URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)
15. November 2011(*)
Inhaltsverzeichnis
I – Rechtlicher Rahmen
II – Sachverhalt
A – Vorgeschichte der Körperschaftsteuerreform des
Government of Gibraltar
B – Körperschaftsteuerreform des Government of
Gibraltar
III – Verwaltungsverfahren und streitige Entscheidung
IV – Verfahren im ersten Rechtszug und angefochtenes
Urteil
V – Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der
Verfahrensbeteiligten
VI – Zu den Rechtsmitteln
A – Zum einzigen Rechtsmittelgrund der Kommission und zum
achten Rechtsmittelgrund des Königreichs Spanien
1. Gründe des angefochtenen Urteils
2. Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
3. Würdigung durch den Gerichtshof
a) Zur Voraussetzung der Gewinnerzielung und zur
Steuerbegrenzung
b) Zur Begünstigung der „Offshore-Unternehmen“
VII – Zu den Klagen vor dem Gericht
A – Zum zweiten Klagegrund des Government of Gibraltar und
des Vereinigten Königreichs und zum zweiten Teil des dritten Klagegrundes des
Government of Gibraltar
1. Zum zweiten Teil des zweiten Klagegrundes
2. Zu dem vom Government of Gibraltar geltend gemachten
zweiten Teil des dritten Klagegrundes
3. Zum ersten Teil des zweiten Klagegrundes
a) Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
b) Würdigung durch den Gerichtshof
4. Zum dritten Teil des zweiten Klagegrundes
a) Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
b) Würdigung durch den Gerichtshof
B – Zum dritten Klagegrund des Vereinigten Königreichs und
zum ersten Teil des dritten Klagegrundes des Government of Gibraltar: Verletzung
der Verteidigungsrechte
1. Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
2. Würdigung durch den Gerichtshof
C – Zum ersten Klagegrund: regionale Selektivität
VIII – Kosten
„Rechtsmittel – Staatliche Beihilfen – Materielle
Selektivität – Besteuerungssystem – Gibraltar – ‚Offshore-Unternehmen‘“
In den verbundenen Rechtssachen C‑106/09 P und
C‑107/09 P
betreffend zwei Rechtsmittel nach Art. 56 der
Satzung des Gerichtshofs, eingelegt am 16. März 2009,
Europäische Kommission (C‑106/09 P),
vertreten durch R. Lyal, V. Di Bucci und N. Khan als
Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Rechtsmittelführerin,
andere Verfahrensbeteiligte:
Government of Gibraltar, vertreten durch
J. Temple Lang, Solicitor, M. Llamas, Barrister, und A. Petersen,
advokat,
Vereinigtes Königreich Großbritannien und
Nordirland, vertreten durch I. Rao als Bevollmächtigte im Beistand von
D. Anderson, QC, und M. Gray, Barrister,
Kläger im ersten Rechtszug,
unterstützt durch
Irland, vertreten durch D. O’Hagan als
Bevollmächtigten im Beistand von B. Doherty, Barrister,
Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Streithelfer im Rechtsmittelverfahren,
Königreich Spanien, vertreten durch N. Díaz
Abad und J. M. Rodríguez Cárcamo als Bevollmächtigte,
Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Streithelfer im ersten Rechtszug,
und
Königreich Spanien (C‑107/09 P), vertreten
durch N. Díaz Abad und J. M. Rodríguez Cárcamo als Bevollmächtigte,
Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Rechtsmittelführer,
andere Verfahrensbeteiligte:
Europäische Kommission, vertreten durch
R. Lyal, V. Di Bucci und N. Khan als Bevollmächtigte,
Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte im ersten Rechtszug,
Government of Gibraltar, vertreten durch
J. Temple Lang, Solicitor, M. Llamas, Barrister, und A. Petersen,
advokat,
Vereinigtes Königreich Großbritannien und
Nordirland, vertreten durch I. Rao als Bevollmächtigte im Beistand von
D. Anderson, QC, und M. Gray, Barrister,
Kläger im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der
Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodriguez,
K. Lenaerts und J.‑C. Bonichot, der Kammerpräsidentin A. Prechal,
der Richter A. Rosas, K. Schiemann, E. Juhász, T. von
Danwitz (Berichterstatter) und D. Šváby, der Richterin M. Berger sowie
des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die
mündliche Verhandlung vom 16. November 2010,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in
der Sitzung vom 7. April 2011
folgendes
Urteil
1 Mit ihren
Rechtsmitteln beantragen die Kommission der Europäischen Gemeinschaften und das
Königreich Spanien die Aufhebung des Urteils des Gerichts erster Instanz der
Europäischen Gemeinschaften vom 18. Dezember 2008, Government of Gibraltar und
Vereinigtes Königreich/Kommission (T‑211/04 und T‑215/04, Slg. 2008,
II‑3745, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem die Entscheidung
2005/261/EG der Kommission vom 30. März 2004 über die Beihilferegelung, die das
Vereinigte Königreich im Rahmen der Körperschaftsteuerreform der Regierung von
Gibraltar beabsichtigt (ABl. 2005, L 85, S. 1, im Folgenden: streitige
Entscheidung), für nichtig erklärt worden ist.
I – Rechtlicher Rahmen
2 Art. 6 der
Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere
Vorschriften für die Anwendung von Artikel [88 EG] (ABl. L 83, S. 1)
bestimmt:
„Förmliches Prüfverfahren
(1) Die Entscheidung
über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens enthält eine Zusammenfassung
der wesentlichen Sach- und Rechtsfragen, eine vorläufige Würdigung des
Beihilfecharakters der geplanten Maßnahme durch die Kommission und Ausführungen
über ihre Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt. Der
betreffende Mitgliedstaat und die anderen Beteiligten werden in dieser
Entscheidung zu einer Stellungnahme innerhalb einer Frist von normalerweise
höchstens einem Monat aufgefordert. In ordnungsgemäß begründeten Fällen kann die
Kommission diese Frist verlängern.
(2) Die von der
Kommission erhaltenen Stellungnahmen werden dem betreffenden Mitgliedstaat
mitgeteilt. Ersucht ein Beteiligter um Nichtbekanntgabe seiner Identität mit der
Begründung, dass ihm daraus ein Schaden entstehen könnte, so wird die Identität
des Beteiligten dem betreffenden Mitgliedstaat nicht bekannt gegeben. Der
betreffende Mitgliedstaat kann sich innerhalb einer Frist von normalerweise
höchstens einem Monat zu den Stellungnahmen äußern. In ordnungsgemäß begründeten
Fällen kann die Kommission diese Frist verlängern.“
II – Sachverhalt
A – Vorgeschichte der Körperschaftsteuerreform
des Government of Gibraltar
3 Am 11. Juli
2001 eröffnete die Kommission das förmliche Prüfverfahren gemäß Art. 88
Abs. 2 EG im Hinblick auf zwei Regelungen, die in Gibraltar bei der
Körperschaftsteuer angewandt wurden und „freigestellte Unternehmen“
(ABl. 2002, C 26, S. 13) bzw. „berechtigte Unternehmen“
(ABl. 2002, C 26, S. 9) betrafen.
4 Für die
Anerkennung als freigestelltes Unternehmen mussten mehrere Voraussetzungen
erfüllt sein. Dazu gehörte das Verbot der Ausübung einer gewerblichen oder
sonstigen Tätigkeit in Gibraltar, ausgenommen Tätigkeiten mit anderen
freigestellten oder berechtigten Unternehmen. Vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen
war ein freigestelltes Unternehmen in Gibraltar von der Einkommensteuer befreit
und brauchte nur eine jährliche Pauschalsteuer von 225 GBP zu entrichten.
5 Für die
Anerkennung als berechtigtes Unternehmen waren im Wesentlichen die gleichen
Voraussetzungen zu erfüllen wie für die Anerkennung als freigestelltes
Unternehmen. Die berechtigten Unternehmen zahlten Steuern in Höhe eines Satzes,
der mit den Steuerbehörden von Gibraltar ausgehandelt wurde und zwischen
2 % und 10 % ihres Gewinns schwankte.
6 Mit Urteil vom
30. April 2002, Government of Gibraltar/Kommission (T‑195/01 und T‑207/01, Slg.
2002, II‑2309), hat das Gericht erstens die Entscheidung über die Eröffnung des
förmlichen Prüfverfahrens betreffend freigestellte Unternehmen für nichtig
erklärt, da die Kommission die auf diese Unternehmen anwendbare Regelung
insgesamt als neue Beihilfe eingestuft hatte, und zweitens die Klage auf
Nichtigerklärung der Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen
Prüfverfahrens betreffend berechtigte Unternehmen abgewiesen.
7 Das Verfahren
betreffend freigestellte Unternehmen führte zu einem Beschluss der Kommission
vom 19. Januar 2005, geeignete Maßnahmen vorzuschlagen, der am 18. Februar 2005
vom Vereinigten Königreich akzeptiert wurde (ABl. 2005, C 228, S. 9).
Im Anschluss an das Verfahren betreffend berechtigte Unternehmen erließ die
Kommission am 30. März 2004 die Entscheidung 2005/77/EG über die vom Vereinigten
Königreich zugunsten bestimmter Unternehmen in Gibraltar durchgeführte
Beihilferegelung (ABl. 2005, L 29, S. 24), mit der sie die Regelung
über diese Unternehmen für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärte.
B – Körperschaftsteuerreform des Government of
Gibraltar
8 Unbeschadet der
Frage, ob die Steuerregelungen für freigestellte und berechtigte Unternehmen
staatliche Beihilfen darstellten, zeigte das Government of Gibraltar am 27.
April 2002 an, dass es beabsichtige, alle Rechtsvorschriften im Bereich der
Unternehmensbesteuerung aufzuheben und eine völlig neue Steuerregelung für alle
Unternehmen in Gibraltar einzuführen. Diese Körperschaftsteuerreform des
Government of Gibraltar ist Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.
9 Mit Schreiben
vom 12. August 2002 zeigte das Vereinigte Königreich Großbritannien und
Nordirland der Kommission gemäß Art. 88 Abs. 3 EG die beabsichtigte
Körperschaftsteuerreform an, die das Government of Gibraltar durchführen wollte
(im Folgenden: Steuerreformvorhaben).
10 Um vom Government of
Gibraltar angewandt werden zu können, musste die Steuerreform zunächst vom House
of Assembly von Gibraltar verabschiedet werden. Im Rahmen dieser Reform sollten
die bisherigen Rechtsvorschriften betreffend freigestellte Unternehmen und
berechtigte Unternehmen mit sofortiger Wirkung aufgehoben werden.
11 Das Steuerreformvorhaben
beinhaltet, wie aus Randnr. 18 des angefochtenen Urteils hervorgeht, ein
Steuersystem, das für alle Unternehmen gilt, die in Gibraltar niedergelassen
sind, und zusätzliche Steuern bzw. Steuerzuschläge („top-up tax“), die nur für
Finanzdienstleistungsunternehmen und Versorgungsunternehmen gelten, wobei zu den
Versorgungsunternehmen solche Unternehmen zählen, die in den Bereichen
Telekommunikation, Strom und Wasser tätig sind.
12 Das Steuersystem, das
durch dieses Vorhaben eingeführt werden soll, wird in den Randnrn. 21 bis 25 des
angefochtenen Urteils wie folgt beschrieben:
„21 Das
Steuersystem, das durch die Steuerreform eingeführt wird und für alle
Unternehmen gilt, die in Gibraltar niedergelassen sind, besteht aus einer
Lohnsummensteuer (payroll tax), einer Gewerbegrundbenutzungssteuer (business
property occupation tax) und einer Eintragungsgebühr (registration fee):
– Lohnsummensteuer:
Alle Unternehmen in Gibraltar haben für jeden Mitarbeiter jährlich eine
Lohnsummensteuer in Höhe von 3 000 GBP zu entrichten. Jeder ‚Arbeitgeber‘
in Gibraltar muss die Lohnsummensteuer für die Gesamtzahl seiner Vollzeit- und
Teilzeit-‚Arbeitnehmer‘ zahlen, die ‚in Gibraltar beschäftigt‘ sind. Die
Rechtsvorschriften über die Steuerreform enthalten Definitionen der vorgenannten
Begriffe.
– Gewerbegrundbenutzungssteuer
(business property occupation tax, im Folgenden: BPOT): Alle Unternehmen mit
Geschäftsräumen in Gibraltar zahlen eine Gewerbegrundbenutzungssteuer in Höhe
eines bestimmten Prozentanteils der allgemeinen Grundsteuer, die in Gibraltar
für sie gilt.
– Eintragungsgebühr:
Alle Unternehmen in Gibraltar haben eine jährliche Eintragungsgebühr zu
entrichten, die 150 GBP für nicht gewinnorientierte Unternehmen und 300 GBP für
gewinnorientierte Unternehmen beträgt.
22 Die
Gesamtsteuerschuld für die Lohnsummensteuer zusammen mit der BPOT wird auf
höchstens 15 % des Gewinns begrenzt. Aus dieser Begrenzung ergibt sich,
dass Unternehmen nur dann Lohnsummensteuer und BPOT zahlen, wenn sie Gewinn
machen, und dass der Höchstsatz bei 15 % des Gewinns liegt.
…
23 Für
bestimmte Tätigkeitsbereiche, und zwar Finanzdienstleistungen und
Versorgungsunternehmen, werden zusätzliche Steuern (bzw. Steuerzuschläge) auf
Gewinne erhoben, die in diesen Tätigkeitsbereichen erzielt werden. Die
zusätzlichen Steuern gelten nur für Gewinne, die diesen bestimmten
Tätigkeitsbereichen zugerechnet werden können.
24 Abgesehen
von der Lohnsummensteuer und der BPOT zahlen Finanzdienstleistungsunternehmen
somit eine zusätzliche Steuer (bzw. Steuerzuschläge) auf Gewinne aus
Finanzdienstleistungen zwischen 4 % und 6 % des Gewinns (berechnet
gemäß den international anerkannten Bilanzierungsrichtlinien); die jährliche
Gesamtsteuerschuld dieser Unternehmen (Lohnsummensteuer, BPOT und zusätzliche
Steuer) beläuft sich auf höchstens 15 % des Gewinns.
25 Abgesehen
von der Lohnsummensteuer und der BPOT zahlen Versorgungsunternehmen eine
zusätzliche Steuer (bzw. Steuerzuschläge) auf Gewinne aus
Versorgungsdienstleistungen in Höhe von 35 % des Gewinns (berechnet gemäß
den international anerkannten Bilanzierungsrichtlinien). Diese Unternehmen
dürfen die Lohnsummensteuer und die BPOT von der von ihnen zu zahlenden
zusätzlichen Steuer abziehen. Auch wenn für die jährliche Gesamtsteuerschuld der
Versorgungsunternehmen (Lohnsummensteuer und BPOT) ebenfalls ein Höchstsatz von
15 % des Gewinns gilt, ist mit der von Versorgungsunternehmen zu
entrichtenden zusätzlichen Steuer sichergestellt, dass diese Unternehmen immer
eine Steuer in Höhe von 35 % des Gewinns entrichten.“
III – Verwaltungsverfahren und streitige
Entscheidung
13 Nachdem das Vereinigte
Königreich das Steuerreformvorhaben bei der Kommission angemeldet hatte, setzte
diese den Mitgliedstaat mit Schreiben vom 16. Oktober 2002 von ihrer
Entscheidung in Kenntnis, das Verfahren nach Art. 88 Abs. 2 EG
einzuleiten (im Folgenden: Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen
Verfahrens), und forderte alle Beteiligten zur Stellungnahme auf (ABl. 2002,
C 300, S. 2).
14 Diese Entscheidung
verweist auf Nr. 9 der Mitteilung der Kommission über die Anwendung der
Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten
Unternehmensbesteuerung (ABl. 1998, C 384, S. 3, im Folgenden:
Mitteilung über staatliche Beihilfen im Bereich der Steuern). In den Nrn. 29 bis
33 und 37 bis 44 der Entscheidung stellt die Kommission vier Bestandteile des
Steuerreformvorhabens dar, die sie als materiell selektive Vorteile ansieht, und
zwar die Voraussetzung der Gewinnerzielung, die den nicht gewinnbringenden
Unternehmen Vorteile verschaffe, die verschiedenen Steuerbegrenzungen, die den
davon begünstigten Unternehmen Vorteile verschafften, die Steuerbefreiung für in
bestimmten Gebieten von Gibraltar ansässige Unternehmen und schließlich die
Befreiung von Zinserträgen aus Darlehen, die zur Verwirklichung bestimmter Ziele
gewährt würden. „Offshore-Unternehmen“ werden nicht als Unternehmen genannt, die
einen selektiven Vorteil erlangten.
15 In Nr. 60
Buchst. f der Entscheidung über die Eröffnung des formellen Verfahrens
ersucht die Kommission das Vereinigte Königreich um folgende Auskünfte:
„Geschätzte Zahl, Größe und Art der Tätigkeit der
– Unternehmen,
die keinen Gewinn erzielen und daher nicht der Lohnsummensteuer oder BPOT
unterliegen,
– Unternehmen,
die Gewinn erzielen, ohne Arbeitnehmer zu beschäftigen (d. h. ohne zu
berücksichtigende Einheiten von Arbeitnehmern),
– Unternehmen,
die Gewinn erzielen und weniger als einen Arbeitnehmer beschäftigen (ausgenommen
solche ohne Arbeitnehmer).“
16 Die Kommission erhielt
Stellungnahmen vom Vereinigten Königreich, der Confederación Española de
Organizaciones Empresariales (spanischer Unternehmerverband), von der Ålands
Landskapsstyrelse (Exekutive von Åland, Finnland), vom Königreich Spanien und
vom Government of Gibraltar.
17 Das Königreich Spanien
führte in Nr. 3 seiner der Kommission am 3. Januar 2003 vorgelegten
Stellungnahme aus:
„…
Ergänzend zu diesen Anmerkungen, mit denen den Einwänden
der Kommission zugestimmt wird, die als solche grundsätzlich ausreichen, um die
Gültigkeit der vom Vereinigten Königreich im Namen des Government of Gibraltar
vorgeschlagenen Reform in Frage zu stellen, kommt es aus unserer Sicht darauf
an, dass die Bewertung der Vereinbarkeit der Regelung dem tatsächlichen
wirtschaftlichen und steuerlichen Kontext im Gebiet des vorschlagenden
Hoheitsträgers gebührend Rechnung trägt.
Die vorgeschlagene Steuerreform enthält einige
Besonderheiten, u. a.
…
c) Für die
28 800 Unternehmen, die nicht den in Buchst. a genannten zusätzlichen
Steuern unterliegen, ist das vorgesehene Steuersystem in Wirklichkeit keine
Gesamtsteuer auf Unternehmensgewinne, sondern eine Kombination von verschiedenen
Einzelsteuern (Lohnsummensteuer, [BPOT], Eintragungsgebühr), für die es
Höchstsätze gibt, aufgrund deren die zu entrichtenden Steuern entweder extrem
gering sind oder erst gar nicht anfallen (das Vorhaben wird in Gibraltar nicht
umsonst als ‚Nullsteuer‘ bezeichnet).
Es kann davon ausgegangen werden, dass die meisten der
28 800 registrierten Unternehmen ‚Briefkastenfirmen‘ oder
Vermögensverwaltungsgesellschaften sind; sie müssten daher, sofern sie Gewinne
erzielen, mit jährlich 3 000 GBP pro Mitarbeiter besteuert werden. Da die
meisten von ihnen grundsätzlich nur einen Arbeitnehmer (einen Buchhalter oder
‑prüfer) haben, der meist als Teilzeitkraft beschäftigt ist, würden sie maximal
lediglich 3 000 GBP jährlich an Steuern zahlen, wenn sie keine
Geschäftsräume nutzen (was gewöhnlich der Fall ist), da sie dann keine [BPOT] zu
zahlen hätten;
…
d) ‚Offshore-Unternehmen‘
würden von zwei der neuen Steuern überhaupt nicht erfasst: etwa 8 000
Unternehmen ohne physische Präsenz in Gibraltar wären damit befreit.
…
Eine solche Steuerreform weist eine Vielzahl von
Besonderheiten auf und lässt die steuerliche Situation von Firmen ohne Personal
oder Geschäftsräume in Gibraltar unangetastet.
…“
18 Die Kommission leitete
diese Stellungnahmen an das Vereinigte Königreich weiter, das ihr mit Schreiben
vom 13. Februar 2003 seine Anmerkungen übermittelte, ohne sich jedoch zu den
Argumenten des Königreichs Spanien zur steuerlichen Behandlung der
„Offshore-Unternehmen“ zu äußern.
19 In Randnr. 163 der
streitigen Entscheidung kam die Kommission zu dem Schluss, dass „[das
Steuerreformvorhaben] eine staatliche Beihilferegelung im Sinne des Artikels 87
Absatz 1 des EG-Vertrags ist. Keine der Ausnahmeregelungen in Artikel 87 Absatz
2 oder Artikel 87 Absatz 3 findet Anwendung. Daher ist das Vereinigte Königreich
nicht befugt, die Reform umzusetzen“.
20 Nach Auffassung der
Kommission ist, wie aus den Randnrn. 98 bis 152 der streitigen Entscheidung
hervorgeht, das Steuerreformvorhaben sowohl regional als auch materiell
selektiv. Es sei regional selektiv, da es ein Körperschaftsteuersystem einführe,
bei dem Unternehmen in Gibraltar allgemein niedriger besteuert würden als
Unternehmen im Vereinigten Königreich (Randnr. 127 der streitigen
Entscheidung).
21 Die Kommission hält
bestimmte Bestandteile des Steuerreformvorhabens für materiell selektiv.
Materiell selektiv seien erstens die Voraussetzung der Gewinnerzielung als
Grundlage für die Erhebung von Lohnsummensteuer und BPOT, da sie Unternehmen
begünstige, die keinen Gewinn erzielten (Randnrn. 128 bis 133 der streitigen
Entscheidung), und zweitens die Obergrenze von 15 % des Gewinns, die für
Lohnsummensteuer und BPOT gelte, da diese Obergrenze Unternehmen begünstige, die
für das betreffende Steuerjahr im Verhältnis zur Zahl der Mitarbeiter und zur
Nutzung von Geschäftsräumen niedrige Gewinne erzielten (Randnrn. 134 bis 141 der
streitigen Entscheidung). Schließlich sei drittens auch die Festlegung einer
Lohnsummensteuer und einer BPOT materiell selektiv, da diese beiden Steuern
ihrem Wesen nach „Offshore-Unternehmen“ begünstigten, die in Gibraltar nicht
tatsächlich physisch präsent und daher nicht körperschaftsteuerpflichtig seien
(Randnrn. 142 bis 144 und 147 bis 151 der streitigen Entscheidung).
22 Art. 1 des
verfügenden Teils der streitigen Entscheidung lautet:
„Die vom Vereinigten Königreich gemeldeten Vorschläge zur
Reform des Körperschaftsteuersystems in Gibraltar stellen Beihilferegelungen
dar, die mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sind.
Diese Vorschläge dürfen daher nicht umgesetzt
werden.“
IV – Verfahren im ersten Rechtszug und
angefochtenes Urteil
23 Mit am 9. Juni 2004 bei
der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschriften haben das Government of
Gibraltar in der Rechtssache T‑211/04 und das Vereinigte Königreich in der
Rechtssache T‑215/04 jeweils Klage auf Nichtigerklärung der streitigen
Entscheidung erhoben.
24 Die Kläger haben in
diesen Rechtssachen im Wesentlichen drei gleiche Klagegründe geltend gemacht.
Mit den ersten beiden Klagegründen werden Rechts- und Beurteilungsfehler bei der
Anwendung des Kriteriums der regionalen und des Kriteriums der materiellen
Selektivität gerügt. Mit dem dritten Klagegrund wird eine Verletzung
wesentlicher Formvorschriften im Rahmen der Prüfung des als materiell selektiv
eingestuften dritten Bestandteils des Steuerreformvorhabens in Bezug auf die
„Offshore-Unternehmen“ gerügt. Dieser letzte Klagegrund besteht aus zwei Teilen,
erstens eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, die sowohl vom
Vereinigten Königreich als auch vom Government of Gibraltar geltend gemacht
wird, und zweitens eine Verletzung der Begründungspflicht, auf die sich nur das
Government of Gibraltar beruft.
25 Mit Beschlüssen vom 14.
Dezember 2004 und vom 15. Februar 2005 hat der Präsident der Dritten Kammer des
Gerichts dem Antrag des Vereinigten Königreichs auf Zulassung als Streithelfer
zur Unterstützung der Anträge des Government of Gibraltar in der Rechtssache
T‑211/04 und dem Antrag des Königreichs Spanien auf Zulassung als Streithelfer
zur Unterstützung der Anträge der Kommission in der Rechtssache T‑215/04
stattgegeben.
26 Das Gericht hat sowohl
dem ersten Klagegrund bezüglich der regionalen Selektivität als auch dem zweiten
Klagegrund bezüglich der materiellen Selektivität stattgegeben. Den dritten
Klagegrund, mit dem eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften geltend
gemacht wurde, hat es nicht geprüft.
V – Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge
der Verfahrensbeteiligten
27 Mit Beschluss des
Präsidenten des Gerichtshofs vom 26. Juni 2009 sind die Rechtssachen
C‑106/09 P und C‑107/09 P zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen
Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.
28 Mit Beschluss des
Präsidenten des Gerichtshofs vom 25. September 2009 ist Irland als Streithelfer
zur Unterstützung der Anträge des Vereinigten Königreichs und des Government of
Gibraltar zugelassen worden.
29 Mit ihrem Rechtsmittel
beantragt die Kommission,
– das
angefochtene Urteil aufzuheben;
– die vom
Government of Gibraltar und vom Vereinigten Königreich eingereichten Klagen auf
Nichtigerklärung zurückzuweisen und
– dem
Government of Gibraltar und dem Vereinigten Königreich die Kosten
aufzuerlegen;
hilfsweise,
– die
Rechtssachen zur neuerlichen Entscheidung an das Gericht zurückzuverweisen
und
– die
Kostenentscheidung für beide Rechtszüge vorzubehalten.
30 Mit seinem Rechtsmittel
beantragt das Königreich Spanien,
– das
angefochtene Urteil aufzuheben;
– die
streitige Entscheidung für rechtmäßig zu erklären und
– den
Rechtsmittelgegnern die Kosten aufzuerlegen.
31 Das Government of
Gibraltar beantragt,
– die von
der Kommission und dem Königreich Spanien eingelegten Rechtsmittel
zurückzuweisen und
– der
Kommission und dem Königreich Spanien die Kosten des Government of Gibraltar
aufzuerlegen.
32 Das Vereinigte Königreich
beantragt,
– die von
der Kommission und dem Königreich Spanien eingelegten Rechtsmittel
zurückzuweisen und
– der
Kommission und dem Königreich Spanien die Kosten aufzuerlegen.
33 Irland beantragt,
– das von
der Kommission eingelegte Rechtsmittel zurückzuweisen und
– der
Kommission die Kosten aufzuerlegen.
VI – Zu den Rechtsmitteln
34 Die Kommission macht als
einzigen Rechtsmittelgrund einen Verstoß gegen Art. 87 Abs. 1 EG
geltend. Dieser Rechtsmittelgrund, der die Feststellungen des Gerichts zur
materiellen Selektivität des Steuerreformvorhabens betrifft, besteht aus sechs
Teilen. Das Königreich Spanien trägt elf Rechtsmittelgründe vor, die sich in
drei Gruppen zusammenfassen lassen, erstens regionale Selektivität des Vorhabens
und Status von Gibraltar (Rechtsmittelgründe 1 bis 7 und 9), zweitens materielle
Selektivität (achter Rechtsmittelgrund) und drittens Verfahren vor dem Gericht
(zehnter und elfter Rechtsmittelgrund).
35 Es sind zunächst die
Rechtsmittelgründe zur materiellen Selektivität, d. h. der einzige
Rechtsmittelgrund der Kommission und der achte Rechtsmittelgrund des Königreichs
Spanien, zu prüfen.
A – Zum einzigen Rechtsmittelgrund der
Kommission und zum achten Rechtsmittelgrund des Königreichs Spanien
1. Gründe des angefochtenen
Urteils
36 Bevor das Gericht die
streitige Entscheidung geprüft hat, hat es in den Randnrn. 143 bis 146 des
angefochtenen Urteils den Prüfungsrahmen festgelegt, den die Kommission
einhalten muss, wenn sie untersucht, ob eine steuerliche Beihilferegelung
selektiven Charakter hat. Dass die Kommission eine steuerliche Maßnahme als
selektiv einstufe, setze zwingend voraus, dass sie auf einer ersten Stufe die
„normale“ Regelung des Steuersystems feststelle. Auf einer zweiten Stufe müsse
die Kommission im Hinblick auf diese „normale“ Steuerregelung den etwaigen
selektiven Charakter der Begünstigung, die mit der fraglichen steuerlichen
Maßnahme verbunden sei, beurteilen und belegen, indem sie nachweise, dass die
Maßnahme eine Ausnahme von der „normalen“ Regelung bilde. Auf einer dritten
Stufe sei zu prüfen, ob bei Vorliegen solcher Ausnahmen die Maßnahme, die eine
Differenzierung zwischen Unternehmen bewirke, dennoch nichtselektiv sein könne,
wenn diese Differenzierung aus der Natur und dem inneren Aufbau der betreffenden
Lastenregelung folge.
37 Die Kommission dürfe
diese ersten beiden Stufen der Prüfung des selektiven Charakters der fraglichen
Maßnahme nicht auslassen, da sie sich sonst bei der Festlegung des Steuersystems
des Mitgliedstaats und der „normalen“ Regelung innerhalb dieses Systems an die
Stelle des Mitgliedstaats setzen würde. Was die Festlegung des fraglichen
Steuersystems betreffe, falle die direkte Besteuerung nach dem gegenwärtigen
Entwicklungsstand des Unionsrechts in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten.
Daher liege es in der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und der
unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheiten, die über
Steuerautonomie verfügten, die Körperschaftsteuersysteme zu entwickeln, die sie
für die Bedürfnisse ihrer Wirtschaftssysteme am geeignetsten hielten.
38 In Randnr. 148 des
angefochtenen Urteils hat das Gericht ausgeführt, dass „die Kommission [in der
streitigen Entscheidung] fest[stellte], dass drei Bestandteile des mit [dem
Steuerreformvorhaben] eingeführten Steuersystems den begünstigten Unternehmen
selektive Vorteile verschafften und daher staatliche Beihilfen sein könnten,
nämlich erstens die Voraussetzung der Gewinnerzielung als Grundlage für die
Erhebung von Lohnsummensteuer und BPOT, zweitens die Obergrenze von 15 %
des Gewinns, die für Lohnsummensteuer und BPOT gelte, und drittens das Wesen von
Lohnsummensteuer und BPOT“.
39 Sodann hat das Gericht
die streitige Entscheidung im Hinblick auf den Prüfungsrahmen geprüft, wie er in
den Randnrn. 143 bis 146 des angefochtenen Urteils festgelegt worden ist.
40 Hierzu hat das Gericht in
Randnr. 170 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass angesichts der
Erklärungen des Government of Gibraltar und des Vereinigten Königreichs, dass
sämtliche Bestandteile des Steuerreformvorhabens ein vollständiges
eigenständiges Steuersystem bildeten, das als die „normale“ Steuerregelung
anzusehen sei, „die Kommission nicht davon absehen [durfte], ihrer … in
Randnr. 143 [des angefochtenen Urteils] dargelegten Verpflichtung
nachzukommen, zunächst die … ‚normale‘ Regelung des angemeldeten Steuersystems
zu identifizieren und gegebenenfalls deren Einstufung durch die Behörden
Gibraltars in Frage zu stellen“. In den Randnrn. 171 bis 174 des angefochtenen
Urteils hat das Gericht die Auffassung vertreten, dass die Kommission sich nicht
an die Stufen dieses Prüfungsrahmens gehalten und dadurch die Grenzen ihrer
Prüfungsbefugnis überschritten habe, da das Steuerwesen der Zuständigkeit der
Mitgliedstaaten unterliege.
41 Ferner heißt es in
Randnr. 175 des angefochtenen Urteils: „Abgesehen davon, dass die
Kommission … bei der Feststellung der Selektivität den Prüfungsrahmen nicht
einhielt, können weder die … Randnummern der angefochtenen Entscheidung noch die
Argumente, die die Kommission und das Königreich Spanien im Laufe des Verfahrens
geltend gemacht haben, die Stichhaltigkeit der Definition der … ‚normalen‘
Regelung des angemeldeten Steuersystems in Frage stellen.“
42 Hierzu hat das Gericht
erstens in den Randnrn. 176 bis 178 des angefochtenen Urteils die Auffassung
vertreten, dass es der Kommission nicht gelungen sei, darzutun, dass die
Voraussetzungen für die Besteuerung, nämlich die Gewinnerzielung und die
Begrenzung der Steuer auf 15 % des Gewinns, als Ausnahmen anzusehen seien
und die steuerliche Regelung daher als selektiv einzustufen sei.
43 Das Gericht hat zweitens
in den Randnrn. 179 bis 181 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die
Selektivität des fraglichen Steuersystems weder dadurch dargetan werden könne,
dass es von der Kommission als „hybrid“ eingestuft werde, noch dadurch, dass ein
Unternehmens ohne „physische Präsenz“ in Gibraltar der Lohnsummensteuer und der
BPOT entgehe.
44 Drittens hat das Gericht
in den Randnrn. 182 bis 184 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass die
Erwägungen der Kommission zu den verschiedenen in der streitigen Regelung
festgelegten Kriterien für die Bestimmung der Besteuerung eines Unternehmens zu
vage seien, um die von den Behörden Gibraltars geltend gemachte Definition
dessen, was im Rahmen des Steuerreformvorhabens die „normale“ Regelung sei, in
Frage zu stellen.
45 In Randnr. 185 des
angefochtenen Urteils ist das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass keiner der
von der Kommission festgestellten Bestandteile des Steuerreformvorhabens als
selektive Begünstigung im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG betrachtet
werden könne, da die Kommission nicht rechtlich hinreichend dargetan habe, dass
es sich um Ausnahmen von der „normalen“ Steuerregelung handele.
46 Schließlich heißt es in
Randnr. 186 des angefochtenen Urteils, „dass dem Vergleich der Auswirkungen
des durch [das Steuerreformvorhaben] eingeführten Steuersystems mit den
Auswirkungen des früheren Steuersystems, wie er von der Kommission in Tabelle 1
und in Randnr. 150 der [streitigen] Entscheidung vorgenommen wurde, in der
vorliegenden Rechtssache für die Zwecke der Anwendung von Art. 87
Abs. 1 EG nicht gefolgt werden kann“.
2. Vorbringen der
Verfahrensbeteiligten
47 Die Kommission stützt ihr
Rechtsmittel auf einen einzigen Rechtsmittelgrund, mit dem ein Verstoß gegen
Art. 87 Abs. 1 EG gerügt wird und der sich auf die vom Gericht
vorgenommene Prüfung der materiellen Selektivität bezieht. Dieser
Rechtsmittelgrund besteht aus sechs Teilen.
48 Mit dem ersten Teil
dieses Rechtsmittelgrundes rügt die Kommission, das Gericht habe das Verhältnis
zwischen Art. 87 Abs. 1 EG und dem Umfang der steuerlichen Befugnisse
der Mitgliedstaaten falsch beurteilt. Die steuerlichen Befugnisse der
Mitgliedstaaten würden durch das Unionsrecht, insbesondere Art. 87
Abs. 1 EG, festgelegt, und eine nationale Vorschrift sei nicht, nur weil
sie zum Steuerrecht gehöre, vom Erfordernis der Beachtung dieses Artikels
ausgenommen, denn die staatlichen Maßnahmen würden in diesem Artikel nicht nach
ihrem Grund oder ihren Zielen definiert, sondern nach ihren Wirkungen.
49 Mit dem zweiten Teil
ihres einzigen Rechtsmittelgrundes wirft die Kommission dem Gericht vor, zu
Unrecht angenommen zu haben, dass sie verpflichtet sei, zunächst die „normale“
Regelung des in dem Reformvorhaben enthaltenen Steuersystems zu identifizieren
und dann nachzuweisen, dass die fraglichen Maßnahmen gegenüber dieser Regelung
Ausnahmen darstellten. Bei einem solchen Ansatz werde außer Acht gelassen, dass
ein Mitgliedstaat ein Steuersystem einführen könne, das strukturbedingt durch
eine systemimmanente Diskriminierung gekennzeichnet sei. So sei es Gibraltar
durch eine geschickte Auswahl der in seinem vorgeblich „normalen“ Steuersystem
anzuwendenden Kriterien gelungen, weitgehend dieselben Wirkungen zu erzielen wie
mit einer Regelung, die offenkundig eine staatliche Beihilfe zugunsten
bestimmter Arten von Unternehmen beinhalte.
50 Mit dem dritten Teil
ihres einzigen Rechtsmittelgrundes macht die Kommission, unterstützt durch das
Königreich Spanien, geltend, das Gericht habe gegen die Grundsätze der Auslegung
des Begriffs der staatlichen Beihilfe verstoßen, denen zufolge die nationalen
Maßnahmen nach ihren Wirkungen und nicht nach dem mit ihnen verfolgten Ziel oder
einer bestimmten Regelungstechnik zu beurteilen seien.
51 Mit dem vierten Teil des
Rechtsmittelgrundes rügt die Kommission, dass der Ansatz des Gerichts dazu
führe, dass sämtliche Merkmale eines Steuersystems ohne Rücksicht darauf, ob sie
bestimmte Unternehmen begünstigten, automatisch einen integralen Bestandteil
dieses Systems und keine Ausnahme darstellten und somit der Anwendung der
Vorschriften über staatliche Beihilfen entzogen seien.
52 Mit dem fünften Teil des
Rechtsmittelgrundes rügt die Kommission, das Gericht habe zu Unrecht angenommen,
dass sie weder die „normale“ Steuerregelung identifiziert noch nachgewiesen
habe, dass bestimmte Merkmale des Steuerreformvorhabens Ausnahmen von dieser
Regelung darstellten. Sie habe eindeutig und rechtmäßig festgestellt, dass das
angemeldete Steuersystem auf der Besteuerung der Beschäftigung von
Arbeitskräften und der Nutzung von Geschäftsräumen beruhe. Im Übrigen habe das
Gericht die streitige Entscheidung nicht aufgrund eines Begründungsmangels,
sondern aufgrund eines Rechtsfehlers für nichtig erklärt.
53 Mit dem sechsten Teil
ihres einzigen Rechtsmittelgrundes macht die Kommission geltend, dass das
Gericht es unterlassen habe, die drei in der streitigen Entscheidung
festgestellten Selektivitätsmerkmale zu prüfen, da es nicht den Befund der
Kommission zu den konkreten Auswirkungen des Steuerreformvorhabens untersucht
habe, wonach dieses für verschiedene Wirtschaftszweige in Gibraltar
unterschiedliche Steuersätze vorsehe und „Offshore-Unternehmen“, die in
Gibraltar keine Mitarbeiter beschäftigten und keine Geschäftsräume nutzten,
einen selektiven Vorteil verschaffe.
54 Das Gericht habe zwar in
den Randnrn. 156 bis 162 des angefochtenen Urteils die einschlägigen Stellen der
streitigen Entscheidung angeführt, zu den darin identifizierten selektiven
Bestandteilen des Steuerreformvorhabens aber nicht Stellung genommen. In
Randnr. 186 des angefochtenen Urteils habe das Gericht verkannt, dass der
Vergleich des Steuerreformvorhabens mit dem früheren Steuersystem relevant sei.
Die Kommission habe in Bezug auf das frühere System festgestellt, dass mit der
in der streitigen Entscheidung geprüften Regelung die frühere Situation
beibehalten werden solle, indem trotz der Verwendung einer anderen
Regelungstechnik dasselbe Ergebnis erzielt werde. Das Gericht habe mit seinem
Ansatz daher maßgeblich auf steuertechnische Gesichtspunkte zulasten einer
Beurteilung nach den Wirkungen der Maßnahme abgestellt.
55 Das Königreich Spanien
rügt mit seinem achten Rechtsmittelgrund, das Gericht habe zu Unrecht
angenommen, dass das Merkmal der materiellen Selektivität nicht erfüllt sei.
Eine große Mehrheit der in Gibraltar ansässigen Unternehmen, nämlich 28 798
von 29 000 Unternehmen, schaffe es, einen Steuersatz von null zu erzielen.
Bei der Regelung, die das Gericht als „allgemein“ einstufe, handele es sich
daher in Wirklichkeit um eine Sonderregelung mit „De-facto-Selektivität“.
56 In seiner Antwort auf die
Rechtsmittelschrift der Kommission pflichtet das Königreich Spanien dem von der
Kommission geltend gemachten Rechtsmittelgrund bei. Der eigentliche Zweck des
Steuerreformvorhabens bestehe darin, weiterhin ausländisches Kapital anzuziehen,
dessen Eigentümer die normalen Steuerregelungen umgehen wollten, denen sie in
ihren Herkunftsländern unterlägen. Da die Prüfung einer Körperschaftsteuer eine
komplexe wirtschaftliche Würdigung verlange, habe das Gericht außerdem
hinsichtlich der von der Kommission in der streitigen Entscheidung
identifizierten selektiven Gesichtspunkte zu Unrecht die von der Kommission
vorgenommene wirtschaftliche Würdigung durch seine eigene Würdigung ersetzt.
57 Das Government of
Gibraltar und das Vereinigte Königreich machen zunächst geltend, das Gericht
habe den Ansatz der Kommission in der streitigen Entscheidung zu Recht
zurückgewiesen. Dieser Ansatz sei fehlerhaft und widerspreche der normalen
Vorgehensweise der Kommission, wie sie vor allem aus der Mitteilung über
staatliche Beihilfen im Bereich der Steuern folge. Der neue Ansatz führe dazu,
dass die den Mitgliedstaaten durch den EG-Vertrag und durch die ständige
Rechtsprechung des Gerichtshofs gewährleistete Steuerhoheit zunichtegemacht
werde, und erlaube der Kommission, eine Harmonisierung der direkten Steuern
vorzunehmen.
58 Zum ersten Teil des
einzigen Rechtsmittelgrundes der Kommission machen das Government of Gibraltar
und das Vereinigte Königreich geltend, dieser stelle die Zuständigkeit der
Mitgliedstaaten für das Steuerwesen in Frage und beruhe auf einem falschen
Verständnis des angefochtenen Urteils, da das Gericht die Begrenzung der
Steuerhoheit der Mitgliedstaaten durch das Unionsrecht nicht außer Acht gelassen
habe.
59 Ebenso stelle das dem
zweiten Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes der Kommission zugrunde liegende
Vorbringen die Steuerhoheit der Mitgliedstaaten in Frage. Der bloße Umstand,
dass eine Steuerregelung bestimmte Unternehmen begünstige, könne als solcher
nicht genügen, um die Regelung als selektiv anzusehen, da zunächst die normale
Regelung festgestellt werden müsse. Dies werde durch die Mitteilung über
staatliche Beihilfen im Bereich der Steuern bekräftigt, die für die Kommission
gemäß dem Grundsatz des Schutzes des berechtigten Vertrauens verbindlich sei.
60 Auch der dritte Teil des
einzigen Rechtsmittelgrundes der Kommission beruhe auf einem falschen
Verständnis des angefochtenen Urteils, da die Kommission behaupte, das Gericht
habe entschieden, dass sie die von den nationalen oder regionalen Behörden
erklärten Ziele zugrunde legen müsse, statt den tatsächlichen Inhalt der
fraglichen Regelungen zu prüfen.
61 Die von der Kommission im
Rahmen des vierten Teils ihres einzigen Rechtsmittelgrundes vorgetragene
Auffassung, dass ein „normales“ Steuersystem nicht mehr als ein
Besteuerungskriterium anwenden dürfe, sei ebenfalls mit der Steuerhoheit der
Mitgliedstaaten unvereinbar. Es müsse den Mitgliedstaaten freistehen, die
Steuern anzuwenden, die ihrer Meinung nach für ihre Bedürfnisse am geeignetsten
seien, und die von ihnen gewünschten Besteuerungsgrundlagen zu wählen, wobei
ihre Steuervorschriften die normalen und erforderlichen Bestimmungen über die
Steuerkraft der Steuerpflichtigen umfassen könnten, die ein gemeinsames Merkmal
der Steuern seien. Es sei völlig legitim, dass eine Steuerregelung mehr als
einem einzigen Ziel diene.
62 Ferner sei die dem
fünften Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes der Kommission zugrunde liegende
Auffassung fehlerhaft. Ein auf der Verwendung mehrerer Besteuerungsgrundlagen
beruhendes Steuersystem, das auch Bestimmungen über die Steuerkraft der
Steuerpflichtigen umfasse, könne nicht als inkohärent erachtet werden. Außerdem
sei die Behauptung der Kommission falsch, sie habe eine dreistufige Untersuchung
vorgenommen.
63 Zum sechsten Teil des
einzigen Rechtsmittelgrundes machen das Government of Gibraltar und die
Regierung des Vereinigten Königreichs schließlich geltend, die Auffassung der
Kommission, die Steuerregelung sei als selektiv anzusehen, weil die sogenannten
„Offshore-Unternehmen“ nicht besteuert würden, sei falsch. In keinem
Steuersystem zahlten nämlich diejenigen Unternehmen, die nicht die in der
nationalen Steuerregelung definierte Besteuerungsgrundlage aufwiesen, Steuern
nach diesem System. Die Auffassung der Kommission liefe somit darauf hinaus, den
Mitgliedstaaten ungeachtet ihrer Steuerhoheit die Auffassung der Kommission zu
der Frage, welche Besteuerungsgrundlage geeignet sei, aufzuzwingen. Allein
daraus, dass unterschiedliche Gesellschaften Steuern in unterschiedlicher Höhe
zahlten, könne nicht auf die Selektivität des Steuerreformvorhabens geschlossen
werden.
64 Zum achten
Rechtsmittelgrund, den das Königreich Spanien zur materiellen Selektivität des
Vorhabens geltend macht, weisen das Government of Gibraltar und das Vereinigte
Königreich zunächst darauf hin, dass die Tatsache allein, dass bestimmte
Gesellschaften keine Steuern zahlten, nicht für den Schluss auf die Selektivität
der ihnen vorbehaltenen steuerlichen Behandlung und die Annahme einer
staatlichen Beihilfe zugunsten dieser Gesellschaften ausreiche. Außerdem falle
die Festlegung der Bestandteile der Besteuerungsgrundlage unter die Steuerhoheit
der Mitgliedstaaten. Insbesondere seien die zuständigen Behörden nicht
verpflichtet, als Besteuerungsgrundlage die Einkünfte oder die Gewinne zu
verwenden. Ferner sei die dreistufige Untersuchung einer steuerlichen Maßnahme,
wie sie in der Mitteilung über staatliche Beihilfen im Bereich der Steuern
vorgesehen und vom Gericht im angefochtenen Urteil bestätigt worden sei,
erforderlich, um die selektiven Vorteile, die diese Maßnahme verschaffe,
festzustellen. Was schließlich die Behauptung des Königreichs Spanien angeht,
dass es 28 798 der 29 000 in Gibraltar ansässigen Unternehmen aufgrund
des Steuerreformvorhabens schafften, effektiv einen „Steuersatz von null“ zu
erzielen, äußert das Vereinigte Königreich Zweifel an der Genauigkeit dieser
Zahlen. Ohne auf die Behauptung des Königreichs Spanien im Einzelnen einzugehen,
hält es das Government of Gibraltar für schwierig, abzuschätzen, wie viele
Unternehmen in Gibraltar ansässig blieben, wenn das Steuerreformvorhaben
durchgeführt würde, und weist in seiner Rechtsmittelbeantwortung darauf hin,
dass von den derzeit 24 000 in Gibraltar eingetragenen Unternehmen ungefähr
3 000 im Sinne der früheren Steuerregelung „befreit“, 260 öffentliche oder
Finanzunternehmen und 18 000 inaktive Unternehmen seien, die Vermögenswerte
besäßen.
65 Nach Auffassung Irlands,
das als Streithelfer die Anträge des Vereinigten Königreichs in der Rechtssache
C‑106/09 P unterstützt, ist das Rechtsmittel der Kommission als unzulässig
zurückzuweisen, da es über die Ausführungen in der streitigen Entscheidung und
dem angefochtenen Urteil hinausgehe. Mit dem ersten Teil ihres einzigen
Rechtsmittelgrundes versuche die Kommission, den Mitgliedstaaten die Beweislast
für die Vereinbarkeit der Art und Struktur ihres Steuersystems mit dem
Unionsrecht aufzubürden. Außerdem versuche die Kommission, ihr Vorbringen auf
das Diskriminierungsverbot zu stützen, obwohl die Vorschriften auf dem Gebiet
der staatlichen Beihilfen ihren Ursprung nicht darin, sondern im Konzept des
lauteren Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt fänden. Was die übrigen Teile des
einzigen Rechtsmittelgrundes der Kommission betreffe, sei die Kommission gemäß
den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Schutzes des berechtigten
Vertrauens durch ihre Mitteilung über staatliche Beihilfen im Bereich der
Steuern gebunden. Es widerspreche der ständigen Rechtsprechung und der
Steuerhoheit der Mitgliedstaaten, ein Steuersystem aufgrund seiner Wirkungen als
ipso facto diskriminierend anzusehen, ohne einen normalen Steuersatz
feststellen zu können. Im Übrigen reiche es insbesondere nicht, ein Steuersystem
als „hybrid“ zu bezeichnen, um daraus zu schließen, dass die von diesem System
begünstigten Unternehmen eine staatliche Beihilfe erhielten.
3. Würdigung durch den
Gerichtshof
66 Entgegen dem Vorbringen
Irlands ist der einzige Rechtsmittelgrund der Kommission zulässig, da er gemäß
Art. 113 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs auf Aufhebung des
angefochtenen Urteils abzielt, ohne den Gegenstand des Rechtsstreits vor dem
Gericht ändern zu wollen. Die Kommission wirft dem Gericht vor, Art. 87 EG
verkannt zu haben, indem es zu Unrecht angenommen habe, dass keiner der drei in
der streitigen Entscheidung als selektiv eingestuften Bestandteile selektive
Vorteile gewähre.
67 Zunächst ist die von der
Kommission im Rahmen des zweiten Teils ihres einzigen Rechtsmittelgrundes
geltend gemachte Rüge zurückzuweisen, mit der sie dem Gericht vorwirft, sich zu
Unrecht auf die Mitteilung über staatliche Beihilfen im Bereich der Steuern
gestützt zu haben, deren Inhalt es verkannt habe.
68 Zu dem Verweis auf diese
Mitteilung in den Randnrn. 143 und 146 des angefochtenen Urteils genügt die
Feststellung, dass das Gericht, wie aus den Formulierungen „[w]ie die Kommission
… selbst … feststellte“ und „im Übrigen“ in diesen Randnummern hervorgeht,
daraus keine tatsächlichen oder rechtlichen Konsequenzen gezogen hat, sondern
seinen Ansatz, wie er in den Randnrn. 143 bis 146 des angefochtenen Urteils
dargestellt wird, auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs und die Verteilung der
steuerlichen Befugnisse zwischen der Union und den Mitgliedstaaten gestützt hat.
69 Daher ist die Rüge der
Kommission, die gegen den Verweis auf die Mitteilung über staatliche Beihilfen
im Bereich der Steuern gerichtet ist, gegenstandslos (vgl. in diesem Sinne
Urteil vom 2. Oktober 2003, Salzgitter/Kommission, C‑182/99 P, Slg. 2003,
I‑10761, Randnrn. 54 und 55), so dass in diesem Verfahrensstadium der Inhalt und
die Tragweite dieser Mitteilung nicht zu prüfen sind.
70 Zur Prüfung des einzigen
Rechtsmittelgrundes der Kommission und des achten Rechtsmittelgrundes des
Königreichs Spanien ist die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Begriff des
selektiven Vorteils im Bereich der Steuern heranzuziehen.
71 Nach ständiger
Rechtsprechung ist der Begriff der Beihilfe weiter als der Begriff der
Subvention, da er nicht nur positive Leistungen wie etwa die Subventionen
selbst, sondern auch staatliche Maßnahmen umfasst, die in verschiedener Form die
Belastungen vermindern, die ein Unternehmen regelmäßig zu tragen hat, und die
somit, obwohl sie keine Subventionen im strengen Sinne des Wortes darstellen,
diesen nach Art und Wirkungen gleichstehen (vgl. Urteile vom 8. November 2001,
Adria-Wien Pipeline und Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke, C‑143/99, Slg.
2001, I‑8365, Randnr. 38, und vom 8. September 2011, Paint Graphos
u. a., C‑78/08 bis C‑80/08, Slg. 2011, I‑0000, Randnr. 45 und die dort
angeführte Rechtsprechung).
72 Daraus folgt, dass eine
Maßnahme, mit der die staatlichen Stellen bestimmten Unternehmen eine
steuerliche Vergünstigung gewähren, die zwar nicht mit der Übertragung
staatlicher Mittel verbunden ist, aber die Begünstigten finanziell besser stellt
als die übrigen Abgabepflichtigen, eine „staatliche Beihilfe“ im Sinne von
Art. 87 Abs. 1 EG ist (vgl. Urteile vom 15. März 1994, Banco Exterior
de España, C‑387/92, Slg. 1994, I‑877, Randnr. 14, und Paint Graphos
u. a., Randnr. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).
73 Dagegen stellen die
Vorteile aus einer unterschiedslos auf alle Wirtschaftsteilnehmer anwendbaren
allgemeinen Maßnahme keine staatlichen Beihilfen im Sinne von Art. 87 EG
dar (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. September 2000,
Deutschland/Kommission, C‑156/98, Slg. 2000, I‑6857, Randnr. 22, und vom
15. Juni 2006, Air Liquide Industries Belgium, C‑393/04 und C‑41/05, Slg. 2006,
I‑5293, Randnr. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).
74 Es ist daher
festzustellen, ob das Steuerreformvorhaben einen selektiven Charakter hat, da
die Selektivität zum Begriff der staatlichen Beihilfe gehört (vgl. Urteil vom 6.
September 2006, Portugal/Kommission, C‑88/03, Slg. 2006, I‑7115,
Randnr. 54).
75 Was die Beurteilung der
Voraussetzung der Selektivität betrifft, muss nach ständiger Rechtsprechung
gemäß Art. 87 Abs. 1 EG festgestellt werden, ob eine nationale
Maßnahme im Rahmen einer bestimmten rechtlichen Regelung geeignet ist,
„bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige“ gegenüber anderen Unternehmen
oder Produktionszweigen, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden
Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen
Situation befinden, zu begünstigen (Urteile Adria-Wien Pipeline und
Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke, Randnr. 41, und vom 22. Dezember
2008, British Aggregates/Kommission, C‑487/06 P, Slg. 2008, I‑10515,
Randnr. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung).
76 Im Licht dieser
Rechtsprechung ist zu prüfen, ob das Gericht Art. 87 Abs. 1 EG in der
Auslegung durch den Gerichtshof verkannt hat, indem es befunden hat, dass keiner
der drei durch die streitige Entscheidung festgestellten Bestandteile selektive
Vorteile gewähre.
a) Zur Voraussetzung der
Gewinnerzielung und zur Steuerbegrenzung
77 Das Gericht hat bezüglich
der ersten beiden in der streitigen Entscheidung festgestellten selektiven
Bestandteile der fraglichen Maßnahme, nämlich dem Umstand, dass eine
Steuerschuld aus Lohnsummensteuer und BPOT nur entsteht, sofern der
Steuerpflichtige Gewinne erzielt, und dass die Steuer gemäß diesen beiden
Besteuerungsgrundlagen auf 15 % des Gewinns begrenzt ist, festgestellt,
dass die Kommission nicht habe nachweisen können, dass diese Bestandteile
selektive Vorteile gewährten.
78 Diese Folgerung des
Gerichts ist nicht rechtsfehlerhaft.
79 Wie in Randnr. 73
des vorliegenden Urteils festgestellt, fallen unter den Begriff der staatlichen
Beihilfe nur selektive Vorteile und keine Vorteile, die sich aus einer
unterschiedslos auf alle Wirtschaftsteilnehmer anwendbaren allgemeinen Maßnahme
ergeben.
80 Die Voraussetzung der
Gewinnerzielung und die Begrenzung der Besteuerung des Gewinns sind als solche
jedoch unterschiedslos auf alle Wirtschaftsteilnehmer anwendbare allgemeine
Maßnahmen und können daher keine selektiven Vorteile verschaffen.
81 Die Feststellung der
Kommission, dass das Kriterium der Gewinnerzielung der inhärenten Logik eines
auf Lohnsummensteuer und BPOT beruhenden Besteuerungssystems fremd sei, bedeutet
nicht, dass dieses an sich neutrale Kriterium selektiv wird.
82 Das Gericht hat
rechtsfehlerfrei befunden, dass die Voraussetzung der Gewinnerzielung und die
Begrenzung der Steuer auf 15 % des Gewinns keine selektiven Vorteile
gewährten.
83 Die von der Kommission
gerügten Vorteile, die sich aus Maßnahmen ergeben, die unterschiedslos auf alle
Wirtschaftsteilnehmer anwendbar sind, nämlich aus der Voraussetzung der
Gewinnerzielung, die den wenig gewinnbringend arbeitenden Wirtschaftsteilnehmern
zugutekäme, und aus der Begrenzung der Besteuerung, die den sehr gewinnbringend
arbeitenden Wirtschaftsteilnehmern zugutekäme, erlauben nicht, die geprüfte
Steuerregelung als Regelung anzusehen, die selektive Wirkungen enthält. Diese
Wirkungen sind nicht geeignet, „bestimmte Unternehmen“ oder „bestimmte
Produktionszweige“ im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG zu begünstigen,
sondern nur Folge des zufälligen Umstands, dass der fragliche
Wirtschaftsteilnehmer im Veranlagungszeitraum wenig oder sehr gewinnbringend
arbeitet.
84 Daraus folgt, dass die
Rügen, die gegen die Schlussfolgerung des Gerichts gerichtet sind, dass die
Kommission nicht habe nachweisen können, dass die ersten beiden in der
streitigen Entscheidung festgestellten Bestandteile, nämlich die Voraussetzung
der Gewinnerzielung und die Begrenzung der Besteuerung auf 15 % des
Gewinns, einen selektiven Vorteil gewährten, zurückzuweisen sind.
b) Zur Begünstigung der
„Offshore-Unternehmen“
85 Das Gericht ist in
Randnr. 185 des angefochtenen Urteils zu dem Schluss gelangt, dass das
Vorliegen einer selektiven Begünstigung der „Offshore-Unternehmen“ zu verneinen
sei. Die Kommission habe, da sie den Prüfungsrahmen für die Ermittlung der
Selektivität der steuerlichen Maßnahme – wie er in den Randnrn. 143 bis 146 des
angefochtenen Urteils und in den Randnrn. 36 und 37 des vorliegenden Urteils
dargestellt ist – nicht eingehalten habe, nicht nachweisen können, dass den
„Offshore-Unternehmen“, die naturgemäß keine physische Präsenz in Gibraltar
hätten, selektive Begünstigungen zugutekämen.
86 Diese Argumentation ist
rechtsfehlerhaft.
87 Erstens unterscheidet
Art. 87 Abs. 1 EG nach ständiger Rechtsprechung nicht nach den Gründen
oder Zielen der staatlichen Maßnahmen, sondern beschreibt diese nach ihren
Wirkungen und somit unabhängig von den verwendeten Techniken (vgl. Urteile
British Aggregates/Kommission, Randnrn. 85 und 89 und die dort angeführte
Rechtsprechung, und vom 8. September 2011, Kommission/Niederlande,
C‑279/08 P, Slg. 2011, I‑0000, Randnr. 51).
88 Der Ansatz des Gerichts,
der allein auf die Regelungstechnik des Steuerreformvorhabens abstellt, erlaubt
es jedoch nicht, die Wirkungen der fraglichen steuerlichen Maßnahme zu prüfen,
und schließt a priori die Möglichkeit aus, das Fehlen jeglicher
Besteuerung der „Offshore-Unternehmen“ als „selektive Begünstigung“ zu
betrachten. Daher verstößt dieser Ansatz gegen die in Randnr. 87 des
vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung.
89 Zweitens verkennt der
Ansatz des Gerichts auch die in Randnr. 71 des vorliegenden Urteils
angeführte Rechtsprechung, der zufolge das Vorliegen einer selektiven
Begünstigung eines Unternehmens voraussetzt, dass die Belastungen, die dieses
Unternehmen regelmäßig zu tragen hat, vermindert werden.
90 Der Gerichtshof hat zwar
in Randnr. 56 des Urteils Portugal/Kommission festgestellt, dass der
Bestimmung des Bezugsrahmens im Fall steuerlicher Maßnahmen eine besondere
Bedeutung zukommt, da das tatsächliche Vorliegen einer Begünstigung nur in Bezug
auf eine sogenannte „normale“ Besteuerung festgestellt werden kann.
91 Gleichwohl ist entgegen
der Argumentation des Gerichts sowie dem Vorbringen des Government of Gibraltar
und des Vereinigten Königreichs nach dieser Rechtsprechung die Einstufung eines
Steuersystems als „selektiv“ nicht davon abhängig, dass dieses so konzipiert
ist, dass die Unternehmen, denen möglicherweise eine selektive Begünstigung
zugutekommt, grundsätzlich denselben steuerlichen Belastungen unterliegen wie
die sonstigen Unternehmen, dass sie aber von Ausnahmevorschriften profitieren,
so dass die selektive Begünstigung im Unterschied zwischen der normalen
steuerlichen Belastung und der Belastung der erstgenannten Unternehmen erblickt
werden kann.
92 Ein solches Verständnis
des Kriteriums der Selektivität würde entgegen der in Randnr. 87 des
vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung voraussetzen, dass eine
Steuerregelung, um als selektiv eingestuft werden zu können, nach einer
bestimmten Regelungstechnik konzipiert ist, was dazu führen würde, dass
nationale Steuervorschriften der Kontrolle auf dem Gebiet der staatlichen
Beihilfen von vornherein aus dem bloßen Grund entzogen sind, dass sie auf einer
anderen Regelungstechnik beruhen, obwohl sie rechtlich und/oder tatsächlich
dieselben Wirkungen entfalten.
93 Dies gilt vor allem für
ein Steuersystem, das, wie im vorliegenden Fall, statt allgemeine Vorschriften
für sämtliche Unternehmen vorzusehen, von denen zugunsten bestimmter Unternehmen
Ausnahmen gemacht werden, zu demselben Ergebnis führt, indem es die
Steuervorschriften derart anpasst und verknüpft, dass ihre Anwendung selbst zu
einer unterschiedlichen steuerlichen Belastung für die verschiedenen Unternehmen
führt.
94 Drittens hat das Gericht
der Kommission in den Randnrn. 184 bis 186 des angefochtenen Urteils zu Unrecht
vorgeworfen, das Vorliegen einer selektiven Begünstigung der
„Offshore-Unternehmen“ nicht nachgewiesen zu haben, da sie in der streitigen
Entscheidung keinen Bezugsrahmen für die Feststellung einer selektiven
Begünstigung festgelegt habe.
95 Diesen Randnummern lässt
sich nämlich entgegen den Feststellungen des Gerichts zu den Randnrn. 143, 144
und 150 der streitigen Entscheidung entnehmen, dass die Kommission das Vorliegen
einer selektiven Begünstigung der „Offshore-Unternehmen“ im Hinblick auf die
fragliche Steuerregelung geprüft hat, die formell für alle Unternehmen gilt. In
der streitigen Entscheidung wird diese Regelung daher offensichtlich als
Bezugsrahmen festgelegt, im Hinblick auf den die „Offshore-Unternehmen“
tatsächlich begünstigt wären.
96 Schließlich hat die
Kommission in der streitigen Entscheidung entgegen den Feststellungen des
Gerichts rechtlich hinreichend nachgewiesen, dass den „Offshore-Unternehmen“ im
Hinblick auf diesen Bezugsrahmen selektive Begünstigungen im Sinne der in
Randnr. 75 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung
zugutekommen.
97 Zwar fallen, wie das
Gericht in Randnr. 146 des angefochtenen Urteils feststellt, mangels einer
einschlägigen Unionsregelung die Bestimmung der Besteuerungsgrundlagen und die
Verteilung der Steuerbelastung auf die unterschiedlichen Produktionsfaktoren und
Wirtschaftssektoren in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten oder der unterhalb
der staatlichen Ebene angesiedelten Einheiten, die über Steuerautonomie
verfügen.
98 Gleichwohl hat das
Gericht es versäumt, die fragliche Regelung insgesamt zu prüfen, und nicht die
Gesichtspunkte berücksichtigt, die die Kommission ihrer Bewertung der fraglichen
Regelung in der streitigen Entscheidung zugrunde gelegt hat.
99 In diesem Zusammenhang
ist auf die charakteristischen Merkmale der fraglichen Regelung hinzuweisen, wie
sie in den Randnrn. 21 bis 25 des angefochtenen Urteils beschrieben werden.
100 Kennzeichen dieser Regelung ist
einerseits die Kombination von Lohnsummensteuer und BPOT als einzigen
Besteuerungsgrundlagen, zu denen die Voraussetzung der Erzielung eines Gewinns
hinzukommt, dessen Besteuerung auf 15 % begrenzt ist, und andererseits das
Fehlen einer allgemein anwendbaren Besteuerungsgrundlage, die eine Besteuerung
aller von dieser Regelung betroffenen Unternehmen vorsieht.
101 Angesichts ihrer in der
vorangegangenen Randnummer aufgeführten Merkmale führt die streitige Regelung
durch die Kombination dieser Grundlagen, auch wenn diese auf an sich allgemeinen
Kriterien beruhen, in der Praxis offensichtlich zu einer unterschiedlichen
Behandlung der Gesellschaften, die sich im Hinblick auf das mit dem
Steuerreformvorhaben verfolgte Ziel, ein allgemeines Besteuerungssystem für alle
in Gibraltar ansässigen Unternehmen einzuführen, in einer vergleichbaren Lage
befinden.
102 Daher folgt aus der Kombination
dieser Besteuerungsgrundlagen nicht nur eine Besteuerung, die von der Zahl der
Arbeitnehmer und der Größe der genutzten Geschäftsräume abhängt, sie schließt
vielmehr, da andere Besteuerungsgrundlagen fehlen, auch von vornherein jede
Besteuerung der „Offshore-Unternehmen“ aus, da diese keine Arbeitnehmer
beschäftigen und auch keine Geschäftsräume nutzen.
103 Zwar kann nach der in
Randnr. 73 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung eine
unterschiedliche steuerliche Belastung, die sich aus der Anwendung einer
„allgemeinen“ Steuerregelung ergibt, als solche nicht ausreichen, um im Rahmen
von Art. 87 Abs. 1 EG die Selektivität einer Besteuerung
festzustellen.
104 Um
als Kriterien angesehen werden zu können, die selektive Vorteile verschaffen,
müssen die in einem Steuersystem als Besteuerungsgrundlage festgelegten
Kriterien daher auch geeignet sein, die begünstigten Unternehmen anhand ihrer
spezifischen Eigenarten als privilegierte Gruppe zu kennzeichnen, und damit die
Einstufung eines solchen Systems als Regelung ermöglichen, die „bestimmte“
Unternehmen oder „bestimmte“ Produktionszweige im Sinne von Art. 87
Abs. 1 EG begünstigt.
105 Genau dies ist hier jedoch der
Fall.
106 In
diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass der Umstand, dass die
„Offshore-Unternehmen“ nicht besteuert werden, keine zufällige Folge der
fraglichen Regelung ist, sondern unvermeidliche Konsequenz der Tatsache, dass
die Besteuerungsgrundlagen genau so konzipiert sind, dass die
„Offshore-Unternehmen“, die als solche keine Arbeitnehmer beschäftigen und keine
Geschäftsräume nutzen, keine der in dem Steuerreformvorhaben enthaltenen
Bemessungsgrundlagen aufweisen.
107 Der Umstand, dass die
„Offshore-Unternehmen“, die im Hinblick auf die in dem Steuerreformvorhaben
enthaltenen Besteuerungsgrundlagen eine Gruppe von Unternehmen bilden, gerade
aufgrund der typischen und spezifischen Merkmale dieser Gruppe nicht besteuert
werden, erlaubt daher die Feststellung, dass diesen Unternehmen selektive
Begünstigungen zugutekommen.
108 Nach alledem ist dem Gericht ein
Rechtsfehler unterlaufen, indem es angenommen hat, dass das Steuerreformvorhaben
den „Offshore-Unternehmen“ keine selektiven Begünstigungen im Sinne von
Art. 87 Abs. 1 EG gewähre.
109 Daher sind der einzige
Rechtsmittelgrund der Kommission und der achte Rechtsmittelgrund des Königreichs
Spanien in diesem Punkt begründet, so dass das angefochtene Urteil aus diesem
Grund aufzuheben ist.
110 Folglich brauchen die ersten sieben
Rechtsmittelgründe und der neunte Rechtsmittelgrund des Königreichs Spanien in
Bezug auf die regionale Selektivität und den Status von Gibraltar nicht mehr
geprüft zu werden. Auch die Prüfung des zehnten und des elften
Rechtsmittelgrundes dieses Mitgliedstaats in Bezug auf das Verfahren vor dem
Gericht ist nicht mehr erforderlich.
VII – Zu den Klagen vor dem Gericht
111 Gemäß Art. 61 Abs. 1
Satz 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann der
Gerichtshof im Fall der Aufhebung der Entscheidung des Gerichts den Rechtsstreit
selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist.
112 Im
vorliegenden Fall ist der Gerichtshof der Ansicht, dass die von den Klägern im
ersten Rechtszug erhobenen Klagen auf Nichtigerklärung der streitigen
Entscheidung entscheidungsreif sind und endgültig über sie zu entscheiden
ist.
113 Daher sind die vom Government of
Gibraltar und vom Vereinigten Königreich beim Gericht erhobenen Klagen zu
prüfen.
114 Die Kläger im ersten Rechtszug
haben im Wesentlichen drei Klagegründe geltend gemacht. Mit dem ersten und dem
aus drei Teilen bestehenden zweiten Klagegrund werden Fehler bei der Anwendung
des Kriteriums der regionalen und des Kriteriums der materiellen Selektivität
gerügt. Mit dem dritten Klagegrund wird die Verletzung wesentlicher
Formvorschriften im Rahmen der von der Kommission vorgenommenen Prüfung in Bezug
auf die „Offshore-Unternehmen“ gerügt. Dieser letzte Klagegrund besteht aus zwei
Teilen, erstens eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, die sowohl
vom Government of Gibraltar als auch vom Vereinigten Königreich geltend gemacht
wird, und zweitens ein Begründungsfehler, auf den sich nur das Government of
Gibraltar beruft.
115 Als Erstes sind die drei Teile des
zweiten Klagegrundes zur materiellen Selektivität und der zweite Teil des
dritten Klagegrundes des Government of Gibraltar zu prüfen, der ebenfalls einen
Gesichtspunkt der materiellen Selektivität betrifft. Als Zweites ist der erste
Teil des dritten Klagegrundes zu den Verteidigungsrechten zu prüfen. Schließlich
ist über den ersten Klagegrund zur regionalen Selektivität zu befinden.
A – Zum zweiten Klagegrund des Government of
Gibraltar und des Vereinigten Königreichs und zum zweiten Teil des dritten
Klagegrundes des Government of Gibraltar
116 Der zweite von den Klägern im
ersten Rechtszug geltend gemachte Klagegrund zur materiellen Selektivität
besteht aus drei Teilen. Mit dem ersten Teil werfen die Kläger der Kommission
vor, sie sei von ihrer Entscheidungspraxis und der Mitteilung über staatliche
Beihilfen im Bereich der Steuern abgewichen. Mit dem zweiten Teil, über den
allein das angefochtene Urteil befunden hat, machen die Kläger geltend, dass
keiner der drei in der streitigen Entscheidung festgestellten Bestandteile
selektive Vorteile gewähre. Mit dem dritten Teil schließlich soll aufgezeigt
werden, dass diese Entscheidung verkannt habe, dass mögliche selektive Vorteile
jedenfalls durch die Natur und den inneren Aufbau des fraglichen Steuersystems
gerechtfertigt seien. Mit dem zweiten Teil ihres dritten Klagegrundes macht das
Government of Gibraltar einen Begründungsfehler in der streitigen Entscheidung
geltend.
1. Zum zweiten Teil des zweiten
Klagegrundes
117 Zu
den im Rahmen des zweiten Teils des zweiten Klagegrundes erhobenen Rügen
bezüglich der Einstufung der drei in der streitigen Entscheidung identifizierten
Bestandteile ist darauf hinzuweisen, dass aus den Erwägungen in den Randnrn. 86
bis 110 des vorliegenden Urteils hervorgeht, dass die Kommission nicht gegen
Art. 87 Abs. 1 EG verstoßen hat, indem sie in der angefochtenen
Entscheidung die Auffassung vertreten hat, dass die fragliche Steuerregelung
selektive Begünstigungen gewähre.
118 Zwar hat das Gericht nach den
Randnrn. 77 bis 84 des vorliegenden Urteils keinen Rechtsfehler begangen,
als es zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die ersten beiden in der streitigen
Entscheidung identifizierten Bestandteile, nämlich die Voraussetzung der
Gewinnerzielung und die Begrenzung der Steuer auf 15 % des Gewinns, keine
selektiven Vorteile verschafften, doch zum dritten in der streitigen
Entscheidung identifizierten Bestandteil bezüglich der steuerlichen Behandlung
der „Offshore-Unternehmen“ hat die Kommission zu Recht die Auffassung vertreten,
dass diesen Unternehmen solche Vorteile zugutekämen.
119 Wenn aus der streitigen
Entscheidung hervorgeht, dass die fragliche steuerliche Regelung selektive
Begünstigungen gewährt, wird dieses Ergebnis rechtlich hinreichend durch das
Vorliegen selektiver Begünstigungen der „Offshore-Unternehmen“ gerechtfertigt,
ohne dass es darüber hinaus erforderlich wäre, dass die beiden anderen in dieser
Entscheidung als selektiv festgestellten Bestandteile auch selektive Vorteile
gewähren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Dezember 2005, Italien/Kommission,
C‑66/02, Slg. 2005, I‑10901, Randnr. 98). Daher greift der zweite Teil des
zweiten Klagegrundes nicht durch.
120 Der im ersten Rechtszug gegen die
streitige Entscheidung vorgebrachte zweite Teil des zweiten Klagegrundes des
Government of Gibraltar und des Vereinigten Königreichs ist daher
zurückzuweisen.
2. Zu dem vom Government of
Gibraltar geltend gemachten zweiten Teil des dritten Klagegrundes
121 Zunächst ist der zweite Teil des
dritten Klagegrundes des Government of Gibraltar zurückzuweisen, mit dem ein
Begründungsfehler der Kommission gerügt wird, wonach diese nicht festgestellt
habe, welche Unternehmen den „großen Offshore-Sektor“ bildeten, auf den
Randnr. 143 der streitigen Entscheidung verweise, indem sie es unterlassen
habe, ein bestimmtes Unternehmen, eine Anzahl bestimmter Unternehmen oder einen
Wirtschaftssektor anzugeben, denen das Steuerreformvorhaben angeblich
zugutekomme.
122 Hierzu genügt die Feststellung,
dass sich die Kommission nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs im Fall
einer Beihilferegelung darauf beschränken kann, deren allgemeine Merkmale zu
untersuchen, ohne dass sie verpflichtet wäre, jeden einzelnen Anwendungsfall zu
prüfen, um festzustellen, ob diese Regelung Elemente einer Beihilfe enthält
(Urteil vom 9. Juni 2011, Comitato „Venezia vuole vivere“ u. a./Kommission,
C‑71/09 P, C‑73/09 P und C‑76/09 P, Slg. 2011, I‑0000,
Randnr. 130 und die dort angeführte Rechtsprechung).
3. Zum ersten Teil des zweiten
Klagegrundes
a) Vorbringen der
Verfahrensbeteiligten
123 Mit dem ersten Teil ihres zweiten
Klagegrundes werfen die Kläger im ersten Rechtszug der Kommission vor, sie sei
in der streitigen Entscheidung von der Mitteilung über staatliche Beihilfen im
Bereich der Steuern abgewichen. Das Government of Gibraltar macht außerdem
geltend, diese Entscheidung entspreche nicht der Entscheidungspraxis der
Kommission.
124 Zur Tragweite der Mitteilung über
staatliche Beihilfen im Bereich der Steuern machen die Kläger geltend, aus
Nr. 13 dieser Mitteilung gehe hervor, dass die Mitgliedstaaten befugt
seien, die Wirtschaftspolitik zu wählen, die sie für am geeignetsten hielten,
und insbesondere die Steuerbelastung so auf die Produktionsfaktoren zu
verteilen, wie es ihren Vorstellungen entspreche. Außerdem sei es gemäß
Nrn. 9 und 16 dieser Mitteilung erforderlich, dass die Kommission
feststelle, dass eine steuerliche Maßnahme zugunsten bestimmter Unternehmen der
Mitgliedstaaten eine Ausnahme von der Anwendung des allgemein geltenden
Steuersystems vorsehe; dies setze voraus, dass zunächst festgestellt werde,
welche allgemeine Regelung gelte, von der sodann eine Ausnahme gemacht werde.
Schließlich habe gemäß Nr. 14 dieser Mitteilung die Tatsache, dass
bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige mehr als andere in den Genuss einer
bestimmten steuerlichen Maßnahmen gelangten, nicht zur Folge, dass sie in den
Anwendungsbereich der für staatliche Beihilfen relevanten Vorschriften fielen.
125 Der von der Kommission in der
streitigen Entscheidung gewählte Ansatz in Bezug auf die Begünstigungen der
„Offshore-Unternehmen“ sei mit der Ausrichtung unvereinbar, die sich aus der
Mitteilung ergebe. Die Kommission habe dadurch, dass sie von der Mitteilung
abgewichen sei, den Grundsatz des Schutzes des berechtigten Vertrauens verletzt.
126 Das Government of Gibraltar zieht
zur Stützung der nur von ihm vorgetragenen Rüge, die Kommission habe einen neuen
Grundsatz der materiellen Selektivität entwickelt, der ihrer früheren
Entscheidungspraxis nicht entspreche, einige Entscheidungen der Kommission
heran.
127 Die Kommission beruft sich darauf,
dass die Kläger im ersten Rechtszug die Mitteilung über staatliche Beihilfen im
Bereich der Steuern nicht richtig ausgelegt hätten. Außerdem sei sie nicht von
ihrer Entscheidungspraxis abgewichen, und der in der streitigen Entscheidung
verwendete Ansatz füge sich in den Rahmen der Rechtsprechung des Gerichtshofs
ein.
b) Würdigung durch den
Gerichtshof
128 Erstens ist zu der Rüge, die
Kommission sei in der streitigen Entscheidung von der Mitteilung über staatliche
Beihilfen im Bereich der Steuern abgewichen, darauf hinzuweisen, dass diese
Mitteilung, die als von der Verwaltung erlassene interne Maßnahme nicht als
Rechtsnorm qualifiziert werden kann, gleichwohl eine Verhaltensnorm darstellt,
die einen Hinweis auf die zu befolgende Verwaltungspraxis enthält und von der
die Verwaltung im Einzelfall nicht ohne Angabe von Gründen abweichen kann, die
mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar sind (vgl. zu den Leitlinien
für staatliche Beihilfen Urteil vom 9. Juni 2011, Diputación Foral de Vizcaya
u. a./Kommission, C‑465/09 P bis C‑470/09 P, Randnr. 120 und
die dort angeführte Rechtsprechung).
129 Es
ist daher zu prüfen, ob die Kommission bei der Prüfung der Selektivität der
fraglichen Regelung tatsächlich von dieser Mitteilung abgewichen ist.
130 Hierzu ist zunächst festzustellen,
dass Nr. 13 dieser Mitteilung entgegen dem Vorbringen der Kläger im ersten
Rechtszug nicht dahin verstanden werden kann, dass sie die Befugnis der
Mitgliedstaaten, die Steuerlast auf die verschiedenen Produktionsfaktoren
aufzuteilen, jeder Kontrolle anhand der Vorschriften über staatlichen Beihilfen
entzieht. Nr. 13 sieht lediglich vor, dass „[s]teuerliche Maßnahmen, die
allen Wirtschaftsteilnehmern … zugutekommen“, keine staatliche Beihilfe
darstellen, während hier die steuerlichen Vorteile für die
„Offshore-Unternehmen“, wie aus Randnr. 102 des vorliegenden Urteils
hervorgeht, nicht tatsächlich allen Wirtschaftsteilnehmern zugutekommen.
131 Sodann ist zu den Nrn. 9 und 16 der
Mitteilung über staatliche Beihilfen im Bereich der Steuern darauf hinzuweisen,
dass daraus entgegen dem Vorbringen der Kläger im ersten Rechtszug nicht
hervorgeht, dass das Vorliegen einer Begünstigung nicht in anderer Weise
nachgewiesen werden kann als durch die Feststellung, dass eine Ausnahme von
einer normalen Steuerregelung vorliegt.
132 Zum einen werden in Nr. 9 nur
Beispiele für selektive Vorteile angeführt, die weit verbreitet sind. Zum
anderen können gemäß Nr. 16 Vorteile, die sich aus einer offensichtlich
allgemeinen Maßnahme ergeben, gleichwohl als selektiv gelten. Diese Folgerung
wird durch Nr. 13 der Mitteilung bestätigt, die erste Nummer, in der es um
die Unterscheidung zwischen staatlichen Beihilfen und allgemeinen Maßnahmen geht
und in der klargestellt wird, dass die Letzteren „tatsächlich allen Unternehmen
in gleicher Weise offenstehen [müssen] und [dass] ihre Tragweite … nicht …
verringert werden [darf]“.
133 Schließlich findet die Behauptung
der Kläger im ersten Rechtszug, die Kommission sei von der Mitteilung über
staatliche Beihilfen im Bereich der Steuern abgewichen, auch keine Unterstützung
in Nr. 14 der Mitteilung. Bereits aus der Wendung „hat nicht zwangsläufig
zur Folge, dass diese in den Anwendungsbereich der für staatliche Beihilfen
relevanten Wettbewerbsvorschriften fallen“ geht hervor, dass diese Nummer nicht
darauf abzielt, bestimmte Maßnahmen von der Anwendung der Vorschriften über
staatliche Beihilfen kategorisch auszuschließen.
134 Daher ist die Rüge, die Kommission
sei in der streitigen Entscheidung von der Mitteilung über staatliche Beihilfen
im Bereich der Steuern abgewichen, zurückzuweisen.
135 Als Zweites ist die Rüge des
Government of Gibraltar, die Kommission sei in der streitigen Entscheidung von
ihrer Entscheidungspraxis abgewichen, zurückzuweisen.
136 Hierzu genügt der Hinweis, dass
nach der Rechtsprechung der Beihilfecharakter einer bestimmten Maßnahme nur im
Rahmen von Art. 87 Abs. 1 EG zu prüfen ist, nicht aber im Hinblick auf
eine angebliche frühere Entscheidungspraxis der Kommission (vgl. in diesem Sinne
Urteil vom 21. Juli 2011, Freistaat Sachsen und Land Sachsen-Anhalt/Kommission,
C‑459/10 P, Randnr. 50).
137 Nach alledem ist der erste Teil des
zweiten Klagegrundes zurückzuweisen.
4. Zum dritten Teil des zweiten
Klagegrundes
a) Vorbringen der
Verfahrensbeteiligten
138 Mit dem dritten Teil ihres zweiten
Klagegrundes machen die Kläger im ersten Rechtszug im Wesentlichen geltend, dass
die Kommission Art. 87 Abs. 1 EG verkannt habe, indem sie die
selektive Begünstigung von „Offshore-Unternehmen“ nicht für durch die Natur und
den inneren Aufbau der Regelung gerechtfertigt gehalten habe.
139 Die Merkmale des
Steuerreformvorhabens gingen darauf zurück, dass Gibraltar zwangsläufig über
eine kleine Steuerverwaltung verfüge und eine schwache Steuerbasis habe, die dem
Funktionieren und der Effektivität seines Steuerregimes unvermeidliche und
inhärente Grenzen setze.
140 Die Verwendung der Lohnsumme und
der Nutzung von Geschäftsräumen als Besteuerungsgrundlagen sei angesichts der
spezifischen Merkmale von Gibraltar eine logische Entscheidung, da eine solche
Steuerregelung zu einer einfachen und leicht kontrollierbaren Steuer führe,
deren Erhebung kostengünstig und die mit den anderen Steuern, die die kleine
Steuerverwaltung von Gibraltar gewöhnlich einziehe, vergleichbar sei. Das
Government of Gibraltar weist auch darauf hin, dass das Steuerreformvorhaben zur
Besteuerung sämtlicher Handelsunternehmen führe. Dass Unternehmen, die
gewerblich nicht aktiv seien, sondern nur Vermögenswerte besäßen, nicht
besteuert würden, entspreche in Steuersystemen der Norm.
141 Die Kommission macht, unterstützt
durch das Königreich Spanien, geltend, die selektiven Begünstigungen der
„Offshore-Unternehmen“ ließen sich nicht durch die Natur und den inneren Aufbau
des Steuerreformvorhabens rechtfertigen, da dieses seinem Wesen nach darin
bestehe, ein System zu schaffen, das de facto unterschiedliche
Steuersätze für unterschiedliche Arten von Unternehmen festlege.
142 Auch wenn das Steuerreformvorhaben
eine vernünftige strategische Entscheidung des Government of Gibraltar
darstellen könnte, sei es gleichwohl selektiv. Außerdem hätten die Kläger im
ersten Rechtszug nicht erläutert, inwiefern es zur Vermeidung einer übermäßigen
Besteuerung zahlreicher kleiner Unternehmen erforderlich sei, bestimmte
Unternehmen zu besteuern und andere nicht, ohne die Steuerkraft der Unternehmen
zu berücksichtigen. Das Vorbringen, das Government of Gibraltar hätte eine
einfache Steuer einführen müssen, die wirksam kontrolliert werden könne, könne
nicht rechtfertigen, dass eine erhebliche Anzahl der Unternehmen in Gibraltar
steuerbefreit sei.
b) Würdigung durch den
Gerichtshof
143 Um
den dritten Teil des zweiten Klagegrundes der Kläger im ersten Rechtszug prüfen
zu können, ist darauf hinzuweisen, dass die streitige Entscheidung die Frage
einer möglichen Rechtfertigung der Begünstigung der „Offshore-Unternehmen“ durch
die Natur und den inneren Aufbau des Steuersystems nicht behandelt.
144 Es
ist daher zu prüfen, ob die Kommission in der streitigen Entscheidung zu einer
möglichen Rechtfertigung der selektiven Begünstigung der „Offshore-Unternehmen“
durch die Natur und den inneren Aufbau des Steuersystems hätte Stellung nehmen
müssen.
145 Nach ständiger Rechtsprechung
umfasst der Begriff der staatlichen Beihilfe staatliche Maßnahmen, die eine
Differenzierung zwischen Unternehmen vornehmen und damit a priori
selektiv sind, dann nicht, wenn diese Differenzierung aus der Natur oder dem
inneren Aufbau der Regelung folgt, mit der sie in Zusammenhang stehen (vgl. in
diesem Sinne u. a. Urteile Adria-Wien Pipeline und Wietersdorfer &
Peggauer Zementwerke, Randnr. 42, Portugal/Kommission, Randnr. 52, und
British Aggregates/Kommission, Randnr. 83).
146 Es
obliegt dem Mitgliedstaat, der im Bereich von Belastungen eine derartige
Differenzierung zwischen den Unternehmen vorgenommen hat, darzutun, dass sie
tatsächlich durch die Natur oder den inneren Aufbau des fraglichen Systems
gerechtfertigt ist (Urteile vom 29. April 2004, Niederlande/Kommission,
C‑159/01, Slg. 2004, I‑4461, Randnr. 43, und Kommission/Niederlande,
Randnr. 77).
147 Ein Mitgliedstaat, der die
Ermächtigung zur Gewährung von Beihilfen in Abweichung von den Regeln des
Vertrags beantragt, ist zur Zusammenarbeit mit der Kommission verpflichtet.
Aufgrund dieser Verpflichtung hat er insbesondere alle Angaben zu machen, die
diesem Organ die Prüfung erlauben, ob die Voraussetzungen für die beantragte
Ausnahmeermächtigung vorliegen (vgl. Urteile vom 28. April 1993,
Italien/Kommission, C‑364/90, Slg. 1993, I‑2097, Randnr. 20, und vom 29.
April 2004, Italien/Kommission, C‑372/97, Slg. 2004, I‑3679,
Randnr. 81).
148 Schließlich ist festzustellen, dass
die Kommission im Interesse einer ordnungsgemäßen Anwendung der Vorschriften auf
dem Gebiet der staatlichen Beihilfen eine sorgfältige und unvoreingenommene
Prüfung der ihr vorliegenden Gesichtspunkte vorzunehmen hat (vgl. u. a.
Urteil vom 2. April 1998, Kommission/Sytraval und Brink’s France,
C‑367/95 P, Slg. 1998, I‑1719, Randnr. 62).
149 Hierzu ist jedoch darauf
hinzuweisen, dass zum einen das Vereinigte Königreich weder in der Anmeldung des
Steuerreformvorhabens noch in dem dieses Vorhaben betreffenden förmlichen
Prüfverfahren eine Rechtfertigung für die selektiven Vorteile für die
„Offshore-Unternehmen“ angeführt hat. Es steht nämlich fest, dass das Vereinigte
Königreich in dem das Steuerreformvorhaben betreffenden förmlichen Prüfverfahren
nicht zum Vorbringen des Königreichs Spanien zu diesen Vorteilen Stellung
genommen hat.
150 Zum anderen tragen die Kläger im
ersten Rechtszug in ihrer Klage vor dem Gericht auch nicht vor, die Kommission
habe über Gesichtspunkte verfügt, aufgrund deren sie in der streitigen
Entscheidung eine mögliche Rechtfertigung der selektiven Begünstigungen der
„Offshore-Unternehmen“ hätte prüfen müssen.
151 Im
Ergebnis musste die Kommission daher keine mögliche Rechtfertigung der
selektiven Begünstigungen der „Offshore-Unternehmen“ durch die Natur und den
inneren Aufbau des Steuersystems prüfen, so dass ihr kein Vorwurf daraus gemacht
werden kann, dass sie diesen Punkt in der streitigen Entscheidung nicht
behandelt hat.
152 Daher ist das Vorbringen der Kläger
im ersten Rechtszug, die Kommission habe Art. 87 Abs. 1 EG verkannt,
indem sie nicht berücksichtigt habe, dass die selektive Begünstigung der
„Offshore-Unternehmen“ durch die Natur und den inneren Aufbau der Regelung
gerechtfertigt sei, zurückzuweisen.
153 Folglich ist der dritte Teil des
zweiten Klagegrundes zurückzuweisen.
154 Nach alledem sind der zweite
Klagegrund insgesamt und der vom Government of Gibraltar vorgetragene zweite
Teil des dritten Klagegrundes zurückzuweisen.
B – Zum dritten Klagegrund des Vereinigten
Königreichs und zum ersten Teil des dritten Klagegrundes des Government of
Gibraltar: Verletzung der Verteidigungsrechte
155 Das Vereinigte Königreich und das
Government of Gibraltar machen mit dem dritten Klagegrund bzw. dem ersten Teil
des dritten Klagegrundes, die sie vor dem Gericht gegen die streitige
Entscheidung vorgetragen haben, eine Verletzung ihrer Verteidigungsrechte
geltend.
1. Vorbringen der
Verfahrensbeteiligten
156 Das Government of Gibraltar und das
Vereinigte Königreich tragen vor, die Kommission habe ihre Verteidigungsrechte
verletzt, indem sie die Frage der materiellen Selektivität unter dem
Gesichtspunkt der angeblichen Bevorzugung der „Offshore-Unternehmen“ zum ersten
Mal in der streitigen Entscheidung aufgeworfen habe, denn diese Frage
unterscheide sich von den Fragen, die in der vorläufigen Würdigung im Rahmen der
Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Verfahrens geprüft worden seien.
157 Die Kommission müsse jedoch bei der
Durchführung eines beihilferechtlichen Prüfverfahrens das berechtigte Vertrauen
berücksichtigen, das die Ausführungen in der Entscheidung über die Eröffnung des
Prüfverfahrens erwecken könnten, so dass sie ihre abschließende Entscheidung
nicht auf Erwägungen stützen dürfe, bezüglich deren die Beteiligten in
Anbetracht dieser Ausführungen keine Stellungnahme für erforderlich gehalten
hätten. Hierzu verweisen die Kläger im ersten Rechtszug u. a. auf
Randnr. 126 des Urteils des Gerichts vom 5. Juni 2001, ESF Elbe-Stahlwerke
Feralpi/Kommission (T‑6/99, Slg. 2001, II‑1523), und Randnr. 88 des Urteils
des Gerichts vom 18. November 2004, Ferriere Nord/Kommission (T‑176/01, Slg.
2004, II‑3931).
158 Das Government of Gibraltar und das
Vereinigte Königreich hätten weder aufgrund der in Randnr. 60
Buchst. f der Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Verfahrens an
das Vereinigte Königreich gerichteten Frage zu den Unternehmen, die keinen
Gewinn erzielten oder die keine Arbeitnehmer beschäftigten, noch aufgrund der
Tatsache, dass sich das Königreich Spanien in seiner auf diese Entscheidung hin
eingereichten Stellungnahme zum „Offshore-Sektor“ geäußert habe, annehmen
können, dass die Kommission die materielle Selektivität auch unter dem
Gesichtspunkt der Behandlung der „Offshore-Unternehmen“ prüfen werde.
159 Zum einen habe diese Frage nicht im
Zusammenhang mit der ausführlichen Prüfung des Steuerreformvorhabens in den
Randnrn. 2 bis 59 der Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Verfahrens
gestanden. Zum anderen seien die Anmerkungen des Königreichs Spanien rein
formaler Art gewesen, und die Kommission habe zu keinem Zeitpunkt zu erkennen
gegeben, dass sie diesen Gesichtspunkt als für ihre Prüfung relevant ansehe.
160 Hätte die Kommission ihre
Aufmerksamkeit vorschriftsgemäß auf den Gesichtspunkt der steuerlichen
Behandlung der „Offshore-Unternehmen“ gelenkt, hätte das Prüfverfahren zu einem
anderen Ergebnis führen können.
161 Die Kommission, unterstützt durch
das Königreich Spanien, ist der Auffassung, dass die Verteidigungsrechte des
Government of Gibraltar und des Vereinigten Königreichs nicht verletzt worden
seien.
162 Die Frage des selektiven Charakters
der Besteuerung der „Offshore-Unternehmen“ sei sowohl in Randnr. 60
Buchst. f der Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Verfahrens als
auch vom Königreich Spanien in seiner im förmlichen Prüfverfahren vorgelegten
Stellungnahme aufgeworfen worden, zu der sich das Government of Gibraltar und
das Vereinigte Königreich hätten äußern können.
163 Hilfsweise trägt die Kommission
vor, der Ausgang des Verfahrens wäre nicht anders gewesen, selbst wenn die
Verteidigungsrechte des Government of Gibraltar und des Vereinigten Königreichs
verletzt worden sein sollten.
2. Würdigung durch den
Gerichtshof
164 Es
ist zunächst zu prüfen, ob die Verteidigungsrechte des Vereinigten Königreichs
verletzt worden sind.
165 Nach ständiger Rechtsprechung
erfordert die Wahrung der Verteidigungsrechte im förmlichen Prüfverfahren gemäß
Art. 88 Abs. 2 EG, dass der betroffene Mitgliedstaat zum Vorliegen und
zur Erheblichkeit der von der Kommission angeführten Tatsachen und Umstände
sowie zu den von ihr zur Stützung ihrer Behauptung, dass eine Verletzung des
Unionsrechts vorliege, herangezogenen Schriftstücken (vgl. in diesem Sinne
Urteile vom 10. Juli 1986, Belgien/Kommission, 40/85, Slg. 1986, 2321,
Randnr. 28, und Belgien/Kommission, 234/84, Slg. 1986, 2263,
Randnr. 27) und zu den Äußerungen, die beteiligte Dritte nach Art. 88
Abs. 2 EG abgegeben haben, sachgerecht Stellung nehmen kann. Die Kommission
darf diese Äußerungen in ihrer Entscheidung gegen den Mitgliedstaat nicht
berücksichtigen, soweit dieser keine Gelegenheit hatte, hierzu Stellung zu
nehmen (vgl. Urteile vom 14. Februar 1990, Frankreich/Kommission, C‑301/87, Slg.
1990, I‑307, Randnr. 30, vom 21. März 1990, Belgien/Kommission, C‑142/87,
Slg. 1990, I‑959, Randnr. 47, und vom 5. Oktober 2000,
Deutschland/Kommission, C‑288/96, Slg. 2000, I‑8237, Randnr. 100).
166 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass
im vorliegenden Fall feststeht, dass das Vereinigte Königreich zum Vorliegen und
zur Erheblichkeit der angeführten Tatsachen und Umstände sowie zu den Äußerungen
beteiligter Dritter, hier die Äußerungen des Königreichs Spanien, sachgerecht
Stellung nehmen konnte, so dass die Verpflichtungen, die sich aus der in der
vorangegangenen Randnummer genannten Rechtsprechung ergeben, eingehalten worden
sind.
167 Soweit das Vereinigte Königreich
geltend macht, dass es nicht sachgerecht habe Stellung nehmen können, da zum
einen die in der Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Verfahrens
enthaltene vorläufige Würdigung keine Erwägungen zu den „Offshore-Unternehmen“
enthalten habe und zum anderen die Kommission in ihren Gesprächen mit dem
Government of Gibraltar und dem Vereinigten Königreich im Lauf des förmlichen
Prüfverfahrens nicht darauf hingewiesen habe, dass sie der Ansicht sei, dass den
„Offshore-Unternehmen“ selektive Begünstigungen zuteil würden, kann seinem
Vorbringen nicht gefolgt werden.
168 Als Erstes ist zu dem Umstand, dass
die vorläufige Würdigung keine Erwägungen zu den „Offshore-Unternehmen“
enthielt, festzustellen, dass die Kommission, wenn sie ein förmliches
Prüfverfahren eröffnet, zwar verpflichtet ist, ihre Zweifel an der Vereinbarkeit
der Beihilfe klar zu formulieren, um dem Mitgliedstaat und den Betroffenen zu
ermöglichen, sich so umfassend wie möglich dazu zu äußern (Urteil vom 8. Mai
2008, Ferriere Nord/Kommission, C‑49/05 P, Randnr. 92).
169 Dass die vorläufige Würdigung des
Steuerreformvorhabens keine Erwägungen zu den „Offshore-Unternehmen“ enthielt,
konnte gleichwohl nicht Anlass für ein berechtigtes Vertrauen des Vereinigten
Königreichs geben, dass die Kommission ihre Prüfung auf die in diesen
vorläufigen Bewertungen geprüften Gesichtspunkte beschränken würde. Ebenso wenig
ergibt sich aus diesem Umstand, dass die Kommission ihre Verpflichtung, ihre
Zweifel klar zum Ausdruck zu bringen, verkannt hätte.
170 Zunächst ist darauf hinzuweisen,
dass die Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Verfahrens in
Randnr. 60 Buchst. f Fragen enthielt, die sich genau auf diesen Sektor
bezogen, auch wenn der Begriff „Offshore“ nicht verwendet wurde.
171 Folglich wurde das Vereinigte
Königreich bereits durch die Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen
Verfahrens hinreichend darüber unterrichtet, dass sich die vertiefte Prüfung des
Steuerreformvorhabens im förmlichen Prüfverfahren auch auf die Sektoren würde
beziehen können, die nicht besteuert werden, da sie keine Arbeitnehmer
beschäftigen und keine Geschäftsräume benötigen.
172 Ferner ist die gemäß Art. 6
Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 in der Entscheidung über die
Eröffnung des förmlichen Verfahrens enthaltene Würdigung, wie aus dem Wortlaut
dieser Vorschrift hervorgeht, nur eine „vorläufige Würdigung“, die den Beginn
des förmlichen Prüfverfahrens markiert und vor allem den Beteiligten die
Möglichkeit einräumt, ihren Standpunkt sachgerecht darzulegen.
173 Um
insbesondere die Wirksamkeit dieser Möglichkeit sicherzustellen, darf die
Kommission nicht daran gehindert werden, in ihrer endgültigen Entscheidung nach
dem förmlichen Prüfverfahren ihre „vorläufige“ Würdigung zu vervollständigen,
indem sie sich den von den Beteiligten geäußerten Standpunkt zu eigen macht.
174 Folglich führt der Umstand allein,
dass die vorläufige Würdigung des Steuerreformvorhabens keine spezifischen
Erwägungen zu den „Offshore-Unternehmen“ enthielt, nicht zu einer Verletzung der
Verteidigungsrechte des Vereinigten Königreichs.
175 Als Zweites ist festzustellen, dass
die Stellungnahme des Königreichs Spanien im förmlichen Prüfverfahren entgegen
dem Vorbringen des Vereinigten Königreichs nicht nur Tatsachenvorbringen
enthält, sondern gerade zeigen soll, dass das angemeldete Steuerreformvorhaben
auch selektiv ist, soweit es die „Offshore-Unternehmen“ begünstigt, denen eine
vollständige Steuerbefreiung zugutekommt.
176 Die Kommission hat diese
Stellungnahme dem Vereinigten Königreich übermittelt, das sich in seinem
Schreiben vom 13. Februar 2003 dazu geäußert hat, ohne jedoch zum Thema
„Offshore-Unternehmen“ Stellung zu nehmen.
177 Indem das Vereinigte Königreich
geltend macht, es habe seinen Standpunkt nicht sachgerecht darlegen können, da
die Kommission nicht zu erkennen gegeben habe, dass sie der Stellungnahme des
Königreichs Spanien Bedeutung beimesse, trägt sie eine Argumentation vor, die
darauf hinausläuft, dass die Kommission verpflichtet sei, im förmlichen
Prüfverfahren zu den Äußerungen der Beteiligten Stellung zu nehmen.
178 Das Bestehen einer solchen
Verpflichtung ergibt sich jedoch nicht aus der Verordnung Nr. 659/1999.
Art. 6 Abs. 2 dieser Verordnung legt der Kommission nur die
Verpflichtung auf – der die Kommission hier vollständig nachgekommen ist –,
dem betroffenen Mitgliedstaat die Äußerungen mitzuteilen, die sie im förmlichen
Prüfverfahren erhalten hat.
179 Demnach ist der dritte Klagegrund
des Vereinigten Königreichs, mit dem dieses eine Verletzung seiner
Verteidigungsrechte rügt, zurückzuweisen, ohne dass geprüft zu werden braucht,
ob das Verfahren ohne die behauptete Regelwidrigkeit zu einem anderen Ergebnis
hätte führen können, was Voraussetzung dafür wäre, dass eine Verletzung der
Verteidigungsrechte zur Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung führt (vgl.
Urteile Frankreich/Kommission, Randnr. 31, vom 21. März 1990,
Belgien/Kommission, Randnr. 48, und vom 5. Oktober 2000,
Deutschland/Kommission, Randnr. 101).
180 Zu
den Verteidigungsrechten des Government of Gibraltar ist zunächst festzustellen,
dass dieses die Möglichkeit hatte, sich gegenüber der Kommission zu äußern, und
von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat. Sofern das Government of Gibraltar
im Wesentlichen dieselben Argumente wie das Vereinigte Königreich geltend macht,
genügt der Hinweis, dass die Verteidigungsrechte dieses Mitgliedstaats nicht
verletzt worden sind, so dass für die Verteidigungsrechte des Government of
Gibraltar dasselbe gilt. Die Verfahrensrechte des Government of Gibraltar sind
jedenfalls weniger umfassend als diejenigen des Vereinigten Königreichs als der
im förmlichen Prüfverfahren gemäß Art. 88 Abs. 2 EG betroffene
Mitgliedstaat.
181 Hierzu geht aus der Rechtsprechung
des Gerichtshofs hervor, dass andere Beteiligte als der betroffene
Mitgliedstaat, wie im vorliegenden Fall das Government of Gibraltar, in einem
Verfahren zur Kontrolle staatlicher Beihilfen nur die Möglichkeit haben, der
Kommission sämtliche Informationen zu übermitteln, die dazu beitragen können,
ihr Klarheit über ihr weiteres Vorgehen zu verschaffen, und dass sie selbst
keinen Anspruch auf eine streitige Erörterung mit der Kommission haben, wie sie
zugunsten des Mitgliedstaats eingeleitet wird (vgl. Urteile Kommission/Sytraval
und Brink’s France, Randnr. 59, und vom 24. September 2002, Falck und
Acciaierie di Bolzano/Kommission, C‑74/00 P und C‑75/00 P, Slg. 2002,
I‑7869, Randnrn. 80 und 82).
182 Nach alledem sind der dritte
Klagegrund des Vereinigten Königreichs und der erste Teil des dritten
Klagegrundes des Government of Gibraltar als unbegründet zurückzuweisen.
C – Zum ersten Klagegrund: regionale
Selektivität
183 Die Kläger im ersten Rechtszug
machen mit ihrem ersten Klagegrund geltend, dass die streitige Entscheidung
unter Verstoß gegen Art. 87 Abs. 1 EG erlassen worden sei, da das
Steuerreformvorhaben darin als regional selektiv erachtet worden sei.
184 Hierzu ist darauf hinzuweisen,
dass, wie sich aus den Randnrn. 86 bis 108 des vorliegenden Urteils ergibt, das
Steuerreformvorhaben materiell selektiv ist, soweit es den
„Offshore-Unternehmen“ selektive Vorteile gewährt.
185 Diese Feststellung erlaubt bereits
für sich die Rechtfertigung des verfügenden Teils der streitigen Entscheidung,
dem zufolge das Steuerreformvorhaben eine staatliche Beihilferegelung im Sinne
von Art. 87 Abs. 1 EG darstellt, die das Vereinigte Königreich nicht
umsetzen darf.
186 Daher kann der erste Klagegrund
betreffend die regionale Selektivität, da er das Vorliegen materiell selektiver
Vorteile nicht in Frage stellt, nicht zur Nichtigerklärung oder teilweisen
Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung führen (vgl. entsprechend Beschluss
des Präsidenten des Gerichtshofs vom 25. Juni 1998, Niederländische
Antillen/Rat, C‑159/98 P[R], Slg. 1998, I‑4147, Randnr. 111).
187 Es
ist somit festzustellen, dass der erste Klagegrund, selbst wenn er begründet
wäre, nicht zur Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung führen könnte und
daher ins Leere geht.
188 Nach alledem sind die Klagen, die
das Government of Gibraltar und das Vereinigte Königreich erhoben haben, in
vollem Umfang abzuweisen.
VIII – Kosten
189 Nach Art. 122 Abs. 1
seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das
Rechtsmittel begründet ist und er selbst den Rechtsstreit endgültig entscheidet.
Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung, der gemäß ihrem Art. 118
auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die
unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.
Art. 69 § 4 Abs. 1 der Verfahrensordnung bestimmt, dass die
Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre
eigenen Kosten tragen.
190 Da
den Rechtsmitteln der Kommission und des Königreichs Spanien stattgegeben wird
und die Klagen des Government of Gibraltar und des Vereinigten Königreichs gegen
die streitige Entscheidung abgewiesen werden, sind dem Government of Gibraltar
und dem Vereinigten Königreich, wie von der Kommission und dem Königreich
Spanien beantragt, neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Kommission und des
Königreichs Spanien im Rechtsmittelverfahren sowie die Kosten der Kommission im
ersten Rechtszug aufzuerlegen.
191 Das Königreich Spanien und Irland
als Streithelfer vor dem Gericht bzw. vor dem Gerichtshof tragen ihre eigenen
Kosten.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große
Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
1. Das Urteil des
Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 18. Dezember 2008,
Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich/Kommission (T‑211/04 und
T‑215/04), wird aufgehoben.
2. Die Klage des
Government of Gibraltar und die Klage des Vereinigten Königreichs Großbritannien
und Nordirland werden abgewiesen.
3. Das Government
of Gibraltar und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland tragen
neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Europäischen Kommission und des
Königreichs Spanien im Rechtsmittelverfahren sowie die Kosten der Europäischen
Kommission im ersten Rechtszug.
4. Das Königreich
Spanien und Irland als Streithelfer vor dem Gericht erster Instanz der
Europäischen Gemeinschaften bzw. vor dem Gerichtshof der Europäischen Union
tragen ihre eigenen Kosten.
Unterschriften