mitgliedstaaten im Bereich der
Steuern vereinbar, der Kommission eine solche Befugnis zu gewähren. Nach der
Rechtsprechung des Gerichtshofs fallen nämlich mangels einer einschlägigen
Unionsregelung die Bestimmung der Bemessungsgrundlage und die Verteilung der
Steuerbelastung auf die unterschiedlichen Produktionsfaktoren und
Wirtschaftssektoren in die Steuerzuständigkeit der Mitgliedstaaten(42).
79. Mit anderen Worten ist
es nicht Sache der Kommission, wegen des Verbots staatlicher Beihilfen über jede
unterschiedliche Behandlung zu befinden, die sich aus der von jedem
Mitgliedstaat festgelegten Verteilung der Steuerbelastung ergibt.
80. Man kann sich auch
fragen, ob die Heranziehung der Methode des Bezugsrahmens die Mitgliedstaaten
de facto zwänge, der Kommission nach Art. 108 Abs. 3 AEUV die
überwiegende Mehrheit ihrer nationalen steuerpolitischen Maßnahmen, insbesondere
diejenigen, die ihren Jahreshaushalt umsetzen, oder diejenigen, die jedem
Unternehmen offenstehen, wie die im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehende
Befreiung, zu notifizieren.
81. Im Vergleich dazu
gestattet es die Heranziehung der klassischen Prüfungsmethode, die sich auf das
Kriterium der allgemeinen Verfügbarkeit gründet, das Beihilfenrecht und in
erster Linie die Tätigkeit der Kommission auf die für den Wettbewerb im
Binnenmarkt schädlichsten Maßnahmen, nämlich die Einzelbeihilfen und die
sektoralen Beihilfen, zu konzentrieren(43).
Die intersektoralen Maßnahmen würden diesem Recht dagegen nur unterstellt, wenn
feststeht, dass sie mittelbar selektiv und daher für den Wettbewerb im
Binnenmarkt schädlich sind („Gibraltar“-Ausnahme(44)).
82. Zweitens stelle ich mir
auch auf formeller Ebene zu den Implikationen der Methode des
Bezugsrahmens Fragen, nämlich zur Qualität der für die Feststellung des
Vorliegens einer Beihilfe erforderlichen Prüfung, und zwar aus den folgenden
vier Gründen. Diese formellen Schwierigkeiten wurden auch in der Lehre
festgestellt(45).
83. Als Erstes ist die
Methode des Bezugsrahmens, anders als die klassische Prüfungsmethode, formell um
drei aufeinanderfolgende Schritte herum aufgebaut, deren genauer Inhalt unsicher
ist(46).
84. Als Zweites ist im
spezifischen Kontext der vorliegenden Rechtssache die Anwendung dieser Methode
meines Erachtens mit zahlreichen Schwierigkeiten verbunden, die großteils die
ungewöhnliche Länge der vorliegenden Schlussanträge erklären. Diese
Schwierigkeiten sind umso bemerkenswerter, als die in der vorliegenden
Rechtssache in Rede stehende Steuerregelung relativ gewöhnlich ist.
85. Als Drittes neigt diese
Methodik dazu, die Diskussion zur Selektivität zu formellen Fragen hin zu
verlagern, wie zur Bestimmung des einschlägigen Bezugsrahmens. So hat der
Gerichtshof jüngst im Urteil Andres/Kommission(47)
meines Erachtens zu Recht entschieden, dass das Gericht bei der Bestimmung des
einschlägigen Bezugsrahmens einen Rechtsfehler begangen hatte. Der mit diesem im
ersten Schritt der Methode des Bezugsrahmens begangenen formellen Fehler
befasste Gerichtshof hat jedoch nicht über die grundlegende Frage befunden,
nämlich das Vorliegen oder Nichtvorliegen des selektiven Charakters eines
steuerlichen Vorteils, der Unternehmen in Schwierigkeiten mittelbar
begünstigte.
86. Als Viertes kann man
sich fragen, ob es angemessen ist, den zur Untersuchung des Vorliegens einer
Beihilfe auf nationaler Ebene berufenen Personen eine so komplexe Prüfung
vorzuschreiben. Ich denke zunächst an die nationalen Beamten, die mit der
Notifizierung der Beihilfemaßnahmen an die Kommission betraut sind, sodann an
die Unternehmen, von denen die Rückzahlung einer rechtswidrig gewährten Beihilfe
verlangt werden könnte, und schließlich an die nationalen Gerichte, die damit
betraut sind, der rechtswidrigen Gewährung einer Beihilfe abzuhelfen(48).
Gerade in Erfüllung dieser Aufgabe hat das vorlegende Gericht den Gerichtshof
mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen befasst(49).
87. Aus all diesen sowohl
materiellen als auch formellen Gründen schlage ich dem Gerichtshof vor, nicht
nur in der vorliegenden Rechtssache, sondern allgemeiner im Bereich der Steuern,
die klassische, auf dem Kriterium der allgemeinen Verfügbarkeit gründende
Prüfungsmethode anzuwenden.
88. Wie sich aus dem
folgenden Abschnitt ergeben wird, erlaubt es die Anwendung dieser klassischen
Prüfungsmethode ohne Schwierigkeit, auf den nichtselektiven Charakter der
Befreiung nach § 6a GrEStG zu schließen.
C. Zur
Anwendung der klassischen Methode der Selektivitätsprüfung und zur Einstufung
der Befreiung nach § 6a GrEStG als allgemeine Maßnahme
89. Art. 107 AEUV
untersagt Beihilfen, die „bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige
begünstigen“, d. h. selektive Beihilfen(50).
90. Nach ständiger
Rechtsprechung stellen die Vorteile aus einer unterschiedslos auf alle
Wirtschaftsteilnehmer anwendbaren allgemeinen Maßnahme keine staatlichen
Beihilfen im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV dar(51).
91. Im Gegensatz zur Methode
des Bezugsrahmens, die ich im nächsten Abschnitt prüfen werde, beruht die
klassische Prüfungsmethode nicht auf dem Gedanken der Diskriminierung(52),
sondern auf dem der allgemeinen Verfügbarkeit. Nach diesem Ansatz ist
jede Maßnahme selektiv, die einen Vorteil verschafft, der nur für „bestimmte
Unternehmen oder Produktionszweige“ verfügbar ist, um den Wortlaut von
Art. 107 Abs. 1 AEUV zu übernehmen, der nicht auf den Begriff der
Diskriminierung Bezug nimmt.
92. Nach diesem Ansatz sind
die Vorteile als selektiv einzustufen, die nur entweder ein oder mehrere
Unternehmen oder Gruppen von Unternehmen oder ein oder mehrere Produktionszweige
beanspruchen können(53).
93. Somit ist der Begriff
der allgemeinen Maßnahme nur auf die Vorteile anwendbar, der den Unternehmen
insgesamt und unabhängig von ihrem Tätigkeitsbereich gewährt werden, d. h.
auf die sektorübergreifenden Vorteile. Solche Vorteile sind grundsätzlich als
allgemeine Maßnahmen anzusehen, wobei sie dafür allen Unternehmen im Inland
offenstehen müssen(54).
94. Der Begriff der
allgemeinen Maßnahme verlangt jedoch nicht, dass alle Unternehmen tatsächlich
in den Genuss des fraglichen sektorübergreifenden Vorteils kommen
(Kriterium der tatsächlichen Inanspruchnahme), sondern nur, dass alle
Unternehmen in seinen Genuss kommen könnten (Kriterium der
Verfügbarkeit)(55).
Das ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung, wonach die Tatsache, dass nur
die Steuerpflichtigen, die die Voraussetzungen für die Anwendung einer Maßnahme
erfüllen, diese in Anspruch nehmen können, als solche dieser Maßnahme keinen
selektiven Charakter verleihen kann(56).
Hingegen können die Vorteile als selektiv eingestuft werden, von denen gewisse
Unternehmen oder gewisse Wirtschaftssektoren unwiderruflich ausgeschlossen
sind.
95. Der Rechtsprechung des
Gerichtshofs sind mehrere Beispiele allgemeiner oder potenziell allgemeiner
Maßnahmen zu entnehmen. So ist eine steuerliche Maßnahme, nach der
Steuerpflichtige den Gewinn aus dem Verkauf von Wirtschaftsgütern abziehen
dürfen, vorausgesetzt, sie schaffen andere Wirtschaftsgüter an, als allgemein
einzustufen(57).
Ebenso genügt die Tatsache, dass eine erhöhte Ermäßigung von Soziallasten nur
Unternehmen vorbehalten wird, die Arbeiter oder Arbeiter, deren Arbeitszeit eine
Mindeststundenzahl überschreitet, beschäftigt, nicht, um auf das Vorliegen einer
Beihilfe zu schließen(58).
96. Der Gerichtshof hat auch
entschieden, dass eine nationale Bestimmung, die unter bestimmten
Voraussetzungen die Einstellung von gerichtlichen Verfahren in Steuersachen
gegen Zahlung eines Betrags in Höhe von 5 % des Streitwerts vorsah(59),
oder auch eine nationale Regelung, die vorsah, dass eine Unterbrechungshandlung
im Rahmen der Strafverfolgung von schwerem Mehrwertsteuerbetrug die Wirkung hat,
die Verjährungsfrist um lediglich ein Viertel ihrer ursprünglichen Dauer zu
verlängern(60),
als allgemeine Maßnahme einzustufen ist.
97. Außerdem hat der
Gerichtshof im Urteil Netherlands Maritime Technology Association/Kommission(61)
die Gültigkeit einer Entscheidung der Kommission(62)
bestätigt, die die Gewährung eines nur auf unter einem Leasingvertrag erworbene
Vermögenswerte anwendbaren steuerlichen Vorteils als allgemeine Maßnahme
eingestuft hatte.
98. Dies vorausgeschickt,
kann ein sektorübergreifender Vorteil nicht als allgemeine Maßnahme eingestuft
werden, wenn nachgewiesen ist, dass er mittelbar selektiv ist,
d. h., wenn trotz seines Anscheins der Allgemeinheit gewisse Unternehmen
oder gewisse Wirtschaftssektoren in Wirklichkeit unwiderruflich von seiner
Gewährung ausgeschlossen sind.
99. So hat der Gerichtshof
im Urteil Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes
Königreich(63)
entschieden, dass steuerliche Vorteile mittelbar selektiv waren, die dem
Anschein nach allgemein waren, aber in Wirklichkeit nur die Offshore-Unternehmen
begünstigten. Ebenso hat der Gerichtshof im Urteil GEMO(64)
festgestellt, dass eine Maßnahme mittelbar selektiv ist, die die Sammlung und
Beseitigung von Tierkörpern und Schlachthofabfällen ohne Kostenbelastung
vorsieht, da eine solche Maßnahme im Wesentlichen Viehzüchtern und Schlachthöfen
zugutekommt, unbeschadet der Tatsache, dass sie gelegentlich anderen Personen
zugutekommen könnte.
100. Aufgrund ihrer für den
Wettbewerb im Binnenmarkt schädlichen Wirkungen müssen diese unmittelbar oder
mittelbar selektiven Vorteile dem Beihilfenrecht unterliegen. Dagegen erzeugen
die allen Unternehmen offenstehenden Vorteile keine solchen wettbewerbswidrigen
Wirkungen und sind folglich nicht dem Beihilfenrecht zu unterstellen.
101. Nach dieser ständigen
Rechtsprechung ist daher zu prüfen, ob die in § 6a GrEStG vorgesehene
Befreiung unmittelbar oder mittelbar einen Vorteil gewährt, von dem
gewisse Unternehmen oder gewisse Wirtschaftssektoren unwiderruflich
ausgeschlossen sind.
102. Meines Erachtens besteht
kein Zweifel, dass diese Befreiung eine allgemeine Maßnahme in dem vorstehend
dargelegten Sinn darstellt, nämlich eine Maßnahme, die alle Unternehmen
unabhängig von ihrem Tätigkeitsbereich in Anspruch nehmen können.
103. Wie nämlich die deutsche
Regierung dargelegt hat, ist der Anwendungsbereich dieses steuerlichen Vorteils
erstens nicht auf Unternehmen mit einem bestimmten Tätigkeitsgegenstand bzw.
nicht auf bestimmte Produktionszweige eingeschränkt, sondern findet auf alle
Unternehmen unabhängig vom Gegenstand ihrer Tätigkeit Anwendung. Zweitens
schreibt § 6a GrEStG keine Voraussetzungen betreffend die Rechtsform, die
Unternehmensgröße oder den Ort des Unternehmenssitzes vor. Drittens kommen
Umwandlungsvorgänge nach dieser Bestimmung in jeder Branche vor.
104. Diese Argumentation wird
durch den Willen des deutschen Gesetzgebers beim Erlass von § 6a GrEStG
bestätigt, wie er von der A‑Brauerei dargestellt wurde, nämlich
Umstrukturierungen von Unternehmen zu erleichtern, um gewisse
Wirtschaftswachstumshemmnisse zu beseitigen(65).
Der Wille des deutschen Gesetzgebers war somit, das Wachstum der deutschen
Wirtschaft imAllgemeinen zu fördern und nicht dasjenige eines
besonderen Sektors. Meines Erachtens ist das Beihilfenrecht auf solche Maßnahmen
nicht anzuwenden.
105. Außerdem steht es jedem
Unternehmen im Rahmen seiner wirtschaftlichen Strategie frei, seine Tätigkeiten
in einem Konzern zu strukturieren und gegebenenfalls einen der in § 6a
GrEStG genannten Umwandlungsvorgänge durchzuführen.
106. Ich sehe keinen Grund,
diesen Fall und den des oben angeführten steuerlichen Vorteils, der nur den
unter einem Leasingvertrag erworbenen Vermögenswerten gewährt wird,
unterschiedlich zu behandeln. Es stand jedem Unternehmen in der gleichen Weise
frei, den Erwerb von Vermögenswerten durch Abschluss eines Leasingvertrags zu
strukturieren. Insoweit scheinen mir die Gründe, die die Kommission
veranlassten, die Selektivität dieses Vorteils auszuschließen, vollständig auf
die in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehende Befreiung übertragbar(66).
107. Mit anderen Worten sind
sowohl Leasingverträge als auch Konzerne Rechtsinstrumente, die jedem
Unternehmen und jeder wirtschaftlichen Tätigkeit offenstehen, so dass eine
Steuervergünstigung, die an ihre Verwendung gebunden ist, eine allgemeine
Maßnahme darstellt.
108. Ich weise auch darauf hin,
dass, wie die deutsche Regierung zu Recht geltend gemacht hat, § 6a GrEStG
nicht zwischen inländischen Unternehmen und in anderen Mitgliedstaaten
niedergelassenen Unternehmen unterscheidet. Nach dieser Bestimmung gilt die
Befreiung außerdem für „entsprechende Umwandlungen“ aufgrund des Rechts eines
Mitgliedstaats.
109. Folglich stellt die
Befreiung nach § 6a GrEStG, da sie jedem Unternehmen im Inland und selbst
jedem inländischen oder ausländischen Unternehmen, das im Inland ein Grundstück
besitzt, offensteht, eine allgemeine Maßnahme dar, auf die Art 107
Abs. 1 AEUV nicht anwendbar ist.
110. Nach der oben in
Nr. 94 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Rechtsprechung kann die
Einstufung als allgemeine Maßnahme nicht aus dem Grund ausgeschlossen sein, dass
nicht alle Unternehmen tatsächlich in den Genuss der Befreiung nach
§ 6a GrEStG kommen, entweder weil sie ihre Tätigkeit nicht in einem Konzern
strukturiert haben, oder weil sie keinen der in dieser Bestimmung angeführten
Umwandlungsvorgänge durchgeführt haben.
111. Wie das vorlegende Gericht
ausgeführt hat, hängt jede Steuervergünstigung von der Einhaltung bestimmter
Voraussetzungen ab, was bestimmte Steuerpflichtige zwangsläufig von ihrem Genuss
ausschließt. Das bloße Bestehen einer oder mehrerer Anspruchsvoraussetzungen
kann nicht ausreichen, um eine Steuervergünstigung als selektiv einzustufen, da
sonst das gesamte Steuerrecht der Mitgliedstaaten dem Beihilfenrecht unterstellt
würde.
112. Mit anderen Worten stellt
eine Steuervergünstigung, die an ein Verhalten gebunden ist, das jedes
Unternehmen annehmen kann, eine allgemeine Maßnahme dar(67).
113. Um jede Unklarheit zu
beseitigen, weise ich schließlich darauf hin, dass die im vorliegenden Abschnitt
angewendete klassische Prüfungsmethode, die ich bevorzuge, von der vom Gericht
angewendeten und vom Gerichtshof im Urteil Kommission/World Duty Free Group
u. a.(68)
für rechtswidrig erklärten zu unterscheiden ist. Das Gericht hatte nämlich die
Voraussetzung der Selektivität dahin ausgelegt, dass sie von der Kommission die
Feststellung einer besonderen Gruppe von Unternehmen verlange, die durch die
fragliche steuerliche Maßnahme begünstigt werde. Wie der Gerichtshof zu Recht
entschieden hat, ist eine solche formalistische Auslegung des Begriffs der
Selektivität zurückzuweisen(69).
Außerdem begünstigte die in Rede stehende Maßnahme, wie Generalanwalt Wathelet
in seinen Schlussanträgen in der letzteren Rechtssache zu Recht ausführte,
Unternehmen, die grenzüberschreitende Transaktionen durchführten(70).
Das ist jedoch hinsichtlich der in der vorliegenden Rechtssache in Rede
stehenden Maßnahme nicht der Fall(71).
114. Nach alledem schlage ich
dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefrage dahin zu antworten, dass die Befreiung
nach § 6a GrEStG eine allgemeine Maßnahme darstellt und folglich nicht als
staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV eingestuft
werden kann.
115. Die Wahl dieses Ansatzes
ist umso mehr angemessen, als eine strikte Auslegung des Urteils
Kommission/World Duty Free Group u. a.(72)
darauf hindeuten könnte, dass der Begriff der allgemeinen Maßnahme de facto
völlig seines Inhalts entleert worden sei, wie die deutsche Regierung in der
mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat. Ich weise jedoch darauf hin, dass
mir dieses Urteil in diesem Punkt auf die Feststellung des oben identifizierten
Rechtsfehlers beschränkt zu sein scheint.
116. Hilfsweise werde ich im
folgenden Abschnitt die Methode des Bezugsrahmens anwenden.
D. Zur
Anwendung der Methode des Bezugsrahmens auf die Befreiung nach § 6a
GrEStG
117. Um die Selektivität
insbesondere im Bereich der Steuern zu beurteilen, wandte der Gerichtshof in
bestimmten Rechtssachen eine drei Schritte umfassende Methode an, die auf der
Bestimmung eines „Bezugsrahmens“ gründet.
118. Nach dieser Methode ist in
einem ersten Schritt der Bezugsrahmen festzustellen, d. h. die im
betreffenden Mitgliedstaat anwendbare allgemeine oder normale Steuerregelung. In
einem zweiten Schritt ist es erforderlich, zu beurteilen, ob die in Rede
stehende steuerliche Maßnahme von diesem System insoweit abweicht, als sie
Unterscheidungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern einführt, die sich im Hinblick
auf das mit dieser Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen
und rechtlichen Situation befinden. In einem dritten Schritt ist noch zu
überprüfen, ob die in Rede stehende Differenzierung durch die Natur oder den
Aufbau der zuvor festgestellten Steuerregelung gerechtfertigt ist(73).
119. Wie ich im Folgenden
darlegen werde, ist im Rahmen der vorliegenden Rechtssache jeder der Schritte
dieser Methode mit Anwendungsschwierigkeiten verbunden. Ich frage mich insoweit,
ob es angemessen ist, eine so komplexe Prüfung für jede einzelne der von den
Mitgliedstaaten geschaffenen steuerlichen Differenzierungen zu verlangen.
120. Nach dieser Klarstellung
bin ich unbeschadet dieser Anwendungsschwierigkeiten der Auffassung, dass aus
jedem der drei Schritte der Methode des Bezugsrahmens abgeleitet werden kann,
dass die im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehende Steuerbefreiung nicht selektiv
ist.
1. Zur
Bestimmung des einschlägigen Bezugsrahmens
121. Der erste förmliche Hinweis
in der Rechtsprechung des Gerichtshofs auf das Erfordernis, einen Bezugsrahmen
festzustellen, geht auf das Urteil Portugal/Kommission(74)
zurück, in einer Passage, in der der Gerichtshof die geografische
Selektivität des in Rede stehenden Vorteils geprüft hat. Meines Erachtens
ist diesem Ansatz in diesem Kontext vorbehaltlos zuzustimmen. Die Prüfung der
geografischen Selektivität erfordert nämlich, zuvor festzustellen, ob der
einschlägige Bezugsrahmen auf der Ebene des Staates oder auf der Ebene der
betreffenden unterstaatlichen Einheit angesiedelt ist(75).
122. Erst in einem zweiten
Schritt, ab dem Urteil Paint Graphos u. a.(76),
das 2011 verkündet wurde, hat der Gerichtshof diesen Schritt im Rahmen der
Beurteilung der materiellen Selektivität „importiert“.
123. Die Bestimmung des
einschlägigen Bezugsrahmens im Rahmen der Beurteilung der materiellen
Selektivität bereitet jedoch Schwierigkeiten, auf die insbesondere mehrere
Generalanwälte hingewiesen haben. In der Rechtssache Andres/Kommission(77)
hat Generalanwalt Wahl hervorgehoben, dass die Bestimmung des Bezugsrahmens eine
erhebliche Quelle von Rechtsunsicherheit ist, insbesondere im Bereich der
Steuern. In den Rechtssachen ANGED(78)
wies Generalanwältin Kokott darauf hin, dass zum einen die Prüfung der
Selektivität bei steuerrechtlichen Regelungen der Mitgliedstaaten erhebliche
Schwierigkeiten bereite und dass zum anderen die Bestimmung eines Bezugsrahmens
nicht entscheidend sein könne.
124. Auch in der Lehre wurde auf
diese Schwierigkeiten hingewiesen(79).
125. Die mit der Bestimmung des
Bezugsrahmens verbundenen Schwierigkeiten spiegeln sich auch in der
Rechtsprechung des Gerichtshofs wider. Sie haben insbesondere zur Aufhebung der
Urteile des Gerichts in den Rechtssachen Kommission/World Duty Free Group
u. a. sowie Andres/Kommission geführt(80).
126. Im Rahmen des
Ausgangsrechtsstreits werden diese Schwierigkeiten durch die Unterschiedlichkeit
der dem Gerichtshof vorgeschlagenen Ansätze für die Bestimmung des einschlägigen
Bezugsrahmens veranschaulicht.
127. Vor der Prüfung dieser
Ansätze habe ich darauf hinzuweisen, dass die Tatsache, dass § 6a GrEStG
eine Ausnahme zu § 1 GrEStG darstellt, nicht hinreicht, um § 6a GrEStG
vom Bezugsrahmen auszuschließen. Mit anderen Worten kann es nicht hinreichen,
festzustellen, dass § 6a GrEStG formell eine Ausnahme zu § 1
GrEStG darstellt, um daraus zu schließen, dass § 1 GrEStG den Bezugsrahmen
und § 6a GrEStG eine Ausnahme zu diesem Rahmen darstelle.
128. Dazu hat der Gerichtshof im
Urteil Andres/Kommission(81)
jüngst festgestellt, dass der Rückgriff auf eine bestimmte Regelungstechnik
nicht zur Bestimmung des für die Prüfung des Tatbestandsmerkmals der
Selektivität maßgebenden Referenzsystems ausreichen könne, da sonst die Form der
staatlichen Maßnahmen in entscheidender Weise Vorrang vor ihren Wirkungen
genösse, und dass folglich die verwendete Regelungstechnik kein für die
Bestimmung des Referenzsystems ausschlaggebender Gesichtspunkt sein könne.
Dieser Wille zur Zurückweisung von Formalismus bei der Prüfung der staatlichen
Beihilfen entspricht dem Wortlaut von Art. 107 Abs. 1 AEUV, der die
Gewährung von Beihilfen „gleich welcher Art“ verbietet.
129. In diesem Sinne weise ich
darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung Art. 107 Abs. 1 AEUV
nicht nach den Gründen oder Zielen der staatlichen Maßnahmen unterscheidet,
sondern diese nach ihren Wirkungen beschreibt(82).
130. Mit anderen Worten ist bei
der Bestimmung des Bezugsrahmens ausschließlich auf die Wirkungen der in Rede
stehenden Maßnahmen abzustellen. Im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits ist jedoch
festzustellen, dass die Wirkungen von § 1 und von § 6a GrEStG von den
Beteiligten, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, unterschiedlich
ausgelegt worden sind.
131. Nach der A‑Brauerei
bezweckt die Grunderwerbsteuer, den Erwerb der Sachherrschaft über ein in
Deutschland gelegenes Grundstück zu besteuern. Nach diesem Ansatz, den ich als
„wirtschaftlich“ einstufen würde, wird der Bezugsrahmen durch § 1 und
§ 6a GrEStG gemeinsam gebildet. § 6a GrEStG hat nämlich unmittelbar am
Bezugsrahmen teil, indem er Umwandlungsvorgänge von der Steuer befreit, die zu
keiner Veränderung an der Sachherrschaft über das Grundstück, das weiterhin von
demselben herrschenden Unternehmen gehalten wird, führt. Folglich würde
§ 6a GrEStG keine Abweichung vom Bezugsrahmen darstellen und wäre daher
nicht selektiv im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV.
132. Auch die deutsche Regierung
ist der Ansicht, dass der Bezugsrahmen durch § 1 und § 6a GrEStG
gemeinsam gebildet wird. Anders als die A‑Brauerei hat diese Regierung jedoch
einen auf den Begriff der steuerlichen Leistungsfähigkeit gründenden Ansatz
vorgeschlagen. Nach diesem Ansatz bezweckt die Grunderwerbsteuer die Besteuerung
der objektiven Leistungsfähigkeit des Grundstückserwerbers bzw.
Grundstücksveräußerers, die sich in einer Vermögensdisposition
widerspiegele.
133. Für die Kommission beruht
der Bezugsrahmen hingegen allein auf § 1 GrEStG, der diejenigen
Verkehrsakte festlege, die die Steuerpflicht für alle natürlichen und
juristischen Personen, die in Deutschland ein Grundstück rechtlich oder
wirtschaftlich erwürben, auslösten. Insoweit sei der gegenständliche
Referenzrahmen rein fiskalisch und habe die Besteuerung aller Verkehrsakte zum
Ziel, die juristisch oder wirtschaftlich zu einer Übertragung des Eigentums
führten.
134. Ich gebe zu, dass es mir
größte Schwierigkeiten bereitet, die Relevanz jedes dieser drei Ziele in Frage
zu stellen. Wie die meisten Steuerregelungen, scheint mir die im
Ausgangsrechtsstreit in Rede stehende Grunderwerbsteuer gleichzeitig mehrere
Ziele zu verfolgen, die auf der Grundlage ihrer Wirkungen, insbesondere den von
der A‑Brauerei, der deutschen Regierung und der Kommission angeführten, bestimmt
werden können. Meines Erachtens würde es eine nicht unerhebliche Gefahr der
Willkür schaffen, eines dieser Ziele zulasten der übrigen zu bevorzugen, um
„den“ einschlägigen Bezugsrahmen für die Prüfung der Selektivitätsvoraussetzung
zu bestimmen.
135. Insbesondere ist der Ansatz
der Kommission, wonach nur auf das fiskalische Ziel dieser Regelung, nämlich das
Erzielen von Steuereinnahmen, abzustellen sei, zwingend zurückzuweisen, da er
den ersten beiden Schritten der Methode des Bezugsrahmens jede praktische
Wirksamkeit nähme(83).
136. Diese mit der Bestimmung
des einschlägigen Bezugsrahmens verbundene Willkürgefahr stellt eine erhebliche
Quelle von Rechtsunsicherheit insbesondere für die nationalen Beamten, die
Unternehmen und die nationalen Gerichte dar, die das Vorliegen einer Beihilfe
auf nationaler Ebene zu beurteilen haben(84).
Diese Rechtsunsicherheit scheint mir zwingend mit dem Erfordernis verbunden zu
sein, einen Bezugsrahmen auf der Grundlage der mit der in Rede stehenden Steuer
verfolgten Ziele zu bestimmen.
137. Nach meinem Dafürhalten ist
diese Rechtsunsicherheit schwer mit der ständigen Rechtsprechung zu vereinbaren,
wonach der Begriff der staatlichen Beihilfe ein Rechtsbegriff und anhand
objektiver Kriterien auszulegen ist(85).
Außerdem erinnere ich daran, dass ein weites Ermessen der Kommission
hinsichtlich der Einstufung einer Maßnahme als staatliche Beihilfe im Sinne von
Art. 107 Abs. 1 AEUV durch nichts gerechtfertigt ist(86).
Aufgrund der Rechtsunsicherheit, mit der die Bestimmung des Bezugsrahmens
behaftet ist, bestünde jedoch die Gefahr, der Kommission de facto ein
solches Ermessen einzuräumen.
138. Diese Rechtsunsicherheit
ist umso kritikwürdiger, als die Wahl des Bezugsrahmens eine entscheidende
Bedeutung bei der Prüfung der Selektivität und folglich der Einstufung als
staatliche Beihilfe haben kann(87).
So schlössen in der vorliegenden Rechtssache die von der A‑Brauerei und der
deutschen Regierung vorgebrachten Bezugsrahmen, anders als der von der
Kommission vorgeschlagene, die Selektivität der Befreiung nach § 6a GrEStG
aus.
139. Dies vorausgeschickt,
bevorzuge ich jedoch den von der A‑Brauerei vorgeschlagenen Ansatz, der mir
durch die Erläuterungen des vorlegenden Gerichts bekräftigt scheint. Nach diesem
Gericht stellt nämlich § 6a GrEStG eine Korrektur zum Anwendungsbereich von
§ 1 GrEStG, der zu weit gefasst worden sei, dar, indem er
Umwandlungsvorgänge innerhalb von Konzernen aufgrund ihrer fehlenden Auswirkung
auf das wirtschaftliche Eigentum an den betreffenden Grundstücken ausschließe(88).
Folglich ist § 6a GrEStG Teil des Bezugsrahmens und kann nicht als selektiv
im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV angesehen werden.
140. Hilfsweise, sollte der
Gerichtshof den einschlägigen Bezugsrahmen im Einklang mit dem von der
Kommission vorgeschlagenen Ansatz dahin bestimmen, dass er allein durch § 1
GrEStG gebildet wird, werde ich im folgenden Abschnitt prüfen, ob die unter
§ 6a GrEStG fallenden Situationen mit denen vergleichbar sind, die nicht
darunter fallen.
2. Zur
fehlenden Vergleichbarkeit der unter die Befreiung nach § 6a GrEStG
fallenden Situationen und derjenigen, die nicht darunter fallen
141. Nach der Rechtsprechung des
Gerichtshofs besteht der zweite Schritt der Methode des Bezugsrahmens darin, zu
prüfen, ob die in Rede stehende steuerliche Maßnahme Unterscheidungen zwischen
Wirtschaftsteilnehmern einführt, die sich im Hinblick auf das mit dem
Bezugsrahmen verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und
rechtlichen Situation befinden(89).
142. Ich weise darauf hin, dass
der Gerichtshof mit diesem Gesichtspunkt in der Rechtssache Kommission/World
Duty Free Group u. a.(90)
nicht befasst war, da das Gericht den Beschluss der Kommission für nichtig
erklärt hatte, ohne das Vorbringen zur fehlenden Vergleichbarkeit der
Steuerpflichtigen, die unter die in Rede stehende Steuerbefreiung fielen, und
derjenigen, die nicht darunter fielen, zu prüfen.
143. Die Beurteilung der
Vergleichbarkeit im Kontext des zweiten Schritts der Methode des Bezugsrahmens
wirft mehrere heikle Fragen auf.
144. Erstens läuft dieser zweite
Schritt Gefahr, von Rechtsunsicherheit geprägt zu sein, da er erfordert, das vom
Bezugsrahmen verfolgte „Ziel“ zu bestimmen. Wie ich nämlich in Nr. 134 der
vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, verfolgt die im
Ausgangsrechtsstreit in Rede stehende Grunderwerbsteuer, wie die meisten
Steuerregelungen, gleichzeitig mehrere Ziele. Es würde wiederum eine Gefahr der
Willkür mit sich bringen, im Hinblick auf die Prüfung der Vergleichbarkeit eines
dieser Ziele zulasten der anderen zu bevorzugen.
145. So läuft, zur
Veranschaulichung, der von der Kommission vorgebrachte Ansatz darauf hinaus, das
fiskalische Ziel dieser Regelung, nämlich das Erzielen von Steuereinnahmen, zu
bevorzugen, gegenüber dem sich alle dieser Steuer unterliegenden
Steuerpflichtigen in einer vergleichbaren Situation befänden. Meines Erachtens
ist ein solcher Ansatz zwingend auszuschließen, da er den beiden ersten
Schritten der Methode des Bezugsrahmens jede praktische Wirksamkeit nähme, wobei
der dritte Schritt eine beschränkte Tragweite hat.
146. Zunächst stellt nämlich,
wenn als Bezugsrahmen die Steuer definiert wird, jede gewissen Steuerpflichtigen
gewährte Steuervergünstigung zwangsläufig eine Abweichung von diesem Rahmen dar
(erster Schritt). Sodann können alle Steuerpflichtigen als dieser Steuer
unterliegende Rechtsträger im Hinblick auf das in der Erzielung von
Steuereinnahmen bestehende Ziel als sich in einer vergleichbaren Situation
befindend angesehen werden (zweiter Schritt). Schließlich sind nur die dem
Bezugsrahmen innewohnenden Mechanismen als Rechtfertigung aufgrund der Natur
oder des inneren Aufbaus der in Rede stehenden Regelung zulässig (dritter
Schritt)(91).
147. Jedenfalls ist es
zwangsläufig ein unsicherer Schritt, einer bestimmten Steuerregelung ein Ziel
oder mehrere Ziele zuzuordnen. Insoweit weise ich darauf hin, dass in der
Rechtssache Belgien/Kommission(92)
Generalanwalt Bobek jüngst nicht weniger als drei Faktoren identifiziert hat,
die bei der Beurteilung der Vergleichbarkeit im Rahmen der Selektivität
berücksichtigt werden können, wobei er darauf hingewiesen hat, dass diese
Beurteilung „immer auch subjektive Bewertungen zur Frage enthalten
[wird], welche Unternehmen vergleichbar sind und warum ein größeres Gewicht
auf den einen Faktor und nicht auf den anderen zu legen ist“.
148. Die Subjektivität dieser
Beurteilung scheint mir im Widerspruch zur oben in Nr. 137 der vorliegenden
Schlussanträge angeführten ständigen Rechtsprechung zu stehen, nach der zum
einen der Begriff der staatlichen Beihilfe anhand objektiver Umstände auszulegen
ist und zum anderen ein weites Ermessen der Kommission hinsichtlich der
Einstufung einer Maßnahme als staatliche Beihilfe durch nichts gerechtfertigt
ist.
149. Zweitens besteht auch
hinsichtlich der Art der Ziele, die für die Beurteilung der Vergleichbarkeit
geltend gemacht werden können, eine Unsicherheit. Nach der Bekanntmachung der
Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe ist diese Beurteilung unter
Berücksichtigung des „dem Bezugssystem immanenten Ziels“ vorzunehmen,
wobei „[d]ie Mitgliedstaaten … sich nicht auf externe politische Ziele
wie regional-, umwelt- oder industriepolitische Ziele berufen [können], um
die unterschiedliche Behandlung von Unternehmen zu rechtfertigen“(93).
150. Diese Unterscheidung
zwischen einem dem Bezugsrahmen „immanenten Ziel“ und „externen politischen
Zielen“ führt praktisch dazu, sich zu fragen, welche Voraussetzungen erfüllt
sein müssen, damit ein rechtmäßiges Ziel dem Bezugsrahmen „immanent“ wird. Nach
der einschlägigen Rechtsprechung(94),
die in der Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe angeführt wird(95),
scheint es, dass die betreffende Steuerregelung eng um das geltend gemachte
rechtmäßige Ziel herum aufgebaut sein muss, wie eine auf das Ziel des
Umweltschutzes gründende Ökosteuer.
151. Nach dieser Auslegung der
Kommission wäre es jedoch ausgeschlossen, sich auf ein rechtmäßiges Ziel wie den
Umweltschutz im Rahmen einer allgemeinen Steuer wie der Einkommensteuer zu
berufen, da eine allgemeine Steuer nicht eng um ein solches Ziel herum aufgebaut
ist. Ich frage mich jedoch, ob es insoweit angemessen ist, ein rechtmäßiges Ziel
wie den Umweltschutz als einer auf dieses Ziel gründenden Sonderabgabe
„immanent“ anzusehen, obwohl dieses Ziel als einer allgemeinen Steuer
„fremd“ erachtet werden müsste.
152. Eine solche Auslegung würde
nämlich zu einer asymmetrischen Behandlung der im Rahmen von Sonderabgaben zum
einen und allgemeinen Steuern zum anderen vorgesehenen Vergünstigungen führen.
Eine Steuervergünstigung im Rahmen einer Sonderabgabe könnte auf der Grundlage
des rechtmäßigen (als „immanent“ eingestuften) Ziels als nichtselektiv
eingestuft werden, im Gegensatz zu einer auf dasselbe Ziel gründenden (als
„fremd“ qualifizierten) Steuervergünstigung im Rahmen einer allgemeinen
Einkommensteuer(96).
153. Eine solche asymmetrische
Behandlung würde eine Bevorzugung der Sonderabgaben zulasten der allgemeinen
Steuern – wie der Einkommensteuer – im Kernbereich des Beihilfenrechts,
möglicherweise im Widerspruch zum Grundsatz der Steuerautonomie der
Mitgliedstaaten, schaffen(97).
154. Grundsätzlich habe ich
nämlich gewisse Bedenken hinsichtlich der praktischen Implikationen einer
Auslegung, die die Möglichkeit der Geltendmachung bestimmter mit der fraglichen
Steuerregelung rechtmäßig verfolgter Ziele ausschließt.
155. Ich habe bereits darauf
hingewiesen, dass die Methode des Bezugsrahmens dahin tendiert, das Verbot
staatlicher Beihilfen in einen allgemeinen Nichtdiskriminierungstest
umzuwandeln, der grundsätzlich jede steuerliche Differenzierung verbietet(98).
Die oben angeführte Auslegung würde jedoch die Strenge dieses Verbots noch
verschärfen, indem sie für die Beurteilung der Vergleichbarkeit nur die der in
Rede stehenden Steuerregelung immanenten Ziele zuließe.
156. Im Vergleich dazu sehen die
Bestimmungen des AEU-Vertrags, die die Verkehrsfreiheiten festlegen, ein Verbot
der Diskriminierung allein aufgrund des Ursprungs vor, wobei die
Möglichkeit der Geltendmachung jedes rechtmäßigen Ziels bei der
Beurteilung der Vergleichbarkeit und der Prüfung etwaiger Rechtfertigungsgründe
zugelassen wird.
157. Insoweit überzeugt mich das
Argument nicht, wonach jedes mit der in Rede stehenden Steuerregelung rechtmäßig
verfolgte Ziel, das u. a. den sozialen Schutz oder den Schutz der Umwelt
betrifft, von der Kommission bei der Prüfung der Vereinbarkeit einer Beihilfe
mit dem Binnenmarkt jedenfalls berücksichtigt werden kann. Eine solche
Möglichkeit kann nämlich im Hinblick auf die Verpflichtung zur engen
Auslegung von Art. 107 Abs. 2 und 3 AEUV sowie auf das weite Ermessen,
über das die Kommission im Rahmen dieser Prüfung verfügt(99),
insbesondere in einem nicht harmonisierten Bereich wie dem Steuerrecht, nicht
als hinreichend angesehen werden.
158. Folglich kann zwar die
bloße Berufung eines Mitgliedstaats auf ein rechtmäßiges Ziel nicht für sich
genommen zum Ausschluss einer staatlichen Maßnahme aus dem Anwendungsbereich von
Art. 107 Abs. 1 AEUV führen, wie der Gerichtshof u. a. im Urteil
Italien/Kommission(100)
sowie im Urteil British Aggregates/Kommission(101)
entschieden hat, doch muss jedes rechtmäßige Ziel im spezifischen Kontext des
zweiten Schritts der Methode des Bezugsrahmens, nämlich der Prüfung der
Vergleichbarkeit, geltend gemacht werden können.
159. Meines Erachtens wird
dieser Ansatz durch die jüngst ergangenen ANGED-Urteile bestätigt, in denen der
Gerichtshof die Vergleichbarkeit im Hinblick auf den Umweltschutz und die
Raumordnung beurteilt hat, ohne diese Ziele als der in Rede stehenden
Steuerregelung „immanent“ einzustufen(102).
160. Nach dieser Klarstellung
ist im Rahmen der vorliegenden Rechtssache zu prüfen, ob sich die
Steuerpflichtigen, die in den Anwendungsbereich der Befreiung nach § 6a
GrEStG fallen, zum einen und die nicht darunter fallenden zum anderen im
Hinblick auf sämtliche mit der Grunderwerbsteuer verfolgte Ziele
in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden.
161. Wie das vorlegende Gericht,
die A‑Brauerei und die deutsche Regierung bin ich der Ansicht, dass das nicht
der Fall und folglich diese Steuerbefreiung nicht selektiv ist.
a) Zur
fehlenden Vergleichbarkeit von Umwandlungen innerhalb eines Konzerns und
Umwandlungen außerhalb eines Konzerns
162. Erstens gilt die Befreiung
nach § 6a GrEStG für die Verschmelzungen, Spaltungen oder
Vermögensübertragungen(103)
innerhalb eines Konzerns, an denen ein herrschendes Unternehmen und ein oder
mehrere von diesem herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften oder
mehrere von einem herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften beteiligt
sind.
163. Nach Ansicht der Kommission
ist das von § 1 GrEStG verfolgte Ziel rein fiskalisch, nämlich die
Besteuerung aller Verkehrsakte, die juristisch oder wirtschaftlich zu einer
Übertragung des Eigentums führten. Im Hinblick auf dieses Ziel befänden sich
jedoch Unternehmen, die Grunderwerb außerhalb des Konzerns vornähmen, in der
gleichen tatsächlichen und rechtlichen Situation wie die Unternehmen, denen die
in Rede stehende Befreiung gewährt werde.
164. Ich teile diese Ansicht der
Kommission nicht. Meiner Ansicht nach sind die Umwandlungen innerhalb
eines Konzerns nicht mit den Umwandlungen außerhalb eines Konzerns
vergleichbar.
165. Wirtschaftlich wird nämlich
jedes Grundstück, das zu einem Konzern gehört, mittelbar von der
Muttergesellschaft, im Umfang ihrer Beteiligung an der Gesellschaft, die sein
juristischer Eigentümer ist, gehalten. Insoweit erinnere ich daran, dass die
Befreiung nach § 6a GrEStG voraussetzt, dass das herrschende Unternehmen
mindestens 95 % des Gesellschaftskapitals der an der Umwandlung beteiligten
Gesellschaften hält. In einem solchen Fall ist die Auswirkung eines
Umwandlungsvorgangs wirtschaftlich neutral oder untergeordnet, da das
herrschende Unternehmen vor und nach diesem Vorgang mittelbar Inhaber des
Grundstücks bleibt, wie es das vorlegende Gericht im Wesentlichen dargelegt
hat(104).
Die A‑Brauerei hat in diesem Sinne darauf hingewiesen, dass diese Bestimmung
Vorgänge ausnehmen solle, die nicht zu einer Änderung der Sachherrschaft über
die betreffenden Grundstücke führten.
166. Mit anderen Worten bewirkt
§ 6a GrEStG, wie auch die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung
bestätigt hat, insbesondere die Vermeidung einer wirtschaftlichen
Doppelbesteuerung von Konzernen. Da nämlich die Steuer bei der Aufnahme eines
Grundstücks in das Vermögen einer Gesellschaft des Konzerns zu entrichten ist,
wäre es ungerecht, diese Steuer bei jeder Umwandlung innerhalb des Konzerns
erneut zu erheben.
167. Diese Besonderheit der
Umwandlungen innerhalbeines Konzerns, zwischen Gesellschaften, die
über eine Beteiligung von mindestens 95 % verbunden sind, steht meines
Erachtens der Annahme entgegen, dass solche Vorgänge mit einem Grunderwerb
außerhalbeines Konzerns, wie einem bloßen Verkauf zwischen
unabhängigen Personen, vergleichbar seien.
b) Zur
fehlenden Vergleichbarkeit von Umwandlungen innerhalb eines Konzerns und anderen
Umstrukturierungsmaßnahmeninnerhalb eines Konzerns
168. Zweitens macht die
Kommission geltend, dass die Umwandlungen innerhalb eines Konzerns im Hinblick
auf das von der Grunderwerbsteuer verfolgte fiskalische Ziel mit den anderen
Umstrukturierungsmaßnahmen innerhalb eines Konzerns vergleichbar seien.
Beispielsweise unterliege der Verkauf eines Grundstücks zwischen Gesellschaften,
die demselben Konzern angehörten, nicht der Befreiung nach dieser
Bestimmung.
169. Dieser Standpunkt der
Kommission ist überraschend. Denn das Unionsrecht und insbesondere die
Richtlinie 2009/133/EG(105)
scheinen mir die Besonderheit der Umwandlungsvorgänge innerhalb eines Konzerns,
insbesondere die von Verschmelzungen wie der im Ausgangsverfahren in Rede
stehenden, anerkannt zu haben. Daher sieht Art. 4 Abs. 1 dieser
Richtlinie vor, dass im Fall der Fusion, Spaltung oder Abspaltung keine
Besteuerung des Veräußerungsgewinns – u. a. aus Grundstücken – erfolgt(106).
170. Dieser Vorteil ist hingegen
vom Unionsgesetzgeber nicht auf die anderen Vorgänge zwischen Gesellschaften
desselben Konzerns, insbesondere auf die bloßen Verkäufe von Vermögenswerten
zwischen solchen Gesellschaften, ausgeweitet worden. Diese unterschiedliche
Behandlung lässt sich meines Erachtens durch die Besonderheit der
Umstrukturierungsvorgänge erklären, auf die auch die A‑Brauerei hingewiesen hat.
Die Umstrukturierungsvorgänge haben nämlich insbesondere aufgrund ihres Umfangs
besondere Rechtswirkungen auf die Rechtspersönlichkeit und/oder das Vermögen der
betreffenden Gesellschaften. Beispielsweise führen Verschmelzungen grundsätzlich
zum Erlöschen einer juristischen Person und zur Übertragung ihres Vermögens an
die übernehmende Gesellschaft. Ein bloßer Verkauf bewirkt im Vergleich dazu nur
die Übertragung eines Vermögenswerts in das Vermögen einer anderen Person.
171. Dieser objektive
Wesensunterschied schließt es in meinen Augen aus, dass Umwandlungsvorgänge und
andere Vorgänge zwischen Gesellschaften desselben Konzerns, insbesondere
Verkäufe, als im Hinblick auf eine Steuer auf den Grunderwerb vergleichbar
angesehen werden können, unabhängig davon, ob es sich um eine direkte Steuer auf
die stillen Reserven oder eine indirekte Steuer auf den Grunderwerb, wie die im
Ausgangsrechtsstreit in Rede stehende, handelt.
c) Zur
fehlenden Vergleichbarkeit von Umwandlungsvorgängen, die die
Beteiligungsschwelle von 95 % erreichen, und denjenigen, die sie nicht
erreichen
172. Drittens weise ich darauf
hin, dass § 6a GrEStG eine Beteiligungsschwelle von 95 % an der oder
den am Umwandlungsvorgang beteiligten abhängigen Gesellschaften vorsieht. Um die
Steuerbefreiung in Anspruch nehmen zu können, muss, wie die deutsche Regierung
ausgeführt hat, die Umwandlung folgende Beteiligte betreffen:
– ein
herrschendes Unternehmen und eine abhängige Gesellschaft,
– ein
herrschendes Unternehmen und mehrere abhängige Gesellschaften,
– mehrere
von einem herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften.
173. Nach der oben angeführten
Bestimmung ist eine Gesellschaft abhängig, an deren Kapital oder
Gesellschaftsvermögen das herrschende Unternehmen unmittelbar oder mittelbar zu
mindestens 95 % beteiligt ist. Es besteht somit eine unterschiedliche
Behandlung von Beteiligungen unterhalb der Schwelle von 95 % zum einen und
denjenigen in Höhe oder oberhalb dieser Schwelle zum anderen, wobei nur die
Letzteren durch die Befreiung begünstigt sein können.
174. Diese Beteiligungen
befinden sich jedoch nicht in einer vergleichbaren Situation, da diese
Beteiligungsschwelle von 95 % auch eine Voraussetzung für die Besteuerung
nach § 1 Abs. 2a und 3 GrEStG darstellt, wie die A‑Brauerei und die
deutsche Regierung zu Recht dargelegt haben.
175. Um das Zahlenbeispiel der
A‑Brauerei zu übernehmen: Der Erwerb einer Beteiligung von 94 % an einer
Gesellschaft, die Grundstücke in Deutschland besitzt, ist nicht nach § 1
Abs. 2a und 3 GrEStG steuerpflichtig. Hingegen wäre die anschließende
Verschmelzung zwischen der Tochtergesellschaft und der Muttergesellschaft nicht
durch die Befreiung nach § 6a GrEStG begünstigt und daher steuerpflichtig.
In diesem Fall würde die Steuer daher anlässlich dieser zwei Vorgänge nur einmal
erhoben.
176. Umgekehrt ist der Erwerb
einer Beteiligung von 95 % oder mehr an derselben Gesellschaft nach
§ 1 GrEStG steuerpflichtig, während die anschließende Verschmelzung durch
die Befreiung nach § 6a GrEStG begünstigt wäre. Wiederum würde die Steuer
anlässlich dieser zwei Vorgänge nur einmal erhoben.
177. Somit schafft die für die
Befreiung (§ 6a GrEStG) verlangte Beteiligungsschwelle von 95 %,
gemeinsam mit der als Besteuerungsvoraussetzung vorgesehenen
Beteiligungsschwelle von 95 % (§ 1 Abs. 2a und 3 GrEStG) geprüft,
keine Unterscheidung zwischen vergleichbaren Situationen, sondern erlaubt im
Gegenteil eine nichtdiskriminierende Behandlung der verschiedenen Vorgänge, die
von der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung erfasst sind.
178. Nach alledem bin ich der
Ansicht, dass sich die Steuerpflichtigen, die in den Anwendungsbereich der
Befreiung nach § 6a GrEStG fallen, zum einen und die nicht darunter
fallenden zum anderen im Hinblick auf die mit der im Ausgangsrechtsstreit in
Rede stehenden Steuer verfolgten Ziele nicht in einer vergleichbaren
tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden. Folglich ist diese Befreiung
nicht selektiv im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV.
179. Hilfsweise, für den Fall,
dass der Gerichtshof davon ausgehen sollte, dass diese Gruppen von
Steuerpflichtigen sich in einer vergleichbaren Situation befinden, werde ich im
folgenden Abschnitt das Bestehen einer Rechtfertigung aufgrund der Natur oder
des inneren Aufbaus der fraglichen Regelung prüfen.
3. Zum Bestehen
einer Rechtfertigung aufgrund der Natur oder des inneren Aufbaus der in Rede
stehenden Regelung
180. Nach der Rechtsprechung
werden staatliche Maßnahmen, die eine Differenzierung zwischen Unternehmen
vornehmen und damit a priori selektiv sind, dann nicht vom Begriff
der staatlichen Beihilfe erfasst, wenn diese Differenzierung aus der Natur oder
dem Aufbau der Regelung folgt, zu der sie gehören(107).
181. Im Bereich der Steuern
wurde diese Rechtfertigung wie folgt präzisiert. Eine Maßnahme kann durch die
Natur und den inneren Aufbau des Steuersystems gerechtfertigt sein, wenn der
betreffende Mitgliedstaat nachweisen kann, dass sie unmittelbar auf den Grund-
oder Leitprinzipien seines Steuersystems beruht. Insoweit ist zu unterscheiden
zwischen den mit einer bestimmten Steuerregelung verfolgten Zielen, die
außerhalb dieser Regelung liegen, und den dem Steuersystem selbst inhärenten
Mechanismen, die zur Erreichung dieser Ziele erforderlich sind(108).
182. Wie die Unterscheidung
zwischen „immanentes Ziel“ und „fremde Ziele“, die im Rahmen des zweiten
Schritts geprüft wurde(109),
scheint mir die Unterscheidung zwischen „dem Steuersystem selbst inhärenten
Mechanismen“ und „außerhalb liegenden Zielen“ schwierig umzusetzen.
183. Zum einen kann man sich
fragen, ob der Ausdruck „Steuersystem selbst“ auf den Bezugsrahmen – der im
Ausgangsrechtsstreit die Grunderwerbsteuer betrifft – verweist, oder auf das
gesamte Steuerrecht eines Mitgliedstaats.
184. Meines Erachtens liefe eine
Einschränkung dieses Begriffs auf die dem gesamten Steuerrecht eines
Mitgliedstaats inhärenten Mechanismen Gefahr, den dritten Schritt der Methode
des Bezugsrahmens seines Inhalts zu entleeren. Gegebenenfalls wäre nämlich eine
auf der Bekämpfung von missbräuchlichen Praktiken oder auf dem Willen zur
Verhinderung der Doppelbesteuerung gründende Rechtfertigung im Rahmen des
Ausgangsrechtsstreits nur zulässig, wenn das gesamte Steuerrecht der
Bundesrepublik Deutschland um diese Ziele herum aufgebaut wäre.
185. Folglich bin ich der
Meinung, dass sich der Begriff „dem Steuersystem selbst inhärente Mechanismen“
auf die nur dem Bezugsrahmen, der im Ausgangsrechtsstreit die
Grunderwerbsteuer betrifft, inhärenten Mechanismen bezieht. Diese
Auslegung wird meines Erachtens durch die Bekanntmachung der Kommission zum
Begriff der staatlichen Beihilfe bestätigt, die eindeutig auf die Grund- oder
Leitprinzipien des „Bezugssystems“ abstellt(110).
186. Zum anderen bereitet
unabhängig von der vorherigen Bemerkung auch die Trennlinie zwischen „außerhalb
liegenden Zielen“ und „inhärenten Mechanismen“ der geprüften Steuerregelung
Schwierigkeiten. Ich verweise insoweit auf meine Ausführungen zur Unterscheidung
zwischen „immanentes Ziel“ und „fremde Ziele“ im Kontext der Beurteilung der
Vergleichbarkeit(111).
187. Dies vorausgeschickt, hat
die Kommission in ihrer Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe
mehrere Ziele identifiziert, die ihres Erachtens im Rahmen dieses dritten
Schrittes geltend gemacht werden können, wie die Notwendigkeit der Bekämpfung
von Betrug oder Steuerhinterziehung, die Notwendigkeit der Beachtung besonderer
Rechnungslegungsvorschriften, die Handhabbarkeit für die Verwaltung, den
Grundsatz der Steuerneutralität, die Einkommensteuerprogression und ihre
Umverteilungslogik, die Notwendigkeit der Vermeidung von Doppelbesteuerung oder
das Ziel der bestmöglichen Einziehung von Steuerschulden(112).
188. Im Rahmen der vorliegenden
Rechtssache scheinen mir jedoch die von der A‑Brauerei und der deutschen
Regierung geltend gemachten Rechtfertigungsgründe mehreren von der Kommission
identifizierten Zielen zu entsprechen.
189. Zunächst hat die A‑Brauerei
geltend gemacht, dass die Befreiung nach § 6a GrEStG unmittelbar auf den
Grund- oder Leitprinzipien der Grunderwerbsteuerregelung beruhe, da diese Steuer
Rechtsvorgänge erfasse, die zu einer Änderung der Sachherrschaft über
inländische Grundstücke führten.
190. Dieser Rechtfertigung, die
mit dem Ziel der Vermeidung von Doppelbesteuerung, das mit der im
Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung verfolgt wird, in Zusammenhang
gebracht werden kann, ist meines Erachtens aus den in den Nrn. 162 bis 167
der vorliegenden Schlussanträge dargelegten Gründen beizupflichten.
191. Sodann hat die deutsche
Regierung vorgebracht, dass die Befreiung nach § 6a GrEStG dem der
Grunderwerbsteuer zugewiesenen Ziel entspreche, die objektive Leistungsfähigkeit
des Grundstückserwerbers bzw. Grundstücksveräußerers zu besteuern, die sich in
der Verfügung über ein Grundstück widerspiegele. Die von § 6a GrEStG
erfassten Vorgänge hätten jedoch keine Auswirkung auf die Leistungsfähigkeit der
Beteiligten, da diese Beteiligten nicht unabhängig sondern miteinander durch die
Beteiligung des herrschenden Unternehmens zu mindestens 95 % am
Gesellschaftskapital einer oder mehrerer beteiligter Gesellschaften verbunden
seien.
192. Ich sehe erneut keinen
Grund, die Gültigkeit dieser Erläuterung in Frage zu stellen.
193. Schließlich haben die
A‑Brauerei und die deutsche Regierung auch die Anforderung betreffend die
Behaltensfrist von fünf Jahren vor und nach dem Umwandlungsvorgang hinsichtlich
der Beteiligung von 95 % am Kapital der abhängigen Gesellschaft
gerechtfertigt(113).
Nach ihren Erläuterungen kann durch diese Fristen verhindert werden, dass die
Befreiung nach § 6a GrEStG auf bestimmte missbräuchliche Praktiken
anwendbar sei, die insbesondere im kurzfristigen Erwerb von
Gesellschaftsanteilen zur Durchführung von nicht der Grunderwerbsteuer
unterliegenden Umwandlungen bestünden.
194. Ich weise insoweit darauf
hin, dass das vorlegende Gericht die Gültigkeit dieser Erläuterung bestätigt
hat. Außerdem erlaubt Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie
2011/96/EU den Mitgliedstaaten, in entsprechender Weise die Inanspruchnahme
einer Steuervergünstigung von der Dauer der Beteiligung an einer
Tochtergesellschaft abhängig zu machen(114).
195. Nach alledem sind die
Voraussetzungen für die Gewährung der Befreiung nach § 6a GrEStG durch die
Natur und den Aufbau der im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehenden
Steuerregelung gerechtfertigt und stellt folglich diese Befreiung keine
staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV dar.
VII. Ergebnis
196. Nach alledem schlage ich
dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage des Bundesfinanzhofs (Deutschland) wie
folgt zu beantworten:
Art. 107 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass
eine Steuerbegünstigung wie die im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehende, die
darin besteht, einen Umwandlungsvorgang innerhalb eines Konzerns, im
vorliegenden Fall eine Verschmelzung, an der ein herrschendes Unternehmen und
eine abhängige Gesellschaft beteiligt sind, von der Grunderwerbsteuer zu
befreien, wobei das herrschende Unternehmen eine Beteiligung von mindestens
95 % an der abhängigen Gesellschaft innerhalb von fünf Jahren vor dem
Rechtsvorgang und grundsätzlich fünf Jahren nach dem Rechtsvorgang halten muss,
eine allgemeine Maßnahme darstellt und folglich nicht als staatliche Beihilfe
einzustufen ist.